Spruch:
Die wissentliche Beteiligung eines Dritten an einer Vertragsverletzung kann auch bei Fehlen von Arglist nach § 1301 ABGB. schadenersatzpflichtig machen.
Entscheidung vom 25. Juni 1958, 1 Ob 251/58.
I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien; II. Instanz:
Oberlandesgericht Wien.
Text
Die Ehe der Klägerin mit Karl G., dem Bruder der Beklagten, wurde mit Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 19. Oktober 1954 gemäß § 55 EheG. geschieden. Mit Vergleich vom gleichen Tage verpflichtete sich Karl G., der Klägerin ab 1. November 1954 jeweils 25% seines Nettoeinkommens als Unterhalt zu leisten und ihr für den Fall, als er sein beschlagnahmtes Eigentum von der Republik Österreich zurückerhalten sollte, seinen Viertelanteil an der EZ. 159 der KG. M. ins Eigentum zu übertragen. Karl G. war nämlich vom Volksgericht Linz mit Urteil vom 27. Juni 1947 u. a. zum Vermögensverfall verurteilt worden. Zum verfallenen Vermögen gehörte auch der schon genannte Liegenschaftsanteil, ob welchem unter TZ. 2053/49 das Eigentum für die Republik Österreich eingetragen worden war. Um den Ankauf dieses Liegenschaftsanteiles von der Republik Österreich bewarben sich in der Folge die Klägerin, deren geschiedener Gatte Karl G. und der Liegenschaftsmiteigentümer Horst K. Nachdem noch am 22. November 1954 Karl G. sein Interesse am Ankauf des Liegenschaftsanteiles bekundet hatte, verkaufte die Republik Österreich mit Kaufvertrag vom 29. Juni 1955 den ihr gehörigen Viertelanteil an der Liegenschaft EZ. 159 der KG. M. an die Beklagte um 2880 S.
Die Klägerin begehrt von der Beklagten, in die Übertragung des Eigentumsrechtes an diesem Viertelanteil Zug um Zug gegen Zahlung von 2880 S einzuwilligen. Die Beklagte sei bei Abschluß des Vergleiches vom 19. Oktober 1954 anwesend und daher genau informiert gewesen, daß dieser Liegenschaftsanteil der Alimentierung der Klägerin dienen sollte. Durch den Ankauf desselben habe die Beklagte der Klägerin diesen Anteil wider besseres Wissen und gegen die guten Sitten entzogen. Mit Beschluß des Landesgerichtes Linz vom 14. November 1956 sei nämlich auf Erstattung des verfallenen Vermögens des Karl G. erkannt worden.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Zwischen den Streitteilen bestunden keine rechtlichen Beziehungen. Die Republik Österreich sei bei Verkauf des Liegenschaftsanteiles in bezug auf die Auswahl des Käufers nicht beschränkt gewesen. Es sei daher nicht einzusehen, warum der Kaufvertrag vom 29. Juni 1955 nichtig sein sollte. Im Falle einer Verletzung des Vergleiches vom 19. Oktober 1954 durch Karl G. könne sich die Klägerin nur an diesen halten.
In der Berufung führte die Klägerin neu aus, daß Karl G. auf die Finanzlandesdirektion Wien in der Absicht, die Klägerin zu benachteiligen, eingewirkt habe, den Liegenschaftsanteil an die Beklagte zu verkaufen. Daher sei der Kaufvertrag vom 29. Juni 1955 gemäß § 2 Z. 1 und § 3 Z. 2 AnfO. nichtig und anfechtbar.
Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil. Die vorliegende Klage sei nicht auf einen Tatbestand der Anfechtungsordnung gestützt worden. Ein Anfechtungsanspruch setze auch voraus, daß die Klägerin wegen einer vollstreckbaren Forderung ergebnislos Exekution gegen Karl G. geführt habe. Nach § 1 AnfO. könnten auch nur Rechtshandlungen des Schuldners, nicht aber Rechtshandlungen Dritter angefochten werden. Da im Zeitpunkt des Erwerbes des Liegenschaftsanteiles durch die Beklagte der Anteil im uneingeschränkten Eigentum der Republik Österreich gestanden sei, diese also den Käufer des Anteiles frei wählen konnte, stehe der Klägerin kein Recht auf Übertragung des Eigentums am strittigen Liegenschaftsanteil zu.
Der Oberste Gerichtshof hob die Urteile der Untergerichte auf und verwies die Rechtssache zur Ergänzung des Verfahrens und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurück.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
In der Revision werden die Möglichkeiten der Anfechtung eines Vertrages wegen Verstoßes gegen die guten Sitten und die Anfechtungsmöglichkeit nach der Anfechtungsordnung vermengt. Den zwischen der Republik Österreich und der Beklagten am 29. Juni 1955 abgeschlossenen Kaufvertrag kann die Klägerin nicht wegen Verstoßes gegen die guten Sitten anfechten, weil sie nicht Partnerin dieses Vertrages ist und die Nichtigkeit eines allenfalls gegen die guten Sitten verstoßenden Vertrages im Sinne des § 879 ABGB. nicht absolut wirkt, sondern nur von den Vertragspartnern geltend gemacht werden kann (vgl. auch Gschnitzer in Klang 2. Aufl. IV 171 ff.).
Dadurch, daß die Beklagte den Liegenschaftsanteil erwarb, hat sie allerdings das bedingte Forderungsrecht der Klägerin beeinträchtigt. Dieser Umstand allein gibt der Klägerin noch nicht das Recht, diesen Liegenschaftsanteil für sich zu fordern, wie sich aus den Bestimmungen der §§ 430 und 440 ABGB. ergibt, wonach bei einem Doppelverkauf die Sache demjenigen gebührt, dem sie zuerst übergeben wurde, bzw. demjenigen, der früher um die grundbücherliche Einverleibung angesucht hat (vgl. auch Gschnitzer a. a. O. 211).
Eine Anfechtung des Kaufvertrages vom 29. Juni 1955 nach den Bestimmungen der Anfechtungsordnung wurde in der Klage selbst nicht unternommen; eine solche Anfechtung müßte, wie das Berufungsgericht bereits zutreffend erkannt hat, daran scheitern, daß der genannte Kaufvertrag nicht eine Rechtshandlung des Schuldners der Klägerin, des Karl G., ist, sondern auf Rechtshandlungen Dritter zurückgeht.
Zur "Anfechtung" des Kaufvertrages vom 29. Juni 1955 sei schließlich noch bemerkt, daß die Klägerin kein einem Anfechtungsanspruch entsprechendes Klagebegehren stellt, sondern Einwilligung zur Einverleibung ihres Eigentumsrechtes begehrt, also eine Leistung, die auf Schadenersatz, nämlich Naturalersatz, geht. Hierauf wird noch zurückzukommen sein.
Ex contractu kann die Klägerin den Liegenschaftsanteil von der Beklagten nicht fordern, weil sie keinen zwischen ihr und der Beklagten geschlossenen Vertrag nennen kann, mit dem sich die Beklagte zur Übertragung des Liegenschaftsanteiles an sie verpflichtet hätte.
Es bleibt demnach die Frage, ob die Beklagte allenfalls ex delicto haftet. Die Frage, ob ein Dritter, der ein Forderungsrecht schuldhaft beeinträchtigt, dem Gläubiger schadenersatzpflichtig wird, ist in Lehre und Rechtsprechung umstritten. Während Wolff in Klang 2. Aufl. VI 41 eine solche Schadenersatzpflicht bejaht, nimmt Ehrenzweig (2. Aufl. II/1 S. 3 f. und S. 72 ff.) nicht scharf abgrenzend Stellung, meint aber, daß im Falle der Arglist jedenfalls gehaftet werde. Gschnitzer vertritt a. a. O. IV S. 39 unter Hinweis auf § 1295 Abs. 2 ABGB. die Rechtsansicht, daß für die Verletzung von Forderungsrechten gehaftet werde, wenn es dem Dritten - das ist hier die Beklagte - gerade darum zu tun ist, die Befriedigung des Gläubigers zu vereiteln; der Ersatzanspruch werde jedoch nicht dadurch ausgeschlossen, daß daneben ein gewisses eigenes Interesse des Verletzers (Dritten) einhergehe.
Nach der älteren Rechtsprechung (z. B. GlUNF. 2613) haftet derjenige, der einen Schuldner zu einer Verletzung einer Vertragspflicht verleitet, nicht, während der Oberste Gerichtshof in SZ. XIX 205 und 1 Ob 455/57 ausgesprochen hat, daß eine wissentliche Beteiligung an einer Vertragsverletzung im Sinne des § 1301 ABGB. schadenersatzpflichtig machen kann, auch wenn Arglist nicht erweislich ist. An dieser Rechtsansicht hält der Oberste Gerichtshof auch weiterhin fest.
Die Klägerin hat in erster Instanz allerdings nur behauptet, daß die Beklagte den Liegenschaftsanteil wider besseres Wissen und gegen die guten Sitten verstoßend erworben habe. Die Tatsachen, in denen der Verstoß gegen die guten Sitten liegen soll, hat sie nicht angeführt. Gemäß § 182 ZPO., welche Bestimmung auch im Verfahren mit Anwaltszwang gilt, hätte der Erstrichter darauf hinwirken müssen, daß die für die Entscheidung erheblichen tatsächlichen Angaben gemacht oder ungenügende Angaben vervollständigt werden. Wäre der Erstrichter dieser Prozeßleitungspflicht nachgekommen, so hätte die Klägerin vermutlich dasselbe vorgebracht wie in der Berufungsschrift, nämlich daß Karl G. in der Absicht, sie zu benachteiligen, auf die Finanzlandesdirektion Wien eingewirkt habe, den Liegenschaftsanteil der Beklagten zu verkaufen, die hiezu wider besseres Wissen mitgewirkt habe. Sollte sich die Beklagte tatsächlich bewußt zur Mithilfe an einer solchen von Karl G. beabsichtigten Benachteiligung herbeigelassen haben, so würde sie im Sinne der obigen Rechtsausführungen für den dadurch entstandenen Schaden haften, weil sie in einem solchen Fall den Schaden der Klägerin in bewußtem Zusammenwirken mit Karl G. herbeigeführt hätte (§ 1301 ABGB.) und die Ausübung ihres Rechtes, sich um den Ankauf des Liegenschaftsanteiles zu bewerben, offenbar den Zweck hatte, die Klägerin um ihr Forderungsrecht gegen Karl G. zu bringen (§ 1295 Abs. 2 ABGB.). Daß in einem solchen Fall vielleicht auch ein gewisses eigenes Interesse der Beklagten, einen Liegenschaftsanteil billig zu erwerben, mitgewirkt haben könnte, wird keine Rolle spielen, weil § 1295 Abs. 2 ABGB. keineswegs fordert, daß die Rechtsausübung ausschließlich dem Zweck dient, einen anderen zu schädigen.
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