OGH 1Ob739/54

OGH1Ob739/5413.10.1954

SZ 27/255

Normen

ABGB §1409
ABGB §1409

 

Spruch:

Bei der Übertragung des gesamten Vermögens haftet der Übernehmer für alle Schulden des Übergebers ohne Rücksicht darauf, ob sie mit dem übernommenen Vermögen in einem inneren wirtschaftlichen Zusammenhang stehen.

Der Begriff des "gesamten Vermögens" ist nur dahin zu verstehen, daß nichts Erhebliches zurückbleiben darf.

Entscheidung vom 13. Oktober 1954, 1 Ob 739/54.

I. Instanz: Landesgericht Klagenfurt; II. Instanz: Oberlandesgericht Graz.

Text

Die Streitteile sind Geschwister und Adoptivkinder der Eheleute Franz und Berta J. Nach dem Tode des Franz J. im Jahre 1935 erbte der Kläger Forderungen im Gesamtbetrag von 22.783 S alt sowie 15.188.60 S neu. Diese Beträge wurden vom damaligen Vertreter des Klägers Dr. D. eingetrieben. Berta J. übertrug mit dem Vertrag vom 24. April 1948 ihre Liegenschaft entgeltlich der Beklagten. Nach ihrem am 25. Dezember 1948 erfolgten Tode wurde die Verlassenschaft armutshalber abgetan.

Der Kläger begehrt die Zahlung des Betrages von 15.188.60 S mit der Behauptung, Berta J. habe seine Spareinlagen behoben und zur Adaptierung des Hauses und für weitere Zwecke verwendet. Davon habe die Beklagte im Zeitpunkt der Übernahme Kenntnis gehabt.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Der Tatbestand des § 1409 ABGB. liege nicht vor. Aus den vom Kläger vorgelegten Kontoblättern der Vereinssparkasse und der Gewerbe- und Handelsbank F. ergebe sich lediglich, daß Berta J. Geldbeträge abhob. Für welche Zwecke das Geld jedoch verwendet wurde, stehe nicht fest. Es sei lediglich erwiesen, daß sie für Adaptierungen am Hause Beträge in der Gesamthöhe von 2781.36 S auslegte. Nicht ererwiesen sei aber, daß diese Auslagen mit den Geldern des Klägers bestritten wurden. Die Beklagte habe den Nachweis erbracht, daß ihr von einer Schuld der Berta J. an den Kläger für aus den Mitteln des Klägers durchgeführte Adaptierungsarbeiten bei der Übergabe dieser Liegenschaft nichts bekannt war, noch auch bekannt sein mußte.

Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil. Es vertrat die Rechtsansicht, daß die Übernahme eines Hauses, somit einer einzelnen Sache, keine Vermögensübernahme im Sinne des § 1409 ABGB. darstelle. Ferner sei die Liegenschaft auch nicht das einzige Vermögensobjekt der Berta J. gewesen. Das Berufungsgericht stellte hiezu fest, daß Berta J. im Zeitpunkt der Übergabe der Liegenschaft Bundesschuldverschreibungen im Werte von 1600 S besaß. Es trat der Beweiswürdigung des Erstgerichtes bei, daß der Kläger den Nachweis für Aufwendungen auf das Haus aus seinen Mitteln durch Berta J. nicht erbracht habe, weiters, daß der Beklagten von einer Schuld der Berta J. an den Kläger für durchgeführte Adaptierungsarbeiten bei Übergabe des Hauses an sie nichts bekannt war oder bekannt sein mußte.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Klägers Folge, hob die Urteile der Untergerichte auf und verwies die Rechtssache an das Erstgericht zurück.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Die Rechtsansicht des Berufungsgerichtes, die Übertragung einer einzelnen Sache könne nicht den Tatbestand des § 1409 ABGB. erfüllen, wird vom Obersten Gerichtshof nicht uneingeschränkt geteilt. Dieser hat in der letzten zu dieser Frage ergangenen Entscheidung vom 26. November 1952, NotZ. 1952, S. 64, die Rechtsansicht ausgesprochen, daß § 1409 ABGB. auch bei der Übertragung eines Hauses anzuwenden ist, wenn dieses das gesamte Vermögen des Übergebers war. Denn in diesem Fall wird den Gläubigern die gesamte Kreditbasis entzogen und ist der Sachverhalt der gleiche wie bei einer Vermögens- und Unternehmensübertragung.

Auch der weiteren Ansicht des Berufungsgerichtes, daß im gegenständlichen Falle § 1409 ABGB. Platz greife, weil die Übergeberin Berta J. im Zeitpunkt der Übergabe neben der Liegenschaft noch Bundesschuldverschreibungen im Werte von 1600 S besaß, kann nicht beigepflichtet werden. Der Begriff des "ganzen Vermögens" ist nicht so wörtlich zu nehmen, daß der Übergeber überhaupt nichts zurückbehalten dürfe, sondern dahin zu verstehen, daß nichts "Erhebliches" zurückbleiben darf (Wellacher: Die Schuldenhaftung des Übernehmers beim Übergang von Vermögen und Unternehmungen, ÖJZ. 1950, S. 489). Im Vergleich zum Werte des Hauses kann ein Wert von 1600 S füglich als unerheblich bezeichnet werden.

Eine weitere Frage ist die, ob im Falle der Übertragung des ganzen Vermögens der Übernehmer für alle Schulden haftet oder nur für jene, welche mit dem übertragenen Vermögen im Zusammenhang stehen. Während Pisko (komm. zum Handelsrecht II S. 249), Ehrenzweig (Schuldverhältnisse 1928, § 335), Klang (§ 1409 ABGB. in der Rechtsübung, JBl. 1948, S. 437), Wellacher (a. a. O.) sowie der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung SZ. XIV/185 sich für die Lösung der Frage im ersteren Sinne aussprechen, vertrat der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung SZ. XVI/108 (ident mit Entscheidung ZBl. 1934, Nr. 357) die zweite Ansicht. Das Festhalten an dem Erfordernis des Zusammenhanges zwischen der Schuld und dem übergebenen Vermögen auch bei gänzlicher Vermögensübertragung wurde damit begrundet, daß ansonsten die Haftung bei nahen Angehörigen zur Universalsukzession führen würde. Dieses Argument kann jedoch nicht aufrechterhalten werden. Mit Recht führt Klang dagegen an, daß sich der Übernehmer gegen eine uferlose Haftung durch Anwendung der gehörigen Sorgfalt schützen könne und müsse. Ferner erscheint es weitaus unbilliger, wenn den Gläubigern eines Schuldners dadurch, daß er sich seines gesamten Vermögens begibt, ihre gesamte Kreditbasis entzogen werden könnte. Aus dieser Erwägung kann der Oberste Gerichtshof an der in der Entscheidung SZ. XVI/108 ausgesprochenen Rechtsansicht nicht mehr festhalten und folgt nun jener Meinung, daß bei der Übertragung des gesamten Vermögens der Übernehmer für sämtliche Schulden des Übergebers ohne Rücksicht darauf haftet, ob sie mit dem übernommenen Vermögen in einem inneren, wirtschaftlichen Zusammenhang stehen oder nicht.

Daraus folgt, daß die Haftung der Beklagten nicht nur auf jene Schulden der Berta J. gegenüber dem Kläger beschränkt ist, die im Zusammenhang mit dem übernommenen Hause stehen, sondern sich auf die gesamten Schulden der Berta J. an den Kläger erstreckt, die im Zeitpunkt der Übergabe noch aufrecht waren. Daß die behauptete Schuld der Berta J. an den Kläger gerade im Zusammenhang mit diesem ihr verbliebenen Vermögensteil stehe, wurde weder behauptet, noch ist dies ohneweiters anzunehmen. Es ist daher eine Feststellung darüber erforderlich, ob und in welcher Höhe eine Schuld der Berta J. gegenüber dem Kläger im Zeitpunkt der Übergabe der Liegenschaft bestanden hat. Des weiteren ergibt sich aus der oben dargelegten Rechtsansicht, daß es für den Ausschluß der Haftung der Beklagten nicht nur auf die Kenntnis oder das Kennenmüssen der im wirtschaftlichen Zusammenhang mit der Liegenschaft stehenden, sondern aller Schulden der Berta J. ankommt. Die Untergerichte haben lediglich festgestellt, daß der Beklagten von Schulden der Berta J. für Adaptierungen des Hauses nichts bekannt war und bekannt sein mußte. Diese Feststellung reicht nicht aus. Es muß geprüft werden, ob die Beklagte bei Übergabe der Liegenschaft wußte oder wissen mußte, daß die Übergeberin dem Kläger Beträge schuldete, wobei es gleichgültig ist, zu welchem Zwecke sie diese verwendete.

Da somit Feststellungsmängel vorliegen, welche die erschöpfend rechtliche Beurteilung verhindern und den Urteilen beider Untergerichte anhaften, waren diese aufzuheben und die Sache an die erste Instanz zurückverweisen.

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