OGH 1Ob705/54

OGH1Ob705/543.11.1954

SZ 27/276

Normen

Gesetz über die Gesellschaften mit beschränkter Haftung §41
Gesetz über die Gesellschaften mit beschränkter Haftung §42
Gesetz über die Gesellschaften mit beschränkter Haftung §41
Gesetz über die Gesellschaften mit beschränkter Haftung §42

 

Spruch:

Unter § 41 Abs. 1 Z. 2 GesmbHG. fallen auch mittelbare Gesetz- oder Satzungswidrigkeiten eines an sich nicht gesetz- oder satzungswidrigen Beschlusses.

Entscheidung vom 3. November 1954, 1 Ob 705/54.

I. Instanz: Handelsgericht Wien; II. Instanz: Oberlandesgericht Wien.

Text

Der Kläger begehrt nach § 41 GesmbHG., daß die Nichtigkeit der in der Generalversammlung der Beklagten der "F." Webwarenerzeugung Gesellschaft mit beschränkter Haftung vom 18. Juni 1954 gefaßten Beschlüsse, mit denen der Kläger als Geschäftsführer abberufen, die Auflösung der Beklagten beschlossen worden sei und die beiden auf der Seite der Beklagten beigetretenen Nebenintervenienten zu Liquidatoren bestellt worden seien, ausgesprochen werde. Wenngleich die Nebenintervenienten über 51% des Stammkapitals der Gesellschaft mit beschränkter Haftung verfügten, widerspreche der Mehrheitsbeschluß, mit dem die Tagesordnung der Generalversammlung auf die Beschlußfassung über die Abberufung des Klägers als Geschäftsführers erstreckt worden sei, dem § 38 des Gesetzes. Zur Abberufung wäre nach Ansicht des Klägers ebenso wie für den Beschluß auf Auflösung der Gesellschaft die qualifizierte Mehrheit nötig gewesen. Die Auflösung sei ohne jeden Grund beschlossen worden. Das Gesagte gelte auch für den Beschluß, mit dem der Kläger als Liquidator ausgeschlossen worden sei. Die Nebenintervenienten hätten durch Akte außerordentlicher geschäftlicher Untreue der Gesellschaft die Betriebsgrundlagen (Geschäftslokal, Maschinen) entzogen. Sie hätten die Absicht, das prosperierende Unternehmen an sich zu bringen und mit einem gewissen Simon W. weiterzubetreiben. Das Vorgehen der Nebenintervenienten widerspreche den guten Sitten und müsse auch nach § 1295 ABGB. beurteilt werden. Die Ausführung der Generalversammlungsbeschlüsse würde nach Ansicht des Klägers einen unwiederbringlichen Schaden für die Gesellschaft bedeuten, weil das Unternehmen der Gesellschaft entzogen und in die Hände der Nebenintervenienten und des Simon W. gelangen würde. Deshalb möge nach § 42 Abs. 4 des Gesetzes die Ausführung der Generalversammlungsbeschlüsse mit einstweiliger Verfügung aufgeschoben werden.

Das Erstgericht wies den Antrag, eine einstweilige Verfügung zu erlassen, ab.

Infolge Rekurses des Klägers hob das Rekursgericht den erstgerichtlichen Beschluß auf und trug dem Erstgericht auf, das Verfahren zu ergänzen und sodann neuerlich über den Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung zu entscheiden. Der Erstrichter gehe zu Unrecht davon aus, daß sich der Kläger den Mehrheitsbeschlüssen der Nebenintervenienten stets fügen müsse. Es könne Fälle geben, in denen Gesellschafter ihr Stimmrecht vorsätzlich mißbrauchten. Dies sei der Fall, wenn sie mit ihrer Abstimmung vorsätzlich gesellschaftsfremde Vorteile zum Schaden der Gesellschaft und der übrigen Gesellschafter erstrebten. Etwas Derartiges behaupte der Kläger. Er weise nämlich in der Klage darauf hin, die Nebenintervenienten hätten die formell ihnen persönlich zustehenden Mietrechte an den Geschäftsräumen der Gesellschaft aufgegeben und außerdem den Vertrag, mit dem sie ihre Maschinen der Gesellschaft vermietet hätten, der Gesellschaft gegenüber aufgekundigt und dadurch der Gesellschaft, der sie selbst angehören, die Produktionsmittel entzogen. Dazu komme, daß die Nebenintervenienten nach den Behauptungen des Klägers an demselben Standort mit denselben Maschinen und demselben Personal ein Unternehmen der Textilbranche derzeit betrieben, das gleichfalls wieder in der Form einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung organisiert worden sei und einen zur Verwechslung führenden Namen tragen soll. Ein solches Vorgehen der Nebenintervenienten, mit dem die Generalversammlungsbeschlüsse zusammenhingen, könnte nach Ansicht des Rekursgerichtes unter Umständen schikanöse Rechtsausübung bedeuten und möglicherweise dazu führen, daß der Nichtigkeitsklage stattgegeben werde. Das Erstgericht werde auch zu untersuchen haben, ob sich etwa der Kläger der Gesellschaft und den Nebenintervenienten gegenüber einer Übertretung des Konkurrenzverbotes schuldig gemacht habe, wie die Nebenintervenienten behauptet hätten. Es sei auch zu untersuchen, ob der Kläger die Unterzeichnung von Prolongationswechseln grundlos verweigert und Äußerungen gemacht habe, die den begrundeten Verdacht erwecken könnten, daß sich auch der Kläger gesellschaftsfeindlich verhalten habe. Unter Umständen könnte dann das Vorgehen der Nebenintervenienten in anderem Lichte erscheinen. Der drohende unwiederbringliche Nachteil für die Gesellschaft könne schon darin gelegen sein, daß ohne Bewilligung einer einstweiligen Verfügung bis zur Beendigung des Rechtsstreites die Liquidation schon ganz oder zum Teil durchgeführt sein könnte.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Revisionsrekurs der Nebenintervenienten nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Die Rechtsmittelwerber vertreten den Standpunkt, daß Umstände, wie sie vom Kläger behauptet würden, nach österreichischem Recht nicht zur Nichtigerklärung von Generalversammlungsbeschlüssen einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung führen könnten. Denn im § 41 GesmbHG. seien die Nichtigkeitsgrunde taxativ aufgezählt. Danach könne der materielle Inhalt eines den Satzungen und dem Gesetz entsprechenden Generalversammlungsbeschlusses niemals zur Nichtigerklärung des Beschlusses führen. Das Korrektiv gegen allfällige vorsätzliche Mißbräuche des satzungsgemäß ausgeübten Stimmrechts biete nur die Schadenersatzklage nach § 1295 Abs. 2 ABGB. Keiner der in der Generalversammlung vom 18. Juni 1954 gefaßten Beschlüsse habe der Dreiviertelmehrheit bedurft. Dies gelte entgegen der Ansicht des Erstgerichtes auch von der Ablehnung der Bestellung des Klägers zum Liquidator. Diesem stunde nach der Meinung der Revisionsrekurswerber nur die Möglichkeit offen, gemäß § 89 Abs. 2 des Gesetzes seine Bestellung im außerstreitigen Verfahren beim Erstgericht anzustreben.

Der Oberste Gerichtshof vermag sich der Ansicht der Rechtsmittelwerber nicht anzuschließen. § 41 GesmbHG. zählt zwar die Gründe, die zur Nichtigerklärung von Generalversammlungsbeschlüssen führen können, taxativ auf. Punkt 1 umfaßt die Fälle, in denen der Beschluß formell gesetz- oder satzungswidrig gefaßt worden ist, sei es, daß die erforderliche Mehrheit fehlte, die Versammlung nicht beschlußfähig war u. dgl. Im Punkt 2 ist dagegen vorgesehen, daß der Generalversammlungsbeschluß wegen seines Inhalts nichtig sein kann. Hier ist nicht nur an die Fälle gedacht, in denen der Gegenstand des Beschlusses unmittelbar dem Gesetz oder der Satzung widerstreitet, also etwa dann, wenn eine strafgesetzwidrige Handlung oder der Abschluß satzungswidriger Geschäfte beschlossen wurde. Es fallen unter diese Gesetzesstelle auch mittelbare Gesetz- oder Satzungswidrigkeiten eines an sich nicht gesetz- oder satzungswidrigen Beschlusses. Dies könnte angenommen werden, wenn der Inhalt des Beschlusses und dessen Folgen in seiner Beziehung zur Gesellschaft oder den Individualrechten der überstimmten Gesellschafter oder zu den Rechten der der Majorität angehörenden Gesellschafter gesetz- oder satzungswidrig wären (Skerlj, Gesetz über GesmbH., S. 50, Kornfeld - Scheu, Gesetz über GesmbH., S. 63). So wie nach § 1295 Abs. 2 ABGB. niemand in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise absichtlich Schaden zufügen darf, mag dies auch in Ausübung eines Rechtes geschehen, darf auch die Mehrheit der Gesellschafter einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung nicht ihr Majoritätsrecht in sittenwidriger und damit auch gesetzwidriger Weise zu dem Zweck mißbrauchen, um sich Vorteile zuzuschanzen und der Gesellschaft und den übrigen Gesellschaftern Nachteil zuzufügen. Ein solches Vorgehen kann auch nach österreichischem Recht (§ 41 Z. 2 des Gesetzes) zur Nichtigerklärung eines Generalversammlungsbeschlusses führen, mag dieser auch ordnungsmäßig zustande gekommen sein. Darauf hat das Rekursgericht mit Recht hingewiesen. Der geschädigte Gesellschafter braucht sich nicht damit zu begnügen, den Eintritt des Schadens abzuwarten und dann dessen Ersatz zu verlangen. Er kann vielmehr vorbeugend den schädigenden Beschluß zu beseitigen trachten und nach § 42 Abs. 4 des Gesetzes beantragen, daß unterdessen mittels einstweiliger Verfügung die Ausführung des Beschlusses aufgeschoben werde.

Die dargelegte Rechtsansicht wird durch die entsprechende Regelung des Aktiengesetzes gestützt, das der Ähnlichkeit der Gesellschaftsformen wegen zur Auslegung des Gesetzes über Gesellschaften mit beschränkter Haftung üblicherweise herangezogen wird. Dort wird im Punkt 4 des § 195 die Nichtigkeit eines Hauptversammlungsbeschlusses u. a. für den Fall normiert, daß dessen Inhalt gegen die guten Sitten verstößt. Auch auf § 197 Abs. 2 wäre in diesem Zusammenhang zu verweisen.

Da anscheinend auch die übrigen Voraussetzungen der Nichtigkeitsklage vorliegen, kann diese nicht als aussichtslos bezeichnet werden. Mit Recht hat das Rekursgericht daher dem Erstgericht aufgetragen, über den Antrag auf Erlassung der einstweiligen Verfügung noch Erhebungen durchzuführen und sodann neuerlich zu entscheiden.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte