Spruch:
Zum "Veranlassen" im Sinne des § 871 ABGB. genügt jedes für die Entstehung des Irrtums ursächliche Verhalten.
Entscheidung vom 20. April 1955, 3 Ob 220/55.
I. Instanz: Landesgericht Klagenfurt; II. Instanz: Oberlandesgericht Graz.
Text
Die Beklagten haben mit "Kaufvorvertrag" vom 16. September 1952 von den Klägern eine Hotelrealität in R. um 400.000 S gekauft, haben jedoch am 8. Oktober 1952 ihren Rücktritt vom Vertrag erklärt, der wegen eines wesentlichen Irrtums der Beklagten rechtsunwirksam sei. Dieser Auffassung hat sich das Erstgericht angeschlossen und hat demgemäß das Begehren der Kläger auf Bezahlung der vereinbarten Konventionalstrafe von 20.000 S abgewiesen.
Das Berufungsgericht hat das Urteil des Erstgerichtes bestätigt. Es hat die wesentlichen Streitpunkte zur Beurteilung der Frage, ob der Kaufvorvertrag vom 16. September 1952 gültig sei, herausgestellt, nämlich,
1. ob die Beklagten bei Besichtigung der gekauften Objekte, insbesondere bei der Besichtigung am 6. September 1952, bei welcher von Seiten der Beklagten als Sachverständiger auch der Architekt Ing. Z. beigezogen war, gewußt haben, daß das Gebäude R. Nr. 5 zum wesentlichen Teil in Riegelwandbauweise und nicht in massiver Bauweise (Ziegel und Stein) erbaut ist,
2. ob ein Irrtum in der Bauweise, nämlich ob Riegelwandbauweise oder massive Bauweise, als wesentlicher Beschaffenheitsirrtum angesehen werden kann, und
3. ob die Kläger den Irrtum veranlaßt bzw., wie das Erstgericht auch festgestellt hat, bewußt herbeigeführt haben.
Dazu hat das Berufungsgericht in tatsächlicher und rechtlicher
Beziehung wie folgt Stellung genommen:
Zu 1.: Die Beklagten wollten die klagsgegenständlichen Objekte deshalb käuflich erwerben, um einen modernen großen Hotelbetrieb aufzuziehen. Sie beabsichtigten, zu diesem Zweck insbesondere das Hotelhauptgebäude R. Nr. 5 weitestgehend umzubauen und auszubauen, und machten von diesen Umbau- und Ausbauabsichten den Klägern vor Abschluß des Vorvertrages ausdrücklich Mitteilung. Es ist nicht ohne weiteres erkennbar, daß das Hauptgebäude, und zwar der erste, zweite und dritte Stock in wesentlichen Teilen sowie zwei Wände des angebauten Speisesaales, in Riegelwandbauweise ausgeführt sind. Es besteht nur die der Straße zugekehrte Wand des Hauses bis oben aus Ziegeln. Die Beklagten haben bei Abschluß des Vorvertrages von dieser Bauweise nichts gewußt, sondern waren der Meinung, die Gebäude seien in massiver Bauweise (Ziegel und Stein) aufgebaut. Auch die Kläger haben die Beklagten vor Abschluß des Vertrages nicht darauf aufmerksam gemacht, daß das Gebäude R. Nr. 5 und der angebaute Speisesaal zum größten Teil Riegelwände haben. Die Beklagten haben hievon erst kurz vor ihrer Rücktrittserklärung vom 8. Oktober 1952 erfahren.
Zu 2.: Das Berufungsgericht ging in diesem Punkt von den erstrichterlichen Feststellungen aus, daß es bei Abschluß des Kaufvorvertrages eine wesentliche Beschaffenheit, worauf die Absicht vorzüglich gerichtet und erklärt wurde, bedeutete, ob das Hauptgebäude ein Massivbau oder zum großen Teil nur ein Riegelwandbau sei. Wenn die Beklagten gewußt hätten, daß das Haus Nr. 5 im wesentlichen ein Riegelwandbau und nicht ein Massivbau ist, hätten sie den Kaufvorvertrag samt Vereinbarung des Pönales nicht abgeschlossen. Aus dem Sachverständigengutachten wurde festgestellt, daß zwischen einem Massivbau und einem Riegelwandbau schon rein konstruktionsmäßig ein ganz erheblicher Unterschied ist, daß Holzskelettbauten (wie beim Riegelwandbau) nicht so dauerhaft sind wie Massivbauten, daß man mit Holzskelettbauten noch keine größeren Erfahrungen hat, daß in unserer Gegend die größeren Häuser fast durchwegs Massivbauten und nicht Holzriegelwandbauten sind, ferner daß im Häuserverkehr die Kaufinteressenten lieber Ziegelbauten erwerben als Riegelwandbauten und daß bei- Um- und Aufbauten von Riegelwänden die baulichen Veränderungsmöglichkeiten ihre Grenze in dem Stehergerüst finden, da die einzelnen Steher nicht durchgesägt und daher nicht überschritten werden dürfen. Daraus folgerte das Berufungsgericht in rechtlicher Beziehung, daß ein wesentlicher Unterschied in der Beschaffenheit eines Massivbaues und eines Riegelwandbaues sei und daß daher ein Irrtum darüber, ob ein gekauftes Haus ein Massivbau sei oder zum großen Teil nur aus Riegelwänden erbaut sei, einen wesentlichen Beschaffenheitsirrtum im Sinne des § 871 ABGB. darstelle. Dazu komme im vorliegenden Fall noch ein subjektives Moment, nämlich, daß die Beklagten den Klägern ausdrücklich erklärt hätten, umfangreiche Umbauarbeiten vornehmen lassen zu wollen, was, wie erwähnt, bei Riegelwandbauten nur begrenzt möglich sei. Es habe somit für die erklärte Absicht der Beklagten, das Hauptgebäude zu seiner modernen Ausgestaltung weitestgehend um- und aufbauen zu lassen (es sollte u. a. auch das dritte Stockwerk etwas aufgestockt und ein moderner Dachgarten angelegt werden) eine wesentliche Rolle gespielt, ob das Haus Nr. 5 ein Massivbau oder zum größten Teil ein Riegelwandbau sei. Es müsse daher der Irrtum der Beklagten, daß es sich nicht um einen Massivbau, sondern im wesentlichen um einen Riegelwandbau handelte, schon wegen dieser den Klägern erklärten Absicht als wesentlich bezeichnet werden.
Zu 3: Das Berufungsgericht war in Übereinstimmung mit dem Erstgericht der Ansicht, daß die Kläger durch ihr Verhalten den als wesentlich anzusehenden Irrtum der Beklagten über die Bauweise des Hauses und des angebauten Speisesaales veranlaßt hätten. Die Kläger hätten nach Meinung des Berufungsgerichtes, da der Bau des Hauses von der allgemein und daher auch von den Beklagten zu erwartenden Bauweise (Massivbau) abwich, nach der Verkehrssitte die Beklagten darauf aufmerksam machen müssen, aß das Haus zum größten Teil vom ersten Stock aufwärts nur aus Riegelwänden bestehe. Die Kläger hätten dies aber nicht getan. Als Irrtumsveranlassung im Sinne des § 871 ABGB. sei aber auch anzusehen, wenn der Vertragspartner etwas verschweige, was er nach der Verkehrssitte hätte sagen müssen. Dazu kämen aber noch besondere Umstände, die die Veranlassung des Irrtums der Beklagten durch die Kläger herbeigeführt hätten. Es hätten nämlich die Beklagten und ihre Begleiter Dr. L. und Architekt Ing. Z. bei der Besichtigung am 6. September 1952 im dritten Stockwerk festgestellt, daß eine Zwischenwand zwischen zwei Zimmern aus Heraklith sei. Daraufhin habe ihnen der Erstkläger die Aufklärung gegeben, daß in diesem Fall zwischen zwei Zimmern eine Heraklithwand eingezogen worden sei. Weil es nun öfter vorkomme, daß in der Mansarde zwischen den Zimmern Heraklithwände eingezogen sind, hätten die Beklagten nicht im entferntesten daran gedacht, daß auch drei Außenwände des Hauses nur aus Riegelwänden aus Heraklith bestehen könnten. Gerade bei diesem Anlaß hätte aber der Erstkläger den Beklagten nicht verschweigen dürfen, daß nicht nur eine oder mehrere Zwischenwände aus Heraklith bestehen, sondern auch ein großer Teil der Außenmauern. Er hätte sich nicht mit der Erklärung begnügen dürfen, daß in diesem Fall eine Zwischenwand aus Heraklith eingezogen wurde. Er habe dadurch den Eindruck hervorgerufen, daß eben nur vielleicht eine oder die andere Zwischenwand aus Heraklith bestehe. Nach der Verkehrssitte hätte er bei dieser Gelegenheit die Beklagten von der Beschaffenheit der Außenmauern in Kenntnis setzen müssen. Das Schweigen der Kläger über die Bauweise müsse daher nicht nur im allgemeinen, sondern auch wegen dieses besonderen Anlasses als Veranlassung des Irrtums bei den Beklagten über die Bauweise des Hauses gewertet werden.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision, der Kläger nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Es ist von der Feststellung der Untergerichte auszugehen, wonach größere Häuser in unserer Gegend, also auch in R., fast durchwegs Massivbauten und nicht Riegelwandbauten sind, und daß sich das Hauptgebäude Nr. 5 nach außen als ein Massivbau repräsentiert hat, ohne daß leicht erkennbar war, daß wesentliche Teile des Gebäudes in Riegelwandbauweise ausgeführt waren. Die Beklagten konnten daher bei dem dreistöckigen Hotelgebäude in R. Nr. 5 ohne weiteres voraussetzen, daß es in massiver Bauweise aus Ziegeln oder Steinen aufgebaut sei. Einer ausdrücklichen Erklärung, daß sie nur einen Massivbau zu erwerben wünschen, bedurfte es in diesem Fall nicht, weil sich das nach der Verkehrsauffassung von selbst verstand. Die Meinung der Revision, daß zwischen Massivbau und Riegelwandbau kein wesentlicher Beschaffenheitsunterschied bestunde, ist irrig. Nach den aus dem Sachverständigengutachten gewonnenen Feststellungen der Untergerichte handelt es sich beim Riegelwandbau um einen Holzskelettbau, der naturgemäß niemals so dauerhaft ist und sein kann wie ein Ziegel- oder Steinbau. Es ist abwegig, wenn die Revision einen Holzriegelwandbau mit einem durch die neuzeitlichen Baumethoden entwickelten Betonbau, Stahlskelettbau oder Hohlziegelbau vergleichen will. Denn bei diesen Bauten handelt es sich durchwegs um solche, die mit Rücksicht auf das verwendete Material füglich nur mit einem Massivbau auf gleiche Ebene gestellt werden können.
Mit dem Hinweis darauf, daß ein Teil des Hauptgebäudes ohnedies in Massivbauweise ausgeführt sei, läßt sich für den Standpunkt der Revision deshalb nichts gewinnen, weil feststeht, daß wesentliche Teile des Gebäudes, nämlich drei Außenwände aller drei Stockwerke, nicht von eben derselben Beschaffenheit sind.
Das Revisionsgericht tritt der Ansicht der Untergerichte auch darin bei, daß die Kläger durch ihr Verhalten den Irrtum der Beklagten über die Bauweise des Hauses Nr. 5 und des angebauten Speisesaales veranlaßt haben. Veranlassen im Sinne des § 871 ABGB. setzt weder absichtliche noch fahrlässige Irreführung voraus. Es genügt jedes für die Entstehung des Irrtums ursächliche Verhalten. Kann ein Kontrahent nach der Verkehrsauffassung auf das Vorhandensein oder Nichtvorhandensein gewisser den Geschäftsinhalt betreffender Umstände rechnen, solange ihm nicht das Gegenteil vom anderen Vertragsteil mitgeteilt wird, so begrundet schon die Unterlassung dieser Mitteilung eine Veranlassung des Irrtums. Nach der Verkehrsanschauung durften aber die Beklagten damit rechnen, daß es sich bei dem gegenständlichen Gebäude um einen Massivbau handelt. Die Kläger waren daher verpflichtet, die Beklagten auf das Gegenteil aufmerksam zu machen. Da die Kläger dies unterlassen haben, haben sie die Beklagten über die Beschaffenheit des Gebäudes in Irrtum geführt. Darüber hinaus haben die Kläger durch ihr Verhalten die Beklagten in ihrem Irrtum geradezu bestärkt. Sie haben nämlich auch dann noch über die Bauweise geschwiegen, als ihnen offenbar wurde, daß sich die Beklagten mit großen Ausbau- und Umbauplänen trugen, und es hat der Erstkläger, als bei der Besichtigung des Gebäudes eine Zwischenwand des Gebäudes aus Heraklith festgestellt wurde, sich auf die Erklärung beschränkt, daß in diesem Fall eine Heraklithwand eingezogen worden sei. Dieses Verhalten grenzt an Arglist, und die Kläger waren unter diesen Umständen keinesfalls berechtigt, auf die Gültigkeit der Erklärungen der Beklagten zu vertrauen.
Die Meinung der Revision, daß das auf Seite der Beklagten vorliegende schwere Verschulden an der Entstehung ihres Irrtums über die Bauweise des Hauses, den sie ohne Schwierigkeit vermieden hätten, wenn ihr Vertrauenssachverständiger Z. die erforderliche Aufmerksamkeit bei der Besichtigung angewendet hätte und wenn weiters die Beklagten das ihnen angebotene Gutachten des Baumeisters S. angesehen hätten, die Zurechnung des Irrtums als von den Klägern veranlaßt ausschließe, wäre allenfalls dann richtig, wenn allein diese Umstände für die Entstehung des Irrtums der Beklagten kausal gewesen wären. Das ist aber nicht der Fall. Die Kläger haben durch ihr Schweigen in einem Fall wo Aufklärung Pflicht war, zur Entstehung des Irrtums zumindest beigetragen und haben durch ihr weiteres Verhalten die Beklagten geradezu davon abgehalten, nähere Erkündigungen über die Bauweise einzuziehen.
Die Untergerichte haben somit, wenn sie der Irrtumsanfechtung Folge gaben, die Rechtssache in rechtlicher Hinsicht durchaus richtig beurteilt. Der Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung liegt nicht vor.
Es ist aber auch jener der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens nicht gegeben, der von der Revision darin erblickt wird, daß zur Frage der Rechtzeitigkeit der Aufklärung des Irrtums Feststellungen nicht getroffen worden seien. Solcher Feststellungen bedurfte es nicht, da das Verfahren ergeben hat, daß die Kläger den Irrtum der Beklagten veranlaßt haben und die Beklagten nur darauf die Vertragsanfechtung stützten. Eine Verpflichtung zur Aufklärung des Irrtums, um anfechten zu können, besteht nach dem klaren Wortlaut des § 871 ABGB. für den Irrenden nur gegenüber jenem Vertragspartner, der weder den Irrtum veranlaßt hat noch ihn erkennen mußte.
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