OGH 2Ob693/55

OGH2Ob693/5514.12.1955

SZ 28/262

Normen

Außerstreitgesetz §9
Außerstreitgesetz §9

 

Spruch:

Im Außerstreitverfahren können auch prozeßleitende Verfügungen angefochten werden.

Entscheidung vom 14. Dezember 1955, 2 Ob 693/55.

I. Instanz: Bezirksgericht Innere Stadt Wien; II. Instanz:

Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien.

Text

Das städtische Bezirksjugendamt hat als Vormund der mj. Hermine L. vom außerehelichen Vater Otto B. die Erhöhung der Unterhaltsleistung ab 1. März 1955 verlangt. Otto B. hat sich in seiner Äußerung außerstande erklärt, den erhöhten Betrag zu leisten. Aufgefordert, die Einkommensteuererklärung bzw. die Veranlagung durch das zuständige Finanzamt für das Jahr 1954 vorzulegen, hat er mit Eingabe vom 14. September 1955 die Bilanz für das Jahr 1954 vorgelegt. Mit Beschluß vom 19. September 1955 bestellte das Vormundschaftsgericht den Dr. Walter K. zum Sachverständigen, beauftragte ihn, die vorgelegte Bilanz zu überprüfen, und wies den außerehelichen Vater an, dem Sachverständigen zum Zwecke der Überprüfung in seine Geschäftsbücher Einsicht zu gewähren.

Den gegen diesen Beschluß gerichteten Rekurs des außerehelichen Vaters hat das Rekursgericht als unzulässig zurückgewiesen. Es begrundete seine Entscheidung damit, daß es sich im Gegenstande nur um eine das Verfahren leitende Verfügung handle, mit der in die Rechte des außerehelichen Vaters nicht eingegriffen werde. Sie könne durch ein Rechtsmittel nicht angefochten werden.

Der Oberste Gerichtshof bestätigte den rekursgerichtlichen Beschluß mit der Maßgabe, daß der Rekurs gegen den erstgerichtlichen Beschluß nicht zurückgewiesen, sondern abgewiesen wurde.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Was die Frage der Anfechtbarkeit der erstgerichtlichen Entscheidung anlangt, vermag der Oberste Gerichtshof der Rechtsansicht der Rekursinstanz nicht zu folgen. Es ist im Schrifttum und in der Rechtsprechung zu dieser Frage nicht einheitlich Stellung genommen. Schuster sagt in seinem Kommentar zum Gesetz über das Verfahren außer Streitsachen, 4. Aufl. S. 19, daß der Eingang des § 2 AußStrG. dem Richter drei Grundsätze hinstelle, die er sich bei Vornahme einer Rechtsangelegenheit außer Streitsachen vorzuhalten habe: die Verhandlungen und Verfügungen müßten im allgemeinen in Bezug auf Inhalt und Form die durch die Gesetze bestimmten Erfordernisse an sich haben. Als Quellen erscheinen das ABGB., die Gerichtsordnung, die Jurisdiktionsnorm, das Gesetz über die innere Einrichtung und Geschäftsordnung der Gerichte ... Er fügt dann in Bezug auf die damals (vor 1895) geltende Gerichtsordnung bei: "Was die Gerichtsordnung betrifft, so werden ihre Bestimmungen namentlich hinsichtlich des Beweises entsprechend im Auge zu behalten sein." Er läßt hiebei ebenso wie später Rintelen, Grundriß des Verfahrens außer Streitsachen, S. 29, ungeklärt, ob sich die Anwendung der Grundsätze der Gerichtsordnung bzw. dann der Zivilprozeßordnung auch auf die Bestimmungen dieser Verfahrensordnung beziehen kann, die eine Beschränkung der Anfechtbarkeit prozeßleitender Verfügungen statuieren; auch Rintelen sagt a. a. O. S. 29 nur ganz allgemein, daß für den Beweis durch Sachverständige und den Augenschein im Rechtsfürsorgeverfahren, soweit keine Spezialnormen bestehen oder sich Sonderheiten aus der besonderen Natur des Verfahrens ergeben, die Grundsätze der Zivilprozeßordnung zur Anwendung kämen, nicht aber daß die in den Prozeßgesetzen statuierten Anfechtungsbeschränkungen auch im Verfahren außer Streitsachen Anwendung zu finden hätten. Er bemerkt aber immerhin a. a. O. S. 34, daß die Tendenz des Gesetzes, die Anfechtungsmöglichkeit hinsichtlich der im Rechtsfürsorgeverfahren erlassenen Beschlüsse zu erweitern, bestehe und ihren Ausdruck in der Bestimmung über die Legitimation zur Ergreifung von Rechtsmitteln (§ 9 AußStrG.) finde.

Sander, Verfahren außer Streitsachen, S. 104, meint, daß das Rechtsmittelsystem im außerstreitigen Verfahren vom Grundsatze der Zweckmäßigkeit und von der Offizialmaxime beherrscht werde. Es kann daraus geschlossen werden, daß auch er anerkennt, daß das Verfahren außer Streitsachen von der Tendenz erweiterter Anfechtungsmöglichkeit beherrscht wird.

Nur Ott, Rechtsfürsorgeverfahren, S. 236 u. 237, anerkennt bedingungslos, daß in gleicher Weise wie gegen beschwerende Enderledigungen auch gegen die das Verfahren leitenden Beschlüsse der ersten Instanz im Rekurswege Abhilfe angestrebt werden könne, und nennt dies eine Besonderheit bei der Gestaltung des Beschwerderechtes im Rechtsfürsorgeverfahren.

Die Rechtsprechung hatte sich häufig mit der Frage zu beschäftigen, ob gegen die Anordnung von Schätzungen oder neuerlichen Schätzungen im Abhandlungsverfahren Rekurs erhoben werden kann. Während GlUNF. 1343, 5377 und 6936 die Frage nach der Zulässigkeit eines dagegen gerichteten Rekurses unbeantwortet lassen und nur sachlich zu den Entscheidungen des Rekursgerichtes Stellung nehmen, hat erstmals ZBl. 1930 Nr. 315 = NotZtg. 1931 S. 17, in der Folge auch JBl. 1954 S. 45, in der letzten Zeit 1 Ob 25/55, 3 Ob 151/55 und 2 Ob 379/55, den Rekurs gegen derartige Beschlüsse für unzulässig erklärt und, wie 1 Ob 25/55 und 3 Ob 151/55, die Sachentscheidung des Rekursgerichtes unter Hinweis auf die eingetretene Rechtskraft des erstgerichtlichen Beschlusses als nichtig aufgehoben und den Rekurs gegen den erstgerichtlichen Beschluß als unzulässig zurückgewiesen. In diesen Fällen konnte sich aber die Rechtsprechung auf § 272 AußStrG. und die dort erfolgte Verweisung auf die Vorschriften der Prozeßordnung, d. i. der Exekutionsordnung, der Realschätzungsordnung und der Zivilprozeßordnung, und auf die in den §§ 291, 515 ZPO. normierte Unanfechtbarkeit derartiger Beschlüsse berufen.

In Fällen anderer Art ist die Zulässigkeit von Rekursen gegen Verfügungen rein prozeßleitender Natur niemals bezweifelt worden. So ist in GlUNF. 4554 vom Obersten Gerichtshof zur Frage des Zeugniszwanges und der Anwendbarkeit der Bestimmungen der Zivilprozeßordnung auf die im außerstreitigen Verfahren (Kuratelsache) zu vernehmenden Auskunftspersonen, in GlUNF. 4516 zur Frage der Geltung des Prinzips der freien Beweiswürdigung in der Rechtsmittelinstanz, in GlUNF. 4994 zur Frage, ob der angebliche Anwalt des außerehelichen Vaters zur Namhaftmachung desselben verhalten werden könne, Stellung genommen worden, doch wurde in keinem Falle die erhobene Beschwerde als unzulässig erachtet und deshalb zurückgewiesen.

Der Oberste Gerichtshof hält bei dieser Lage der Dinge dafür, daß im Verfahren außer Streitsachen die Anfechtungsmöglichkeit von Beschlüssen nur dort genommen sein soll, wo dies durch ausdrückliche Bestimmung der Gesetze oder durch den Hinweis auf die im konkreten Falle anzuwendenden Prozeßgesetze geboten erscheint, daß aber im allgemeinen das Beschwerderecht gegen Verfügungen prozeßleitender Natur nicht eingeschränkt werden sollte und auch nicht eingeschränkt wurde.

Aus dem Gesagten folgt, daß das Rekursgericht den Rekurs gegen die erstgerichtliche Verfügung nicht hätte zurückweisen, sondern sachlich erledigen sollen.

Die sachliche Erledigung des Rekurses muß zur Abweisung desselben führen. Es gehört gemäß § 2 Z. 5 AußStrG. in den Aufgabenbereich des Vormundschaftsgerichtes, die ihm von den Parteien vorgelegten Entscheidungsgrundlagen auf ihre Richtigkeit zu prüfen. Es kann sich hiezu eines Gehilfen in der Person eines Sachverständigen bedienen. Daß dies mit Kosten verbunden ist, ist eine unvermeidliche Folge. Für diese Kosten hat in der Regel aufzukommen, wer ein Beweismittel vorlegt, das ohne nähere Prüfung nicht als verläßliche Entscheidungsgrundlage erkannt werden kann. Ein solches Beweismittel stellt die von einem - wenn auch beeideten - Buchprüfer aufgestellte Bilanz dar, weil sie die Bilanzierungsunterlagen ebenso im Dunkeln läßt wie die angewandte Bilanzierungsmethode. Daß das Erstgericht die Überprüfung durch einen Sachverständigen anordnete, ist daher sachlich durchaus begrundet. Dem Rekurse des außerehelichen Vaters kommt demnach keine Berechtigung zu.

Im Einklang mit der herrschenden Rechtsprechung (SZ. XXIII 87 und 390, aber auch 1 Ob 904/52 und 1 Ob 742/53) hat der Oberste Gerichtshof an Stelle der rekursgerichtlichen Formalentscheidung seine mit der Rekursentscheidung übereinstimmende Sachentscheidung gesetzt. Dem Rekurse des außerehelichen Vaters mußte der Erfolg versagt bleiben. Es war nur eine Richtigstellung dahin vorzunehmen, daß der Rekurs gegen den erstgerichtlichen Beschluß nicht zurückgewiesen, sondern abgewiesen wird.

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