OGH 7Ob50/55

OGH7Ob50/552.2.1955

SZ 28/32

Normen

ZPO §38
ZPO §38

 

Spruch:

Zu den Voraussetzungen für die einstweilige Zulassung eines ohne Nachweis der Bevollmächtigung einschreitenden Parteienvertreters.

Entscheidung vom 2. Februar 1955, 7 Ob 50/55.

I. Instanz: Bezirksgericht Döbling; II. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien.

Text

Mit der vorliegenden Klage begehrt der Kläger durch seinen mit Vollmacht ausgewiesenen Rechtsfreund Dr. Herbert P., Rechtsanwalt in Wien, die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung rückständigen Werklohnes in der Höhe von 2145 S samt Anhang. Zur mündlichen Streitverhandlung am 8. September 1954 ist die Beklagte nicht erschienen. Für den Kläger erschien Rechtsanwalt Dr. Erich S. und beantragte, ihn gemäß § 38 ZPO. "als vorläufigen Vertreter des Rechtsanwaltes Dr. Herbert P. und damit als Vertreter der klagenden Partei zuzulassen"; gleichzeitig stellte er den Antrag, gegen die Beklagte ein Versäumungsurteil gemäß § 396 ZPO. zu fällen.

Das Erstgericht hat den Antrag auf einstweilige Zulassung des erschienenen Vertreters als Bevollmächtigten abgewiesen. Es ist der Meinung, daß eine Zulassung nur zur Vornahme dringender Prozeßhandlungen in Betracht gezogen werden könne, solche aber im gegebenen Falle da auch die Beklagte ausgeblieben sei, nicht vorzunehmen seien; der Kläger könne, wenn auch jetzt Ruhen des Verfahrens eintrete, seine Rechte nach Fortsetzung des Verfahrens geltend machen. Gleichzeitig hat das Erstgericht den Antrag auf Fällung des Versäumungsurteils wegen fehlenden Legitimation des Einschreiters zurückgewiesen.

Das Rekursgericht hat dem Rekurs der klagenden Partei Folge gegeben und den angefochtenen Bescheid im ersten Teile dahin abgeändert, daß Rechtsanwalt Dr. Erich S. als Bevollmächtigter vorläufig zugelassen wurde, im Ausspruch über die Zurückweisung des Antrages auf Fällung des Versäumungsurteils hingegen aufgehoben und dem Erstgericht eine neuerliche Entscheidung aufgetragen.

Der Oberste Gerichtshof bestätigte den Beschluß des Rekursgerichtes mit der Ergänzung, daß er eine Frist von 8 Tagen für die Vorlage der Vollmacht bestimmte.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Das Ermessen, nach welchem das Gericht über die einstweilige Zulassung eines ohne Nachweis der Bevollmächtigung für eine Partei behufs Vornahme einzelner dringlicher Prozeßhandlungen einschreitenden Bevollmächtigten gemäß § 38 ZPO. zu entscheiden hat, ist kein freies, der Überprüfung entzogenes Ermessen, da der gefaßte Beschluß nach § 38 letzter Absatz und § 515 ZPO. der Anfechtung unterliegt. Im gegenwärtigen Falle ist für den Kläger der am Gerichtsort ansässige Rechtsanwalt Dr. Erich S., wenn auch ohne Bevollmächtigung, bei der Tagsatzung erschienen und hat sich mit der Angabe, daß er von dem mit Vollmacht ausgewiesenen Rechtsfreund des Klägers um die Vertretung in dieser Sache ersucht worden sei, erboten, die Vollmacht nachträglich vorzulegen. Es handelt sich also um die Zulassung einer Person, welche die Fähigkeit, als Prozeßbevollmächtigter einzuschreiten, besitzt und auch als solcher berufsmäßig tätig ist. Seine Berufsstellung und der von ihm angegebene Grund seines Einschreitens lassen annehmen, daß dieses Einschreiten dem Willen des Klägers und seines ausgewiesenen Rechtsfreundes entspricht und daß die nachträgliche Vorlage der Vollmacht und Beibringung der Genehmigung der Partei mit Grund zu gewärtigen ist. Zudem war die vom Kläger vorzunehmende Prozeßhandlung eine dringliche, weil sein Nichterscheinen bei der zur Streitverhandlung anberaumten Tagsatzung für ihn mit der Gefahr der Säumnisfolgen nach § 168 ff. ZPO. verbunden war. Wenn die Rekurswerberin dem angefochtenen Beschluß zum Vorwurf macht, er verkenne den Begriff der Dringlichkeit, weil er ihm das meritorische Interesse der klagenden Partei gleichsetze, so trifft dieser Vorwurf nicht zu. Als dringlich ist, was die Rekurswerberin nicht erkennt, nach einmütiger Lehre und Rechtsprechung jede Prozeßhandlung anzusehen, deren Vornahme notwendig ist, widrigens der Partei Nachteile drohen (Neumann, 4. Aufl. S. 518). Etwas anderes hat aber auch das Rekursgericht nicht ausgesprochen. Bei dieser Sachlage waren die Voraussetzungen für die einstweilige Zulassung des einschreitenden Rechtsanwaltes als Bevollmächtigten gegeben und ist der gegenteilige Beschluß des Erstrichters gesetzlich nicht gerechtfertigt.

Auf die in den vorgerichtlichen Entscheidungen noch aufgeworfene Frage, ob in ähnlich gelagerten Fällen auch für die beklagte Partei ein einstweiliger Vertreter zuzulassen ist, braucht nicht näher eingegangen zu werden, weil dieser Fall hier nicht zur Entscheidung steht.

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