Normen
HGB §375
Vierte Einführungsverordnung zum Handelsgesetzbuch Art8 Nr. 22
HGB §375
Vierte Einführungsverordnung zum Handelsgesetzbuch Art8 Nr. 22
Spruch:
Erfüllung eines Spezifikationskaufvertrages (§ 375 HGB.)
Entscheidung vom 15. Juni 1955, 1 Ob 365/55.
I. Instanz: Bezirksgericht Innere Stadt Wien; II. Instanz:
Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien.
Text
Das Erstgericht verurteilte den Beklagten, dem Kläger den Kaufpreis für einen Herrentrenchcoat in der Höhe von 590 S zu bezahlen. Das restliche Klagebegehren von 33 S 30 g wies das Erstgericht ab. Am 8. November 1952 sei zwischen einer Vertreterin des Klägers als Verkäufers und dem Beklagten als Käufer ein Kaufvertrag über einen Herrentrenchcoat zum Preise von 590 S zustandegekommen. Der Beklagte sollte bei seiner nächsten Anwesenheit in Wien den Mantel der Farbe nach auswählen und den Kaufpreis bei der Übernahme des Mantels bezahlen. Der Beklagte sei mit der Spezifikation in Verzug geraten. Der Kläger sei nicht verpflichtet gewesen, dem Beklagten zur Bestimmung der Farbe des Mantels eine Nachfrist zu setzen. Der Kaufpreis könne vielmehr nach § 918 ABGB. verlangt werden, weil der Beklagte mit seiner Verpflichtung in Rückstand gekommen sei. Der Kläger könne aber nur den bedungenen Kaufpreis von 590 S und nicht mehr verlangen.
Infolge Berufung des Beklagten gegen den stattgebenden Teil des erstgerichtlichen Urteils änderte das Berufungsgericht dieses dahin ab, daß die Klage vollständig abgewiesen wurde. Entgegen der Vorschrift des § 375 HGB. habe der Kläger, obwohl es sich um einen Bestimmungskauf handle, dem Beklagten nicht mitgeteilt, daß er an seiner Stelle die Bestimmung der Farbe des Mantels vornehmen werde. Der Kläger habe auch keine Frist gesetzt, innerhalb welcher der Beklagte die Möglichkeit gehabt hätte, seinerseits die Spezifikation vorzunehmen. Bevor der Kläger diesen Verpflichtungen nicht nachgekommen sei, könne er den Kaufpreis vom Beklagten nicht verlangen. Die Bestimmung des § 918 ABGB. könne auf den Fall, daß der Verkäufer die Bestimmung selbst vornehme (erste Alternative des § 375 HGB.), nicht angewendet werden.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Klägers nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Der Revisionswerber macht dem Berufungsgericht den Vorwurf der Mangelhaftigkeit seines Verfahrens, weil es nicht aus, reichend klargestellt habe, ob die Voraussetzungen des § 375 HGB. vorlägen. Beide Untergerichte hätten dazu jegliche tatsächliche Feststellung unterlassen. Dieser Auffassung kann sich der Oberste Gerichtshof nicht anschließen. Das Erstgericht hat auf Grund der Aussage der Zeugin Maria M. und des als Partei vernommenen Beklagten sowie der vorliegenden Urkunden genaue Feststellungen in der Richtung getroffen, daß sich der Beklagte die Auswahl der Farbe des zu liefernden Mantels vorbehalten und dieses Recht nicht ausgeübt hat. Es wurde auch als erwiesen angenommen, daß der Kläger Ende November 1952 einen von ihm ohne die Mitwirkung des Beklagten ausgewählten Mantel diesem mit Postnachnahme übersendet hat, daß der Mantel aber nicht angenommen worden ist. Aus diesen Feststellungen konnte das Berufungsgericht ohne weiteres auf das Vorliegen eines Spezifikationskaufes schließen, auf den die Bestimmung des § 375 HGB. Anwendung findet. Sache des Klägers wäre es gewesen, bestimmte Behauptungen in der Richtung vorzubringen, daß er dem Beklagten eine Frist gesetzt habe, die Spezifikation seinerseits vorzunehmen, und daß der Beklagte diese Frist fruchtlos habe verstreichen lassen. Die Unterlassung derartigen Vorbringens berechtigt den Kläger nicht, die Mangelhaftigkeit des Verfahrens der Untergerichte zu behaupten.
In rechtlicher Beziehung ist dem Revisionswerber darin Recht zu geben, daß der Beklagte bereits in seinem Schreiben vom 12. Dezember 1952 erklärt hat, das Geschäft stornieren zu wollen. Dadurch war aber der Kläger seiner Verpflichtung, nach § 375 HGB. dem Beklagten eine Frist für die Spezifikation zu setzen, nicht enthoben. Da der Kläger noch immer verpflichtet ist, der Vorschrift des § 375 HGB. nachzukommen, kann er derzeit noch nicht verlangen, daß ihm der Beklagte den Kaufpreis bezahle.
Der Übersendung des Mantels durch den Kläger kommt schon deswegen keine rechtliche Bedeutung gemäß § 375 Abs. 2 HGB. zu, weil sie mit Nachnahme geschah und weil daher der Beklagte ohne Bezahlung des Nachnahmebetrages, zu der er aber nicht verpflichtet war, keine Möglichkeit hatte, von der Spezifikation Kenntnis zu erhalten. Da der Kläger auch während dieses Rechtsstreites seine Obliegenheit nicht erfüllt hat, könnte auch nicht gesagt werden, daß durch die Klage die Frist stillschweigend ins Laufen gekommen und bis zum Schluß der Verhandlung erster Instanz abgelaufen wäre. Die Bestimmungen der §§ 918, 920 und 921 ABGB. sind, wie sich aus der Stilisierung des § 375 Abs. 2 erster Satz HGB. und des Art. 8 Nr. 22 der 4. EVzHGB. deutlich ergibt, auf die hier maßgebende erste Alternative des § 375 HGB. nicht anwendbar.
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