OGH 1Ob586/57

OGH1Ob586/574.12.1957

SZ 30/80

Normen

ABGB §1295
ABGB §1301
ABGB §1302
ZPO §268
ABGB §1295
ABGB §1301
ABGB §1302
ZPO §268

 

Spruch:

Der Zivilrichter kann trotz Bindung an das Strafurteil ein über die vom Strafgericht angenommene Schuld des Beklagten hinausgehendes Verschulden annehmen.

Entscheidung vom 4. Dezember 1957, 1 Ob 586/57.

I. Instanz: Kreisgericht St. Pölten; II. Instanz: Oberlandesgericht Wien.

Text

Das Erstgericht gab der auf Bezahlung eines Schadenersatzbetrages von 52.525 S 60 g gerichteten Klage teilweise Folge, verurteilte alle vier Beklagten zur solidarischen Zahlung von 24.389 S, die Erst- und Drittbeklagten zur solidarischen Zahlung weiterer 609 S und die Zweit- und Viertbeklagten zur solidarischen Zahlung eines weiteren Betrages von 6.305 S, und wies das Mehrbegehren von 21.222

S 60 g ab. Es führte aus, mit dem Urteil des Kreisgerichtes St. Pölten als Geschwornengerichtes vom 3. Juli 1953 seien der Erstbeklagte Josef H. des Verbrechens des teils vollbrachten, teils versuchten Raubes nach den §§ 190, 192, 194, 195, bzw. 8 StG., die Zweitbeklagte Ernestine H. des Verbrechens der Mitschuld am Verbrechen des Diebstahls nach den §§ 5, 171, 174 I lit. d StG. und die Drittbeklagte Herta S., wiederverehelichte Sch., des Verbrechens der Mitschuld am Raube nach den §§ 5, 190, 192, 194 StG. schuldig erkannt und zu Freiheitsstrafen verurteilt worden. Das Strafgericht habe festgestellt, daß der Erstbeklagte in Gesellschaft des Viertbeklagten am 12. Dezember 1952 gegen Abend auf der Bezirksstraße von F. nach T. maskiert und mit einem Trommelrevolver ausgerüstet die Klägerin überfallen und mit Äther zu betäuben versucht habe, während der Viertbeklagte zahlreiche Schläge auf den Kopf der Klägerin geführt habe, um sich der Schlüssel zum Postamt F. und eines dort postlagernden Briefes zu bemächtigen. Der Raub sei bezüglich des Schlüssels vollbracht und die Klägerin in einen qualvollen Zustand versetzt worden. Die Zweitbeklagte habe schwarze Lammfellhaare an einer Pullmannmütze befestigt, die der Erstbeklagte zur Maskierung beim Überfall getragen habe. Sie sei sich dabei bewußt gewesen, daß ein Einbruchsdiebstahl in das Postamt geplant gewesen sei. Die Drittbeklagte habe an eine schwarze Augenbinde, die der Viertbeklagte beim Raubüberfall zur Maskierung getragen habe, in Kenntnis davon Bänder angenäht, daß ein Raubüberfall stattfinden sollte. Die zivile Schadenshaftung gehe weiter als die strafrechtliche Verantwortlichkeit. Es hafte jede der mehreren Personen, die im gemeinsamen Zusammenwirken widerrechtlich einen Schaden zufügten. Die Tätigkeit der einzelnen könne von ganz verschiedener Art sein, wenn sie nur irgendwie förderlich gewesen sei und zum Erfolg beigetragen habe. Voraussetzung für die zivilrechtliche Verantwortlichkeit sei nur, daß ein Schaden eingetreten sei, der Kausalzusammenhang vorliege und die Tat rechtswidrig und schuldhaft begangen worden sei, wobei diese Voraussetzungen bei jedem Haftpflichtigen gegeben sein müßten. Die Tätigkeit der Zweitbeklagten sei ein fördernder Beitrag zum schließlichen Erfolg gewesen und mit diesem in ursächlichem Zusammenhang gestanden. Die Zweitbeklagte habe eine widerrechtliche Handlung gesetzt und dadurch ein Verschulden auf sich geladen. Sie habe daher für den schädigenden Erfolg einzustehen, wenngleich sie die tatsächliche Art der Herbeiführung des Erfolges nicht im voraus gewußt habe. Es bestehe eine solidarische Haftungsgemeinschaft unter allen Beklagten nach den §§ 1301 und 1302 ABGB. Der Klägerin gebührten folgende Beträge: 1.) Krankenhausmehrkosten von 1069 S, Trinkgelder in der Höhe von 120 S, 2.) Ersatz der Kosten einer Pflegeperson von 1307 S, 3.) Ersatz der Zahnarztkosten von 2800 S,

4.) Kosten zweier Taxis zur ärztlichen Behandlung von 38 S, 5.) Ersatz zweier Kopfpölster in der Höhe von 160 S, 6.) Ersatz der Urlaubsmehrkosten von 200 S und 7.) Schmerzengeld von 25.000 S, zusammen 30.694 S. Da schon im Strafurteil ein Teilbetrag von 6305 S den Erst- und Drittbeklagten zur Zahlung aufgetragen worden sei, habe diesen Beklagten gegenüber der Betrag von 6305 S abgezogen werden müssen. Ein Zinsenbetrag daraus von 609 S habe dazugerechnet werden müssen. Die Zweit- und Viertbeklagten hätten jedoch mangels vorhergegangener strafgerichtlicher Verurteilung zur Zahlung hinsichtlich der 609 S nicht verurteilt werden können. Mangels Behinderung der einundfünfzigjährigen, im Bezug einer Postpension stehenden Klägerin "im besseren Fortkommen" (§ 1326 ABGB.) könne ihr ein Ersatz für ihre Verunstaltung nicht zuerkannt werden.

Der Berufung der Zweitbeklagten gab das Berufungsgericht nicht Folge, wohl aber teilweise der Berufung der Klägerin; es änderte das erstgerichtliche Urteil dahin ab, daß alle vier Beklagten zur solidarischen Zahlung von 34.389 S, die Erst- und Drittbeklagten zur solidarischen Zahlung von weiteren 609 S und die Zweit- und Viertbeklagten zur solidarischen Zahlung eines weiteren Betrages von 6305 S verurteilt und das Mehrbegehren von 11.222 S 60 g abgewiesen wurde. Die Behauptung der Zweitbeklagten, daß der Erstbeklagte bei der Ausführung der Tat die von ihr angefertigte Maske zur Unkenntlichmachung nicht getragen habe, entspreche nicht der Aktenlage. Der Erstbeklagte sei nämlich vom Strafgericht schuldig erkannt worden, die Tat maskiert begangen zu haben. Außerdem sei die von der Zweitbeklagten angefertigte Maske nach der Tat im Besitz des Erstbeklagten gefunden worden. Der Erstbeklagte habe auch zugegeben, diese Maske getragen zu haben. Durch die Herstellung der Maske zur Unkenntlichmachung des am Raubüberfall beteiligten Erstbeklagten habe die Zweitbeklagte am gemeinsamen Plan, einen Brief vom Postamt F. durch Einbruch oder Überwindung eines beträchtlichen Hindernisses zu stehlen, mitgewirkt. Wenn sie auch nicht alle Einzelheiten der Ausführung dieses Planes gekannt habe, habe ihr doch nach den Vorbereitungen, an denen sie mitgewirkt habe, bewußt sein müssen, daß es sich um eine solche Tat handle, bei der die Maskierung der Täter notwendig sei, und daß es sich um ein solches Unternehmen handle, bei dem allenfalls auch Menschen zu Schaden kommen könnten. Wenn die Zweitbeklagte auch nur wegen Mitschuld am Verbrechen des Diebstahls schuldig erkannt worden sei, sei dies für ihre zivilrechtliche Haftung nicht ausschlaggebend. Diese Haftung gehe weiter als die strafrechtliche. Für die zivilrechtliche Haftung sei nicht erforderlich, daß jede Einzelheit der Ausführung der Tat und der zu erwartende Erfolg vom Vorsatz der Zweitbeklagten hätte umfaßt sein müssen. Die Anfertigung der Maske zur Unkenntlichmachung des Erstbeklagten sei ein Beitrag zum schließlichen Erfolg und stelle eine schuldhafte und widerrechtliche Handlungsweise der Zweitbeklagten dar, die auch im ursächlichen Zusammenhang mit dem durch die Tat angerichteten Schaden stehe. Die Zweitbeklagte hafte daher nach den §§ 1301, 1302 ABGB. solidarisch mit den übrigen Beklagten.

Was die Berufung der Klägerin betreffe, sei ein Schmerzengeld von 30.000 S und nicht von 25.000 S als angemessen anzusehen. Die Klägerin habe auch Anspruch auf Entschädigung für die durch die Verletzung bewirkte Verunstaltung nach § 1326 ABGB. in der Höhe von 5000 S.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Zweitbeklagten nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Die Zweitbeklagte ist vom Strafgericht wegen Mitschuld am Verbrechen des Einbruchsdiebstahls verurteilt worden. Es steht für das Zivilgericht bindend (§ 268 ZPO.) fest, daß die Zweitbeklagte eine Maske zur Unkenntlichmachung des Erstbeklagten verfertigt hat, damit er in die Lage versetzt werde, einen postlagernden Brief durch Einbruch im Postamt F. um seines Vorteils willen zu erlangen. Der böse Vorsatz der Zweitbeklagten ging somit dahin, durch ihre Beihilfe einen Einbruchsdiebstahl zu ermöglichen. Der böse Vorsatz umfaßte jedoch nach dem Urteil des Strafgerichtes nicht die Beihilfe zur Gewaltanwendung des Erstbeklagten gegen die Klägerin, also nicht zum Raub. Wenn der Erstbeklagte mit der von der Zweitbeklagten angefertigten Maske der Klägerin Gewalt antat, müßte zwar der Kausalzusammenhang zwischen der Anfertigung der Maske und dem Raubüberfall bejaht werden, weil der Erstbeklagte durch die Maske in die Lage versetzt worden ist, den Überfall möglichst unerkannt auszuführen. Mangels weitergehenden bösen Vorsatzes der Zweitbeklagten könnte diese aber nach dem Strafurteil zur Haftung für die Folgen der Gewaltanwendung nicht herangezogen werden. In der Revisionsschrift wird der Unterschied zwischen Verursachung und Verschulden nicht gehörig auseinandergehalten, so daß die Revisionswerberin das Fehlen der Kausalität unrichtigerweise damit begrunden will, daß der verbrecherische Beschluß der Täter lediglich die widerrechtliche Aneignung eines Briefes im Postamt, nicht aber die Anwendung von Gewalt gegen die Klägerin betraf.

Die Bindung des Zivilrichters an das Strafurteil geht nicht so weit, daß über die vom Strafgericht angenommene Schuld des Täters hinaus nicht noch ein weitergehendes Verschulden festgestellt werden könnte. Das Berufungsgericht hat mit Recht darauf verwiesen, daß der Zweitbeklagten nach den Vorbereitungshandlungen bewußt sein mußte, es handle sich um eine solche Tat, bei der die Maskierung der Täter notwendig ist, und um ein solches Unternehmen, bei dem allenfalls auch Menschen zu Schaden kommen könnten. Der Revisionswerberin ist zuzugeben, daß der Überfall auf einen Menschen keinesfalls als Einzelheit der Ausführung des Diebstahls eines Briefes gewertet werden kann. Es handelte sich aber nach dem vom Strafgericht angenommenen bösen Vorsatz der Zweitbeklagten nicht um einen gewöhnlichen Diebstahl, sondern um einen nach § 174 I lit. d StG. qualifizierten Diebstahl. Die Zweitbeklagte mußte mit Einbruch, Einsteigen oder Erbrechen eines Behältnisses, mit Anwendung eines Dietrichs oder sonst mit der Überwindung eines beträchtlichen, den Brief gegen Wegnahme sichernden Hindernisses rechnen. Bei einem derartig geplanten Diebstahl lag die Anwendung von Gewalt gegen einen Postangestellten, der die gewaltsame Wegnahme des Briefes nicht dulden würde, durchaus im Bereich des Möglichen. Das Unkenntlichmachen des Erstbeklagten konnte in gleicher Weise dem Zweck dienen, den Einbruchsdiebstahl oder den räuberischen Diebstahl unerkannt verüben zu können. Gerade weil die Zweitbeklagte die Tat nicht selbst ausführte und der verbrecherische Wille des unmittelbaren Täters (des Erstbeklagten) für die Zweitbeklagte nicht in allen möglichen Auswirkungen klar voraussehbar war, wäre sie zu besonderer Vorsicht verpflichtet gewesen. Wenn der Zweitbeklagten auch nicht nachgewiesen werden konnte, mit bösem Willen Beihilfe zum Raub geleistet zu haben, ist ihr doch zum Verschulden anzurechnen, daß sie die mit der Verübung des Einbruches im Postamt F. verbundene konkrete Möglichkeit der Gewaltanwendung gegen einen Menschen nicht erkannte. Bei gehöriger Aufmerksamkeit hätte der Zweitbeklagten diese Möglichkeit auffallen müssen. Sie handelte in dieser Richtung fahrlässig und haftet aus diesem Grund in Idealkonkurrenz auch für die Folgen der Verletzungen der Klägerin, von denen oben bereits ausgeführt worden ist, daß sie mit der Verfertigung der Maske durch die Zweitbeklagte in ursächlichem Zusammenhang stehen.

Der Hinweis der Revisionswerberin darauf, daß der Erstbeklagte bei der Tat die von der Zweitbeklagten angefertigte Maske nicht getragen habe, vernachlässigt den Inhalt des Strafaktes, auf den sich das Berufungsgericht richtig bezogen hat. Der Erstbeklagte hat das Tragen der Maske nicht in Abrede gestellt. Im Strafurteil wird überdies der Erstbeklagte schuldig erkannt, daß er maskiert die Tat begangen habe. Die Meinung der Revisionswerberin, maskiert sei nicht der Erstbeklagte, sondern sein Mittäter Rupert S. gewesen ist daher unzutreffend ganz abgesehen davon, daß sich das Strafverfahren gegen den flüchtigen Rupert S. gar nicht gerichtet hatte. Die Parteienvernehmung der Zweitbeklagten hätte den vom Strafgericht bindend festgestellten Tatbestand nicht verändern können.

Was die Solidarhaftung der Zweitbeklagten betrifft, besteht sie auf Grund des § 1302 ABGB. Wenn es sich bei der Tat der Zweitbeklagten auch nicht um ein in jeder Hinsicht vorsätzliches Delikt handelt, ergibt sich die Solidarhaftung doch daraus, daß die Anteile der Mittäter an der Beschädigung der Klägerin nicht bestimmt werden können. Es handelt sich nämlich um eine einheitliche Tathandlung, zu der die Zweitbeklagte einen in seiner Auswirkung nicht abschätzbaren Beitrag geleistet hat. Die Untergerichte haben die Zweitbeklagte daher mit Recht zur ungeteilten Hand mit den anderen Beklagten verurteilt, Zahlung zu leisten. Die Höhe der vom Berufungsgericht zuerkannten Beträge wird von der Revisionswerberin nicht bekämpft.

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