OGH 2Ob372/54

OGH2Ob372/5415.9.1954

SZ 27/226

Normen

HGB §390
HGB §407
HGB §390
HGB §407

 

Spruch:

Der Spediteur hat zu beweisen, daß ihn kein Verschulden an dem Verlust des Gutes trifft.

Entscheidung vom 15. September 1954, 2 Ob 372/54.

I. Instanz: Landesgericht Innsbruck; II. Instanz: Oberlandesgericht Innsbruck.

Text

Der Kläger wurde im Jahre 1944 von einer militärischen Abwehrstelle in Haft genommen. Aus Anlaß seiner Verhaftung wurden von dieser Dienststelle elf Kisten, enthaltend dem Kläger gehörigen Hausrat, in Beschlag genommen und geöffnet; über den Inhalt der Kisten wurde ein genaues Verzeichnis angelegt. Anfangs des Jahres 1945 erwirkte Johanna W., die Ehefrau des Klägers, Freigabe der beschlagnahmten Kisten. Sie übergab diese dem im Frächtereibetrieb der Erstbeklagten tätigen Ehemann der Erstbeklagten, Johann M., ohne Bekanntgabe des Inhalts gegen ein Entgelt von 100 RM und Überlassung von Spirituosen und Lebensmitteln zunächst zur Beförderung nach Salzburg. Da diese Beförderung zur damaligen Zeit nicht durchgeführt werden konnte, erklärte sich die Ehefrau des Klägers mangels der Möglichkeit einer besseren Einlagerung mit der Verwahrung der Kisten in einer Scheune auf dem B.-Hof in A. einverstanden. Johann M machte Johanna W. auf die Gefahr der Verwahrung in der Scheune aufmerksam, da sie entlegen sei und von verschiedenen Personen betreten werden könne. Johanna W. reiste dann nach D. ab. Mit dem Schreiben vom 8. Feber 1945 wurde sie von der Erstbeklagten verständigt, daß die Beförderung der Sachen nach Salzburg unmöglich sei, daß diese aber gut untergebracht seien. Im April und Mai 1945 übernachteten zahlreiche Personen in der erwähnten Scheune. Die Erstbeklagte stellte zu dieser Zeit fest, daß die Kisten erbrochen waren, und sie verbrachte sie in ihr in der Nähe der Scheune liegendes Wochenendhaus. Den größten Teil der Sachen nahm sie in Verwendung, weil sie der Meinung war, der Kläger werde nicht mehr in den Besitz seines Eigentums gelangen. Auf wiederholte Anfragen nach dem Verbleib seines in Verwahrung gegebenen Gutes erhielt der Kläger von der Erstbeklagten keine Antwort. Auf Grund des Einschreitens des bayrischen Roten Kreuzes erwirkte der Kläger die Herausgabe eines Teiles seiner Sachen, die die Erstbeklagte in ihrer Wohnung in Innsbruck verwendet hatte, die Innehabung weiterer Sachen bestritt sie.

Anläßlich einer Hausdurchsuchung durch die Sicherheitsbehörde wurden jedoch in dem Wochenendhaus der Erstbeklagten beim R.-Hof weitere Sachen des Klägers sichergestellt. Mit dem Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 24. Juni 1948 wurde die Erstbeklagte schuldig erkannt, ihr vom Kläger zur Verwahrung übergebene Sachen im Werte von 1588 S veruntreut haben. Der Kläger begehrt von der Erstbeklagten und ihrer Tochter, der Zweitbeklagten, die Bezahlung des Schätzwertes von 13.402 S der noch fehlenden Sachen und den Ersatz seiner Aufwendungen für die Erwirkung der Rückstellung im Betrag von 2158 S. Das Erstgericht verurteilte die Erstbeklagte zur Bezahlung des Schätzwertes von 13.402 S und des Ersatzes der Aufwendungen im Betrage von 1000 S. Das Begehren gegen die Zweitbeklagte wurde abgewiesen. Den Beklagten sei der Beweis mißlungen, daß die nicht zurückgestellten und bei der Hausdurchsuchung nicht zustande gebrachten Stücke von Unbekannten gestohlen worden seien. Die Wahrscheinlichkeit, daß sich die Erstbeklagte auch die noch fehlenden Stücke angeeignet habe, sei kaum geringer einzuschätzen als die eines Diebstahles durch unbekannte Täter. Der Anspruch des Klägers auf Ersatz des Wiederbeschaffungswertes der nicht zurückgestellten Stücke durch die Erstbeklagte und Ersatz seiner Auslagen im Betrage von 1000 S sei daher gerechtfertigt.

Das Berufungsgericht übernahm die erstrichterliche Beweiswürdigung und bestätigte. Es sei möglich, daß nach dem Aufbrechen der Kisten Sachen von Unbekannten entnommen worden seien. Die Erstbeklagte wäre verpflichtet gewesen, sogleich Vorkehrungen zu treffen, um das Gut vor weiteren Angriffen zu schützen. Da sie durch mindestens einen Monate hindurch nichts unternommen habe, habe sie die ihr obliegende Vertragspflicht verletzt und sei für alle in dieser Zeit eingetretenen Abgänge verantwortlich. Im Strafverfahren habe sie selbst zugegeben, daß sie sich einzelne Sachen, die im Strafverfahren nicht erfaßt worden seien, angeeignet und verbraucht habe. Bei dieser Sachlage treffe der Entlastungsbeweis die Erstbeklagte. Das Begehren auf Ersatz in Geld sei berechtigt, weil die Erstbeklagte selbst behauptet habe, die noch fehlenden Sachen nicht zu besitzen.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Erstbeklagten nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Die Erstbeklagte kann sich auf die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes, SZ. VIII/287, in der die Beweislast für den Verlust der verwahrten Gegenstände dem Auftraggeber zugeschoben wurde, wenn er mit der Gefahr des Abhandenkommens der Gegenstände rechnen mußte, nicht berufen, weil in dem dieser Entscheidung zugrunde liegenden Falle eine Sache einer mit der Verwahrung derartiger Sachen sonst nicht betrauten Person übergeben wurde und ein Verdacht, daß sich der Verwahrer die Sache selbst zugeeignet hat, gar nicht aufgetaucht ist. Die Erstbeklagte hat die Sachen im Rahmen eines Speditionsvertrages verwahrt. Nach § 407 des Handelsgesetzbuches finden auf die Rechte und Pflichten des Spediteurs auch die für den Kommissionär gegebenen Vorschriften des § 390 HGB. Anwendung. Der Kommissionär hat zu beweisen, daß das Kommissionsgut überhaupt und in voller Stückzahl herausgelangt ist, ein Verschulden des Kommissionärs und einen ursächlichen Zusammenhang braucht der Kommittent gar nicht zu behaupten. Der Kommissionär hat darzutun, wie der Verlust oder Schaden entstanden ist, und daß er durch die erforderliche Sorgfalt nicht abgewendet werden konnte; was dabei ungeklärt bleibt, geht zu Lasten des Kommissionärs. Er muß also beweisen, daß mit einer für die richterliche Überzeugung ausreichenden Wahrscheinlichkeit keine Entstehungsursachen des Schadens in Frage kommen, bei denen ihn ein Verschulden treffen könnte (Kommentar zum Handelsgesetzbuch, herausgegeben von Mitgliedern des Reichsgerichtes, zu § 390 HGB., Anm. 3).

Das Speditionsgeschäft bringt es mit sich, daß dem Spediteur auf Grund des diesem Berufsstande entgegengebrachten Vertrauens Sachen von bedeutendem Wert anvertraut werden; mit der Möglichkeit, daß sich der Spediteur in verbrecherischer Weise an dem Speditionsgut vergreift, braucht der Auftraggeber nicht zu rechnen. Die Erstbeklagte hat die ihr obliegenden Pflichten eines ordentlichen Kaufmannes in gröblichster Weise durch Handlungen verletzt, die vom Strafgericht als Verbrechen gewertet werden.

Bei dieser Sachlage müssen für den Entlastungsbeweis die strengsten Anforderungen gestellt werden. Die Untergerichte haben zwar als erwiesen angenommen, daß die Kisten erbrochen wurden, haben aber eine Feststellung abgelehnt, daß von unbekannten Personen Sachen aus den Kisten gestohlen wurden. Erwiesen ist, daß die Erstbeklagte auch noch andere Sachen, die nicht Gegenstand des Strafverfahrens waren, für sich verwendete. Sie konnte sich auch nicht von dem Verdacht reinigen, noch weitere Sachen veruntreut zu haben. Für den Entlastungsbeweis genügt nicht die bloße Möglichkeit, daß ein Teil des Inhaltes der Kisten vor oder nach der Entdeckung des Aufbrechens von Unbekannten gestohlen wurde. Die Erstbeklagte trifft noch immer der Verdacht der Veruntreuung an den nicht rückgestellten Sachen. In eine Erörterung, ob sie vor oder nach der Entdeckung der Beschädigung der Kisten die erforderlichen Maßnahmen zur Abwendung eines Schadens getroffen hat, war nicht einzugehen. Da die Sachen, wie der Kläger bereits in der Klage behauptet hat, nicht mehr auffindbar sind, ist das Begehren auf Ersatz in Geld berechtigt. Für eine Anwendung des § 273 ZPO. zur Ermittlung des Schadens des Klägers war kein Raum, weil feststeht, daß die Erstbeklagte mangels Erbringung des Entlastungsbeweises den ganzen Schaden zu ersetzen hat.

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