Spruch:
Haftung eines Kreditschutzverbandes für unrichtige Rechtsberatung eines Mitgliedes, die zur Anstrengung eines im Hinblick auf die ständige Rechtsprechung aussichtslosen Prozesses führt.
Die Bestimmung des § 2 Abs. 2 KO. gilt nicht für solche Fristen, die vom Tage der Konkurseröffnung zu laufen beginnen und deren Einhaltung vorher gar nicht möglich ist, was insbesondere bei der Frist des § 43 Abs. 2 KO. der Fall ist.
Entscheidung vom 16. März 1955, 2 Ob 115/55.
I. Instanz: Bezirksgericht Innere Stadt Wien; II. Instanz:
Handelsgericht Wien.
Text
Die Klägerin war Mitglied des beklagten Vereines und wurde von diesem hinsichtlich einer Forderung von 320 S im Ausgleichsverfahren des August B. (Sa 12/50 des Handelsgerichtes Wien) vertreten. Das Ausgleichsverfahren, welches am 15. März 1950 eröffnet worden war, wurde mit Beschluß vom 8. Jänner 1951 gem. § 56 Abs. 1 AO. eingestellt. Dieser Beschluß erwuchs am 10. Februar 1951 in Rechtskraft. Am 11. April 1951 eröffnete das Handelsgericht Wien von Amts wegen den Anschlußkonkurs über das Vermögen des Gemeinschuldners zur GZ. S 13/51.
Bereits am 27. Dezember 1950 hatte August B. durch einen Ausgleichsvermittler bestimmten Gläubigern, darunter auch der klagenden Partei, das Anbot gemacht, bis 20. Jänner 1951 40% ihrer im Ausgleichsverfahren angemeldeten und nicht bestrittenen Forderungen zu bezahlen. Dieses Anbot wurde von der Beklagten namens der Klägerin angenommen, und die Klägerin erhielt am 17. Jänner 1951 auf ihre Forderung den Betrag von 128 S ausbezahlt.
Der Masseverwalter im Anschlußkonkurs forderte in der Folge die Klägerin wie auch andere durch den stillen Ausgleich (Kassaausgleich) begünstigte Gläubiger auf, den erhaltenen Betrag zurückzuzahlen, widrigenfalls er die Anfechtungsklage einbringen müßte. Nach Konsultierung des Beklagtenvertreters teilte die Beklagte in einem Rundschreiben vom 3. April 1952 den begünstigten Gläubigern, darunter auch der Klägerin, unter Bezugnahme auf die Forderung des Masseverwalters u. a. folgendes mit: "Nach unserer Auffassung und nach dem Kommentar Bartsch - Pollak ist die Anfechtungsfrist nicht vom 11. April 1951 (Zeitpunkt der Eröffnung, des Anschlußkonkurses), sondern vom Zeitpunkt der Eröffnung des Ausgleichsverfahrens, d. i. der 15. März 1950, zu rechnen. Selbst wenn man dem Gedanken zuneigen wollte, daß die einjährige Anfechtungsfrist vom Zeitpunkt der erhaltenen sogenannten Begünstigung (Abschluß des 40%igen Kassaausgleiches), das ist Jänner 1951, gerechnet wird, ergibt sich, daß auch diese Anfechtungsfrist abgelaufen ist. Wir empfehlen ihnen deshalb, die vom Masseverwalter geforderten Beträge nicht zurückzustellen, sondern es notwendigenfalls auf den angekundigten Anfechtungsprozeß ankommen zu lassen. Sollte vom Masseverwalter tatsächlich die Anfechtungsklage erhoben werden (diesen haben wir inzwischen von unserer Rechtsauffassung unterrichtet), so müßten sie uns die Klage zur weiteren Behandlung zuleiten."
Die Klägerin, die hierauf vom Masseverwalter auf Rückzahlung des Betrages von 128 S beim Bezirksgericht Innere Stadt zu 26 C 709/52 geklagt wurde, leitete die Klage an die beklagte Partei weiter. Durch Vermittlung der beklagten Partei wurde Rechtsanwalt Dr. R. mit der Vertretung der klagenden Partei im Prozeß betraut. Der Beklagtenvertreter wendete im Anfechtungsprozeß Ablauf der Frist zur Einbringung der Anfechtungsklage gem. § 43 KO. sowie Zahlungsfähigkeit des Gemeinschuldners im Zeitpunkt der Leistung an die Klägerin ein; dieser habe alle angemeldeten und nicht bestrittenen Forderungen befriedigt. Er wendete ferner ein, daß dem Masseverwalter ein Klagerecht gem. §§ 30 und 31 KO. nicht zustehe, weil im Zeitpunkt der Zahlung der Ausgleich bereits eingestellt worden sei, die 90 tägige Frist des § 56 AO. längst abgelaufen sei und der Klägerin (damaligen Beklagten) bekannt gewesen sei, daß das Ausgleichsverfahren eingestellt werden müsse.
Ein Parallelprozeß des Masseverwalters gegen andere begünstigte Gläubiger wurde durch das Handelsgericht Wien mit Urteil vom 16. März 1954, 5 R 26/54, in zweiter Instanz durch Bestätigung des erstinstanzlichen Urteiles endgültig in dem Sinne entschieden, daß die vom Masseverwalter geltend, gemachten Rückforderungsansprüche zu Recht bestehen.
Mit Schreiben vom 7. April 1954 teilte hierauf die Beklagte der Klägerin mit, daß der vom Masseverwalter angestrengte Prozeß zu ungunsten der betreffenden Gläubiger entschieden worden sei und daß die Klägerin auf Grund des gefällten Urteiles verpflichtet sei, an den Masseverwalter den Betrag von 128 S samt 5% Zinsen seit 17. Jänner 1951, d. s. 21 S 52 g, und Prozeßkosten in der Höhe von 254 S 71 g umgehend zu überweisen; bei Nichtüberweisung müsse mit einer Exekutionsführung gerechnet werden. Die Klägerin zahlte in der Folge den geforderten Betrag.
Das Erstgericht hat den auf Grund dieses Sachverhaltes von der klagenden Partei gegen die beklagte Partei erhobenen Schadenersatzanspruch abgewiesen.
Das Handelsgericht Wien als Berufungsgericht hat in Stattgebung der klägerischen Berufung das erstgerichtliche Urteil dahin abgeändert, daß dem Klagebegehren kostenpflichtig stattgegeben wurde.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der beklagten Partei nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Die Rechtsrüge der Revision nach § 503 Z. 4 ZPO. bekämpft zunächst die Auffassung des Berufungsgerichtes, daß die beklagte Partei ein "Sachverständiger" im Sinne des § 1299 ABGB. für die Rechtsverfolgung von Forderungen im Insolvenzverfahren sei und somit auch als rechtskundig anzusprechen sei.
Die diesbezügliche Ansicht des Berufungsgerichtes ist aber nicht rechtsirrig. Wenn sich die beklagte Partei als Kreditschutzverband bezeichnet und auf dem Kopfe ihres Briefpapiers als eines ihrer Aufgabengebiete den Interessenschutz gegen Insolvente bezeichnet und wenn sie die Vertretung der Interessen der Gläubiger im Insolvenzverfahren übernimmt, so hat sie damit zu erkennen gegeben, daß sie sich die erforderlichen, nicht gewöhnlichen Kenntnisse auf dem Gebiete des Insolvenzrechtes zutraut. Hiezu gehört aber auch die Frage, ob und unter welchen Umständen ein Gläubiger Zahlungen vom Schuldner entgegennehmen kann und wie er sich gegen Anfechtungsansprüche zu verhalten hat.
Die beklagte Partei, die mit dem Schreiben vom 3. April 1952 der klagenden Partei unter Bezugnahme auf den Kommentar Bartsch - Pollak ihre Rechtsansicht dargelegt und ihr deshalb empfohlen hat, den vom Masseverwalter geforderten Betrag nicht zurückzuzahlen, sondern es auf den Anfechtungsprozeß ankommen zu lassen, und die der klagenden Partei mitgeteilt hat, sie müßte eine allenfalls tatsächlich erhobene Anfechtungsklage ihr zur weiteren Behandlung zuleiten, hat gemäß § 1299 ABGB. den Mangel der erforderlichen Kenntnisse auf dem Gebiete des Insolvenzrechtes zu vertreten. Daß sie im Anfechtungsprozeß die klagende Partei nicht selbst, sondern durch einen von ihr ausgewählten Rechtsanwalt vertreten hat, kann sie ihrer eigenen Verpflichtung gegenüber der klagenden Partei - die sich nur auf Grund ihrer Empfehlungen und nicht auf Grund der Empfehlungen ihres Rechtsanwaltes in den Anfechtungsprozeß eingelassen hat - nicht entheben.
Die klagende Partei stand nur mit der beklagten Partei in einer rechtlichen Beziehung. Inwiefern die beklagte Partei durch eine unrichtige Auskunft eines Rechtsanwaltes zur falschen Information der klagenden Partei über die Chancen des Anfechtungsprozesses veranlaßt worden ist, ist für die Beurteilung der Rechtsbeziehung zwischen der klagenden Partei und der beklagten Partei - und nur um diese handelt es sich im gegenständlichen Prozesse - bedeutungslos. Von der beklagten Partei, die sich mit dem Schutze der Interessenten gegen Insolvente befaßt (siehe Kopf ihres Briefpapiers) und die Gläubiger im Insolvenzverfahren vertritt, muß verlangt werden, daß sie sich, bevor sie einem Gläubiger empfiehlt, sich in einen Anfechtungsprozeß einzulassen, über die in der Literatur und Judikatur vertretene Rechtsmeinung eingehend informiert.
Wenn sie dies nicht getan hat, sondern sich sogar auf Bartsch - Pollaks Kommentar zur KO. zur Stützung ihrer unrichtigen Rechtsauffassung betreffend den Beginn der Frist des § 43 KO. berufen hat, obwohl gerade dieser Kommentar (Ausgabe 1937) im Band I auf Seite 45 die gegenteilige Auffassung vertritt, so hat sie den durch ihre Fahrlässigkeit verschuldeten Schaden zu ersetzen.
Die Revision vermeint weiters, daß die klagende Partei als Mitglied des Kreditschutzverbandes gegenüber der beklagten Partei kein Dritter sei; sie sei als Mitglied dieses Verbandes vielmehr ein und dieselbe Person wie die beklagte Partei.
Davon kann aber keine Rede sein, weil die beklagte Partei als juristische Person selbst Träger von Rechten und Pflichten und von der Person ihrer Mitglieder vollkommen verschieden ist.
Die Revision vertritt schließlich die Auffassung, daß die in dem Rundschreiben vom 3. April 1952 vertretene Rechtsansicht über den Beginn der Frist zur Erhebung der Anfechtungsklage nach § 43 Abs. 2 KO. nicht als überhaupt nicht vertretbar bezeichnet werden könne.
Hiezu ist zu sagen:
Das Berufungsgericht hat zutreffend auf Bartsch - Pollaks Kommentar zur KO. I S. 45, auf Albert Ehrenzweigs Kommentar zur AnfO. S. 39 und schließlich auf die vom heutigen Vertreter der Revisionswerberin in seiner Ausgabe der KO. (1949) zu § 43 Abs. 2 selbst zitierte oberstgerichtliche Entscheidung SZ. VIII 303 verwiesen.
Es ergibt sich somit, daß Literatur und Judikatur auf dem Standpunkt stehen, daß die Bestimmungen des § 2 Abs. 2 KO. nicht für solche Fristen gelten, die vom Tage der Konkurseröffnung zu laufen beginnen und deren Einhaltung vorher gar nicht möglich ist, was insbesondere bei der Frist des § 43 Abs. 2 KO. der Fall ist (vgl. insbesondere Bartsch - Pollak I S. 45). In die Klagefrist des § 43 Abs. 2 KO. kann nach deren Begriff und Zweck nicht ein Zeitraum eingerechnet werden, während dessen die actio noch nicht nötig war (vgl. Ehrenzweigs Kommentar zur AnfO. S. 39). Die gleichen Gedanken legt die bereits zitierte Entscheidung des Obersten Gerichtshofes SZ. VIII 303 eingehend dar.
Wenn aber das Schicksal eines Anspruches in erster Linie nicht von Beweisergebnissen, sondern von der in der Rechtsanwendung ständig vertretenen Rechtsauffassung abhängt, so ist es Pflicht des sachverständigen Beraters, die Partei auf diese ständige Rechtsanwendung besonders aufmerksam zu machen und der Partei ausdrücklich die Wahl zu überlassen, ob sie dann noch die Gefahr auf sich nimmt, trotz dieser ständigen Rechtsanwendung im Hinblick auf eine allenfalls mögliche andere Gesetzesauslegung den gerichtlichen Weg zu beschreiten.
Entscheidend ist nicht, ob der sachverständige Berater die der ständigen Rechtsanwendung entgegenstehende Gesetzesauslegung für richtig hält, sondern ob und welche tatsächlichen Aussichten die Prozeßführung hat. Die Unterlassung der entsprechenden Aufklärung der Partei bildet ein Verschulden im Sinne der §§ 1295, 1299 ABGB. (vgl. SZ. XV 121 und auch 3 Ob 4/54; siehe ferner auch Wolff in Klang 2. Aufl. VI zu § 1299, S. 49).
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