Spruch:
Auch der streitgenössische Nebenintervenient kann im Rechtsstreite nicht mittels Beschluß zur Urkundenvorlage verhalten werden; in einem solchen Falle ist vielmehr § 308 ZPO. anzuwenden.
Entscheidung vom 30. Juni 1954, 1 Ob 385/54.
I. Instanz: Bezirksgericht Leoben; II. Instanz: Kreisgericht Leoben.
Text
Die klagenden Parteien kundigten unter Geltendmachung des Kündigungsgrundes nach § 19 Abs. 2 Z. 10 MietG. der Beklagten die im Hause in L. gemieteten Geschäftsräume auf. In den Einwendungen bestritt die beklagte Partei das Vorliegen des Kündigungsgrundes und machte insbesondere den Mangel der passiven Legitimation geltend, da nicht sie, sondern die Firma A. P.s Nachfolger, Inhaber Gertrude W. und Elise P., Mieterin sei. Dem Rechtsstreit trat auf seiten der beklagten Partei auch die erwähnte Firma als Nebenintervenient bei, ohne daß gemäß § 18 Abs. 1 ZPO. das Interesse angegeben wurde, das sie am Obsiegen der beklagten Partei habe. Bei der mündlichen Streitverhandlung am 8. Oktober 1953 brachten die klagenden Parteien unter anderem vor, daß der Reinertrag aus dem Geschäftsbetrieb des Nebenintervenienten niemals die Höhe erreiche, um den vorschußweise ausbezahlten Gewinnanteil der Gesellschafter Gertrude W. und Elise P. im Gesamtbetrag von monatlich 2500 S zu decken. Sie beriefen sich als Beweismittel auf Buchsachverständige.
Die beklagte Partei und der Nebenintervenient haben sich gegen die Zulassung dieses Beweismittels ausgesprochen, letzterer insbesondere deshalb, weil er als Nebenintervenient nicht zur Vorlage von Büchern verhalten werden könne.
Mit dem Beschluß vom 8. Jänner 1954 hat das Erstgericht dem Nebenintervenienten aufgetragen, die auf den Rechtsstreit bezughabenden Urkunden, u. zw. die gesamte Buchführung der Firma A. P.'s Nachfolger mit sämtlichen Wareneingangs- und -ausgangsbüchern und allen hierüber bestehenden Aufzeichnungen in der Weise dem Gerichte vorzulegen, daß dem zu bestellenden Buchsachverständigen sowie einem Sachverständigen aus der Kaufmannsbranche volle Einsicht gegeben wird. Es führte aus, daß die Feststellung der Erträgnisse der Firma nur durch einen Sachverständigen erfolgen könne, dem zu diesem Zweck die gesamten Bücher vorzulegen seien. Zur Vorlage dieser Bücher, die auf den Rechtsstreit Bezug haben, sei aber der Nebenintervenient verpflichtet, da das zu erfließende Urteil kraft gesetzlicher Vorschrift gemäß § 568 ZPO. sich auch auf den Nebenintervenienten erstrecke und somit eine streitgenössische Nebenintervention im Sinne des § 20 ZPO. vorliege.
Dem Rekurs des Nebenintervenienten hat das Rekursgericht Folge gegeben und den erstinstanzlichen Beschluß aufgehoben. In rechtlicher Hinsicht stellte sich das Rekursgericht auf den Standpunkt, daß zur Edition jede Hauptpartei und jeder Streitgenosse, nicht aber der Nebenintervenient, auch nicht der in der Stellung des § 20 ZPO. verpflichtet sei, da auch der streitgenössische Nebenintervenient nicht als Prozeßgegner angesehen werden könne. Der Nebenintervenient sei hinsichtlich der Vorlage von Urkunden nur als ein Dritter zu behandeln. Im übrigen habe die klagende Partei entgegen der Vorschrift des § 303 Abs. 2 ZPO. weder den genauen und vollständigen Inhalt der Urkunde, noch auch die Tatsachen angeführt, welche durch die vorzulegende Urkunde bewiesen werden sollen. Eine Vorlage von Urkunden setze gemäß § 303 und § 183 Abs. 2 ZPO. einen bestimmten Antrag einer Partei voraus. Einen solchen Antrag enthalte aber das Begehren um Vernehmung eines Buchsachverständigen nicht.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Revisionsrekurs der Kläger nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Die zu lösende Frage geht dahin, ob hinsichtlich der Vorlegung von Urkunden der Nebenintervenient im Sinne des § 308 ZPO. als Dritter oder gemäß § 303 ZPO. als Prozeßgegner anzusehen ist.
Während Pollak (ZPR. I S. 682 f.) den Nebenintervenienten als Dritten im Sinne des § 308 ZPO. hinsichtlich der Vorlage von Urkunden ansieht, jedoch die Editionspflicht des streitgenössischen Nebenintervenienten auf die Bestimmung der §§ 303 ff. ZPO. grundet, vertritt Neumann (Komm. zu den Zivilprozeßgesetzen S. 1034 III) die Ansicht, daß die Editionspflicht jede Hauptpartei und jeden Streitgenossen, nicht aber den Nebenintervenienten, auch nicht in der Stellung des § 20 ZPO. trifft, da der Nebenintervenient, wenn ihm auch die Stellung eines Streitgenossen zukomme, nicht als Prozeßgegner gilt, zumal er selbst nicht verurteilt und ihm auch nichts zugesprochen werden kann.
Mit derselben Begründung und unter Hinweis darauf, das gegenüber dem Intervenienten die indirekte Erzwingung der Vorlage nach § 307 Abs. 2 ZPO. nicht möglich ist, führt Sperl in seinem Lehrbuch S. 418 aus, daß jeder Intervenient als Dritter in dem Rechtsstreit zu verstehen ist.
Bei der Lösung der strittigen Frage ist davon auszugehen, daß hinsichtlich der Vorlage von Urkunden das Gesetz zwischen Urkunden, die sich in den Händen des Gegners, und solchen, die sich in der Hand eines Dritten befinden, unterscheidet.
Das einem Nebenintervenienten, der zur Unterstützung der Hauptpartei dem Rechtsstreit beigetreten ist, weil er an deren Obsiegen ein rechtliches Interesse hat (§ 17 ZPO.), nicht die Stellung eines Prozeßgegners zukommt, darüber besteht in Lehre und Rechtsprechung kein Streit. Für die einfache Nebenintervention gilt daher hinsichtlich der Vorlage von Urkunden die Bestimmung der §§ 308 bis 309 ZPO.
Aber auch der streitgenössische Nebenintervenient im Sinne des § 20 ZPO. wird nach einheitlicher Lehre und Rechtsprechung nicht Prozeßpartei, sondern bleibt materiell rechtlich Nebenintervenient und gewinnt nur prozessual die Stellung eines Streitgenossen, so daß er im Gegensatz zum einfachen Nebenintervenienten alle Prozeßhandlungen auch gegen den Widerspruch der Hauptpartei setzen kann (SZ. II/36, V/194). Über den Streitgegenstand selbst aber kann der streitgenössische Nebenintervenient trotz seiner eigenen prozessualen Stellung nicht disponieren, da ihm im Rechtsstreit nur prozessuale Rechte zukommen, er aber keineswegs dominus litis wird.
Kommen aber dem streitgenössischen Nebenintervenienten nur prozessuale Rechte zu, ohne daß er selbst über den Streitgegenstand verfügen kann, dann wird ein derartiger Intervenient nicht Prozeßgegner, da das zu erfließende Urteil diesem Intervenienten auch nichts zusprechen und ihn auch zu keiner Leistung verurteilen kann.
Für den streitgenössischen Nebenintervenienten gilt daher, genau so wie für den einfachen Nebenintervenienten, hinsichtlich der Vorlage von Urkunden, die sich in seinen Händen befinden, die Bestimmung der §§ 308, 309 ZPO. Bei diesem Sachverhalt erübrigt es sich darauf näher einzugehen, ob die Firma A. P.'s Nachfolger durch ihren Beitritt zum Rechtsstreit die Stellung eines streitgenössischen Nebenintervenienten erlangte.
Aus diesen Erwägungen war daher dem Revisionsrekurs der Erfolg zu versagen.
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