OGH 4Ob106/56

OGH4Ob106/566.11.1956

SZ 29/73

Normen

ABGB §1090
ABGB §1151
Mietengesetz §11
Mietengesetz §19 Abs2 Z2
ABGB §1090
ABGB §1151
Mietengesetz §11
Mietengesetz §19 Abs2 Z2

 

Spruch:

Unterschied eines Dienstvertrages von einem Bestandvertrag, wenn an Stelle des sonst in Geld zu entrichtenden Bestandzinses bestimmte Dienstleistungen zu erbringen sind.

Entscheidung vom 6. November 1956, 4 Ob 106/56.

I. Instanz: Arbeitsgericht Graz; II. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz.

Text

Nach dem Vorbringen der Klage, mit der die Klägerin die Räumung der von der Beklagten in ihrem Hause benützten Wohnung begehrt, war diese seinerzeit Hausgehilfin bei der im Jahre 1954 verstorbenen Schwester der Klägerin Dr. Lydia M. und bewohnte im Hause ihrer Dienstgeberin ein Zimmer als Dienstwohnung. Als sich die Beklagte im Jahre 1948 verehelichte, habe Frau Dr. M. ihr gestattet, daß ihr Gatte zu ihr ziehe; die Beklagte sei weiterhin im Dienste bei Dr. M. verblieben. Nach deren Tod sei die Beklagte in den Dienst der Klägerin getreten, die das Haus von ihrer Schwester geerbt habe, und seien der Beklagten die von ihr bis dahin benützten Räume weiterhin als Dienstwohnung belassen worden. Im März 1955 sei es dadurch zur Auflösung des Dienstverhältnisses gekommen, daß die Beklagte die Arbeit verweigert habe, womit die Klägerin einverstanden gewesen sei.

Die Beklagte wendete unter anderem ein, daß das Dienstverhältnis als Hausgehilfin im Jahre 1948 aus Anlaß ihrer Verehelichung einverständlich gelöst und ihr von Dr. M. außer dem bisher benützten Zimmer eine Küche und ein Vorzimmer vermietet worden seien, wofür sie vereinbarungsgemäß den Mietzins in bestimmten Dienstleistungen zu entrichten gehabt habe.

Das Erstgericht gab dem Räumungsbegehren mit der Begründung statt, daß das Dienstverhältnis auch nach der Verehelichung der Beklagten und dem Tode der Schwester der Klägerin fortgesetzt worden sei und die Beklagte die Wohnung als Dienstwohnung behalten habe, so daß sie nunmehr zufolge Beendigung des Dienstverhältnisses keinen Anspruch auf Weiterbenützung der Wohnung erheben könne.

Über Berufung der Beklagten hob das Berufungsgericht dieses Urteil auf und wies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück, da im Hinblick auf die Prozeßbehauptungen der Klägerin Feststellungen darüber zu treffen seien, ob und wie es zur Auflösung des behaupteten Dienstverhältnisses der Beklagten gekommen sei.

Das Erstgericht gab dem Räumungsbegehren neuerlich statt. Es gelangte abermals zu dem Ergebnis, daß nach dem Tode der Schwester der Klägerin die Wohnung der Beklagten nicht vermietet, sondern als Dienstwohnung belassen worden sei und die Überlassung der Wohnung ein Naturalentgelt für die von der Beklagten erbrachten Dienstleistungen dargestellt habe. Zufolge einvernehmlicher Lösung des Dienstverhältnisses sei das Räumungsbegehren berechtigt.

Der dagegen seitens der Beklagten erhobenen Berufung wurde Folge gegeben und das Ersturteil dahin abgeändert, daß das Räumungsbegehren abgewiesen wurde. Das Berufungsgericht gelangte nach Beweiswiederholung zu nachstehenden Feststellungen:

Im Jahre 1939 ist die Beklagte als Hausgehilfin in den Dienst der Ärztin Dr. Lydia M., der Schwester der Klägerin, getreten. Sie erhielt für ihre Arbeitsverrichtungen in der Wohnung und im Hause der Dienstgeberin neben einem Barlohn von 35 RM (später 35 S) volle Verpflegung und Unterkunft in dem derzeit noch von ihr bewohnten Zimmer. Nachdem die Beklagte, die mit ihrem Gatten seit 1947 verlobt war, ihrer Dienstgeberin wiederholt ihre Heiratsabsicht mitgeteilt hatte, wurde sie von dieser ersucht, im Hause zu bleiben. Über ihren Vorschlag erklärte sich Frau Dr. M. damit einverstanden, daß sie auch nach ihrer im Jahre 1948 erfolgten Verehelichung weiterhin im Hause wohne, und stellte ihr anläßlich der Heirat einen zweiten Raum als Küche zur Verfügung. Seither bewohnten die Beklagte und ihr Gatte Anton Mu. eine aus Zimmer und Küche bestehende, im zweiten Stock des Hauses gelegene Wohnung und führten dort ihren Haushalt. Frau Dr. M. und die Beklagte kamen überein, daß die letztere auch nach ihrer Verehelichung weiterhin die Ordination aufräume, die Öfen in der Parterrewohnung von Frau Dr. M. heize, das Stiegenhaus reinige, das Telephon bediene und den Patienten die Türe öffne. Diese in der Folge von der Beklagten verrichteten Arbeitsleistungen sollten nach dem übereinstimmenden Willen beider Teile seitens der Beklagten "an Stelle der Miete" erbracht werden, und überließ Dr. M. der Beklagten und ihrem Gatten, den sie ersucht hatte, seine Wohnung in G. aufzugeben, die strittige Wohnung gegen Erbringung der vorgenannten Dienstleistungen. Nach ihrer Verehelichung stellte Frau Dr. M. der Beklagten, die sie bei der Krankenkasse abmeldete, ein mit 15. Oktober 1948 datiertes Zeugnis aus, nach dessen Inhalt die Beklagte in der Zeit vom Jänner 1939 bis 15. Oktober 1948 als "Köchin für alles" bei Frau Dr. M. beschäftigt war und ihre bevorstehende Eheschließung den Grund der Auflösung des Dienstverhältnisses bildete. Als Dr. Lydia M. im Jahre 1954 verstarb, erklärte die Klägerin, die das Haus von ihrer Schwester geerbt hatte, der Beklagten ausdrücklich, daß alles beim alten bleibe und es der Wille ihrer Schwester gewesen sei, daß die Beklagte im Hause verbleibe. Die Beklagte, der die Klägerin für zu leistende Mehrarbeiten, wie Fensterreinigen, Großreinemachen und anderes, noch 50 S monatlich zusagte, ist in der Folge den Arbeitsverpflichtungen bis 7. März 1955 nachgekommen. Zu dieser Zeit kam es zwischen den Streitteilen wegen der Verrichtung bestimmter Arbeiten in der Wohnung der Klägerin zu Unstimmigkeiten, die schließlich zur Einstellung der Arbeit der Beklagten in der Wohnung der Klägerin und einige Zeit später auch im Hause führten, womit die Klägerin einverstanden war.

Hiezu führte das Berufungsgericht in rechtlicher Hinsicht aus:

Aus den getroffenen Feststellungen ergebe sich, daß die Beklagte bis zu ihrer Verehelichung im Jahre 1948 als Hausgehilfin im Dienste von Dr. Lydia M. stand und bis dahin das ihr zur Verfügung gestandene Zimmer als Dienstwohnung benützte. Dieses Dienstverhältnis sei im Jahre 1948 aus Anlaß der Verehelichung der Beklagten mit Anton Mu. aufgelöst und in der Folge weder zu Lebzeiten von Frau Dr. M. noch später mit der Klägerin neu begrundet worden. Für die Auflösung des Dienstverhältnisses der Beklagten spreche neben den übrigen Beweisergebnissen vor allem das schriftliche Zeugnis Dris. M. vom 15. Oktober 1948, in dem von einer Auflösung des Dienstverhältnisses unter Hinweis auf die bevorstehende Eheschließung ausdrücklich die Rede sei, sowie die Erwägung, daß offenbar kein Anlaß zur Ausstellung eines Zeugnisses bestanden hätte, wenn nicht in dem Verhältnis der Beklagten zu Dr. M. in tatsächlicher Hinsicht eine wesentliche Änderung eingetreten wäre. Die aus Anlaß der Heirat der Beklagten zwischen dieser und Frau Dr. M. getroffene Vereinbarung über die Überlassung der Wohnung an die Beklagte und ihren Gatten gegen Verrichtung bestimmter Arbeitsleistungen durch die Beklagte sei rechtlich als ein Bestandvertrag zu werten, inhaltlich dessen Frau Dr. M. als Vermieterin der Beklagten und ihrem Gatten die beiden Räume vermietete, wobei die Beklagte die Verpflichtung übernahm, den Mietzins in Form der vereinbarten Dienstleistungen im Sinne des § 11 MietG. zu erbringen. Diese Rechtsansicht finde auch darin eine Stütze, daß sich das Verhältnis der Beklagten zu Frau Dr. M. insofern geändert habe, als sie nach ihrer Verehelichung von Frau Dr. M. keine Verpflegung mehr erhielt, sondern in ihrer Wohnung einen eigenen Haushalt führte. Dies sowie der Umstand, daß für die Beklagte nunmehr der mit ihr im gemeinsamen Haushalt lebende Gatte zu sorgen hatte, rechtfertigten die Annahme, daß die Beklagte vom Zeitpunkte ihrer Eheschließung an ihrer bisherigen Dienstgeberin nicht mehr untergeordnet war, sondern unter Wahrung ihrer wirtschaftlichen Selbständigkeit lediglich bestimmte, vertraglich festgesetzte Leistungen als Entgelt statt des sonst in Geld zu entrichtenden Mietzinses zu erbringen gehabt hatte. Da sich an dem bis dahin bestandenen tatsächlichen Zustande auch nach dem Tode von Frau Dr. M. nichts ändern, vielmehr alles beim alten bleiben sollte, demnach die Beklagte für die Überlassung der Wohnung weiterhin bestimmte Arbeitsverrichtungen in der Wohnung und im Hause der Klägerin zu leisten hatte, habe auch das seinerzeit zwischen Frau Dr. M. und der Beklagten hinsichtlich der überlassenen Wohnung begrundete Rechtsverhältnis keine Änderung erfahren und sei das Bestandverhältnis nach dem Tode Dris. M. zwischen der Klägerin und der Beklagten aufrecht geblieben. Daran könne auch die Parteiaussage der Klägerin nichts ändern, wonach diese anläßlich des Todes ihrer Schwester der Beklagten unter anderem erklärt hätte, daß sie gegen Verrichtung von Arbeitsleistungen in der "Dienstwohnung" bleiben könne, und die Beklagte damit einverstanden gewesen sei. Diese, vom Berufungsgericht nicht als erwiesen angenommene, Kennzeichnung der Wohnung der Beklagten als Dienstwohnung stelle sich im übrigen lediglich als rechtliche Beurteilung des damaligen Verhältnisses zwischen den Streitteilen durch die Klägerin dar, der bei der Feststellung des Sachverhaltes keine Bedeutung zukomme. Die rechtliche Beurteilung der vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen führe zu dem Schlusse, daß dem Klagebegehren deswegen die Berechtigung fehle, weil die Klägerin nicht in der Lage gewesen sei, bestimmte Tatsachen zu behaupten und zu beweisen, aus welchen sich ergeben könnte, daß die Beklagte ihre Dienstnehmerin war und als solche die strittige Wohnung in Benützung gehabt habe.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Klägerin nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Es ist bei der Prüfung der Rechtsfrage von den Feststellungen des Berufungsgerichtes auszugehen, wonach das zwischen der Rechtsvorgängerin der Klägerin, Dr. Lydia M., und der Beklagten seit dem Jahre 1939 bestandene Hausgehilfendienstverhältnis anläßlich der Verehelichung der letzteren im Jahre 1948 einverständlich gelöst wurde, die Beklagte jedoch nach dem übereinstimmenden Parteiwillen auch weiterhin bestimmte Arbeitsleistungen an Stelle der Miete regelmäßig verrichten sollte, gegen deren Erbringung nach Zurverfügungstellung eines zweiten Raumes als Küche die strittige Wohnung an die Beklagte und ihren Gatten überlassen wurde, aber auch nach dem im Jahre 1954 erfolgten Tod Dris. M. eine Änderung des tatsächlichen Zustandes insoweit nicht eintrat, als die Beklagte auch der Klägerin bestimmte Arbeitsleistungen für die Überlassung der Wohnung vereinbarungsgemäß zu erbringen hatte, welcher Verpflichtung sie bis 7. März 1955 tatsächlich nachkam. Diese Feststellungen rechtfertigen jedoch den Schluß auf ein Bestandverhältnis im Sinne des § 11 (§ 19 Abs. 2 Z. 2) MietG. schon aus der Erwägung, daß letztere Gesetzesstelle nicht die für ein Dienstverhältnis essentielle völlige persönliche und wirtschaftliche Unterordnung und demnach auch Weisungsgebundenheit des Dienstnehmers hinsichtlich der zu leistenden Arbeiten voraussetzt, sondern den Fall im Auge hat, daß unter Wahrung der wirtschaftlichen Selbständigkeit lediglich einzelne bestimmte Dienstleistungen als Entgelt statt des sonst in Geld zu entrichtenden Mietzinses bedungen werden (vgl. MietSlg. 11.239). Der vorliegende Vertrag kann aber, auch nach seinem vorwiegenden wirtschaftlichen Zweck beurteilt, nur als Mietvertrag gewertet werden, da er nach den Feststellungen nur dadurch zustandekam, daß der Gatte der Beklagten über Ersuchen von Dr. Lydia M. seine Wohnung in G. aufgab, demnach die Gewinnung einer Wohnung für die Beklagte und deren Gatten jedenfalls im Vordergrund stand und gegenüber der bei Dr. Lydia M. bestandenen Absicht, die Beklagte für bestimmte Dienstleistungen als Arbeitskraft zu erhalten, jedenfalls überwog (vgl. ZBl. 1924 Nr. 255). Der Umstand, daß die Beklagte auch nach Auflösung ihres Dienstverhältnisses als Hausgehilfin weitergearbeitet hat, steht der Annahme eines Bestandverhältnisses keineswegs entgegen, da, wie bereits ausgeführt, die Entrichtung des Mietzinses auch in Form von Dienstleistungen bedungen werden kann. Das gleiche gilt hinsichtlich der festgestellten Tatsache, daß die Beklagte außer der Überlassung der Wohnung für die vereinbarungsgemäß zu leistenden zusätzlichen Arbeiten überdies eine Barentlohnung von 50 S monatlich erhielt. Der Rechtsauffassung der Revision, daß auch diese Tatsache der Annahme eines Bestandverhältnisses widerspreche, ist entgegenzuhalten, daß gemäß § 11 MietG. der Vermieter, falls der nach dem ortsüblichen Entgelt veranschlagte Wert der bedungenen Dienstleistungen den gesetzlich vorgesehenen Mietzins erheblich übersteigt, sogar verpflichtet ist, dem Mieter ein angemessenes Entgelt zu bezahlen. Durch die freiwillige Bezahlung eines solchen Entgeltes wird daher in gleicher Weise wie durch die seitens Frau Dr. M. an die Beklagte im Jahre 1951 erfolgte Übereignung von Möbelstücken an der Rechtsnatur des Bestandvertrages nichts geändert, wenngleich diese Leistungen nach Absicht der Klägerin und ihrer Rechtsvorgängerin einen Teil des Arbeitsentgeltes für die Beklagte darstellen sollten. Schließlich ist auch die Auffassung des Berufungsgerichtes zutreffend, daß dem Umstand, ob die Klägerin der Beklagten gegenüber die strittige Wohnung als "Dienstwohnung" bezeichnet hat, als der rechtlichen Beurteilung angehörend, keine Bedeutung zukommt. Da demnach über die Eigenschaft der strittigen Wohnung als "Dienstwohnung" eine tatsächliche Feststellung nicht getroffen werden kann, zumal da im gemeinen Sprachgebrauch auch Wohnungen, die einem Dienstnehmer vermietet wurden, als Dienstwohnung bezeichnet werden, wurde der in dieser Richtung beantragte Beweis durch Vernehmung des Zeugen F. sowie durch Beischaffung des Aktes des Wohnungsamtes mit Recht abgelehnt. An der rechtlichen Beurteilung vermag es jedoch auch nichts zu ändern, wenn die Beklagte im Verlassenschaftsverfahren nach Dr. Lydia M. für den Zeitraum seit dem Jahre 1948 eine Forderung angemeldet hat, die sie als "Lohnforderung" bezeichnete, da sie ohne weiteres den Standpunkt einnehmen konnte, daß der Wert ihrer Dienstleistungen den Wert der Wohnung überstiegen habe, die rechtliche Qualifikation der angemeldeten Forderung seitens der Beklagten jedoch bedeutungslos erscheint. Die Beischaffung des Verlassenschaftsaktes war daher für die Entscheidung entbehrlich. Die wegen Nichtzulassung der oben angeführten Beweise erhobenen Verfahrensrügen sind daher gleichfalls nicht begrundet. Die Frage, ob ein Grund zur Auflösung des Mietvertrages vorliegt, kann offen bleiben, da nicht gerichtsordnungsmäßig gekundigt worden ist.

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