OGH 1Ob160/57

OGH1Ob160/5726.3.1958

SZ 31/52

Normen

ABGB §233
ABGB §863
ABGB §865
ABGB §233
ABGB §863
ABGB §865

 

Spruch:

Keine stillschweigende Genehmigung eines Vertrages durch das Vormundschaftsgericht.

Der Hälfteeigentümer eines Hauses, der im eigenen Namen und als gesetzlicher Vertreter des zweiten Hälfteeigentümers einen Mietvertrag abgeschlossen hat, ist nach der Übung des redlichen Verkehrs verpflichtet, die Entscheidung des Vormundschaftsgerichtes über die Genehmigung dieses Vertrages herbeizuführen. Vor Beendigung des Schwebezustandes erlischt der Bestandvertrag an sich auch nicht durch Zeitablauf.

Entscheidung vom 26. März 1958, 1 Ob 160/57.

I. Instanz: Bezirksgericht Döbling; II. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien.

Text

Die Kläger sind je zur Hälfte Miteigentümerinnen des Hauses Wien 19., S.-Straße 116. Die Erstklägerin ist die Vormunderin der Zweitklägerin und mit der Verwaltung des Hauses betraut. Sie hat als Miteigentümerin zur Hälfte und als Vormunderin der Zweitklägerin im Juli 1953 mit den Beklagten einen Mietvertrag auf die Dauer von 15 Jahren über eine aus mehreren Zimmern und Nebenräumen bestehende Wohnung in diesem Hause abgeschlossen. In der im Juni 1955 eingebrachten Klage hat sie die Räumung dieser Wohnung durch die Beklagten mit der Behauptung begehrt, daß ein schriftlicher Mietvertrag abgeschlossen werden sollte, ein solcher aber nicht zustandegekommen sei, weil der Mietvertrag erst nach Unterfertigung eines Mietvertragsformulares (Drucksorte A 1 für Mietobjekte, welche den Bestimmungen des Mietengesetzes unterliegen) wirksam sein sollte. Der von den Parteien unterfertigte, mit Maschine geschriebene besondere Teil des Mietvertrages allein sei daher nicht wirksam. Eine Unterfertigung des Mietvertragsformulares sei nicht erfolgt.

Darüber hinaus seien sich alle Beteiligten darüber klar gewesen, daß der Vertrag zu seiner Rechtswirksamkeit bezüglich der Zweitklägerin der pflegschaftsbehördlichen Genehmigung bedürfe.

Die Beklagten haben eingewendet, daß der Mietvertrag wirksam zustandegekommen sei. Eine vormundschaftsbehördliche Genehmigung sei nicht erforderlich gewesen, weil die Erstklägerin mit Billigung des Vormundschaftsgerichtes die Verwaltung des Hauses führe; im übrigen sei über eine Genehmigung des Mietvertrages noch nicht entschieden.

Das Erstgericht hat das Räumungsbegehren abgewiesen. Es hat festgestellt, daß die Unterfertigung des Mietvertragsformulares nicht Bedingung für die Wirksamkeit des abgeschlossenen Vertrages gewesen sei. Der Mietvertrag sei daher wirksam geworden. Einer Genehmigung durch das Vormundschaftsgericht habe es nicht bedurft, da die Erstklägerin den Mietvertrag als Miteigentümerin und als Hausverwalterin abgeschlossen habe. In der Genehmigung der Verwaltungsabrechnung seitens des Vormundschaftsgerichtes, die sich auch auf den neuen Mietvertrag bezogen habe, sei zumindest eine stillschweigende Genehmigung des Vertrages zu erblicken. Zu einer Entscheidung über die Genehmigung sei es nicht gekommen, weil die Erstklägerin einen darauf abzielenden Antrag wieder zurückgezogen habe.

Das Berufungsgericht hat dieses Urteil bestätigt. Es hat die Feststellungen des Erstgerichtes übernommen und ebenfalls den Standpunkt vertreten, daß der Mietvertrag von der Erstklägerin auch für die Zweitklägerin im Rahmen des ordentlichen Wirtschaftsbetriebes abgeschlossen worden sei und es daher keiner vormundschaftsbehördlichen Genehmigung bedurfte. Aus der Tatsache, daß der Erstklägerin die Ermächtigung zur Einbringung der Klage vom Vormundschaftsgericht erteilt worden sei, könne nicht geschlossen werden, daß dem Mietvertrag die vormundschaftsbehördliche Genehmigung verweigert worden sei. Der Erstklägerin fehle überhaupt die Legitimation zur Räumungsklage, weil sie den Mietvertrag als Miteigentümerin abgeschlossen habe und sie sich als Vertragspartnerin der Beklagten nicht darauf berufen könne, daß die Beklagten die Wohnung ohne Rechtstitel benützen.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Klägerinnen nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Das Erstgericht hat festgestellt, daß die Unterfertigung des Mietvertragsformulares, das nach Punkt XII des Mietvertrages ein Bestandteil des Vertrages sein sollte, nach dem übereinstimmenden Willen der Parteien nicht Bedingung für die Wirksamkeit des Mietvertrages vom 17. Juli 1953 gewesen sei. Diese Feststellung hat das Berufungsgericht übernommen.

Damit ist der eine in der Klage angeführte Einwand gegen die Wirksamkeit des Mietvertrages als unrichtig abgetan. Es war daher zu prüfen, ob der zweite in der Klage geltend gemachte Grund für das Nichtwirksamwerden des Mietvertrages vorliegt, nämlich ob der Mietvertrag bezüglich der Zweitklägerin der vormundschaftsbehördlichen Genehmigung bedurfte und ob diese erteilt oder verweigert wurde.

Die Kläger bekämpfen in ihrer Revision die Ansicht des Berufungsgerichtes, daß der Mietvertrag einer Genehmigung durch das Vormundschaftsgericht nicht bedurfte, weil zwischen der Erstklägerin als Miteigentümerin und den Beklagten der Mietvertrag auf alle Fälle wirksam zustandegekommen sei, im übrigen aber die Erstklägerin als Vormunderin der Zweitklägerin mit Unterstützung des Mitvormundes das Vermögen der Zweitklägerin verwalte und dazu auch der Abschluß des Mietvertrages gehöre.

Es ist der Auffassung der Klägerinnen beizupflichten, daß es für die Frage, ob der Mietvertrag der vormundschaftsbehördlichen Genehmigung bedarf oder nicht, nicht von entscheidender Bedeutung ist, ob der Mietvertrag für die minderjährige Miteigentümerin günstig ist oder nicht. Damit hätte sich erst das Vormundschaftsgericht bei Entscheidung über die Genehmigung des Mietvertrages zu befassen. Wohl aber kommt es auf den Inhalt des Mietvertrages insofern an, als die Frage zu entscheiden ist, ob der Abschluß des Mietvertrages zum ordentlichen Wirtschaftsbetrieb gehört (§ 233 ABGB.).

Die Entscheidung dieser Frage wird auch nicht maßgeblich von den Eigentumsverhältnissen an der in Bestand gegebenen Liegenschaft beeinflußt.

Von diesen Erwägungen ausgehend, ist auch der Oberste Gerichtshof der Meinung, daß im vorliegenden Falle schon wegen des Umstandes, daß der Mietvertrag auf die Dauer von 15 Jahren geschlossen wurde und eine frühere Kündigungsmöglichkeit nur in beschränktem Ausmaße besteht, der von der Erstklägerin auch als Vormunderin der Zweitklägerin abgeschlossene Mietvertrag der vormundschaftsbehördlichen Genehmigung bedarf, weil dieser Abschluß nicht ein Geschäft des ordentlichen Wirtschaftsbetriebes darstellt, sondern ein Geschäft von größerer Wichtigkeit ist. Dabei fällt nicht ins Gewicht, daß die minderjährige Zweitklägerin nur zur Hälfte Miteigentümerin der Liegenschaft ist und der Mietvertrag von der Erstklägerin daher nicht bloß in ihrer Eigenschaft als Vormunderin und gesetzliche Vertreterin der minderjährigen Zweitklägerin, sondern auch im eigenen Namen als Miteigentümerin zur Hälfte geschlossen wurde. Es kann den Klägerinnen darin beigepflichtet werden, daß der abgeschlossene Vertrag eine wirtschaftliche und rechtliche Einheit bildet. Es kann auch kein ernster Zweifel daran bestehen, daß dieser Vertrag unter der Voraussetzung seiner Gültigkeit für sämtliche Vertragspartner geschlossen wurde. Der Standpunkt der Beklagten, den sich auch das Berufungsgericht zu eigen gemacht hat, daß die Erstklägerin auf keinen Fall einen Anspruch auf Räumung der Liegenschaft habe, weil sie jedenfalls an den Vertrag gebunden sei, kann nicht geteilt werden.

Eine stillschweigende Genehmigung oder eine stillschweigende Verweigerung der Genehmigung dieses Vertrages kann jedoch daraus nicht abgeleitet werden, daß das Vormundschaftsgericht einerseits die Abrechnung über das Mundelvermögen für die Zeit vom 1. Jänner 1951 bis 31. Dezember 1953, in welcher auch eine Mietzinsvorauszahlung der Beklagten für die Neuvermietung einbezogen war, genehmigt hat, andererseits aber der Erstklägerin die Ermächtigung erteilt hat, namens der minderjährigen Zweitklägerin die Räumungsklage gegen die Beklagten einzubringen. Die Ansicht von einem stillschweigenden Tätigwerden des Vormundschaftsgerichtes ist in vereinzelten früheren Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes vertreten worden (GlUNF. 2421). Dieser Standpunkt ist aber in der neueren Rechtsprechung verlassen und ausgesprochen worden, daß aus dem bloßen Wissen des Vormundschaftsgerichtes von dem Bestehen eines Rechtsverhältnisses, an welchem der Pflegebefohlene beteiligt ist, eine stillschweigende Genehmigung nicht abgeleitet werden kann. Das Vormundschaftsgericht muß in der Lage sein, das zu genehmigende Rechtsgeschäft zu prüfen. Der Willensentschluß des Gerichtes muß in der vorgeschriebenen Form geäußert werden (2 Ob 1O7/5O, 1 Ob 786/53 und 2 Ob 301/56). Aus der Tatsache, daß das Vormundschaftsgericht die Klageermächtigung erteilt hat, ist nicht anzunehmen, daß sich das Gericht die Rechtsansicht der prozeßführenden Parteien, die ihrer Klage zugrunde liegt, zu eigen gemacht hat (2 Ob 107/50). Im übrigen ergibt sich aus dem Antrage der Erstklägerin, daß sie diese Ermächtigung auf Grund einer Information des Vormundschaftsgerichtes über die Ungültigkeit des abgeschlossenen Bestandvertrages erreicht hat, die sich im Prozeß als unrichtig herausgestellt hat. Es kann daher auch der Ansicht der klagenden Parteien, daß durch die Erteilung der Klageermächtigung eine stillschweigende Verweigerung der Genehmigung des abgeschlossenen Bestandvertrages erfolgt sei, nicht beigepflichtet werden.

Es ist daher davon auszugehen, daß eine vormundschaftsbehördliche Genehmigung des Bestandvertrages noch nicht vorliegt, daß aber auch noch keine Verweigerung dieser Genehmigung vom Vormundschaftsgericht ausgesprochen wurde. Es liegt somit ein unvollkommener Vertrag vor, der durch das nachträgliche Hinzutreten einer Rechtsbedingung, nämlich der Genehmigung, zu einem voll wirksamen Vertrag wird. Dieser Vertrag erzeugt insofern bereits Wirkungen, als die Beklagten an diesen Vertrag gebunden sind. Gemäß § 865 ABGB. können sie nicht zurücktreten, bis diese Einwilligung erfolgt ist. Durch den Abschluß dieses Vertrages ist aber auch der Erstklägerin als Vormunderin und gesetzlichen Vertreterin der Zweitklägerin und damit auch dieser selbst die Verpflichtung entstanden, die für den Vertrag erforderliche Genehmigung beim Vormundschaftsgericht zu erwirken, weil den Beklagten keine Einflußnahme in dieser Hinsicht gegenüber dem Vormundschaftsgericht zusteht. Sie haben gemäß § 865 ABGB. nur das Recht, von der Erstklägerin eine angemessene Frist zur Erklärung zu verlangen. Dies ist aber ein Recht und keine Verpflichtung. Solange also über die Genehmigung nicht entschieden ist, liegt ein unvollkommener, bedingt oder schwebend unwirksamer Vertrag vor. Dieser verliert erst dann seine Wirkung, wenn die Genehmigung verweigert wurde oder trotz Fristsetzung ausblieb (s. Gschnitzer in Klang 2. Aufl. IV zu § 865 ABGB.). Eine Fristsetzung ist bisher nicht erfolgt. Zu einer Genehmigung des Vertrages durch das Vormundschaftsgericht ist es aber bisher deshalb nicht gekommen, weil die Erstklägerin den bezüglichen Antrag zurückgezogen hat. Die Erstklägerin hat beim Vormundschaftsgericht selbst den Standpunkt eingenommen, daß die Vermieter zu der seinerzeitigen Abmachung stehen und die Hauptmietrechte der Beklagten an der vermieteten Wohnung anerkennen. Sie hat damals erklärt, daß alle an dem Vertrag Beteiligten der Meinung gewesen seien, daß eine solche Vermietung der vormundschaftsbehördlichen Genehmigung nicht bedürfe. Bevor noch über den Antrag entschieden wurde, hat die Erstklägerin diesen mit dem Hinweis darauf zurückgezogen, daß ein gültiges Übereinkommen nicht zustandegekommen sei. Dieser Standpunkt hat sich allerdings im Prozeß nicht als richtig erwiesen, weil festgestellt wurde, daß die Unterfertigung des Mietvertragsformulares keine Bedingung für die Gültigkeit des Vertrages war.

Im Hinblick auf den bestehenden Schwebezustand steht den Klägerinnen derzeit ein Räumungsanspruch nicht zu, weil über die Genehmigung des Vertrages noch nicht entschieden ist. Nach Treu und Glauben im redlichen Verkehr muß von der Erstklägerin, die den Mietvertrag im eigenen Namen und als Vormunderin und gesetzliche Vertreterin der Zweitklägerin mit Zustimmung des Mitvormundes abgeschlossen hat, verlangt werden, daß sie die Entscheidung über die Genehmigung des abgeschlossenen Vertrages beim Vormundschaftsgericht herbeiführt, um auf diese Weise den Schwebezustand zu beenden und klare Verhältnisse zu schaffen, ob der Vertrag, an den sich die Beklagten gebunden fühlen und den sie auch einzuhalten gewillt sind, rückwirkend zu einem voll wirksamen Vertrag wird oder zufolge der Verweigerung der Genehmigung seine Wirkung verliert. Wird der Schwebezustand nicht durch Erteilung oder Verweigerung der Genehmigung beendet, so erlischt der Bestandvertrag an sich auch nicht durch Zeitablauf. Das Gesetz gewährt nur den Beklagten die Möglichkeit, die Entscheidung durch eine Fristsetzung gegenüber der Erstklägerin als Vormunderin herbeizuführen.

Wenn auch die Beklagten keinen Anspruch auf Erfüllung des Bestandvertrages hatten, so steht doch fest, daß der Vertrag bereits beiderseits erfüllt worden ist, weil den Beklagten das Bestandobjekt übergeben wurde und sie die ihnen obliegenden Leistungen erbracht haben. Da der derzeit noch bestehende Schwebezustand auf das Verhalten der Erstklägerin als Vormunderin zurückzuführen ist, die es unterlassen hat, die erforderliche Genehmigung durch das Vormundschaftsgericht einzuholen, den Beklagten aber keine Einflußnahme auf eine solche Entscheidung des Vormundschaftsgerichtes zusteht, wäre es auch mit dem Grundsatz von Treu und Glauben im redlichen Verkehr nicht zu vereinbaren, wenn den Klägerinnen derzeit ein Räumungsanspruch zugebilligt würde.

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