OGH 2Ob566/55

OGH2Ob566/5526.10.1955

SZ 28/232

Normen

ABGB §934
ABGB §1323
ABGB §934
ABGB §1323

 

Spruch:

Zulässigkeit der Anfechtung wegen laesio enormis, auch wenn eine Wiederherstellung des vorigen Standes in natura nicht möglich ist.

Entscheidung vom 26. Oktober 1955, 2 Ob 566/55.

I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien; II. Instanz:

Oberlandesgericht Wien.

Text

Mit der vorliegenden Klage begehrt der Kläger unter Berufung auf § 934 ABGB. die Aufhebung des mit der beklagten Partei am 16. August 1950 abgeschlossenen Pachtvertrages, mit welchem er die ihm eigentümlichen Liegenschaften EZ. 2206, 619, 2316 und 1350, sämtliche Katastralgemeinde D., samt Haus Nr. 90 verpachtet hat, in eventu bei Aufrechterhaltung des Pachtvertrages die Verurteilung des Beklagten zur Leistung eines jährlichen Pachtschillings von 4000 S ab 1. Jänner 1954.

Der Beklagte wendete dagegen ein, daß der jährliche Pachtzins von 1000 S, zu dem überdies die vom Pächter zu leistenden Steuern und Abgaben, die jährlich rund 560 S betrügen, kämen, im Hinblick auf den schlechten Zustand des verpachteten Wohn- und Wirtschaftsgebäudes und die schlechte Bonität der vertragsgegenständlichen Grundstücke angemessen gewesen sei.

Das Erstgericht gelangte zur Abweisung des Klagebegehrens, wobei es von der Feststellung ausging, daß der Kläger mit Vertrag vom 16. August 1950, der in Ansehung des damals wegen Geisteskrankheit voll entmundigten Klägers mit Beschluß des Bezirksgerichtes J. vom 11. September 1952 pflegschaftsbehördlich genehmigt wurde, die ihm eigentümlichen vorgenannten Liegenschaften mit dem in diesem Vertrag angeführten Inventar für die Zeit vom 1. Jänner 1950 bis 1. Jänner 1958, somit für acht Jahre, gegen einen jährlichen Pachtzins von 1000 S zuzüglich der vom Pächter zu entrichtenden Liegenschaftssteuern verpachtet habe. Obgleich dem Gericht der vom Sachverständigen als angemessen bezeichnete Pachtzins von jährlich rund 4000 S im Hinblick auf die Größe der Wirtschaft und die im Jahre 1950 bestehenden Wert- und Preisverhältnisse zu hoch erscheine, erübrige sich dennoch, die von der beklagten Partei zum Beweis ihrer Behauptung über die Angemessenheit des seinerzeit vereinbarten Pachtzinses angebotenen Beweise aufzunehmen und auf die Frage der Angemessenheit des Pachtzinses überhaupt einzugehen, weil dies für den gegenständlichen Rechtsstreit nicht von entscheidender Bedeutung sei. Nach der Rechtslehre und der oberstgerichtlichen Judikatur finde nämlich das Rechtsmittel wegen Verletzung über die Hälfte dann nicht statt, wenn die empfangene und zurückzugewährende Leistung in einer bereits vollendeten Handlung oder Unterlassung bestehe, inbesondere aber nach der Art der Leistung die Herstellung des früheren Zustandes unmöglich sei, so beispielsweise bei Dienstleistungen, sobald mit dem Dienste, bei Gebrauchsüberlassung, sobald mit dem Gebrauch begonnen wurde. Im vorliegenden Fall habe der Beklagte die in Bestand gegebene Landwirtschaft schon mehrere Jahre in Benützung; er habe überdies, wie aus dem Befund und Gutachten des Sachverständigen und aus dem Akt P 343/49 des Bezirksgerichtes J. hervorgehe und auch unbestritten sei, auf die Bestandsache verschiedene Aufwendungen gemacht, so u. a. die Beschädigung des Wirtschaftsgebäudes, wenn auch nur notdürftig, behoben. Weil nach all dem die von dem Beklagten empfangene und zurückzugewährende Leistung in der Form der von ihm gezogenen Nutzung in natura nicht zurückgestellt werden könne, u. a. weil auch die Rückstellung seiner Aufwendungen in natura nicht möglich sei, könne der Kläger von dem Rechtsmittel wegen Verletzung über die Hälfte keinen Gebrauch mehr machen. Der gegenteiligen Meinung Gschnitzers in Klang 1. Aufl. II/2 S. 587 ff. zu § 934 ABGB., wonach im Falle der Unmöglichkeit der Wiederherstellung des vorherigen Zustandes ebenso wie bei der Wandlung Ersatz in Geld zulässig sei und auch in den angeführten Fällen der bezogenen Nutzung das Rechtsmittel wegen Verletzung über die Hälfte zu einer Erhöhung des Entgeltes für die Vergangenheit und zur Aufhebung des Vertrages für die Zukunft führe, könne nicht beigepflichtet werden. Darüber hinaus komme aber auch der von der beklagten Partei erhobenen Einrede der Verjährung Berechtigung zu. Der Pachtvertrag sei im Jahre 1950 zwischen dem damals voll entmundigten Kläger und dem Beklagten abgeschlossen worden. Da gemäß § 1487 ABGB. der Anspruch wegen Verletzung über die Hälfte innerhalb von drei Jahren verjähre, diese Frist vom Abschluß des Vertrages an laufe und entgegen der Ansicht der klagenden Partei eine Hemmung der Verjährungszeit nicht eingetreten sei, weil der Hemmungsgrund nach § 1494 ABGB. bzw. § 6 EntmO. voraussetze, daß für die Person, welche wegen Geisteskrankheit oder Geistesschwäche voll oder ganz entmundigt wurde, ein gesetzlicher Vertreter nicht bestellt sei, was jedoch hier nicht zutreffe, sei die dreijährige Frist des § 1487 ABGB. längst abgelaufen.

Der dagegen erhobenen Berufung wurde nicht Folge gegeben, wobei das Berufungsgericht schon deswegen zur Bestätigung des Ersturteiles gelangte, weil es hinsichtlich der Frage der Verjährung den Rechtsstandpunkt des Erstgerichtes teilte. Es führte hiezu in rechtlicher Hinsicht aus:

Der Kläger begehre in seiner Klage die Aufhebung, des am 16. August 1950 abgeschlossenen Pachtvertrages; er verneine also damit die Voraussetzungen für das gültige Zustandekommen dieses Vertrages, und es müßten demnach auch nach seinem eigenen Standpunkt die Auswirkungen der von ihm begehrten Vertragsaufhebung auf diesen Zeitpunkt zurückbezogen werden. Von diesem Zeitpunkt beginne daher die im § 1487 ABGB. festgesetzte dreijährige Frist zur Geltendmachung des Rechtsmittels wegen Verletzung über die Hälfte zu laufen. Von dieser Erwägung ausgehend, gehe es keineswegs an, die Dauer des Pachtvertrages entsprechend den jeweiligen Pachtzinsjahresfälligkeiten bloß auf ein Jahr abzustellen und die dreijährige Frist vom jeweiligen Jahresende zu berechnen. Für diese Annahme der Berufung fehlten demnach die rechtlichen Voraussetzungen; das Erstgericht habe mit Recht den Beginn der dreijährigen Frist des § 1487 ABGB. auf den Zeitpunkt des Abschlusses des Vertrages zurückbezogen und daher die Tatsache des vollen Fristenablaufes als das Klagebegehren ausschließend qualifiziert.

Unter diesen rechtlichen Voraussetzungen der Klagsabweisung könne die in der Berufung weiter aufgeworfene, in der Rechtslehre und Rechtsprechung nicht einheitlich beantwortete Rechtsfrage, ob das Rechtsmittel wegen Verletzung über die Hälfte auch dann geltend gemacht werden könne, wenn die Herstellung des vorigen Zustandes, die im gegenständlichen Fall gar nicht begehrt werde, unmöglich sei und die vom Beklagten empfangenen und zurückzugewährenden Leistungen nicht in natura zurückgestellt werden könnten, dahingestellt bleiben.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der klagenden Partei Folge, hob die Urteile der Untergerichte auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Rechtsirrig ist die Auffassung der Untergerichte, daß der vom Beklagten erhobenen Einrede der Verjährung Berechtigung zukomme. Wenngleich die dreijährige Verjährung des Anfechtungsrechtes nach § 934 ABGB. mit Vertragsabschluß zu laufen beginnt und es demnach keineswegs angängig wäre, den Lauf der Verjährungsfrist auf die jeweiligen Jahresfälligkeiten des Pachtzinses abzustellen, ist doch im vorliegenden Fall Verjährung schon deswegen nicht eingetreten, weil der gegenständliche Pachtvertrag erst mit Beschluß des Bezirksgerichtes J. vom 11. September 1952 pflegschaftsbehördlich genehmigt wurde und ein Vertrag, der der gerichtlichen Genehmigung bedarf (§§ 233 ABGB., 5 EntmO.), erst mit dieser Rechtswirksamkeit erlangt (GlUNF. 5564).

Es kann aber auch der Rechtsauffassung des Erstgerichtes, daß im vorliegenden Fall der Kläger von dem Rechtsmittel des § 934 ABGB. Wegen Unmöglichkeit der Wiederherstellung des vorigen Standes nicht Gebrauch machen könne, nicht gefolgt werden.

Die Judikatur des Obersten Gerichtshofes ist in der Frage, ob das Rechtsmittel der Anfechtung wegen laesio enormis auch dann zuzulassen, ist, wenn eine Wiederherstellung des vorigen Standes in natura nicht möglich ist, nicht einheitlich (vgl. SZ. XXIV 340 einerseits (verneinend) und ZBl. 1931 Nr. 196, SZ. XVII 134 und RiZ. 1937 S. 336 andererseits (bejahend)). Die letztgeführte Auffassung wird bereits in den Materialien (Ofner II S. 297) vertreten, und daran hält der Oberste Gerichtshof auch diesmal fest. Der Verkürzte kann, wie bereits in SZ. XVII 134 ausgeführt worden ist, wie bei der Wandlung auch bei Geltendmachung der laesio enormis Schadloshaltung verlangen, und zwar in erster Linie Zurückversetzung in den vorigen Stand, "und wenn dies nicht tunlich ist", Vergütung des Schätzwertes (§ 1323 ABGB.). Die Herstellung in den vorigen Stand besteht bei Pachtverträgen, wie SZ. XVII 134 dargelegt hat, darin, daß der Pächter das Pachtgut und die Früchte zurückstellt und der Verpächter den empfangenen Pachtzins zurückzahlt sowie auch die auf die Nutzung der Früchte verwendete Arbeit ersetzt. Wenn die Zurückstellung der Früchte in natura nicht mehr möglich ist, so darf deshalb dem Verkürzten das Recht auf Schadloshaltung nicht genommen werden. Vielmehr hat die Rückstellung so zu erfolgen, daß kein Teil aus dem Schaden des anderen Gewinn zieht (§§ 1323, 921, 1447 ABGB.). Bei Unmöglichkeit der Wiederherstellung des vorigen Standes wird daher zufolge des dem Verkürzten zustehenden Rechtes auf Schadloshaltung dem Verletzer nicht wie im Normalfall die Wahl freigestellt, ob er statt Aufhebung des Vertrages Leistung und Gegenleistung ausgleichen will, sondern er wird zum Ausgleich gezwungen. Ist demnach das Pachtentgelt, wie im vorliegenden Fall behauptet wird, zu gering, so wird vom Beklagten lediglich die Differenz zwischen dem Schätzwert der bezogenen Früchte und dem bezahlten Pachtzins abzüglich des Wertes der auf die Nutzung der Früchte verwendeten Arbeit sowie etwaiger auf die Bestandsache getätigter Aufwendungen zu ersetzen sein. Der Ausgleich zwischen Leistung und Gegenleistung würde dann gegebenenfalls zu einer Erhöhung des Entgeltes für die Vergangenheit und zur Aufhebung des Vertrages für die Zukunft führen. Dem auf Aufhebung des Pachtvertrages gerichteten Klagebegehren steht daher die Unmöglichkeit der Wiederherstellung des vorigen Standes nicht entgegen.

Dennoch vermag der Oberste Gerichtshof nicht in der Sache selbst zu entscheiden, da das Erstgericht, von seiner abweich den rechtlichen Beurteilung ausgehend, eine präzise Feststellung darüber unterlassen hat, welcher Betrag zur Zeit des Vertragsabschlusses als jährlicher Pachtzins tatsächlich angemessen war. Die Ausführung des Erstgerichtes, daß "der vom Sachverständigen als angemessen bezeichnete Pachtzins von jährlich rund 4000 S" im Hinblick auf die Größe der Wirtschaft und die im Jahre 1950 bestehenden Preisverhältnisse zu hoch erscheine, reicht zu einer verläßlichen Beurteilung, ob die vom Kläger behauptete Verletzung über die Hälfte des wahren Wertes vorliegt oder nicht, keinesfalls hin, sodaß das Verfahren insoweit mit einem Feststellungsmangel behaftet ist. Es war daher mit der Aufhebung der Urteile der beiden Untergerichte vorzugehen (§ 510 Abs. 1 ZPO.).

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