OGH 1Ob396/54

OGH1Ob396/542.6.1954

SZ 27/164

Normen

ABGB §799
ABGB §812
AußStrG §9
ABGB §799
ABGB §812
AußStrG §9

 

Spruch:

Keine Rekurslegitimation berufener Erben, solange sie noch keine Erbserklärung abgegeben haben.

Die Vermögensseparation auch vor Abgabe von Erbserklärungen möglich.

Entscheidung vom 2. Juni 1954, 1 Ob 396/54.

I. Instanz: Bezirksgericht Hietzing; II. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien.

Text

Das Erstgericht hat dem Antrage des Verlassenschaftsgläubigers A.- Werke Aktiengesellschaft auf Nachlaßabsonderung Folge gegeben. Es hat die Besorgnis und Möglichkeit einer Gefährdung des Absonderungsgläubigers als bescheinigt angesehen und auch im übrigen die Voraussetzungen für die Absonderung des im vorliegenden Falle allein in Betracht kommenden inländischen unbeweglichen Nachlasses für gegeben erachtet, obwohl bisher trotz Aufforderung durch das Verlassenschaftsgericht noch keine Erbserklärung abgegeben worden ist.

Gegen diesen Beschluß erhoben der Nachlaßkurator und die berufenen Erben den Rekurs.

Das Rekursgericht gab den Rekurswerbern, die die Beseitigung der Nachlaßabsonderung anstrebten, Folge und wies den Absonderungsantrag ab. Es ließ die Frage, ob die Separationsforderung als bescheinigt angesehen werden könne, dahingestellt sein und vertrat den Standpunkt, daß eine Nachlaßabsonderung vor Abgabe einer Erbserklärung nicht zulässig sei.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Revisionsrekurs des Absonderungsgläubigers Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung des Obersten Gerichtshofes:

Grundsätzlich gilt ein Beschluß infolge Erhebung des Rekurses (Revisionsrekurses) als zur Gänze angefochten und ist daher im vollen Umfange zu prüfen. Deshalb war zunächst die Legitimation der berufenen, aber noch nicht erbserklärten Erben hinsichtlich des von ihnen angefochtenen Beschlusses des Erstgerichtes zu überprüfen.

Berufene Erben haben, solange sie noch keine Erbserklärung abgegeben haben, keine Rekurslegitimation. Sie können, ob sie jetzt nach dem Gesetze oder aus einem anderen Gründe zur Erbschaft berufen sind, nicht verlangen, daß ihnen die Verlassenschaft aufbewahrt werde, obwohl noch nicht einmal feststeht, daß sie den Nachlaß erwerben wollen (2 Ob 540/37 = NotZtg. 1937, S. 196; SZ. XXIII/240; 2 Ob 182/53). Aus dem gleichen Gründe hat der Oberste Gerichtshof zu 1 Ob 349/54 berufenen Erben, die noch keine Erbserklärung abgegeben haben, die Rekurslegitimation gegen einen Separationsbeschluß abgesprochen und in dieser Entscheidung ausgeführt, daß der ständig in der Rechtsprechung wiederkehrende Satz, daß zur Ergreifung von Rechtsmitteln derjenige berechtigt sei, der "sich durch die Verfügung der ersten Instanz beschwert erachtet", zu weit gefaßt sei. Daraus folgt für den konkreten Fall, daß die Erben F., G. und P. überhaupt kein Rekursrecht gegen den erstrichterlichen Beschluß besaßen, was bei Erledigung des vom Absonderungsgläubiger ergriffenen Revisionsrekurses zu beachten war, obwohl der Revisionsrekurswerber die Rekurslegitimation der Erben gemäß § 9 AußstrG. nicht beanstandet hat.

Die Erben können sich einer reformatio in peius wegen nicht beschweren, da eine solche zufolge des Umstandes, daß der Revisionsrekurs des Absonderungsgläubigers erfolgreich und der Rekurs des Nachlaßkurators sachlich nicht begrundet war, nicht gegeben ist; außerdem gibt es im Rekursverfahren kein Verbot der reformatio in peius.

Die Kernfrage des Revisionsrekurses bleibt, ob vor Abgabe der Erbserklärung (richtiger vor Annahme dieser Erklärung) eine Nachlaßabsonderung stattfinden darf. Die Entscheidung GlU. 7880 hat diese Frage bejaht, während die Entscheidung GlU. 13925 die Absonderung vor Erbschaftsannahme nicht zuläßt, da die Gefahr einer Vermengung nicht bestehe. Hiezu hat Schell in Klangs Komm., 1. Aufl. zu § 812, S. 803 ausgeführt, daß "auch schon vor der Erbserklärung dem Erben in der Regel die Möglichkeit tatsächlichen Zugriffes zu den Erbschaftsaktiven offen steht" und daß daher "dem Gläubiger das Recht gegeben werden muß, den Nachlaß, der - zumindest vorläufig - seinen einzigen Befriedigungsfonds bildet, dem Zugriff durch Personen zu entziehen, deren Charakter und Vermögen ihm unbekannt sind". Weiß in Klangs Komm., 2. Aufl. zu derselben Gesetzesstelle führt S. 1018 aus: Besteht schon vor der Erbserklärung die Besorgnis einer Verschleppung des Nachlasses, so hat der Gerichtsabgeordnete, dem die Todesfallaufnahme übertragen worden ist, möglichenfalls die Versiegelung des Nachlasses und dessen Sperre vorzunehmen. Diese Maßnahmen können praktisch nur auf die Fahrhabe des Nachlasses angewendet werden. Für Immobilien ist der bei Weiß erwähnte Vorgang nicht anwendbar, weil es sich hier um die Verwaltung der Einkünfte (Zinseingänge) durch den Separationskurator handeln würde. Im konkreten Falle betragen diese Einkünfte laut Inventur (Protokoll des Gerichtskommissärs) im Hinblick auf den auf die Verlassenschaft entfallenden Liegenschaftsanteil monatlich 3300 S (d. s. rund 40.000 S im Jahr), die bis jetzt bei der Hausverwalterin eingehen und im Falle der Nachlaßseparation beim Separationskurator eingehen und von diesem verwaltet werden müssen. Weiß beschäftigt sich mit den übrigen oben angeführten Ausführungen Schells in der 1. Aufl. des Kommentars nicht. Es ist daher der Meinung des Kommentars in der 1. Aufbeizupflichten, daß eine Vermögensabsonderung auch schon vor der Abgabe, richtiger vor der Annahme der Erbserklärung, notwendig werden kann. Abgesehen davon, daß der Nachlaßkurator, wie dies auch Weiß a. a. O., S. 1015 zugibt, im Interesse der "zukünftigen" Erben den Nachlaß vertritt, hat Schell a. a. O. auch, ausgeführt, daß die Tatsache, "daß ein Nachlaßkurator bereits bestellt wurde, die Nachlaßabsonderung nicht hindere". Hiezu kommt im vorliegenden Falle, daß das Bestreben des Nachlaßkurators gleich dem der Erben ist, indem sowohl er als auch die Erben - vertreten durch den Erbenmachthaber Dr. R. - die bewilligte Nachlaßabsonderung bekämpft haben.

Hinsichtlich der Bescheinigung der Forderung des Absonderungsgläubigers ist die Bemerkung des angefochtenen Beschlusses, daß es dahingestellt bleiben mag, ob diese Forderung in Anbetracht des Standes des Prozeßverfahrens als bescheinigt angesehen werden kann, auf die Tatsache zu verweisen, daß das Rekursgericht in einem Amtsvermerk vom 27. März 1954, ONr. 49 d. A., somit noch vor Erlassung des angefochtenen Beschlusses festgehalten hat, daß das Urteil in dem genannten Rechtsstreit im Sinne des Klagsbegehrens des Absonderungsgläubigers ergangen sei (mag auch die beklagte Partei dagegen berufen haben und die Entscheidung über die Berufung noch ausstehen).

Es kann die Meinung des Erstgerichtes ohneweiteres geteilt werden, daß Umstände eintreten können, wonach die abhandlungsbehördliche Genehmigung für eine Belastung oder Veräußerung der erblasserischen Liegenschaft erteilt werden müsse, so daß, falls eine Nachlaßseparation nicht bewilligt wurde, der Absonderungsgläubiger um seinen einzigen inländischen Befriedungsfonds gebracht werden könnte. Nicht verständlich ist die Bemerkung in dem angefochtenen Beschlusse, daß die Gefahr einer Vermengung in der gegenständlichen Sache nicht denkbar ist, da das vorhandene Liegenschaftsvermögen einen Wert repräsentiere, der den Betrag der geltend gemachten Forderungen des Separationsgläubigers zweifellos übersteige. Selbst wenn der Wert der Liegenschaft größer ist als der der Forderung, so bildet diese Tatsache keine Begründung, die Absonderung nicht zu bewilligen. Nach- der ständigen Rechtsprechung genügt es zur Bewilligung des Separationsantrages, daß die subjektive Besorgnis im Sinne des § 812 ABGB. und die abstrakte Möglichkeit einer Gefährdung behauptet wird und erweisbar ist; beides trifft im vorliegenden Fall zu.

Es war somit dem Revisionsrekurs des Absonderungsgläubigers Folge zu geben und der erstrichterliche Beschluß dadurch wieder herzustellen, daß dem Rekurse des Nachlaßkurators gegen den erstrichterlichen Beschluß der Erfolg zu versagen, gleichzeitig aber der Rekurs der Erben gegen den gleichen Beschluß als unzulässig zurückzuweisen war.

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