OGH 1Ob496/55

OGH1Ob496/5524.8.1955

SZ 28/186

Normen

AHG §1
AHG §1

 

Spruch:

Kein Amtshaftungsfall, wenn die Polizei einen Ätherschnupfer festnimmt und an die psychiatrische Klinik überstellt.

Entscheidung vom 24. August 1955, 1 Ob 496/55.

I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien; II. Instanz:

Oberlandesgericht Wien.

Text

Der Kläger macht gegen die Republik Österreich seinen Schadenersatzanspruch nach dem Amtshaftungsgesetz in der Höhe von 44.000 S mit der Begründung geltend, daß er am 16. Oktober 1951 auf der Straße von einem Polizeibeamten ohne jeden Anlaß verhaftet, dann auf der Polizei festgehalten und schließlich an die psychiatrische Klinik überstellt worden sei, von wo er in die Heilanstalt "Am Steinhof" gekommen sei. Dadurch, daß er dort erst am 30. November 1951 entlassen worden sei, habe er zur mündlichen Streitverhandlung vom 5. November 1951 in der sein Geschäftslokal betreffenden Kündigungssache nicht zu Gericht gehen und auch seinen Rechtsvertreter nicht beauftragen können, den rückständigen Mietzins bei dieser Verhandlung zu bezahlen. So sei es gekommen, daß die auf den Kündigungsgrund der Nichtzahlung des Mietzinses gestützte Aufkündigung für wirksam erklärt worden sei und er das Lokal verloren habe. Der bisherige Einkommensentgang mache 44.000 S aus.

Das Erstgericht wies die Klage ab. Die Handlungen der Polizei seien für den Erfolg, wie ihn der Kläger behauptet habe, nicht kausal gewesen, denn das Versäumen der Streitverhandlung vom 5. November 1951 sei nicht auf das Verhalten der Polizei, sondern auf selbständige Maßnahmen der psychiatrischen Klinik und der Heilanstalt "Am Steinhof" zurückzuführen, welche die weitere Anhaltung des Klägers für notwendig befunden hätten. Außerdem habe der Kläger nicht behauptet, daß in der Kündigungssache nicht auch der neben dem Kündigungsgrund des § 19 Abs. 2 Z. 1 MietG. geltend gemachte Kündigungsgrund des § 19 Abs. 2 Z. 13 MietG. vorgelegen sei. Auf angeblich schuldhafte Handlungen der Funktionäre der Heilanstalt "Am Steinhof", für die die Beklagte nicht verantwortlich wäre, sei die Klage nicht gestützt worden.

Infolge Berufung des Klägers bestätigte das Berufungsgericht das erstgerichtliche Urteil.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Klägers nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Die Meinung des Revisionswerbers, daß sein angeblicher Schaden durch seine ungerechtfertigte Verhaftung verursacht worden sei, kann nicht gebilligt werden. Die Festnahme und die Überstellung des Klägers auf die Polizei hatten die Folge, daß der Kläger während der wenigen Stunden der Haft an seiner Bewegungsfreiheit gehindert war. Gleichgültig, ob die Verhaftung mit Recht erfolgte oder nicht, hatte sie keinerlei Wirkung auf die Ereignisse nach dem 16. Oktober 1951, insbesondere auch nicht auf das Versäumen der Streitverhandlung vom 5. November 1951 durch den Kläger, denn mit der Überstellung des Klägers an die psychiatrische Klinik war die Haft beendet und die Sachlage nicht anders, als ob der Kläger erst zu diesem Zeitpunkt (also ohne vorherige Haft) zur Untersuchung seines Geisteszustandes in die Klinik gebracht worden wäre.

Die Überstellung des Klägers an die psychiatrische Klinik hatte nach den Feststellungen der Untergerichte ihre Ursache darin, daß der Kläger auf der Straße gestikulierend vor sich hinsprach, an einer Ätherflasche roch und selbst starken Äthergeruch verströmte. Er zeigte sich zwar über Raum, Zeit und Situation orientiert, redete aber verwirrt, als er durch den Polizeiarzt untersucht wurde. Diese Umstände, die Zweifel an der geistigen Gesundheit des Klägers und seiner Harmlosigkeit im Straßenverkehr aufkommen ließen, waren ausreichender Anlaß, den Kläger auch gegen seinen Willen der psychiatrischen Klinik zu übergeben (vgl. § 8 Abs. 7 der Verordnung über das Irrenwesen vom 14. Mai 1874, RGBl. Nr. 71, in der Fassung der Verordnung vom 4. Juli 1878, RGBl. Nr. 87; so auch die Entscheidung des VerfGH. vom 23. März 1955, Slg. 2814). Daß der Kläger in der Tat nicht von vorneherein als geistig gesund anzusehen war, ergibt sich auch daraus, daß die psychiatrische Klinik ihn am 20. Oktober 1951 in die Heilanstalt "Am Steinhof" bringen ließ und diese Anstalt seine Anhaltung durch nahezu eineinhalb Monate für notwendig befand.

Da somit der Kausalzusammenhang zwischen dem angeblichen Schaden des Klägers und seiner Verhaftung fehlt und in seiner Überstellung an die psychiatrische Klinik ein zum Schadenersatz verpflichtendes, schuldhaftes und rechtswidriges Verhalten eines Organs der Beklagten nicht liegt, haben die Untergerichte die Klage mit Recht abgewiesen.

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