OGH 4Ob194/55

OGH4Ob194/5524.4.1956

SZ 29/36

Normen

ABGB §1154
GewO 1994 §74 Abs3
ABGB §1154
GewO 1994 §74 Abs3

 

Spruch:

Im Sinne des § 1157 ABGB. besteht keine Erfolgshaftung des Dienstgebers für die Beschädigung des Dienstnehmers bei Ausführung aufgetragener Arbeiten.

Entscheidung vom 24. April 1956, 4 Ob 194/55.

I. Instanz: Arbeitsgericht Wien; II. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien.

Text

Die Klägerin macht mit der vorliegenden Klage ein Schmerzengeld von 5000 S und einen Verdienstentgang von 864 S monatlich für die Zeit vom 29. Mai 1953 bis 10. November 1954 geltend, weil sie sich im Betriebe der beklagten Partei, wo sie jahrelang beschäftigt gewesen sei, durch Überforderung ihrer physischen Kräfte, vor allem durch Heben und Tragen zu schwerer Gegenstände, ein Leiden zugezogen habe. Diese Überbeanspruchung ihrer Arbeitskraft sei vor allem auf die schikanöse Behandlung durch die ihr unmittelbar vorgesetzte Paula S. im Betriebe verursacht worden.

Das Arbeitsgericht hat das Klagebegehren abgewiesen, das Berufungsgericht der Berufung der Klägerin keine Folge gegeben. Den Urteilen der Unterinstanzen liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Die Klägerin war vom Jahre 1939 bis 1945 und von 1950 bis 29. Mai 1953 im beklagten Unternehmen als Hilfsarbeiterin beschäftigt. Der Betrieb der beklagten Firma beschäftigt überwiegend Frauen. Während des Krieges war die Klägerin in der Materialkontrolle und Dreherei tätig. Sie kannte die Verhältnisse im beklagten Betrieb und besonders auch im Lager. Nach ihrer Wiederaufnahme im Jahre 1950 hatte die Klägerin anfänglich verschiedene Transportarbeiten zu leisten, das heißt verschiedene Kartons und Kisten mit einem Gewicht bis zu 50 kg von einem Ort zum anderen zu transportieren. Transporte von Kisten über 50 kg waren normalerweise Männern vorbehalten. Nach der im Betrieb der beklagten Partei geltenden Vorschrift sind Lasten von über 10 kg nicht von einer Frau allein, sondern im Zusammenwirken mit mindestens einer zweiten Frau zu heben oder zu tragen. Die Klägerin hat vornehmlich Material zählen, wägen und nach Listen zusammenstellen müssen, jedenfalls keine schwereren Arbeiten zu leisten gehabt als die mit ihr beschäftigten Arbeiterinnen im Lager, ja eine dieser Arbeiterinnen mußte schwerere Arbeiten als die Klägerin verrichten. Sie machte nur solche Arbeiten, die einer Lagerarbeiterin zukamen und vom Dienstgeber mit Recht verlangt werden konnten. Eine schikanöse Behandlung der Klägerin durch ihre Vorgesetzte, die Lagerleiterin Paula S., ist nicht erwiesen, wohl aber festgestellt, daß Paula S. eine fleißige, umsichtige Vorgesetzte mit gewissenhafter Arbeitsauffassung ist. Beschwerden über die Lagerleiterin sind weder beim Betriebsratsobmann Stefan S. noch bei der Geschäftsführung von der Klägerin erhoben worden. Im Jahre 1952 war die Klägerin bei Dr. Franz H. in Behandlung, der eine Spondylarthrose feststellte und der Klägerin ein Zeugnis schrieb, wonach sie nicht mehr mit schweren Arbeiten befaßt werden sollte. Die Klägerin legte den ärztlichen Befund ihrer Vorgesetzten S. vor, die sich daraufhin mit dem Betriebsratsobmann und der Geschäftsführung in Verbindung setzte. Ab diesem Zeitpunkt erhielt sie nur mehr leichte Arbeiten bis zur Kündigung zugeteilt. Die Erkrankung der Klägerin (Spondylarthrose) entsteht auf Grund ungünstiger körperlicher Konstitution und einer dieser Konstitution entsprechenden Überlastung. Dabei muß der Betroffene von seiner ungünstigen Konstitution gar nichts wissen, so daß eine normal verlangte Arbeitsleistung im speziellen Falle bereits eine Überanstrengung bedeuten und Veränderungen in der Wirbelsäule hervorrufen kann. Ob die Erkrankung der Klägerin auf ihre Beschäftigung ab dem Jahre 1950 zurückzuführen ist, konnte nicht eindeutig erwiesen werden. Die beklagte Partei nahm die Klägerin als Lagerarbeiterin auf und übertrug ihr die in diesen Wirkungsbereich gehörigen Arbeiten. Die Klägerin ist nicht über das normale Maß als Lagerarbeiterin beansprucht worden.

Das Arbeitsgericht folgerte aus seinen Feststellungen, daß der beklagten Partei kein Verschulden an der Erkrankung der Klägerin oder am Eintritt ihrer Arbeitsunfähigkeit anzulasten sei. Dafür, daß unter Umständen die von der Klägerin im Betrieb der beklagten Partei verrichteten Arbeiten zufolge ihrer körperlichen Konstitution gesundheitsschädlich waren, könne die beklagte Partei nicht verantwortlich gemacht werden, weil sie eine normale körperliche Konstitution der Klägerin voraussetzen mußte. Die Klägerin scheine zum Zeitpunkt ihrer Aufnahme als Lagerhilfsarbeiterin selbst von ihrer für Lagerarbeiten vielleicht zu schwachen körperlichen Verfassung keine Ahnung gehabt zu haben, sonst hätte sie den Posten gar nicht annehmen dürfen oder die beklagte Partei davon unterrichten müssen. Nach erstatteter Meldung von ihrer Erkrankung seien der Klägerin von der beklagten Partei nur mehr leichte Arbeiten übertragen worden. Die Lagerleiterin Paula S. habe sich korrekt benommen und nur fehlerhafte Arbeiten oder überflüssige Gespräche während der Arbeitszeit beanstandet. Könne der beklagte Partei aber kein Verschulden an der Erkrankung der Klägerin beigemessen werden, dann sei der geltend gemachte Schadenersatzanspruch schon materiellrechtlich nicht gerechtfertigt.

Das Berufungsgericht übernahm die Tatsachengrundlagen des erstgerichtlichen Urteils zur Gänze und nahm in rechtlicher Hinsicht folgenden Standpunkt ein:

Die Klägerin grunde ihren Anspruch auf eine Verletzung der Bestimmungen des § 1157 ABGB. und auf eine Vernachlässigung der einschlägigen Bestimmungen der Gewerbeordnung durch die beklagte Partei, ohne im einzelnen anzuführen, inwiefern die beklagte Partei die letzteren Bestimmungen nicht eingehalten habe. Die Klägerin übersehe, daß insbesondere § 1157 ABGB. eine Erfolgshaftung des Dienstgebers für eine Beschädigung des Dienstnehmers ablehne und den Dienstgeber nur im Falle eines Verschuldens an der Beschädigung für den Schaden verantwortlich mache. Es obliege daher der Klägerin der Beweis, daß die beklagte Partei einerseits durch Unterlassung der erforderlichen Abhilfe gegen eine schikanöse Behandlung der Klägerin durch ihre unmittelbare Vorgesetzte, andererseits durch Unterlassung der Abstellung schwerer Arbeiten durch die Klägerin auf bekanntgewordene Beschwerden, die Erkrankung und die damit zusammenhängende Arbeitsunfähigkeit der Klägerin verschuldet habe. Dieser Beweis sei ihr nicht gelungen. Wenn die der Klägerin aufgetragenen Arbeiten in der Zeit, da ihre Erkrankung der beklagten Partei noch nicht bekannt war, möglicherweise ihrem Gesundheitszustand abträglich gewesen seien, so wäre es ihre Sache gewesen, die beklagte Partei davon früher zu verständigen, weil ihr dann bei Vorlage eines entsprechenden ärztlichen Attestes entweder eine leichtere Arbeit zugewiesen oder im Falle der Unmöglichkeit einer solchen Lösung das Dienstverhältnis beendet worden wäre. Die von der Klägerin besorgten Arbeiten seien nach dem erhobenen Sachverhalt nicht schwerer gewesen als die von den übrigen Frauen verrichteten Arbeiten. Überdies hätten Anordnungen bestanden, wonach Lasten von einem bestimmten Gewicht aufwärts von einer Arbeiterin allein nicht getragen werden durften. Selbst wenn die Klägerin entgegen den getroffenen Feststellungen von ihrer Vorgesetzten Paula S. "schikaniert" oder "sekkiert" worden wäre, wodurch sie an ihrer Gesundheit Schaden erlitten hätte oder erleiden hätte können, könnte die beklagte Partei dafür nur dann haftbar gemacht werden, wenn sie es unterlassen hätte, die Klägerin dagegen zu schützen. Die beklagte Partei habe von den Beschwerden und den Gesundheitsstörungen der Klägerin erst Kenntnis erlangt, als diese das ärztliche Zeugnis über ihre Erkrankung vorwies, worauf die Beklagte sogleich die notwendigen Maßnahmen verfügt und die Klägerin von schwerer Arbeit entbunden habe. Daß die von der Klägerin bis dahin verrichteten Arbeiten an sich nicht gesundheitsstörend gewesen seien, ergebe sich daraus, daß der Betrieb der beklagten Partei durch eine Kommission des Arbeitsinspektorates kontrolliert wurde und dabei die von den Frauen im Lagerbetrieb durchgeführten Arbeiten weder als zu schwer noch als vorschriftswidrig beanstandet wurden.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Klägerin nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Der Dienstgeber ist verpflichtet, bei Zuweisung und Einteilung der Arbeit darauf Bedacht zu nehmen, daß die Arbeit Leben und Gesundheit des Dienstnehmers nicht gefährde. § 1157 ABGB. zieht die Grenzen der Fürsorge nur so weit, als es nach der Natur der Dienstleistung möglich ist. Für das erforderliche Ausmaß an Vorkehrungen ist nicht die technische Möglichkeit allein entscheidend, sondern innerhalb deren Grenzen ist unter Berücksichtigung der maßgebenden wirtschaftlichen Umstände, des Ortes, Brauches und des für Dienste solcher Art Üblichen nach Treu und Glauben zu entscheiden, welche Maßnahmen dem Dienstgeber billigerweise zugemutet werden dürfen. Hat der Dienstnehmer an Leben und Gesundheit dadurch Schaden erlitten, daß der Dienstgeber schuldhafterweise seiner Fürsorgepflicht nicht entsprach, so ist er nach den Bestimmungen des bürgerlichen Rechtes schadenersatzpflichtig. Diese Haftung des Unternehmers ist dadurch wesentlich eingeschränkt, daß wegen einer Verletzung durch einen Betriebsunfall der Versicherte nur dann gegen den Betriebsunternehmer, Bevollmächtigten oder Repräsentanten Ansprüche auf Schadenersatz hat, wenn der Unfall vorsätzlich herbeigeführt wurde.

Es oblag der Klägerin, zu beweisen, daß die beklagte Partei ein Verschulden im Sinne des § 1297 ABGB. trifft und daß sie ihre gesetzliche Fürsorgepflicht im Sinne des § 1157 ABGB. und des § 74 GewO. verletzt hat. Erst wenn die beklagte Partei zugegeben hätte, ihre Fürsorgepflicht nicht erfüllt zu haben, aber an ihrer Erfüllung ohne ihr Verschulden verhindert worden zu sein, hätte sie diese Verhinderung zu beweisen gehabt. Die beklagte Partei hat behauptet, ihrer Fürsorgepflicht nachgekommen zu sein, und die Klägerin hat ein Verschulden der beklagten Partei durch Verletzung der Fürsorgepflicht nicht beweisen können. Mit der Bestimmung des § 1157 ABGB. lehnt der Gesetzgeber eine Erfolgshaftung des Dienstgebers für die Beschädigung des Dienstnehmers bei Ausführung aufgetragener Arbeiten ab, und es bleibt nur Verschuldenshaftung übrig (SZ. IX 226, SZ. XIV 100).

Die Revisionswerberin führt zum Revisionsgrund der Z. 4 des 503 ZPO. aus, das angefochtene Urteil gehe von der Ansicht aus, die Klägerin hätte erst nachweisen müssen, daß der beklagten Partei eine schlechte Behandlung der Klägerin zur Kenntnis kam. Erst wenn daraufhin von der beklagten Partei nichts unternommen worden wäre, könnte ein Verschulden gegeben sein. Diese Auffassung sei rechtsirrig, denn nach § 1157 ABGB. und § 74 Abs. 3 GewO. sei die Fürsorgepflicht des Gewerbeinhabers bzw. Dienstgebers eine primäre und nicht erst von allfälligen Beanständungen und Beschwerden des Dienstnehmers abhängig. Wenn der Dienstgeber infolge des Umfangs des Betriebes oder seiner juristischen Form die Fürsorgemaßnahmen nicht persönlich durchzuführen vermöge, so hätten eben seine Ausführungsorgane, gegebenenfalls Frau, Paula S., diese Maßnahmen zu beachten. Nach den Behauptungen der Klägerin sei aber Frau S. eine ausgesprochen untüchtige Person (§ 1315 ABGB.), die zur Besorgung dieser dem Dienstgeber obliegenden Angelegenheiten nicht fähig oder auch nicht gewillt gewesen sei. Demnach habe die beklagte Partei für deren Untüchtigkeit, die der Klägerin Gesundheit und Arbeitsfähigkeit gekostet habe, einzustehen. Davon abgesehen sei die Beschwerde der Klägerin auch bei Grete M. an die richtige Adresse geraten, weil der Betriebsrat die wirtschaftlichen, sozialen und gesundheitlichen Interessen des Dienstnehmers gemäß § 3 Abs. 1 BRG. wahrzunehmen habe.

Obige Ausführungen der Revision gehen deshalb ins Leere, weil sie die rechtliche Beurteilung des angefochtenen Urteils nicht mit dem festgestellten Sachverhalt vergleichen, demzufolge vor Kenntnis der beklagten Partei vom angeschlagenen Gesundheitszustand der Klägerin von dieser nicht mehr Arbeit verlangt wurde als von den anderen Lagerarbeiterinnen, auch nicht mehr, als dem zulässigen und üblichen Maß entsprach, Paula S. ihre Aufgabe als Vorarbeiterin gewissenhaft erfüllte, also keine untüchtige Person war, und nach Kenntnis der beklagten Partei vom Leiden der Klägerin dieser ohnehin nur mehr leichte Arbeiten zugewiesen wurden.

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