OGH 2Ob816/54

OGH2Ob816/5410.11.1954

SZ 27/285

Normen

ABGB §1299
ZPO §268
ABGB §1299
ZPO §268

 

Spruch:

Solange das verurteilende Strafurteil aufrecht ist, kann der Verurteilte nicht vom Sachverständigen, auf dessen Gutachten sich das Urteil stützt, Schadenersatz wegen unrichtiger Begutachtung begehren.

Entscheidung vom 10. November 1954, 2 Ob 816/54.

I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien; II. Instanz:

Oberlandesgericht Wien.

Text

Der Kläger wurde mit dem Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 24. Jänner 1951 des Vergehens gegen die Sicherheit des Lebens nach § 337 StG. in Verbindung mit § 9 Abs. 1 Z. 3 SuchtgiftG. schuldig gesprochen und zu einer mehrmonatigen Freiheitsstrafe verurteilt. Mit der Behauptung, der Beklagte habe als Gerichtssachverständiger dem Strafgerichte "teils wissentlich, teils aus fachlicher Unwissenheit einen nachteiligen Rat erteilt", verlangt der Kläger nun in der vorliegenden Klage vom Beklagten den Ersatz des ihm durch die Verurteilung zugefügten Schadens in der Höhe von 166.500 S.

Das Erstgericht hat das Klagebegehren abgewiesen. Es ist der Rechtsanschauung, daß als alleiniges schädigendes Ereignis nur die strafgerichtliche Verurteilung in Betracht komme, und jeder Versuch, die Überprüfung dieser Verurteilung im Zivilprozeß herbeizuführen, unzulässig sei; hilfsweise führt das Erstgericht aus, daß die einzelnen gegen das Gutachten erhobenen Anwürfe nicht stichhältig seien und daher auch aus diesem Gründe das Klagebegehren nicht begrundet wäre. Dieses Urteil bekämpft der Kläger nur insoweit mit Berufung, als ihm nicht der Betrag von bloß 37.500 S zugesprochen wurde. Der Berufung wurde nicht Folge gegeben. Das Berufungsgericht geht bei seiner bestätigenden Entscheidung von der Ansicht aus, daß das Zivilgericht nach § 268 ZPO. an die Feststellungen des Strafgerichtes gebunden ist; es ist der Ansicht, daß der Kläger, da er das strafgerichtliche Urteil nicht als rechtswidrig bekämpfen könne, auch nicht mit Erfolg vorbringen könne, daß der Beklagte durch ein unrichtiges Sachverständigengutachten einen rechtswidrigen Erfolg herbeigeführt habe; es kommt zu dem Schluß, daß, da Rechtswidrigkeit mangle, das Klagebegehren nicht schlüssig sei und daher die Abweisung des Begehrens im Ergebnis richtig ist.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Klägers nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Der Kernpunkt der Revision liegt nach der Sach- und Rechtslage in der rechtlichen Beurteilung. Bei dieser kommt es in erster Linie darauf an, inwieweit das den Revisionswerber verurteilende rechtskräftige Erkenntnis des Strafgerichtes den Zivilrichter bindet. Nach der ständigen Rechtsprechung bilden Spruch und Gründe des Strafurteils eine Einheit und erstreckt sich die Bindung des Zivilrichters auf die Feststellung des Sachverhaltes, der den strafbaren Tatbestand bildet. Diese Bindung besteht nicht nur, soweit aus der strafbaren Handlung gegen den Verurteilten Ansprüche erhoben werden, sondern auch, wie der Oberste Gerichtshof wiederholt ausgesprochen hat (SZ. XXIV/148, SZ. XXV/70), in den Fällen, da im Zusammenhang mit der dem Strafurteil zugrunde liegenden Handlung des Verurteilten Ansprüche gegen Dritte geltend gemacht werden. Sie muß auch Geltung haben, wenn der Verurteilte selbst Ansprüche gegen dritte Personen stellt und die Entscheidung von dem Beweis und der Zurechnung der strafbaren Handlung abhängt, weil § 268 ZPO. auch insoweit dem Strafurteil entsprechend seiner Rechtskraft bindende Wirkung im Zivilprozeß sichert (im gleichen Sinne Nowakowski, ÖJZ. 1948, S. 546 ff.). Die Frage aber, um die es hier insbesondere geht, ist, wie das Berufungsgericht richtig erkannt hat, die, ob der zwischen dem behaupteten rechtswidrigen Verhalten und dem rechtswidrig herbeigeführten Erfolg anzunehmende Rechtswidrigkeitszusammenhang besteht. Die Frage ist aus nachstehenden Erwägungen zu verneinen. Solange ein Urteil, das der Rechtskraft teilhaft geworden ist, rechtswirksam besteht, beinhaltet es - abgesehen von dem Sonderfall, da gemäß § 292 StPO. erkannt wurde, ein freisprechendes Urteil sei mit einer Gesetzesverletzung behaftet - die anders als durch seine Aufhebung nicht widerlegbare Vermutung der Richtigkeit (Rechtsordnungsgemäßheit) seines Spruches und der darauf beruhenden weiteren Folgen. Ein durch ein solches Urteil verwertetes Sachverständigengutachten kann, wenn das Urteil gemäß dem Gutachten erflossen ist, nach den Denk-Gesetzen notwendigerweise nur richtig sein, weil aus einem Gutachten ein mit ihm übereinstimmendes richtiges Urteil nur erfließen kann, wenn auch das Gutachten richtig ist. Ist aber das Urteil richtig und das Gutachten - wie vom Kläger im gegenwärtigen Falle behauptet wird - falsch, dann kann zwar das falsche Gutachten (mittelbar) das richtige Urteil bewirkt haben, es kann aber nicht Ursache des Schadens sein, weil ein richtiges Urteil begrifflich niemals einen Schaden bewirken kann. Nur wenn das Urteil im Wege einer Wiederaufnahme des Strafverfahrens beseitigt ist, eröffnet sich die Möglichkeit, die dem Urteil zugrunde liegenden Tatsachen in objektiver und subjektiver Richtung zu untersuchen und zu entscheiden, ob ein aus ihrer Fehlerhaftigkeit abgeleiteter Anspruch zu Recht besteht. Früher, nämlich solange das Urteil nicht behoben ist, ist es jedem anderen und damit auch dem Zivilrichter verwehrt, in eine solche Prüfung einzutreten. Das Urteil steht jedem Anspruche dieser Art hindernd entgegen. Es war daher im Ergebnis zutreffend, wenn das Berufungsgericht die Annahme der Rechtswidrigkeit, die eine Voraussetzung für jede Verschuldenshaftung ist, abgelehnt hat.

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