OGH 1Ob406/54

OGH1Ob406/5416.6.1954

SZ 27/172

Normen

ABGB §472
ABGB §485
ABGB §492
ABGB §526
ABGB §825
ABGB §829
ABGB §472
ABGB §485
ABGB §492
ABGB §526
ABGB §825
ABGB §829

 

Spruch:

Eine Dienstbarkeit eines Miteigentümers an der im gemeinschaftlichen Eigentum stehenden Sache ist möglich.

Entscheidung vom 16. Juni 1954, 1 Ob 406/54.

I. Instanz: Bezirksgericht Hartberg; II. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz.

Text

Das Erstgericht hat dem Klagebegehren, es stehe dem Beklagten kein Recht zu, über das Wiesengrundstück X. zu fahren, soweit dadurch der Umfang bzw. das Zugeständnis, zur Zeit der Heu- und Grumeternte über die Ecke der Wiesenparzelle X. zu fahren, um den öffentlichen Weg zu erreichen (nicht) überschritten wird, Folge gegeben. Die Einwendung der Beklagten, sie hätten die Dienstbarkeit des Wegerechtes für sämtliche Fuhren ersessen, wurde als nicht gerechtfertigt erkannt, weil das dienende Grundstück bis zum 9. Mai 1930 im Eigentum der Bauerngemeinschaft U.-dorf stand, die Beklagten aber Teilhaber dieser Bauerngemeinschaft waren. Die Bauerngemeinschaft sei lediglich eine Versammlung von Miteigentümern, die Beklagten seien also bis 9. Mai 1930 Miteigentümer der dienenden Liegenschaft gewesen, sie hätten also auch an der ihnen wenigstens zum Teil gehörigen Liegenschaft einen Ersitzungsbesitz für die Dienstbarkeit nicht ausüben können, weil eine Dienstbarkeit an eigener Sache nicht bestehen kann. Die 30jährige Ersitzungszeit sei also keinesfalls abgelaufen.

Das Berufungsgericht hat dieses Urteil aufgehoben und dem Erstgericht aufgetragen zu prüfen, ob die Bauerngemeinschaft U.-dorf nicht etwa eine juristische Person war. Das Erstgericht hat dem inzwischen hinsichtlich der gestatteten Benützung etwas näher ausgeführten Begehren, in welchem auch die Worte "Umfang bzw. Zugeständnis" durch das Wort "Recht" ersetzt sind, neuerlich Folge gegeben. Die sinnstörende Einfügung des Wortes "nicht" am Ende des Klagebegehrens wurde allerdings auch in das nunmehrige Urteil übernommen. Das Erstgericht ist davon ausgegangen, daß die Bauerngemeinschaft nicht eine juristische Person war. Das Berufungsgericht hat das Urteil neuerlich aufgehoben. Es geht wohl von den Feststellungen des Erstgerichtes aus, kommt aber zu dem Ergebnis, daß die Bauerngemeinschaft doch als juristische Person anzusehen sei. Es sei also den Klägern auch schon vor dem 9. Mai 1930 möglich gewesen, ein Servitut zu ersitzen, und es müsse auf die Art und den Umfang der Ausübung der Dienstbarkeit eingegangen werden.

Der Oberste Gerichtshof hat dem Rekurs der Kläger, die die Meinung des Berufungsgerichtes bekämpfen, daß die Bauerngemeinschaft eine juristische Person darstelle, nicht Folge gegeben.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung des Obersten Gerichtshofes:

Der Rekurs ist nicht begrundet.

Allerdings kann der Oberste Gerichtshof der Meinung der Untergerichte nicht folgen, daß jemand nicht eine Dienstbarkeit an einer Liegenschaft ersitzen kann, deren Miteigentümer er ist. Die Lehre lehnt die Meinung der Untergerichte mit Recht ab und bezeichnet sie als das Ergebnis einer romanistischen Begriffsjurisprudenz (Ehrenzweig Sachenrecht S. 343, Klang 2 zu § 472, S. 551). Die Vorstellung einer Dienstbarkeit des Alleineigentümers an seiner Liegenschaft bereitet insofern Schwierigkeiten, als der Eigentümer die Rechte, die ihm eine Dienstbarkeit verleiht, schon aus seinem Eigentum ableiten kann. Aber auch eine solche Dienstbarkeit erscheint sinnvoll und gewinnt eine erhebliche Bedeutung, wenn man die Möglichkeit einer Besitzveränderung in Betracht zieht. Es geht etwa die dienende Liegenschaft im Wege einer Zwangsversteigerung auf einen anderen Eigentümer über. Keinesfalls kann es aber sein, daß eine Dienstbarkeit untergeht, wenn der Eigentümer des herrschenden Grundstückes Eigentümer eines ideellen Anteiles des dienenden Grundstückes wird. Das Miteigentumsrecht, besonders wenn es nur zu einem geringen Anteil besteht, vermag das auf Grund der Dienstbarkeit bestehende Recht nicht zu ersetzen. Wenn aber das Nebeneinander des Miteigentums an einem ideellen Anteil und des Dienstbarkeitsrechtes, das die ganze Liegenschaft belastet, rechtlich möglich sein muß, dann ist es auch nicht ausgeschlossen, daß für eine Liegenschaft eine Dienstbarkeit ersessen wird, obwohl der Eigentümer der Liegenschaft, für welche die Ersitzung erfolgt, Eigentümer eines ideellen Teiles der Liegenschaft ist, an der der Ersitzungsbesitz für die Dienstbarkeit besteht.

Es ist also belanglos, ob die Bauerngemeinschaft als juristische Person bezeichnet werden kann. Die Ersitzungsmöglichkeit ist schon dann gegeben, wenn die Beklagten das Wegerecht offensichtlich nicht als Ausfluß ihrer Zugehörigkeit zur Bauerngemeinschaft, sondern als nachbarliches Recht ausgeübt haben, mag die Bauerngemeinschaft auch nur eine Mehrheit von Miteigentümern gewesen sein. Mit Recht hat das Berufungsgericht also die Feststellung aufgetragen, ob und in welchem Umfang die behauptete Dienstbarkeit von den Beklagten in den letzten 30 Jahren ausgeübt wurde.

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