OGH 1Ob598/56

OGH1Ob598/569.1.1957

SZ 30/2

Normen

ABGB §938
Reichsversicherungsordnung §1542
VersVG §158
ABGB §938
Reichsversicherungsordnung §1542
VersVG §158

 

Spruch:

Die Kulanzzahlung einer Versicherungsgesellschaft tritt, soweit sie reicht, an die Stelle der Versicherungssumme und hat dieselbe Bestimmung wie diese. Sie ist nicht als titellose Schenkung anzusehen.

Entscheidung vom 9. Jänner 1957, 1 Ob 598/56.

I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien; II. Instanz:

Oberlandesgericht Wien.

Text

Der Oberste Gerichtshof hat mit dem Urteil vom 15. Februar 1956, 1 Ob 42/56, erkannt, daß der dem vorliegenden Rechtsstreit zugrunde liegende Amtshaftungsanspruch dem Gründe nach zu Recht bestehe.

Im fortgesetzten, die Höhe des Klageanspruches betreffenden Rechtsstreit sprach das Erstgericht mit Endurteil dem Kläger einen Betrag von 16.913 S 17 g und eine monatliche Rente von 400 S für die Zeit ab 5. Februar 1952, beides jedoch nur bis zum Höchstbetrag von 25.000 S, zu. Die beklagte Partei habe dem Kläger maximal den Betrag von 25.000 S zu ersetzen, jenen Betrag, auf den der in Frage stehende Lastkraftwagen des Robert P. hätte versichert sein müssen, um zugelassen zu werden. Der Kläger sei zur ungeteilten Hand mit Robert P. mit dem im Instanzenzug bestätigten Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 10. Jänner 1953 verurteilt worden, dem Verletzten Alfred H. ein Schmerzengeld von 5.000 S, den Ersatz für das beschädigte Fahrrad in der Höhe von 300 S, eine monatliche Lebensrente von 400 S, beginnend vom 5. Februar 1952, sowie die Kosten aller Instanzen von 2840 S 33 g, 517 S 08 g und 972 S zu zahlen. Außerdem habe die Nebenintervenientin (B.- Krankenkasse) auf Grund des § 1542 RVO. vor dem Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien Ersatzansprüche von 7283 S 04 g geltend gemacht. Zusammen ergebe sich ein dem Kläger zustehender Betrag von 16.913 S 17 g (richtig 16.912 S 45 g) sowie die Monatsrente von 400 S, die ihm bis zur Höchstgrenze von 25.000 S hätte zugesprochen werden müssen. Dadurch, daß der Nebenintervenientin mit dem Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 29. April 1955 die Pfändung und mit dem Beschluß des Bezirksgerichtes Güssing vom 11. Mai 1955 die Überweisung zur Einziehung der vom Kläger geltend gemachten Amtshaftungsansprüche bewilligt worden sei, habe der Kläger die aktive Klagelegitimation nicht verloren.

Infolge Berufung der beklagten Partei änderte das Berufungsgericht das erstgerichtliche Urteil dahin ab, daß die beklagte Partei den Teilbetrag von 7288 S 04 g dem Kläger nicht zu zahlen, sondern zugunsten des Klägers bei Gericht zu erlegen habe. Hinsichtlich des restlichen Klagebetrages von 9630 S 13 g bestätigte das Berufungsgericht das Urteil des Erstgerichtes. Die Feststellung der von den Sozialversicherungsträgern an den Verletzten Alfred H. erbrachten Leistungen sei entbehrlich gewesen, weil die Bestimmung des § 1542 RVO. hier nicht anzuwenden sei. Was die von der Versicherungsgesellschaft geleistete Kulanzzahlung von 4500 S betreffe, habe dieser Betrag von der Ersatzleistung, die die beklagte Partei zu erbringen habe, nicht abgezogen werden können. Da die Nebenintervenientin einen Teilbetrag der Klageforderung in der Höhe von 7283 S 04 g gepfändet und zur Einziehung überwiesen erhalten habe, hätte der Kläger nach der Rechtsmeinung des Berufungsgerichtes nicht Zahlung an sich, sondern gerichtlichen Erlag begehren sollen. Die Unterlassung eines solchen Antrages könne aber trotzdem nicht zur Abweisung der Klage führen; es sei vielmehr von Amts wegen auf gerichtlichen Erlag zu erkennen.

Der Oberste Gerichtshof hob über Revision der beklagten Partei und der Nebenintervenientin die Urteile beider Untergerichte auf und trug dem Erstgericht die neuerliche Verhandlung und Urteilsfällung auf.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Wie die beklagte Partei mit Recht ausgeführt hat, beruht der vom Kläger auf Grund des Amtshaftungsgesetzes geltend gemachte Schadenersatzanspruch gegen die Republik Österreich darauf, daß ihm infolge Verschuldens eines staatlichen Organs der Schutz der Autohaftpflichtversicherung entgangen sei, für die sein Dienstgeber Robert P. die Versicherungsprämien zur Zeit des Autounfalles nicht bezahlt hatte. Der Kläger kann daher von der Beklagten nichts anderes und nicht mehr verlangen, als der Versicherungsnehmer von der Versicherungsgesellschaft auf Grund des Haftpflichtversicherungsvertrages hätte fordern können. Soweit der Kläger aber durch die Versicherungsgesellschaft von seiner Haftpflicht gegenüber dem Verletzten Alfred H. und dessen Legalzessionaren (den Sozialversicherungsträgern) teilweise befreit wurde, hat er einen Schaden nicht erlitten und kann er daher von der beklagten Partei auch keinen Ersatz verlangen. Das Berufungsgericht ist der Meinung, daß der vom Versicherer an die Sozialversicherungsträger ausgezahlte sogenannte Kulanzbetrag von 4500 S bei der Feststellung des dem Kläger erwachsenen Schadens nicht in Abzug zu bringen sei, weil im Falle der Zahlung durch die Versicherungsgesellschaft an den Verletzten dessen Schadenersatzansprüche gegen den dritten Schädiger (hier den Kläger) auf die Versicherungsgesellschaft kraft Gesetzes übergingen. Außerdem könne im vorliegenden Fall nicht gesagt werden, daß der Versicherer durch die Kulanzzahlung nicht schenken, sondern eine Verpflichtung erfüllen wollte, weil der Versicherungsvertrag zur Unfallszeit nicht bestanden habe. Beide Argumente sind nicht zutreffend. Kulanzzahlungen einer Versicherungsgesellschaft gehen nämlich stets auf einen bestimmten Versicherungsvertrag zurück und werden immer nur dann geleistet, wenn den Versicherer aus irgend einem Gründe eine rechtliche Zahlungsverpflichtung nicht trifft. Die Kulanzzahlung tritt, soweit sie reicht, an die Stelle der Versicherungssumme und hat dieselbe Bestimmung wie diese. Als titellose Schenkung ist sie nicht anzusehen. Was den Regreß des Versicherers gegen den schädigenden Dritten betrifft, der dem Versicherer auf Grund seiner Leistung zusteht, so könnte nur die Bestimmung des § 158f VersVG. in Betracht kommen. Danach geht die Forderung des Dritten (hier des Geschädigten Alfred H.) gegen den Versicherungsnehmer auf den Versicherer über, soweit dieser den Dritten nach § 158c VersVG. befriedigt hat. Dieser Forderungsübergang bezieht sich also nur auf die Fälle, in denen den Versicherer gegenüber dem Versicherungsnehmer keine Verpflichtung zur Leistung trifft, der Dritte jedoch trotzdem die Leistung des Versicherers in Anspruch nehmen kann. Die Kulanzzahlung ist aber keine Leistung des Versicherers im Sinne des § 158c VersVG., weil weder der Versicherungsnehmer noch der Dritte auf sie Anspruch erheben könnte und die Kulanz des Versicherers nicht gerade nur gegenüber dem Dritten, sondern auch gegenüber dem Versicherungsnehmer erwiesen werden soll. Es ist also nicht anders, als wenn die Verpflichtung des Versicherers zur Leistung in vollem Umfang aufrecht wäre. In einem solchen Fall ist aber die Bestimmung des § 158f VersVG. über den Forderungsübergang auf den Versicherer nicht anwendbar. Im übrigen muß darauf hingewiesen werden, daß sich nach dem § 151 Abs. 1 VersVG. der Versicherungsschutz der Haftpflichtversicherung nicht nur auf den Versicherungsnehmer allein, sondern auch auf diejenigen Personen erstreckt, die im Rahmen des Betriebes des Versicherungsnehmers (hier des Kraftwagenunternehmens des Robert P.) haftpflichtig werden können. Dazu gehört auch der Kläger. Darauf ist schon im Aufhebungsbeschluß des Obersten Gerichtshofes vom 14. September 1955, 1 Ob 542, 543/55, hingewiesen worden. Ebensowenig wie der Versicherer gegen den Versicherungsnehmer Regreß nehmen kann, ist ihm dies auch gegenüber dem Mitversicherten möglich (vgl. § 67 VersVG.; Prölß, Versicherungsvertragsgesetz, 9. Aufl. S. 225).

Aus dem Gesagten ergibt sich, daß die Kulanzzahlung der Versicherungsgesellschaft im Betrag von 4500 S dem Kläger in der Weise zugute gekommen sein kann, daß seine Haftpflicht gegenüber dem Verletzten Alfred H. und dessen Legalzessionaren (den Sozialversicherungsträgern) um diesen Betrag vermindert worden und daher bei der Feststellung der Höhe des hier in Frage stehenden Amtshaftungsanspruches zu berücksichtigen wäre.

Die beklagte Partei vertritt in ihrer Revision sowie auch im ganzen bisherigen Verfahren den Standpunkt, daß auch im Amtshaftungsprozeß die Bestimmung des § 1542 RVO. über die Legalzession der von den Versicherungsträgern befriedigten Ansprüche des Geschädigten anzuwenden sei. Der Oberste Gerichtshof hat bereits in seiner Entscheidung 1 Ob 42/56 mit hinreichender Deutlichkeit darauf verwiesen, daß es sich bei der Forderung des Klägers auf Grund der Amtshaftung der beklagten Partei um einen Deckungs- und keinen Haftpflichtanspruch handelt und daß bei jenem der Übergang der Forderung des anspruchsberechtigten Klägers auf die Sozialversicherungsträger nicht in Frage kommt. So wie im Deckungsprozeß des Versicherungsnehmers gegen den Versicherer auf Grund des Haftpflichtversicherungsvertrages trotz der Verfangenheit der Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag für die Zwecke des geschädigten Dritten (vgl. Ehrenzweig Deutsches (Österreichisches) Versicherungsvertragsrecht, S. 376) nur der Versicherungnehmer anspruchsberechtigt ist (§ 156 Abs. 1 VersVG.), gilt dies auch vom Amtshaftungsprozeß, auf Grund dessen ja der Kläger dieselben Rechte erlangen will, die er im Falle des Weiterbestandes des Versicherungsschutzes gehabt hätte. Anspruchsberechtigt auf Grund des Versicherungsvertrages und damit auch auf Grund des Amtshaftungsanspruches sind niemals der Verletzte (Alfred H.) und dessen Legalzessionare nach dem § 1542 RVO. (die Sozialversicherungsträger). Diese Frage, die den Grund des Anspruches betrifft, ist in der früher angeführten Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 15. Februar 1956 abschließend gelöst worden.

Der Versicherungsnehmer (hier Robert P.) wäre trotz seiner alleinigen Anspruchsberechtigung im Falle des aufrechten Bestandes des Haftpflichtversicherungsvertrages freilich nicht befugt gewesen, die Versicherungssumme beim Versicherer einzukassieren, bevor er seiner Haftpflicht Genüge geleistet hätte. Der primäre Anspruch des Versicherungsnehmers gegen den Versicherer ist - wie sich aus der Natur der Haftpflichtversicherung als einer Schadensversicherung, das heißt einer auf Abwendung des aus der Haftpflicht sich ergebenden Schadens gerichteten Versicherung, und aus § 156 Abs. 2 VersVG. ergibt - auf Schadloshaltung gerichtet, das heißt auf Leistung an den Verletzten (vgl. z. B. die Entscheidung des deutschen Bundesgerichtshofes NJW. 1955 I S. 101; Geigel, Der Haftpflichtprozeß, 8. Aufl. S. 542). Soweit dessen Schadenersatzansprüche kraft Gesetzes (§ 1542 RVO.) auf Sozialversicherungsträger übergegangen sind, hat der Versicherer den Versicherungsnehmer bei den Sozialversicherungsträgern schad- und klaglos zu stellen. Insofern hat die beklagte Partei Recht, wenn sie auch noch im Verfahren über die Höhe des Klageanspruches die Bestimmung des § 1542 RVO. angewendet wissen will. Dabei kann es sich aber nicht um den Übergang der Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag auf die Sozialversicherungsträger, sondern nur um die Modalitäten und das Ausmaß des dem Versicherungsnehmer zustehenden Befreiungsanspruches gegen den Versicherer, also um eine Frage der Höhe der Forderung, handeln. In weiterer Folge kann sich auch der Amtshaftungsanspruch des Versicherten, nämlich des Klägers, nur auf Schadloshaltung beziehen, weil es sich dabei nur um den Ersatz für die dem Versicherungsnehmer und dem Versicherten entgangenen Versicherungsansprüche handelt. Aus diesem Grund hat der Kläger sein ursprüngliches Zahlungsbegehren in ein Begehren auf Schadloshaltung modifiziert. Denn der vorliegende Amtshaftungsprozeß soll - wie der Oberste Gerichtshof in seiner Entscheidung vom 15. Februar 1956 ausgeführt hat - "nach den Absichten des Klägers dahin führen, daß die beklagte Republik Österreich als seine Erfüllungsgehilfin dem Geschädigten und den Sozialversicherungsträgern den von ihm zu zahlenden Ersatz leistet."

Die Erklärung des Klagevertreters in der Streitverhandlung vom 15. Juni 1956, das Klagebegehren (auf Schadloshaltung) wieder in ein reines Zahlungsbegehren umzuwandeln, ist als wirkunglos anzusehen. Da über den Grund des Anspruches des Klägers (§ 189 Abs. 1 ZPO.) die Verhandlung erster Instanz am 13. November 1954 geschlossen worden ist und ein rechtskräftiges Urteil bereits vorliegt, kann nämlich im jetzt vorliegenden Verfahren über die Höhe des Anspruches dessen Grundlage und Wesen nicht mehr verändert werden (vgl. den ähnlichen Fall in Prozessen mit Eventualmaxime, Pollak, System des österreichischen Zivilprozeßrechtes, 2. Aufl. I S. 404, und den vom Obersten Gerichtshof in der Entscheidung SZ. XXIV 233 ebenso entschiedenen Fall, daß nach der rechtskräftigen Teilentscheidung über die Klageforderung im weiteren Verfahren über die Gegenforderung das Klagebegehren nicht mehr erweitert werden kann; in der nur scheinbar widersprechenden Entscheidung DREvBl. 1942 Nr. 226 handelte es sich nicht um eine Änderung des Wesens des Klagebegehrens).

Zu Unrecht vermeint das Berufungsgericht, es habe sich mit der Feststellung der von den Sozialversicherungsträgern an den Verletzten erbrachten Leistungen nicht zu befassen. Diese Feststellung wäre notwendig gewesen, weil erst durch sie das Ausmaß und die Bestimmung der Schadloshaltung des Klägers, also des Klageanspruches, geklärt werden kann. Der Umstand, daß das maßgebende Klagebegehren auf Leistung an den Verletzten Alfred H. allein gerichtet ist, könnte den Zuspruch der Leistung der beklagten Partei an die Sozialversicherungsträger nicht hindern, weil es sich da nur um eine auf die Bestimmung des § 1542 RVO. zurückgehende Modifizierung des auf Schadloshaltung gerichteten Klagebegehrens handeln könnte. Es wird aber zweckmäßig sein, wenn der Kläger sein Begehren im fortgesetzten Verfahren entsprechend richtigstellt.

Es bestand auch kein Anlaß, der beklagten Partei den Erlag eines Teiles der Klagssumme bei Gericht aufzutragen. Das Berufungsgericht hält dies mit Rücksicht darauf für notwendig, daß die Nebenintervenientin zur Hereinbringung ihrer Regreßansprüche gegen den Kläger die Pfändung des Klageanspruches und dessen Überweisung zur Einziehung erwirkt hat. Da der von der beklagten Partei zu leistende Schadenersatz auf Grund der Amtshaftung aber ohnedies nicht dem Kläger, sondern den Haftpflichtberechtigten zugute zu kommen hat, ist keime Beeinträchtigung der Überweisungsgläubigerin zu befürchten, wenn dem Schadloshaltungsbegehren des Klägers stattgegeben wird.

Es ergibt sich, daß das Verfahren der Untergerichte mangelhaft geblieben ist und daß sie auch von einer unzutreffenden rechtlichen Auffassung ausgegangen sind. Damit erweisen sich beide Revisionen als begrundet.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte