OGH 2Ob289/58

OGH2Ob289/582.10.1958

SZ 31/120

Normen

Eisenbahn- und Kraftfahrzeug-Haftpflichtgesetz §5
Eisenbahn- und Kraftfahrzeug-Haftpflichtgesetz §19
Einführungsverordnung zum Gesetz über den Verkehr mit Kraftfahrzeugen ArtIV.
Gesetz über den Verkehr mit Kraftfahrzeugen §7
Eisenbahn- und Kraftfahrzeug-Haftpflichtgesetz §5
Eisenbahn- und Kraftfahrzeug-Haftpflichtgesetz §19
Einführungsverordnung zum Gesetz über den Verkehr mit Kraftfahrzeugen ArtIV.
Gesetz über den Verkehr mit Kraftfahrzeugen §7

 

Spruch:

Wenn der Geschäftsherr einen Kraftwagen einem Geschäftsreisenden verkauft und dieser Wagen vor allem zu Geschäftsfahrten (Kundenbesuch) benützt werden soll, ist der Geschäftsherr mindestens als Mithalter (Art. IV Abs.2 EVzKraftfVerkG.) anzusehen.

Entscheidung vom 2. Oktober 1958, 2 Ob 289/58.

I. Instanz: Landesgericht Linz; II. Instanz: Oberlandesgericht Linz.

Text

Das Erstgericht sprach den beiden Klägern ihre auch Schmerzengeld umfassenden und daher den Rahmen der Ersatzpflicht nach § 12 KraftfVerkG. (jetzt § 15 EKHG.) übersteigenden Schadenersatzforderungen aus einem Verkehrsunfall zur ungeteilten Hand gegen beide beklagten Parteien größtenteils zu. Der Erstbeklagte hafte nach bürgerlichem Recht für den vollen Schaden der Kläger, weil er den Unfall unbestritten allein verschuldet habe und deshalb auch strafgerichtlich verurteilt worden sei. Die zweitbeklagte Partei habe zur ungeteilten Hand mit dem Erstbeklagten in vollem Umfang mitzuhaften, weil sie dem Erstbeklagten, der bei ihr als Reisender bedienstet gewesen sei, den Personenkraftwagen, mit dem der Unfall verursacht worden sei, für seine Dienste als Reisender zur Verfügung gestellt habe. Der Erstbeklagte habe daher das Fahrzeug im Interesse der Zweitbeklagten benützt. Diese habe zwar den Wagen dem Erstbeklagten verkauft, sich aber das Eigentumsrecht bis zur vollständigen Abzahlung der Raten vorbehalten. Bei der Verkehrsbehörde sei der Wagen als Eigentum der zweitbeklagten Partei gemeldet gewesen. Diese habe auch die Steuern und Versicherungsprämien für das Fahrzeug bezahlt, allerdings gegen spätere Verrechnung mit dem Erstbeklagten. Die zweitbeklagte Partei sei daher als Halterin des Fahrzeuges anzusehen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beiden Beklagten keine Folge. Der Berufung der Kläger wurde teilweise Folge gegeben und das Urteil des Erstgerichtes dahin abgeändert, daß die den Klägern zugesprochenen Beträge erhöht wurden. Nur die zweitbeklagte Partei erhob Revision.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der zweitbeklagten Partei nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Auf Grund des von den Untergerichten festgestellten Sachverhaltes haben diese mit Recht erkannt, daß die zweitbeklagte Partei nach allgemeinem bürgerlichem Recht unter Heranziehung des Art. IV der EVzKraftfVerkG. (jetzt § 19 Abs. 2 EKHG.) für den gesamten Schaden der beiden Kläger zu haften hat. Diese Gesetzesstelle setzt die Haltereigenschaft voraus, weshalb zunächst zu untersuchen ist, ob die zweitbeklagte Partei zur Zeit des Unfalls als Halterin des Fahrzeuges angesehen werden konnte.

Halter ist, wer das Kraftfahrzeug für eigene Rechnung in Gebrauch hat und die Verfügungsgewalt darüber besitzt, die ein solcher Gebrauch voraussetzt. Die Verfügungsgewalt hatte nach den Feststellungen der Untergerichte der Erstbeklagte, denn das Fahrzeug war ihm gegen Eigentumsvorbehalt verkauft und übergeben worden, war bei ihm garagiert und ihm zur freien und unkontrollierten Benützung überlassen. Dagegen haben die Untergerichte festgestellt, daß das Fahrzeug überwiegend auf Rechnung der zweitbeklagten Partei in Gebrauch stand. Ein Fahrzeug wird für eigene Rechnung dessen betrieben, der den Nutzen daraus zieht und die Kosten des Betriebes bestreitet (Bartsch - Veit - Veit, Kraftfahrzeughaftpflichtrecht, 5. Aufl. S. 34; SZ. XII 280; JBl. 1954 S. 490 u. a.). Die Haltereigenschaft kann auch bejaht werden, wenn aus dem Kraftfahrzeug nur mittelbar Nutzen gezogen wird (VAE. 1943 Nr. 55, VAE. 1942 Nr. 154). Nach den Feststellungen der Untergerichte trifft das Merkmal des Gebrauches auf eigene Rechnung überwiegend auf die zweitbeklagte Partei zu, denn sie hat das Fahrzeug eigens als Vertreterwagen erworben und es dem Erstbeklagten im eigenen wirtschaftlichen Interesse zum Kundenbesuch zur Verfügung gestellt. Sie trug auch wenigstens vorläufig die für das Fahrzeug zu entrichtenden Steuern und Versicherungsprämien, während die laufenden Betriebsausgaben anscheinend vom Erstbeklagten getragen werden mußten. Daß dem Erstbeklagten die Möglichkeit gegeben worden war, das Fahrzeug auf Raten als Eigentum zu erwerben, spricht ebenfalls dafür, daß es im Interesse der Zweitbeklagten lag, den Erstbeklagten mit einem Fahrzeug auszurüsten. Wenn die beiden Merkmale, Verfügungsgewalt und Gebrauch für eigene Rechnung, auf verschiedene Personen zutreffen, ist zu überprüfen, welches der beiden Merkmale im gegebenen Falle die größere Bedeutung hat; derjenige, auf den dieses Merkmal zutrifft, gilt als Halter. Im vorliegenden Falle muß aber das wirtschaftliche Interesse, die Nutzenziehung und Kostentragung und der Umstand, daß der Wagen im Eigentum der zweitbeklagten Partei stand, den Ausschlag geben. Im wesentlichen liegt der Fall vor, daß ein Geschäftsherr seinem Handelsagenten, der in seinem Dienste Kunden besucht, einen Kraftwagen überläßt. Damit qualifiziert sich die zweitbeklagte Partei mindestens als Mithalterin des Kraftfahrzeuges. Die Ausnahme des § 7 Abs. 3 Satz 1 KraftfVerkG. (jetzt § 6 EKHG.), nämlich der Fall, daß jemand das Fahrzeug ohne Wissen und Willen des Fahrzeughalters benützt, findet im vorliegenden Falle keine Anwendung, weil die Untergerichte festgestellt haben, daß dem Erstbeklagten das Fahrzeug vom Halter selbst überlassen worden war. Auf die Ausführungen der Revisionsschrift, ob die Benützung des Fahrzeuges durch ein Verschulden der zweitbeklagten Partei ermöglicht wurde, war daher nicht weiter einzugehen.

Es bleibt nur mehr die Frage zu erörtern, ob die zweitbeklagte Partei nur im Umfange des § 12 KraftfVerkG. (jetzt § 15 EKHG.) oder gemäß Art. IV EVzKraftfVerkG. (jetzt § 19 EKHG.) nach allgemeinem bürgerlichem Recht im vollen Umfange für die Schadenersatzansprüche der beiden Kläger zu haften hat. Das Berufungsgericht sah die Voraussetzungen der vollen Haftung für gegeben an, weil sich die zweitbeklagte Partei des Erstbeklagten beim Betriebe des Kraftfahrzeuges bediente, indem sie ihm dieses überließ, damit er Vertreterfahrten für sie durchführe und damit in ihrem geschäftlichen Interesse tätig werde. Die Revisionswerberin macht geltend, daß es sich bei der Unglücksfahrt um keine Dienstleistung beim Betriebe des Kraftfahrzeuges gehandelt habe. Nach Art. IV EVzKraftfVerkG. haftet der Halter des Kraftfahrzeuges für das Verschulden der Personen, deren er sich beim Betriebe des Kraftfahrzeuges bedient, "insoweit es sich um ihre Dienstleistung beim Betriebe des Kraftfahrzeuges handelt". Der Oberste Gerichtshof legt seit seiner grundsätzlichen Entscheidung EvBl. 1954 Nr. 170 in ständiger Rechtsprechung diese Bestimmung im weitesten Sinne aus und hält daran fest, daß die Haftung des Halters für das Verschulden seines Betriebsgehilfen alle Fälle umfaßt, in denen der Halter das Kraftfahrzeug einer anderen Person überläßt, damit diese irgendwie in seinem Interesse tätig werde. Es steht fest, daß der Erstbeklagte Betriebsgehilfe der zweitbeklagten Partei beim Betriebe des Kraftfahrzeuges war, weil er mit diesem auftragsgemäß Vertreterfahrten durchzuführen hatte und es ihm unkontrolliert gestattet war, mit diesem auch an Sonn- und Feiertagen Fahrten zu machen. Die Fahrt fiel daher nicht völlig aus dem Rahmen der dem Erstbeklagten erteilten Aufträge (ZVR. 1958 S. 75). Für die Annahme eines - übrigens im Art. IV. EVzKraftfVerkG. nicht ausdrücklich normierten - Interesses (vgl. EvBl. 1954 Nr. 170) genügt die Feststellung der Untergerichte, daß es im wirtschaftlichen Interesse der zweitbeklagten Partei lag, den Erstbeklagten mit einem Fahrzeug auszurüsten. Der Nachweis, daß die zweitbeklagte Partei von der einzelnen Fahrt einen wirtschaftlichen Vorteil hatte, ist nicht erforderlich. Ebenso kann die bloße Tatsache, daß der Erstbeklagte durch die Fahrt ohne Führerschein ein behördliches Verbot übertrat, die Zweitbeklagte von ihrer Haftung nicht befreien.

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