Normen
ABGB §1295 Abs2
ABGB §1305
ABGB §1295 Abs2
ABGB §1305
Spruch:
Zur Frage der Rechtswidrigkeit der Ausübung eines prozessualen Rechtes.
Begriff der schikanösen Rechtsausübung.
Entscheidung vom 8. Juni 1955, 3 Ob 294/55.
I. Instanz: Kreisgericht Leoben; II. Instanz: Oberlandesgericht Graz.
Text
Die klagende Partei begehrt aus dem Titel des Schadenersatzes die Verurteilung der beklagten Partei zur Zahlung eines von ursprünglich 96.500 S auf 88.835 S 68 g samt Nebengebühren eingeschränkten Betrages, und zwar mit Rücksicht auf die zu E 527/53 des Bezirksgerichtes Neulengbach erfolgte Forderungspfändung seitens der Niederösterreichischen Elektrizitätswerke AG. Zahlung eines Betrages von 6031 S 50 g an diese und eines Betrages von 82.804 S 18 g an die Klägerin selbst. Die Beklagte habe einen von Ing. H. namens der Bauunternehmung R. & Co. begebenen Wechsel über 40.000 S, der dem Ing. H. bloß als Deckungsakzept für von ihm der Klägerin verkauftes Holz gegeben worden sei, in Kenntnis des Umstandes, daß mangels Kollektivzeichnung das Akzept des einen Gesellschafters der Klägerin, Dipl.-Kfm. U., für die Klägerin nicht verbindlich war, am 9. September 1952 bei dem Landes- als Handelsgericht Graz eingeklagt und gegen die Klägerin den Wechselzahlungsauftrag vom 10. September 1952, 8 Cg 4/53, sowie auf Grund des mit der Vollstreckbarkeitsklausel vom 19. September 1952 versehenen Wechselzahlungsauftrages am 24. September 1952 zu E 774/512 des Bezirksgerichtes Neulengbach Fahrnisexekution erwirkt und am 22. Oktober 1952 den exekutiven Verkauf eines Personenkraftwagens und von sechs Kubikmeter Pfostenholz durchführen lassen, dies in Kenntnis des Umstandes, daß der Wechselzahlungsauftrag der klagenden Partei nicht ordnungsgemäß zugestellt worden und infolgedessen von der klagenden Partei am 3. Oktober 1952 ein Antrag gemäß § 7 EO. auf Aufhebung der Vollstreckbarkeit und auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand eingebracht worden sei. Durch diesen von der beklagten Partei geradezu arglistig herbeigeführten exekutiven Verkauf sei der klagenden Partei einmal ein Schaden in Höhe von 21.500 S dadurch entstanden, daß für den PKW, der einen Verkehrswert von 29.000 S hatte, aus der Versteigerung nur 9000 S und für die Pfosten, deren marktgängiger Wert 4500 S betrug, nur 3000 S erlöst wurden. Ferner habe die Firma Sch., mit der im Oktober 1952 eine Abmachung wegen Durchführung eines Lohnschnittes von 2000 Festmeter Nadelholz getroffen worden sei, den Auftrag nicht erteilt, als sie von dem exekutiven Verkauf des PKWs und eines Quantums Pfosten erfahren habe. Dadurch habe die Klägerin einen Verdienstentgang von 75.000 S erlitten.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren mit der Begründung ab, daß die von Direktor Dr. Gustav W. vertretene beklagte Partei bei der Einklagung des Wechsels durchaus gutgläubig gewesen sei. Ing. H. habe namens der Bauunternehmung R. & Co. deren aus einem Rundholzverkauf vom 17. Mai 1952 resultierende Forderung von 42.664 S 32 g der Beklagten abgetreten, und es habe die Klägerin, vertreten durch den Gesellschafter U., mit Schreiben vom 5. Juni 1952 den Bestand der Forderung ausdrücklich anerkannt und die Zession zur Kenntnis genommen. Als Deckung für die Zessionsschuld der klagenden Partei sei von H. der gegenständliche Wechsel vom 28. Juli 1952 (fällig am 28. August 1952) der Beklagten ins Depot gegeben worden. H. selbst habe in der Folge Auftrag zur Einklagung des Wechsels gegeben. Direktor Dr. W. habe, um die Einklagung vorzubereiten, am 11. August 1952 bei der Gesellschafterin der Klägerin, Therese E., auf die Einlösung dieses Wechsels per 40.000 S gedrängt, wobei ihm allerdings von Therese E. gesagt worden sei, daß sie von der Existenz des Wechsels keine Kenntnis habe, doch sei von einer Ungültigkeit des Wechsels (mangels Kollektivzeichnung) nicht gesprochen worden. Überdies sei dem Direktor Dr. W. die Anerkennung der Zession durch die Klägerin bekannt gewesen. Habe infolgedessen die beklagte Partei den Wechselzahlungsauftrag gutgläubig erwirkt, dann könne von ihr nicht verlangt werden, daß sie von der immerhin einen Teilerfolg versprechenden exekutiven Versteigerung vom 22. Oktober 1952 Abstand nehme. Es wäre vielmehr Sache der klagenden Partei gewesen, rechtzeitig geeignete. Schritte zu unternehmen, um eine Aufschiebung bzw. Einstellung der Exekution zu erreichen. Diese habe aber erst mit dem am 21. Oktober 1952 bei dem Bezirksgericht Neulengbach eingebrachten Schriftsatz einen Aufschiebungsantrag gestellt und es unterlassen, diesem Antrag wenigstens eine mit Eingangsvermerk des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz versehene Abschrift ihrer Eingabe vom 3. Oktober 1952 anzuschließen, weshalb aus eigenem Verschulden der Klägerin der Aufschiebungsantrag abgewiesen wurde.
Schließlich nahm das Erstgericht als erwiesen an, daß nicht die Durchführung der Exekution seitens der beklagten Partei, sondern das Verheimlichen derselben vor der Firma Sch. die letztere veranlaßt habe, von dem projektierten Schnittauftrag über 2000 Festmeter abzukommen.
Das Berufungsgericht bestätigte das Urteil des Erstgerichtes. Es hegte zwar Bedenken gegen die Feststellung des Erstrichters, daß Direktor Dr. W. bei seinem vor Einklagung des Wechsels geführten Telefongespräch mit Therese E. nicht gewußt habe, daß der Wechsel infolge Fehlens der Unterschrift des zweiten Geschäftsführers keine wechselrechtliche Verpflichtung der klagenden Partei nach sich ziehen konnte, doch sei diese Feststellung für die Entscheidung der Streitsache nicht von ausschlaggebender Bedeutung. Das Berufungsgericht ging von der unbekämpft gebliebenen Feststellung des Erstrichters aus, daß Ing. H. namens der Firma R. & Co., deren Gesellschafter er ist, im Sommer 1952 eine Zession über 42.664 S 32 g der beklagten Partei übergeben habe, die auch mit Schreiben vom 5. Juni 1952 der klagenden Partei mitgeteilt und von ihr anerkannt wurde. Es möge dieses Anerkenntnis als solches, weil das Schreiben auch nur mit der Stampiglie der klagenden Partei und der Unterschrift des Andreas U. allein versehen war, rechtlich nicht die Wirkung eines ausdrücklichen Anerkenntnisses dieser Schuld durch die klagende Partei gehabt haben; immerhin sei aber die Fertigung durch den einen Geschäftsführer der Klägerin ein wichtiges Argument dafür, daß die beklagte Partei mit Recht annehmen konnte, es stunde der Firma R. & Co. gegen die klagende Partei die der beklagten Partei abgetretene Forderung tatsächlich zu. Daß die Annahmeerklärung auf dem Schreiben vom 5. Juni 1952 aus Formgrunden ungültig sei, sei ohne Bedeutung, weil die Wirksamkeit einer Zession nicht von der Zustimmung des debitor cessus abhängig sei, sondern rechtliche Wirkungen schon die Verständigung desselben von der erfolgten Zession herbeiführe (§§ 1395 f. ABGB.). Die beklagte Partei durfte daher annehmen, daß die klagende Partei tatsächlich einen Betrag von über 40.000 S der Firma R. & Co. und infolge der Zession nunmehr ihr schuldete, welche Forderung durch den Wechsel gesichert werden sollte, und daß daher jedenfalls eine bürgerlichrechtliche Forderung in der Höhe von mindestens der Wechselsumme gegenüber der klagenden Partei bestand. Sie sei daher jedenfalls im guten Glauben gewesen, daß ihr eine solche Forderung an sich zustehe.
Richtig sei zwar, daß sowohl im Schrifttum wie auch in der Rechtsprechung der Gedanke zum Ausdruck komme, daß es gegen die guten Sitten verstoße, einen Widerstreit zwischen dem formellen Recht und der materiellen Rechtslage auszunützen, den man selbst arglistig geschaffen habe (SZ. XXV 247 u. a.). Selbst wenn die beklagte Partei in Kenntnis des Umstandes, daß der Wechsel für die klagende Partei nicht ordnungsgemäß gefertigt und deshalb für sie keine wechselrechtliche Verpflichtungserklärung entstanden sei, die Klage erhoben habe, habe sie doch nicht arglistig den Wechselzahlungsauftrag geschaffen, weil der klagenden Partei die gesetzlichen Möglichkeiten zur Geltendmachung obiger Umstände und somit zur Beseitigung des Wechselzahlungsauftrages offen gestanden seien. Nicht jeder Kläger, der von dem Bewußtsein der Unrichtigkeit der in der Klage erhobenen Forderung durchdrungen sei, handle bereits deshalb arglistig, weil er Klage erhoben habe. Es müsse vielmehr noch ein weiteres Handeln mit dem Ziele hinzukommen, dem Beklagten die Möglichkeit der ihm nach dem Gesetze zustehenden Verteidigung gegen den erhobenen Anspruch zu verschließen (z. B. Erschleichen eines Versäumungsurteiles). Vorliegendenfalls durfte die beklagte Partei der Auffassung sein, daß die Forderung an sich, wenn auch nicht als Wechselforderung, zu Recht bestehe und sie sich also bei Erwirkung des Wechselzahlungsauftrages mit der materiellen Rechtslage gar nicht in Widerspruch setze. Wegen dieses letzteren Umstandes könne auch der beklagten Partei die Exekutionsführung und die Fortsetzung der Exekution auf Grund des in Rechtskraft erwachsenen Wechselzahlungsauftrages nicht als arglistiges Vorgehen gegenüber der klagenden Partei vorgeworfen werden, auch wenn ihr inzwischen durch den am 4. Oktober 1952 zugestellten Antrag der klagenden Partei auf Nichtigerklärung des Wechselzahlungsauftrages und Aufhebung der Vollstreckbarkeitsbestätigung bekannt geworden war, daß die klagende Partei einen gesetzwidrigen Zustellungsvorgang behaupte. Von der Klägerin sei übrigens auch gar nicht behauptet worden, daß der unrichtige Zustellvorgang der beklagten Partei tatsächlich bekannt war. Wenn aber die beklagte Partei berechtigt war, die materielle Richtigkeit der ihr ohne Widerspruch der klagenden Partei zedierten Forderung anzunehmen, könne ihr das Bestehen auf der Durchführung der Versteigerung nicht zum Vorwurf gemacht werden. Die der beklagten Partei unter diesen Umständen vorgeworfenen Schritte rechtfertigten daher nicht die Anwendung der Bestimmung des § 1295 Abs. 2 ABGB.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der klagenden Partei nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Haltlos ist die Ansicht der Revision, die beklagte Partei habe den Wechselzahlungsauftrag arglistig erschlichen. Arglist in diesem Zusammenhang bedeutet mißbräuchliche Rechtsausübung in Schädigungsabsicht. Von einem Erschleichen des Wechselzahlungsauftrages unter Zuhilfenahme einer von der beklagten Partei gebrauchten List kann im vorliegenden Fall keine Rede sein. Der gegenständliche Wechsel, der der Beklagten durch Indossament übertragen worden ist, weist alle Erfordernisse eines gültigen Wechsels im Sinne des Art. 1 WG. auf. Auch gegen seine Echtheit ergeben sich keine Bedenken. Eben diesen Wechsel hat die beklagte Partei dem Gericht vorgelegt und auf Grund desselben gemäß § 557 ZPO. gegen die Klägerin die Erlassung eines Wechselzahlungsauftrages beantragt. Das Gericht hat auf Grund der ihm vorgelegten Wechselurkunde den Wechselzahlungsauftrag erlassen. Die beklagte Partei war nicht verpflichtet, zu prüfen, ob U., der als Vertreter der Klägerin seine Unterschrift auf den Wechsel gesetzt hatte, auch tatsächlich ermächtigt war, für die Klägerin rechtsverbindlich zu zeichnen. Auch in dem Falle, als ihr bekannt gewesen war, daß die Klägerin durch die Unterschrift des U. allein wechselmäßig nicht verpflichtet werden konnte, hat sich die Beklagte einer Arglist nicht schuldig gemacht, wenn sie trotzdem den Wechsel eingeklagt hat. Denn die Klägerin war durch das Vorgehen der Beklagten in keiner Weise gehindert, die Ungültigkeit ihrer Wechselverpflichtung durch die rechtzeitige Erhebung von Einwendungen zur Geltung zu bringen.
Die Beklagte konnte auch, zumal die Richtigkeit der zedierten Forderung von U. namens der Klägerin anerkannt worden war, damit rechnen, daß dieser auch die besondere Ermächtigung gehabt hat, den Wechsel namens der Klägerin zu fertigen.
Demnach ist festzustellen, daß die Beklagte gutgläubig und in Ausübung eines ihr zustehenden prozessualen Rechtes die Wechselklage gegen die Klägerin eingebracht hat.
Auch das weitere Vorgehen der Beklagten, die auf Grund des rechtskräftigen Wechselzahlungsauftrages gegen die Klägerin Exekutionsschritte eingeleitet und Zwangsversteigerungsakte erwirkt hat, kann nicht als schikanöse Rechtsausübung im Sinne der §§ 1295 Abs. 2 und 1305 ABGB. angesehen werden. Das würde voraussetzen, daß sie ausschließlich zu dem Zwecke geschah, um die Klägerin zu schädigen. Es müßte nach der Lage der gesamten Umstände ein anderer Zweck des Handelns als Schadenszufügung objektiv ausgeschlossen sein. Das ist diesmal aber keineswegs der Fall. Aus den Feststellungen der Untergerichte ergibt sich, daß auf Grund der Zession über 42.664 S 32 g von der beklagten Partei tatsächlich ein Kredit gegeben wurde und daß der von Ing. H. der Beklagten übergebene Wechsel Sicherstellungszwecken diente. Der Beklagten, die - wie in der Revisionsbeantwortung mit Recht hervorgehoben wird - anvertraute Gelder zu verwalten hat, muß daher ein berechtigtes Interesse an der möglichst raschen Hereinbringung der ihr durch rechtskräftigen Wechselzahlungsauftrag zugesprochenen Forderung zugebilligt werden. Damit ist aber bereits einer Anwendung der Bestimmung des § 1295 Abs. 2 ABGB. der Boden entzogen.
Ob der beklagten Partei im Zeitpunkt der Exekutionsführung der fehlerhafte Zustellvorgang bekannt war oder nicht, ist völlig belanglos. Nur wenn die Beklagte an dem unrichtigen Zustellvorgang selbst teilgenommen und somit die Rechtskraft des Wechselzahlungsauftrages rechtswidrig herbeigeführt hätte, läge eine mißbräuchliche und daher unzulässige Rechtsausübung vor. Das ist aber hier nicht der Fall. Die Beklagte durfte sich daher des Wechselzahlungsauftrages, solange die Rechtskraft nicht beseitigt war, als Exekutionstitels nach Maßgabe der Bestimmungen der Exekutionsordnung bedienen und die Hilfe der staatlichen Organe zu seiner Durchsetzung in Anspruch nehmen.
Bei dieser Rechtslage war nicht mehr weiter zu prüfen, ob die klagende Partei mit Rücksicht auf die Pfändung ihrer Forderung durch die Niederösterreichische Elektrizitätswerke AG. nur hätte auf Gerichtserlag klagen können. Es war auch nicht mehr darauf einzugehen, ob - wie das Erstgericht angenommen hat - das Verheimlichen der Versteigerung des PKWs und nicht die Tatsache der Versteigerung als solche den Widerruf des Lohnschnittauftrages seitens der Firma Sch. zur Folge gehabt hat oder ob, wie das Berufungsgericht angenommen hat, ein Schadenersatz von 75.000 S für die Vereitlung des Lohnschnittauftrages der Klägerin deshalb nicht gebührt, weil sie mit dieser Firma bereits einen fixen Vertrag hatte und daher auf Erfüllung dieses Vertrages bestehen konnte.
Im Ergebnis haben die Untergerichte mit Recht den Haftungsgrund des § 1295 Abs. 2 ABGB. für nicht gegeben erachtet und darum die Klage abgewiesen.
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