OGH 2Ob193/56

OGH2Ob193/5618.4.1956

SZ 29/33

Normen

Einführungsverordnung zum Gesetz über den Verkehr mit Kraftfahrzeugen ArtIV.
Gesetz über den Verkehr mit Kraftfahrzeugen §7 Abs1
Einführungsverordnung zum Gesetz über den Verkehr mit Kraftfahrzeugen ArtIV.
Gesetz über den Verkehr mit Kraftfahrzeugen §7 Abs1

 

Spruch:

Der Inhaber einer Reparaturunternehmung haftet als Halter für alle ihm zur Reparatur übergebenen Kraftfahrzeuge bei Probefahrten bis zur Überstellung an den Besteller.

Er haftet daher auch im Rahmen des Art. IV EVzKraftfVerkG. zusammen mit seinem Gehilfen für den von diesem als Lenker verursachten Autounfall, bei welchem der Eigentümer des Wagens als Mitfahrer verletzt wurde.

Entscheidung vom 18. April 1956, 2 Ob 193/56.

I. Instanz: Kreisgericht Ried im Innkreis; II. Instanz:

Oberlandesgericht Linz.

Text

Nach den nicht bekämpften Feststellungen des Erstgerichtes übergab der Kläger seinen fast neuen Personenwagen an den Zweitbeklagten - dieser betreibt eine Autoreparaturwerkstätte - zur Durchführung des ersten Kundendienstes, wozu die Überprüfung des Wagens, die Vornahme des Ölwechsels, die erforderlichen Schmierungen, die Reifenkontrolle und eine Probefahrt gehörten. Als der Kläger kam, um den Wagen abzuholen, erklärte ihm der Erstbeklagte - dieser ist Mechanikergehilfe in den Diensten des Zweitbeklagten -, daß nur noch die Probefahrt zu machen sei. Der Kläger nahm an dieser Probefahrt teil, wobei der Wagen vom Erstbeklagten gelenkt wurde. Bei dieser Fahrt ereignete sich ein Verkehrsunfall, bei dem der Kläger schwer verletzt und der Wagen beschädigt wurde.

Im vorliegenden Rechtsstreite begehrt der Kläger aus dem erwähnten Verkehrsunfall Schadenersatz von beiden Beklagten zur ungeteilten Hand in der Höhe von 19.695 S 60 g s. A., wobei er die Haftung des Zweitbeklagten aus der Vorschrift des Art. IV EVzKraftfVerkG., hilfsweise aus § 1313a bzw. § 1315 ABGB. ableitet.

Das Erstgericht hat mit Zwischenurteil zu Recht erkannt, daß der Schadenersatzanspruch gegenüber beiden Beklagten dem Gründe nach zu Recht bestehe. Hinsichtlich des Erstbeklagten hat das Erstgericht auf dessen strafgerichtliche Verurteilung wegen des Verkehrunfalles verwiesen. Bezüglich des Zweitbeklagten aber hat das Erstgericht ausgeführt, daß dieser dem Kläger gemäß Art. IV EVzKraftfVerkG. zur ungeteilten Hand mit dem Erstbeklagten für alle dem Kläger durch den Unfall erwachsenen Schäden mithafte. Ungeachtet des Umstandes, daß der Kraftwagen im Eigentum des Klägers gestanden sei, sei nämlich der Zweitbeklagte als Halter des Fahrzeuges zur Unfallszeit anzusehen, da dieses Fahrzeug damals beim Zweitbeklagten zur Reparatur und auf einer Probefahrt gewesen sei.

Der Erstbeklagte hat ein Rechtsmittel gegen das erstinstanzliche Zwischenurteil nicht erhoben. Dagegen hat der Zweitbeklagte Berufung erhoben.

Das Berufungsgericht hat der Berufung des Zweitbeklagten keine Folge gegeben. Es hat ausgeführt, daß der Zweitbeklagte durch die Übernahme des Wagens des Klägers zur Reparatur nicht Halter dieses Fahrzeuges geworden sei. Der Inhaber einer Reparaturwerkstätte, der nach Beendigung der Arbeit durch einen seiner Angestellten eine Probefahrt durchführen lasse, könne nicht als Halter angesehen werden. Es sei jedoch die Haftung des Zweitbeklagten im vollen Umfange nach § 1313a ABGB. zu bejahen. Im Rahmen des zwischen dem Kläger und dem Zweitbeklagten abgeschlossenen Werkvertrages sei auch eine Probefahrt vorzunehmen gewesen. Zur Erfüllung dieses Werkvertrages habe sich der Zweitbeklagte des Erstbeklagten als Erfüllungsgehilfen bedient. Gemäß § 1313a ABGB. müsse der Zweitbeklagte dafür einstehen, wenn vom Erfüllungsgehilfen bei der Probefahrt nicht die nach den Umständen gebotene Sorgfalt beobachtet worden sei.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Zweitbeklagten nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Es kann dahingestellt bleiben, ob die Beurteilung des Berufungsgerichtes hinsichtlich der Berechtigung des Klagebegehrens dem Zweitbeklagten gegenüber im vollen Umfange dem Gründe nach zufolge der Vorschrift des § 1313a ABGB. zutrifft, weil dieses Klagebegehren schon nach Art. IV EVzKraftfVerkG. begrundet ist. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichtes ist nämlich mit dem Erstgerichte festzuhalten, daß der Zweitbeklagte im Zeitpunkte des Verkehrsunfalles Halter des Kraftfahrzeuges im Sinne der Bestimmungen des KraftfVerkG. gewesen ist, so daß er für das Verschulden des Erstbeklagten, seines Dienstnehmers, dessen er sich bei der Probefahrt bedient hat, gemäß Art. IV EVzKraftfVerkG. haftet. Im Ergebnis ist also der Entscheidung des Berufungsgerichtes beizupflichten. Im einzelnen ist bezüglich der Haltereigenschaft des Reparaturwerkstätteninhabers, zu dessen Obliegenheiten auch die Vornahme einer Probefahrt nach Durchführung der Instandsetzungsarbeiten gehört, zu bemerken:

Der Begriff des Halters im Sinne des KraftfVerkG. deckt sich mit dem Begriff des Betriebsunternehmers des früheren österreichischen Rechtes (§ 1 Abs. 2 des Gesetzes vom 9. August 1908, RGBl. Nr. 162, über die Haftung für Schäden aus dem Betriebe von Kraftfahrzeugen). Nun hat die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes unter der Geltung dieses Gesetzes ständig daran festgehalten (vgl. z. B. GlUNF. 7230 sowie SZ. VII 18), daß der Mechaniker, dem das Kraftfahrzeug zur Reparatur übergeben worden ist, für einen auf der Probefahrt verursachten Unfall hafte. Der Oberste Gerichtshof ist dabei davon ausgegangen, daß das Kraftfahrzeug bis zur Beendigung der Reparatur in die freie Disposition des Reparateurs gelange, der infolgedessen auch alles, was er in seinem Interesse mit dem Kraftfahrzeug unternehme, auf eigene Rechnung und Gefahr tue. Insbesondere aber gelte dies von einer Probefahrt, welche notwendig sei, um sich von der tadellosen Herstellung der Reparatur und dem Funktionieren des Kraftfahrzeuges zu überzeugen. Der wirtschaftliche Vorteil des Mechanikers bestehe in dem Lohne für die Herstellung der Reparatur, so daß der Mechaniker auch unter diesem Gesichtspunkte als Betriebsunternehmer anzusehen sei. Wegen der bereits oben erwähnten Übereinstimmung der Begriffe des Betriebsunternehmers (im früheren österreichischen Rechte) und des Kraftfahrzeughalters (im Sinne des KraftfVerkG.) ist daran festzuhalten, daß der Inhaber einer Reparaturunternehmung für alle ihm zur Reparatur übergebenen Kraftfahrzeuge bei Probefahrten bis zur Rückstellung an den Besteller als Fahrzeughalter haftet. Diese Auffassung entspricht dem österreichischen Schrifttum (vgl. Bartsch, Kraftfahrrecht, 4. Aufl. S. 18 f., sowie Wedl bei der Besprechung der Entscheidung des Obersten Gerichtshofes SZ. XXV 208 in den JBl. 1955 S. 188 f.). Der Oberste Gerichtshof ist von seiner früheren Rechtsprechung zu dieser Frage niemals abgegangen. Insbesondere kann aus der Entscheidung JBl. 195O S. 482 eine gegenteilige Ansicht nicht abgeleitet werden, weil in dieser Entscheidung ausdrücklich erwähnt ist - die Entscheidung ist in den JBl. nicht vollständig wiedergegeben -, daß die Frage offen bleibe, ob der Besteller der Reparatur während der Probefahrt des Werkstätteninhabers bzw. seiner Leute Halter des Kraftfahrzeugs sei oder nicht. Diese Entscheidung ging von der fortdauernden Haltereigenschaft des Bestellers der Reparatur ohne Prüfung dieser Frage aus, weil dies dem Prozeßvorbringen der Parteien entsprach. Auch in SZ. XXV 208 hat der Oberste Gerichtshof die vorliegendenfalls zur Erörterung stehende Frage offen gelassen; damals war nämlich nur die Frage der Haftung des Werkstätteninhabers bei einer nicht als Instandsetzungsfahrt anzusehenden Fahrt zur Entscheidung gestanden. Wenn das Berufungsgericht für seine mit der Ansicht des Erstgerichtes im Widerspruch stehende Auffassung zu diesem Punkte auf die reichsrechtliche Lehre und Rechtsprechung verweist, dann ist es zwar richtig, daß nach der einheitlichen reichsrechtlichen Lehre und Judikatur der Werkstätteninhaber, der im Rahmen des Werkvertrages eine Probefahrt mit dem Kraftfahrzeug vornimmt oder vornehmen läßt, nicht als Fahrzeughalter angesehen wird (vgl. Müller, Straßenverkehrsrecht, 18. Aufl. S. 210; Geigel,

Der Haftpflichtprozeß, 7. Aufl. S. 227 ff.; Floegel - Hartung, Straßenverkehrsrecht S. 779; Becker, Kraftverkehrs-Haftpflichtschäden 4. Aufl. S. 2O; Wussow, Das Unfall-Haftpflichtrecht, 5. Aufl. S. 185; bezüglich der Rechtsprechung des Reichsgerichtes zu dieser Frage ist z. B. auf die Entscheidungen RGZ. 91, 269 sowie RGZ. 150, 134 zu verweisen). Die Argumente für diese reichsrechtliche Lehre und Rechtsprechung sind aber nicht derart, daß von der bisherigen österreichischen Lehre und Rechtsprechung abgegangen werden müßte. In der zur Erörterung stehenden Frage sind die österreichische Praxis und Lehre einerseits und die reichsdeutsche Judikatur und Literatur andererseits auf der Grundlage von im wesentlichen gleichlautenden Bestimmungen seit Jahrzehnten verschiedene Wege gegangen. Ein Abweichen von der bisherigen österreichischen Praxis wäre um so weniger zu vertreten, als auch die gesetzlichen Bestimmungen für die in Österreich zwingend vorgeschriebene Haftpflichtversicherung für Kraftfahrzeuge an die bisherige Praxis in dieser Frage anknüpfen. In dieser Hinsicht ist auf die Vorschriften des § 53 Abs. 1 und des § 46 des KfG. 1955 (BGBl. Nr. 223) sowie auf die dadurch außer Kraft gesetzten, inhaltlich im wesentlichen gleichen, Bestimmungen der KfV. 1937 bzw. 1947 zu verweisen (vgl. auch die instruktiven Ausführungen hinsichtlich der Probefahrtkennzeichen in den erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage zum KfG. 1955, Nr. 470 der Beilagen zu den stenographischen Protokollen des Nationalrates, VII. GP. S. 41 f.).

Aus diesen Erwägungen kommt das Revisionsgericht in Übereinstimmung mit der bisherigen ständigen österreichischen Praxis zu dem Ergebnis, daß der Zweitbeklagte als Inhaber der Reparaturunternehmung bei der streitgegenständlichen Probefahrt, die er durch den Erstbeklagten vornehmen ließ, Kraftfahrzeughalter gewesen ist, so daß er dem Kläger für den ihm durch den Verkehrsunfall entstandenen Schaden zur ungeteilten Hand mit dem Erstbeklagten in vollem Umfang nach Art. IV EVzKraftfVerkG. haftet, wie dies das Erstgericht dargelegt hat. Es ist rechtlich ohne Belang, daß der vom Zweitbeklagten übernommene Kundendienst vorliegendenfalls in kurzer Zeit beendet sein sollte, und die Haftung des Zweitbeklagten nach der bezogenen Vorschrift wird auch dadurch nicht ausgeschlossen, daß der Kläger als Fahrzeugeigentümer bei der Probefahrt mitgefahren ist, zumal der Zweitbeklagte im maßgeblichen erstinstanzlichen Verfahren nicht einmal vorgebracht hat, daß der Erstbeklagte als Fahrzeuglenker bei der Probefahrt Weisungen des Klägers erhalten hätte und diesen gefolgt wäre.

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