OGH 7Ob31/55

OGH7Ob31/5519.1.1955

SZ 28/14

Normen

ABGB §863
HGB §343
HGB §377
ABGB §863
HGB §343
HGB §377

 

Spruch:

Treu und Glauben im geschäftlichen Verkehr verlangen, daß eine als verspätet erkennbare Rüge vom Vertragspartner, an den sie gerichtet ist, ausdrücklich zurückgewiesen wird. Wenn eine Verspätung der Rüge der Mängelanzeige nicht zu entnehmen ist, kann daraus, daß der Verkäufer zur Rüge selbst Stellung nimmt oder seine Verpflichtung, Gewähr zu leisten, nicht bestreitet, ein stillschweigender Verzicht auf die Geltendmachung der Verspätung der Rüge noch nicht erschlossen werden.

Entscheidung vom 19. Jänner 1955, 7 Ob 31/55.

I. Instanz: Handelsgericht Wien; II. Instanz: Oberlandesgericht Wien.

Text

Die Klägerin begehrt die Wandelung des mit der beklagten Partei im Jahre 1950 abgeschlossenen Kaufvertrages über Lieferung von 400 Stück Überspannungsableitern. Die Ableiter wurden noch im Jahre 1950 übergeben und der Kaufpreis von 24.200 S bezahlt. Das Erstgericht erkannte den Beklagten schuldig, den angeführten Betrag Zug um Zug gegen Rückstellung der Überspannungsableiter zu bezahlen. Das Berufungsgericht hob diese Entscheidung auf, weil die Frage, ob der Beklagte verzichtet habe, sich auf die Verspätung der von der Klägerin erhobenen Mängelrüge zu berufen, nicht hinreichend geklärt schien und für die über die Unbehebbarkeit der Mängel getroffenen Feststellungen keine aktenmäßigen Grundlagen vorhanden waren. Der Aufhebungsbeschluß befaßte sich auch mit der Frage der rechtzeitigen Erhebung der Mängelanzeige und traf hierüber folgende Feststellungen: Aus den Beilagen III, VI, VII und XII sei festzustellen, daß der Klägerin bis 20. Juli 1951 Berichte vorgelegen seien, nach denen 57 Ableiter als unbrauchbar bezeichnet worden seien. Aus den Beilagen I, VIII, XIV und XVII sei zu entnehmen, daß bis zum 20. August 1951 der Klägerin Berichte ihrer Ortsstellen über die Mangelhaftigkeit von weiteren 57 Ableitern vorgelegen seien. Der Klägerin sei daher bis zum 20. Juli 1951 die Mangelhaftigkeit von 14 1/4% der gesamten Lieferung und bis zum 20. August 1951 die Mangelhaftigkeit von 28 1/2% der gesamten Lieferung eindeutig bekannt gewesen. Es sei der klagenden Partei am 20. Juli 1951 bereits bekannt gewesen, daß der Ausschuß das rund 30 fache des sonst üblichen erreiche. Schon in diesem Zeitpunkt wäre nach Ansicht des Berufungsgerichtes die Klägerin verpflichtet gewesen, die Mängelrüge zu erheben, und hätte sie nicht mehr weitere zwei Monate zuwarten dürfen. Spätestens aber am 20. August 1951, als der Klägerin bereits bekannt gewesen sei, daß mehr als ein Viertel der Ableiter mangelhaft und unbrauchbar sei, hätte unter allen Umständen die Mängelrüge erstattet werden müssen und müsse die erst einen Monat später, nämlich am 20. September 1951, erhobene Mängelrüge als nicht mehr unverzüglich im Sinne des § 377 Abs. 3 HGB. bezeichnet werden.

Das Erstgericht schloß sich in seiner neuerlichen, der Klage stattgebenden Entscheidung der oben dargestellten Rechtsansicht des Berufungsgerichtes an, wobei es sich auf die im Aufhebungsbeschlusse getroffenen Feststellungen berief, diese also zu seinen eigenen machte. Der Beklagte habe mit seiner Antwort vom 24. September 1951 auf die am 20. September 1951 erstattete Mängelanzeige. Keineswegs Ersatzansprüche der klagenden Partei anerkennen wollen, sondern nur Zeit gewinnen wollen, um die Stellungnahme der Erzeugerfirma kennenzulernen und um zu erreichen, daß sich die klagende Partei mit ihren Ansprüchen an diese Firma wende. Erst auf ein zweites Schreiben der Klägerin vom 28. September 1951 habe er mit seinem Schreiben vom 30. Oktober 1951 die Mängelrüge als verspätet zurückgewiesen. In dem Verhalten des Beklagten sei jedoch ein stillschweigender Verzicht auf die Einwendung der verspätet erhobenen Mängelrüge der Klägerin zu erblicken; denn es sei im Zeitpunkte seiner Antwort auf die Mängelanzeige wohl bekannt gewesen, daß für die Erhebung von Mängelrügen bestimmte Fristen bestehen. Er sei als Verkäufer verpflichtet gewesen, alle ihm bekannten Einwendungen gegen die Mängelrüge gleichzeitig und unverzüglich zu erheben.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der beklagten Partei Folge und wies das Klagebegehren ab.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Es war sofort nach Feststellung der Mängel zu rügen (s. hiezu Gessler - Hefermehl - Hildebrandt - Schröder, Kommentar zum Handelsgesetzbuch, 2. Aufl. II S. 1428 Anm. 52), worauf bereits die Untergerichte zutreffend hingewiesen haben. Die klagende Partei hat nun nach dem erwiesenen Sachverhalt unterlassen, die Mängelanzeige unverzüglich zu erstatten. Auch in diesem Punkte schließt sich das Revisionsgericht der vom Berufungsgericht schon in seinem Aufhebungsbeschlusse dargelegten, oben wiedergegebenen Rechtsansicht an. Diese Auffassung wird im übrigen von den Parteien nicht bekämpft. Es ist daher davon auszugehen, daß die Mängelanzeige verspätet erstattet wurde. Was den von den Untergerichten angenommenen Verzicht des Beklagten auf die ihm zustehende Einwendung der Verspätung der erhobenen Rüge betrifft, vermag jedoch der Oberste Gerichtshof der von den Untergerichten vertretenen Meinung nicht beizupflichten.

Das Schreiben des Beklagten vom 24. September 1951 läßt zwar den von ihm zugegebenen Versuch erkennen, allfällige Gewährleistungs- oder Schadenersatzansprüche der Klägerin auf die Erzeugerfirma abzuwälzen. Der Beklagte nimmt in diesem Schreiben auch zur Mängelanzeige der Klägerin vom 20. September 1951 ausdrücklich Stellung und verlangt eine Aufstellung der von der Klägerin "reklamierten Stücke". Ein Hinweis auf die Verspätung der Mängelrüge fehlt allerdings. Dieser wurde erst von Dr. T., dem Vertreter des Beklagten, gegeben (Schreiben vom 30. Oktober 1951). Treu und Glauben im geschäftlichen Verkehr verlangen, daß eine als verspätet erkennbare Rüge vom Vertragspartner, an den sie gerichtet ist, ausdrücklich zurückgewiesen wird. Wenn eine Verspätung der Rüge der Mängelanzeige nicht zu entnehmen ist, kann daraus, daß der Verkäufer zur Rüge selbst Stellung nimmt oder seine Verpflichtung, Gewähr zu leisten, nicht bestreitet, ein stillschweigender Verzicht auf die Geltendmachung der Verspätung der Rüge noch nicht erschlossen werden. Das Revisionsgericht vermag sich daher der Auffassung des Berufungsgerichtes nicht anzuschließen, der Beklagte habe dadurch, daß er zugegebenermaßen mit seinem Schreiben vom 24. September 1951 nur habe Zeit gewinnen wollen, eindeutig zu erkennen gegeben, daß er auf die Frage der Rechtzeitigkeit der Rüge keinen Wert lege. Denn mangels Erkennbarkeit der Verspätung war er zu einer Stellungnahme zu dieser Frage nicht verpflichtet. Der Hinweis des Beklagtenvertreters in seinem Schreiben vom 30. Oktober 1951, daß sich der Beklagte nicht verpflichtet erachte, eine Ware zurückzunehmen, die seit mehr als Jahresfrist ausgeliefert sei und seither bei der Klägerin lagere, ist als nicht erforderliche Vorsichtsmaßnahme zu werten, zumal auch das Schreiben der Klägerin vom 28. September 1951 nicht erkennen läßt, ob die Mängelanzeige vom 20. September 1951 unverzüglich erhoben wurde. Aus dem erstgenannten Schreiben geht auch nicht hervor, wann die Untersuchung der gelieferten Ableiter einsetzte und wann sie beendet war. Da sich, wie oben bereits festgehalten wurde, die Mängel erst nach einiger Zeit, nachdem die Ableiter in Verwendung genommen wurden, zeigten, war es dem Beklagten nicht möglich, aus dem Zeitablauf seit der Lieferung allein die Verspätung der Mängelrüge zu erkennen. Wurde die Mängelanzeige aber verspätet erstattet, dann ist der Anspruch der klagenden Partei als Käuferin, der aus diesen Mängeln abgeleitet wird, untergegangen.

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