OGH 1Ob537/57

OGH1Ob537/575.3.1958

SZ 31/35

Normen

ABGB §484
ABGB §484

 

Spruch:

Der Umfang des für Wirtschaftsfuhren eines Kleinlandwirtes begrundeten Wegerechtes darf nicht ohne weiteres auf das Fahrbedürfnis eines Tierarztes erweitert werden, der den Weg mehrmals am Tag mit seinem Auto befährt.

Entscheidung vom 5. März 1958, 1 Ob 537/57.

I. Instanz: Bezirksgericht Voitsberg; II. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz.

Text

Die Kläger sind je zur Hälfte Eigentümer der Liegenschaft EZ. 260 Katastralgemeinde K., bestehend aus den Parzellen 85 und 102. Sie haben im Jahre 1948 diese Liegenschaft von den Eheleuten Franz und Anna H. käuflich erworben. Im § 5 des Kaufvertrages ist folgende Bestimmung aufgenommen: "Festgestellt wird, daß den Ehegatten Alexander und Johanna K. und ihren Besitznachfolgern das Recht zusteht, über einen Teil der vom Ehepaar H. den Klägern heute verkauften Ackerparzelle 85 zu gehen, zu fahren und Vieh zu treiben. Diese Dienstbarkeit wurde von den Ehegatten K. ersessen und ist im Grundbuche nicht eingetragen. Die Käufer nehmen diese Dienstbarkeit zur Kenntnis und weiteren Duldung." Die Parzelle 85 (Acker) grenzt im Süden an einen öffentlichen Gemeindeweg, während im Norden die Parzelle 84 der EZ. 261 Katastralgemeinde K. anschließt, die je zur Hälfte den Ehegatten Alexander und Johanna K. gehört und nirgends an einen öffentlichen Weg grenzt. Der in der Bestimmung des erwähnten § 5 des Kaufvertrages genannte Weg verläuft in einer Länge von zirka 20 m über einen zirka 3 bis 4 m breiten, am östlichen Rand der Parzelle 85 befindlichen Wiesenstreifen. Zur Zeit des Kaufes der Liegenschaft durch die Kläger (1948) stand bereits auf der Liegenschaft des Ehepaares K., und zwar auf deren Parzelle 84, deren Einfamilienhaus im Bau. Im Frühjahr bzw. Sommer 1955 hat das Ehepaar K. dieses von ihnen erbaute und bis dahin selbst bewohnte Haus samt einem kleinen Garten an den Beklagten, einen Tierarzt, vermietet. Das Ehepaar K. hat den erwähnten Wegstreifen, einen "Fürhapp"= Fußsteig, seit 1936 (Zeitpunkt des Erwerbes ihrer Liegenschaft im Erbwege) selbst begangen und befahren. In der Zeit des Hausbaues auf der Parzelle 84 haben motorisierte Fahrzeuge das Baumaterial herangeführt. Seit dem Sommer 1955 befährt der Beklagte mit seinem PKW. unbeanstandet durch die Kläger den Fürhapp. Als im Herbst 1955 zufolge anhaltenden schlechten Wetters der Weg sozusagen grundlos geworden und das Auto des Beklagten steckengeblieben war, beschotterte der Beklagte den genannten Weg, weil ihm sonst seine täglichen 15 bis 17 beruflichen Ausfahrten unmöglich gewesen wären. Am Sonntag zu Allerheiligen 1955 stellte der Erstkläger im eigenen Namen und im Namen seiner Ehegattin und Liegenschaftsmiteigentümerin den Beklagten wegen dieser Beschotterung zur Rede, wobei er sagte, es entgingen ihm dadurch, daß er den jetzt beschotterten Weg nicht abmähen könne, jährlich 30 bis 60 S (an anderen Stellen des Aktes heißt es 50 bis 60 S). Was aber jetzt an Mauerschutt, Sand und kleinem Schotter in dem Wege "drinnen sei, könne bleiben." Er erklärte auch dem Beklagten, der sich ihm gegenüber darauf berufen hatte, daß sein Vermieter Alexander K. ihm das Befahren und die Beschotterung gestattet habe, daß er keinesfalls erlaube, daß ein gröberer Schotter, den der Beklagte schon bestellt habe, aufgeschüttet werde. Schließlich meinte er, er werde sich erkundigen, wer Recht habe, ob noch weiter beschottert werden dürfe oder ob der Schotter weg müsse. Der Beklagte machte die Bestellung weiteren Schotters rückgängig und ließ die bisherige Beschotterung auf dem Wiesenstreifen. Der Erstkläger bezeichnete sich als Eisenbahner, Alexander K. als Schuhmacher.

Mit der vorliegenden Klage begehrten die Kläger: 1. die Feststellung, daß dem Beklagten aus keinem wie immer gearteten Titel ein Recht zustehe, über den genannten Fußsteig mit einem Kraftfahrzeug zu fahren und den Weg einzuschottern oder sonst zu bearbeiten; 2. den Ausspruch, der Beklagte sei schuldig, das Befahren der Parzelle 85 mit einem Kraftfahrzeug sogleich zu unterlassen und den früheren Zustand wiederherzustellen, d. h. Schutt und Schotter zu entfernen.

Das Erstgericht wies ohne Eingehen auf ein Beweisverfahren mit dem Urteil vom 25. April 1956 das Klagebegehren aus der Erwägung ab, daß der Beklagte passiv nicht legitimiert sei, die Klage vielmehr an die Liegenschaftseigentümer der Parzelle 84, nämlich gegen das Ehepaar K., zu richten gewesen wäre. Im übrigen, so meinte das Erstgericht, handle es sich um eine nicht zu rechtfertigende Erweiterung der Servitut.

Das Berufungsgericht hob mit Beschluß vom 19. Juni 1956 dieses Urteil auf, indem es den Mieter des herrschenden Grundstückes, also den Beklagten, für passiv legitimiert erachtete, weshalb auf das Meritum der Rechtssache eingegangen werden müsse.

Das Erstgericht führte in Entsprechung der Weisung des Berufungsgerichtes das Beweisverfahren durch, gab mit Urteil vom 29. November 1956 dem Klagebegehren teilweise Folge und erkannte, daß dem Beklagten kein Recht zustehe, über den Fußsteig zu fahren und diesen einzuschottern. Ferner erkannte das Erstgericht den Beklagten schuldig, das Befahren der Parzelle mit einem Kraftwagen sogleich zu unterlassen. Es wies jedoch das Klagebegehren rücksichtlich der Wiederherstellung des früheren Zustandes ab.

Gegen diese Entscheidung haben beide Teile berufen, die Kläger, insoweit die Klage auf Wiederherstellung des früheren Zustandes abgewiesen wurde, der Beklagte, insoweit dem Klagebegehren Folge gegeben wurde.

Das Berufungsgericht wiederholte das Beweisverfahren zur Gänze und gab mit Urteil vom 19. Juni 1957 der Berufung der Kläger keine Folge; hingegen gab es der Berufung des Beklagten teilweise Folge und änderte das Urteil des Erstgerichtes dahin ab, daß festgestellt wurde, daß dem Beklagten kein Recht zustehe, den mehrfach erwähnten Fußsteig einzuschottern. Es wies jedoch das weitere Feststellungs- und Leistungsbegehren hinsichtlich des Unterbleibens des Befahrens des Fußsteiges mit einem Auto ab. Die Legitimationsfrage war im zweiten Rechtsgange nicht mehr bekämpft worden. Im übrigen könne Servituten-Schutz gegen jeden Störer begehrt werden, also auch gegenüber dem Beklagten, der als Mieter eines Teiles des herrschenden Grundstückes namens der Eigentümer desselben (K.) das Recht ausübe. Während das Erstgericht den Schwerpunkt seiner Entscheidung darauf gelegt hatte, daß die Tätigkeit des Beklagten (Beschotterung und Fahren mit Auto) eine unzulässige Erweiterung des Fahrtrechtes darstelle, ging das Berufungsgericht von anderen Erwägungen aus. Gemäß den Feststellungen sei entgegen dem Wortlaut des § 5 des zwischen den Klägern und deren Rechtsvorgängern geschlossenen Kaufvertrages die Servitut nicht als ersessen anzusehen, sondern das Ehepaar K., das die Liegenschaft EZ. 261, Parzelle 84, unbestrittenermaßen geerbt habe, sei zu der Servitut durch den erwähnten Vertrag, der zu ihren (Dritten) Gunsten die Servitut begrundet habe, gekommen. Hiezu kämen zwei wichtige Umstände: 1. daß der Ablauf der zum Institut der Ersitzung gehörigen Ersitzungszeit nicht festgestellt werden konnte, wozu auch Behauptungen nicht aufgestellt worden seien; 2. sei festgestellt, daß der Ausdruck "Ersitzung" vom Notar als dem Verfasser des schriftlichen Vertrages, ohne daß ihm hiezu die Vertragsparteien spezielle Informationen erteilt hätten, selbst gewählt worden sei. Dadurch jedoch, daß der Erstkläger bei der Unterredung am Sonntag zu Allerheiligen 1955 erklärt habe, der Schotter, "soweit er auf dem Wege liege, könne verbleiben, es dürfe nur kein weiterer Schotter aufgeschüttet werden", habe sich nach Meinung des Berufungsgerichtes der Erstkläger im Namen seiner Person und namens seiner Gattin damit einverstanden erklärt, daß die vorgenommene Beschotterung bleibe, weil es dem Erstkläger nur darum gegangen sei, daß keine weitere Änderung vorgenommen werde. An diese Erklärung seien die Kläger gebunden, weshalb sie sich auf die Unzulässigkeit einer "Erweiterung der Servitut" (§ 484 ABGB.) nicht mehr berufen könnten. Das Befahren des Weges mit dem Auto sei an sich zulässig. Da die Kläger sich aber grundsätzlich gegen jegliches Befahren mit dem Kraftwagen wendeten und nicht einmal ein beschränktes Befahren zuließen, hätte das Feststellungs-, und Leistungsbegehren abgewiesen werden müssen.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Kläger, soweit sie sich gegen die Abweisung des Feststellungsbegehrens hinsichtlich der Einschotterung und der Bearbeitung der Grundparzelle richtete, nicht Folge; im übrigen hob er das Urteil des Berufungsgerichtes auf und verwies die Rechtssache in diesem Umfang an das Berufungsgericht zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurück.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Zutreffend heben die Kläger hervor, die Äußerung des Erstklägers rechtfertige nicht zwingend die Annahme, die Kläger hätten dem Fahren des Beklagten mit seinem PKW. auf dem "Fürhapp" zugestimmt. Denn die mehrfach erwähnte Äußerung des Erstklägers, die als erwiesen angenommen worden ist und von deren Feststellung nicht abgegangen werden darf, besagt nur, daß der Beklagte nicht verpflichtet ist, die bereits vorgenommene Beschotterung wegzuräumen. Anders aber ist die Rechtslage in der Frage des Befahrens des Fürhapps. Die Klage geht auf Unterlassung jeglichen Befahrens mit einem Kraftfahrzeug. Mögen auch früher die "Wirtschaftsfuhren" des K. ohne Motorfahrzeuge vorgenommen worden sein, wie dies auf Grund des Beweisverfahrens als erwiesen angenommen worden ist, so können gemäß der derzeit einhelligen Rechtsprechung Wirtschaftsfuhren, die früher mit Pferdeantrieb durchgeführt wurden, nunmehr mit Motorantrieb durchgeführt werden, ohne daß dies schon an sich als unzulässige Erweiterung der Servitut anzusehen ist.

Grundsätzlich ist aber hiezu folgendes zu beachten: Das Grundstück des K. ist die herrschende Liegenschaft, zu deren Gunsten das Benützungsrecht des Fürhapps eingeräumt worden ist. Dieses Benützungsrecht übt namens der Liegenschaftseigentümer K. der Beklagte aus. Die Kläger (und früher das Ehepaar H.) sind die Eigentümer der dienenden Liegenschaft. Wenn der Revisionsgegner immer wieder vorgebracht hat, es sei durch eine seit Jahren fortschreitende "Besiedlung mit Einfamilienhäusern" in der in Betracht kommenden Gegend eine Bewirtschaftungsänderung eingetreten, die nunmehr auf seiten des herrschenden Grundstückes eine andere Benützung des Fürhapps durch den Servitutsberechtigten gestatte, so kann diesem Gedanken nicht beigepflichtet werden. Feststellungen für eine Bewirtschaftungsänderung fehlen, sie sind aber auch gar nicht entscheidend und daher auch nicht notwendig, weil eine Bewirtschaftungsänderung auf seiten des dienenden Grundstückes gar nicht behauptet worden ist. Dazu kommt, daß sowohl dienendes wie auch herrschendes Grundstück die zu ihrem Grundbuchstande gehörigen, durch die beiden Einfamilienhäuser nicht verbauten Liegenschaftsteile unbestrittenermaßen noch immer landwirtschaftlich nutzen. Da somit auf seiten des dienenden Grundstückes keine Änderung in der Bewirtschaftung eingetreten ist, kann nicht verlangt werden, daß dieses Grundstück mehr als bisher belastet werden soll. Der Umfang der Belastung richtet sich zwar nach den Bedürfnissen des herrschenden Grundstückes. Dieses Bedürfnis war jedoch, was auch der Beklagte nicht in Abrede stellen kann, ein solches für Bewirtschaftungsfuhren des Ehepaares K., während heute das Bedürfnis des Beklagten, eines Tierarztes, der seine tierärztliche Praxis in 15 bis 17 mal täglichen Ausfahrten mit seinem PKW. ausübt, befriedigt werden soll. Es ist aber nicht einzusehen, warum der Bestandnehmer der Servitutsberechtigten, der in deren Vertretung die Servitut ausübt, diese in einem ungleich weiteren Umfang ausüben soll als die Servitutsberechtigten selbst, insbesondere Alexander K., wenn er als Hausmiteigentümer und Schuhmachermeister das Einfamilienhaus bewohnte.

Wenn schon die Benützung des Fürhapps statt mit Pferdefuhrwerken mit motorisierten Fahrzeugen nach einheitlicher Rechtsprechung nicht als eine Erweiterung der Servitut an sich angesehen werden kann, so ist ein Befahren des Fürhapps mit einem Auto, soweit es sich im Rahmen des bisherigen Bedarfes des herrschenden Grundstückes hält, gleichfalls keine Erweiterung des Servitutsrechtes. Der Umfang des Wegbenützungsrechtes am herrschenden Grundstück ist jedoch nicht festgestellt. Hinsichtlich dieses Umfanges wird zu berücksichtigen sein, daß den herrschenden Grundstückeigentümern ein Benützungsrecht, bestehend im Befahren des Fürhapps mit motorisierten Fahrzeugen, sowohl als Eigentümern der noch immer landwirtschaftlich genutzten Flächen ihrer Liegenschaft zusteht als auch als Eigentümern des Hauses. In diesem Umfange ist - selbst bei einem Klagebegehren auf jegliche Unterlassung des Befahrens - ein eingeschränktes Befahren schlechterdings gegenüber dem vorgenannten Begehren ein Minus und als solches bei dem beantragten Klagebegehren zu rechtfertigen. Es ist daher die als erwiesen angenommene Genehmigung des Erstbeklagten hinsichtlich der durchgeführten Beschotterung nicht die prozeßentscheidend tragbare Begründung für die Entscheidung über das Klagebegehren im aufgezeigten Umfang des Urteiles des Berufungsgerichtes. Im erwähnten Umfange war daher das angefochtene Urteil zur Vornahme ergänzender Feststellungen über den Umfang des Wegbenützungsrechtes aufzuheben. Das Berufungsgericht wird insbesondere festzustellen haben, wie groß der tatsächliche Benützungsumfang der Wegverbindung (Fürhapp) für die Eigentümer des herrschenden Grundstückes unter besonderer Berücksichtigung des Alexander K. als Grundmiteigentümers ist.

Was aber das Klagebegehren auf Beseitigung der Beschotterung anlangt, so kann der diesbezüglichen Klageabweisung durch die Untergerichte beigepflichtet werden, weil die Frage der Wiederherstellung des vorigen Standes (§ 523 ABGB.) nicht gerade in der Beseitigung der ganzen widerrechtlich gemachten Anlage bestehen muß, vielmehr es bei einer eigenmächtigen Beschotterung eines über Waldgrund führenden Fahrweges genügt, daß die noch zutage liegenden Steine beseitigt werden, insbesondere aber, da die Kläger sich mit der Belassung der bereits vorgenommenen Beschotterung einverstanden erklärt haben. Daher war im letzteren Umfange der Revision der Erfolg zu versagen.

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