Normen
HGB §343
HGB §344
HGB §343
HGB §344
Spruch:
Handelsgeschäft auf Seite des Veräußerers ist auch der Verkauf der Gasthauseinrichtung an den eigenen Kellner.
Entscheidung vom 29. Juni 1955, 2 Ob 358/55.
I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz; II. Instanz:
Oberlandesgericht Graz.
Text
Das Erstgericht hat das auf Zahlung des Betrages von 21.308 S 26 g auf das Steuerkonto der Klägerin beim Finanzamt gerichtete Klagebegehren abgewiesen. Es hat festgestellt, daß die Klägerin der Beklagten am 6. Mai 1953 das gesamte zu ihrem Gasthausbetriebe gehörige, im Inventarverzeichnis angeführte Inventar um den Kaufpreis von 21.308 S 26 g verkauft habe. Die Beklagte habe sich verpflichtet, diesen Kaufpreis durch Abdeckung der Steuerschuld der Klägerin im gleichen Betrage zu entrichten. Die Beklagte sei ihrer Verpflichtung aus dem Vertrage bisher nicht nachgekommen. Der Verkehrswert des verkauften Inventars betrage 8918 S, sei somit kleiner als die Hälfte des vereinbarten Kaufpreises von 21.308 S 26
g. Die Beklagte habe laesio enormis geltend gemacht. Diese sei bei dem festgestellten Sachverhalte gegeben und somit der zwischen den Parteien am 6. Mai 1953 abgeschlossene Kaufvertrag aufgehoben, so daß die Klägerin Ansprüche aus diesem Vertrage nicht mit Erfolg stellen könne.
Der Berufung der Klägerin hat das Berufungsgericht nicht Folge gegeben. Zwar sei der Berufungswerberin beizupflichten, daß sie als Gastwirtin Inhaberin eines Handelsgewerbes im Sinne des § 1 Abs. 2 HGB. sei und daher als Kaufmann anzusehen sei. Die Veräußerung der vorhandenen Gasthauseinrichtung an die verrechnende Kellnerin sei aber nicht als Handelsgeschäft anzusehen, weil es sich dabei nicht um ein Rechtsgeschäft im Betriebe des Handelsgewerbes handle. Wie sich aus der Aufzählung in § 1 Abs. 2 HGB. ergebe, liege das Wesen des Handelsgeschäftes in der Anschaffung und Weiterveräußerung von Gegenständen, wobei die Anschaffung und die Weiterveräußerung im wirtschaftlichen Zusammenhange stehen und dieselben Gegenstände ergreifen müßten. Beide Arten von Geschäften müßten auch gewerbsmäßig betrieben werden und somit das Wesen des Umsatzes ausmachen. Die bloße Abstoßung einer, wenn auch sonst zum Geschäftsbetrieb gehörigen, Einrichtung könne daher nicht als Handelsgeschäft im Betriebe des Handelsgewerbes angesehen werden, weil hier das Kriterium der Anschaffung zum Zwecke der Weiterveräußerung fehle. Es bestehe in dieser Hinsicht auch kein Zweifel, so daß § 344 HGB. nicht anzuwenden sei. Die weiteren Ausführungen des Berufungsgerichtes zum Vorbringen der Klägerin in der Berufungsschrift sind für die Erledigung der Revision im Hinblick darauf, daß darin nur die Ablehnung der Qualifikation des streitgegenständlichen Verkaufes als eines Handelsgeschäftes im Sinne des § 343 HGB. seitens des Berufungsgerichtes bekämpft wird, nicht von Bedeutung.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der klagenden Partei Folge und erkannte die beklagte Partei schuldig, den Betrag von 21.308 S 26 g samt Zinsen an das Finanzamt G. auf das Steuerkonto der Klägerin zu bezahlen.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Das Erstgericht hat sich mit der Frage, ob die Vorschrift des Art. 8 Nr. 6 der 4. EVzHGB., wonach Handelsgeschäfte auf Grund des § 934 ABGB. wegen Verkürzung über die Hälfte nicht angefochten werden können, anzuwenden sei, überhaupt nicht befaßt. Das Berufungsgericht hat zwar die Kaufmannseigenschaft der Klägerin bejaht, die streitgegenständliche Veräußerung der vorhandenen Gasthauseinrichtung seitens der Klägerin an die Beklagte aber nicht als Handelsgeschäft qualifiziert. Die Revisionswerberin rügt unter dem Revisionsgrunde des § 503 Z. 4 ZPO. lediglich diese Beurteilung, und zwar mit Recht. Im einzelnen ergibt sich dazu folgendes:
Zum Betriebe des Handelsgewerbes gehören zunächst alle in diesem Betriebe während seines Bestehens geschlossenen Geschäfte; es ist aber nach einhelliger Lehre und Rechtsprechung zu den §§ 343 f. HGB. (vgl. Baumbach - Duden, Kurz-Kommentar zum HGB., 11. Aufl. S. 569) nicht unbedingt ein Betrieb nötig; Handelsgeschäfte sind vielmehr auch sogenannte vorbereitende Geschäfte und ebenso Abwicklungsgeschäfte. Dementsprechend ist der Verkauf eines Hotelinventars durch das Hotelunternehmen als Handelsgeschäft qualifiziert worden (vgl. Godin im Reichsgerichtsrätekommentar zum HGB., 2. Aufl. III S. 8). Die Veräußerung der vorhandenen Gasthauseinrichtung seitens der Klägerin im Vertrage vom 6. Mai 1953 ist demnach als Handelsgeschäft auf ihrer Seite anzusehen. Dem Vorbringen der Revisionswerberin in dieser Hinsicht, das auf die Feststellungen der Vorinstanzen gegrundet und daher keineswegs als Neuerung zu werten ist (wie die Revisionsgegnerin vermeint), kann die Berechtigung nicht abgesprochen werden. Die vom Berufungsgerichte bezogene Judikatur ist mit Rücksicht auf die Einführung der in Betracht kommenden Bestimmungen des HGB. in Österreich mit 1. März 1939 nicht ohne weiteres auf den vorliegenden Fall anwendbar, wobei übrigens zu bemerken ist, daß Pisko (in Staub - Pisko, Kommentar zum AHGB., 3. Aufl. IV. Buch S. 47) unter dem Geltungsbereich des AHGB. in Österreich die Veräußerung von Gegenständen der Geschäftseinrichtung, die für den Betrieb des Handelsgewerbes entbehrlich oder unbrauchbar geworden sind, unter die akzessorischen Handelsgeschäfte (Art. 273 AHGB.) gerechnet hat.
Ist aber der streitgegenständliche Verkauf der vorhandenen Gasthauseinrichtung seitens der Klägerin als Handelsgeschäft im Sinne des § 343 HGB. zu qualifizieren, dann ist dem Klagebegehren in Abänderung der vorinstanzlichen Entscheidungen ohne weiteres stattzugeben, weil die einzige Einwendung der Beklagten, daß Verkürzung über die Hälfte im Sinne des § 934 ABGB. vorliege, wegfällt. Dabei kann ganz unerörtert bleiben, ob das fragliche Rechtsgeschäft auch für die beklagte Partei Handelsgeschäft gewesen ist, weil gemäß § 345 HGB. auf ein Rechtsgeschäft, das für einen der beiden Teile ein Handelsgeschäft ist, die Vorschriften über Handelsgeschäfte für beide Teile gleichmäßig zur Anwendung kommen, soweit nicht aus diesen Vorschriften sich ein anderes ergibt, was aber bezüglich der maßgeblichen Bestimmung des Art. 8 Nr. 6 der 4. EVzHGB. nicht der Fall ist (vgl. Hämmerle, Grundriß des Handelsrechts, 2. Aufl. S. 194).
Aus diesen Erwägungen war der Revision Folge zu geben.
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