OGH 2Ob207/54

OGH2Ob207/5424.3.1954

SZ 27/76

Normen

ABGB §1302
ABGB §1327
Reichsversicherungsordnung §898
Reichsversicherungsordnung §903
ABGB §1302
ABGB §1327
Reichsversicherungsordnung §898
Reichsversicherungsordnung §903

 

Spruch:

Kein Solidarschuldverhältnis zwischen dem Unternehmer und einem am Verkehrsunfall nicht schuldigen Dritten, wenn gemäß § 898 RVO. die zivilrechtlichen Ansprüche der Witwe gegen die beklagte Unternehmerin ausgeschlossen sind. Der Dritte hat daher den ganzen Schaden allein zu tragen.

Entscheidung vom 24. März 1954, 2 Ob 207/54.

I. Instanz: Bezirksgericht für Zivilrechtssachen Graz; II. Instanz:

Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz.

Text

Der 62jährige Hilfsarbeiter Anton H. wurde, als er auf dem Heimwege von der Arbeitsstätte der Beklagten aus Gefälligkeit half, ein von Rindern gezogenes Fuhrwerk über die Straße zu schieben, von dem von Johann F. gelenkten Motorrad erfaßt und so schwer verletzt, daß er an der Unfallstelle starb. Sowohl die Beklagte als auch Johann F. wurden vom Strafgericht wegen Vergehens nach § 335 StG. verurteilt. Das Verschulden der Beklagten wurde darin erblickt, daß sie das Fuhrwerk nach Eintritt der Dunkelheit ohne Beleuchtung auf der Bundesstraße führte und durch das unvorsichtige Treiben der Kühe die Straße versperrte. Mit Erkenntnis des Schiedsgerichtes der Sozialversicherung für Steiermark wurde die land- und forstwirtschaftliche Sozialversicherungsanstalt, Landesstelle Graz, zur Zahlung der gesetzlichen Hinterbliebenenrente an die Witwe Antonie H. verpflichtet. Mit der Behauptung, sie habe als Haftpflichtversicherer des Johann F. auf Rechnung der aus dem Unfall entspringenden Regreßansprüche der Sozialversicherungsanstalten an die Allgemeine Invalidenversicherungsanstalt die für die Zeit vom 28. Oktober 1950 bis einschließlich Oktober 1952 fällig gewordenen Renten in der Höhe von 7331.10 S bezahlt, begehrt nun die Klägerin unter Annahme gleichteiligen Verschuldens der beiden an dem Unfall Schuldtragenden die Hälfte dieses Betrages, d. s. 3665.50 S von der beklagten Partei. In der Tagessatzung zur mündlichen Streitverhandlung vom 16. November 1953 hat sie dieses Begehren um 1500 S eingeschränkt, da sich die Beklagte durch gerichtlichen Vergleich vom 4. November 1953 verpflichtet hatte, an den bei dem Unfall ebenfalls zu Schaden gekommenen Soziusfahrer Walter K. einen Betrag von 3000 S zu bezahlen, und sie die Hälfte hievon, nämlich 1500 S, im Regreßwege von Johann F. verlangen könnte.

Das Erstgericht hat die beklagte Partei zur Bezahlung des eingeschränkten Klagsbetrages verpflichtet. Das Berufungsgericht hat das eingeschränkte Klagebegehren aus dem Gründe des § 898 RVO. abgewiesen.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Klägerin nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Unter Anrufung des Revisionsgrundes der Z. 4 des § 503 ZPO., auf dem das Hauptgewicht der Beschwerde ruht, führt die Revisionswerberin zunächst aus, es sei zwar richtig, daß die Witwe des Getöteten aus dem Gründe der vom Berufungsgericht herangezogenen Bestimmung gegen die Beklagte keinen Ersatzanspruch stellen könne, doch werde vom Berufungsgericht übersehen, daß der von der klagenden Partei geltend gemachte Anspruch nicht von den Ansprüchen der Witwe abgeleitet sei, sondern einen Regreßanspruch des Johann F. darstelle, der ihm auf Grund der Bestimmung des § 1302 ABGB. zustehe. Wenn das Berufungsgericht meine, Johann F. hätte dem Sozialversicherungsträger gegenüber das Mitverschulden der Beklagten einwenden müssen, so sei dies nicht richtig, weil bei konkurrierendem Verschulden Solidarhaftung eintrete, wenn, was im gegenständlichen Falle zutrifft, nicht feststellbar ist, welche bestimmten Schadensfolgen jedem einzelnen anzulasten sind.

Diesen Ausführungen der Revision kann nicht gefolgt werden. Hätte das Schiedsgericht den Unfall nicht als entschädigungspflichtigen Arbeitsunfall im Betriebe der Beklagten beurteilt, dann würden der Witwe nach dem Verunglückten Ersatzansprüche auch gegen die Beklagte zustehen (diese Ersatzansprüche sind ja nur zufolge § 898 RVO. ausgeschlossen). Die Folge würde sein, daß die Beklagte und Johann F. der Witwe solidarisch für den Schaden haften würden. Derjenige von ihnen, der dem Verletzten gegenüber zur Tragung des Schadens verurteilt worden wäre, würde daher von dem anderen Ausgleichung verlangen können. Der Umstand, daß gemäß § 898 RVO. die zivilrechtlichen Schadenersatzansprüche der Witwe gegen die Beklagte ausgeschlossen sind, hat zur Folge, daß zwischen der Beklagten einerseits und Johann F. anderseits kein Solidarschuldverhältnis besteht, weil eben die Beklagte gegenüber der Witwe aus dem Gründe des § 898 RVO. nicht haftet. Dies hat wieder zur Folge, daß Johann F. den ganzen Schaden allein zu tragen hat, u. zw. deswegen, weil der Verunglückte gemäß der Reichsversicherungsordnung versichert war. Hierin mag eine gewisse Unbilligkeit insofern liegen, als zufolge der Sonderregelung die § 898 RVO. trifft, ein Dritter im weiteren Umfange haftbar wird, als er es wäre, wenn jene Sonderregelung nicht bestunde. Es darf aber nicht übersehen werden, daß die Befreiung von der Schadenersatzpflicht nach §§ 898 ff. RVO. kraft Gesetzes zugunsten der Unternehmer wirkt, deren Betrieb der gesetzlichen Versicherungspflicht unterliegt. Da die Begünstigung nur diesen Unternehmern zugute kommt, wird die Haftung eines Dritten, der ebenfalls für den Unfall verantwortlich ist, hiedurch nicht berührt: er haftet dem Sozialversicherungsträger, soweit er Leistungen gewähren muß, aus § 1542 RVO. und darüber hinaus dem Verletzten oder dessen Hinterbliebenen für den weiteren durch die Leistungen des Sozialversicherungsträgers nicht gedeckten Schaden. Könnte nun der Dritte auf dem Wege über § 1302 ABGB. gegen die Beklagte Rückgriff nehmen und sie so zu einer weitergehenden Haftung zwingen, so wäre ihr damit der Schutz der §§ 898 ff. RVO. entzogen. Das kann aber nicht die Absicht des Gesetzes sein. Wäre eine andere Regelung, etwa ähnlich der nach § 9b RHG., § 8 SachschadenHG., § 17 KraftfahrVerkG. und § 27 LuftverkG. beabsichtigt gewesen, dann wäre dies, wie mit Sicherheit anzunehmen ist, vom Gesetzgeber deutlich zum Ausdruck gebracht worden. Soweit die Revisionswerberin den Anspruch noch auf den Umstand grunden will, daß Johann F. selbst zu Schaden gekommen ist, kann in eine Erörterung nicht eingetreten werden weil die dieses Vorbringen begrundenden Tatsachen vor dem Prozeßgericht gar nicht erörtert wurden. Es ist sonach dem Berufungsgericht kein Rechtsirrtum unterlaufen, wenn es den von der klagenden Partei geltend gemachten Anspruch aus dem Gründe des § 898 RVO. ausgeschlossen hat.

Gestützt auf den Revisionsgrund der Z. 4 des § 503 ZPO. führt die Beschwerde noch aus, es könne die Haftungsbefreiung nach § 898 RVO. auch deshalb nicht Platz greifen, weil die Beklagte ohnehin nach § 903 RVO. zum Ersatz jener Beträge an den Sozialversicherungsträger verpflichtet sei, deren Hälfte von ihr beansprucht werde. Auch dieser Einwand wird den besonderen Umständen des Unfallversicherungsrechtes nicht gerecht. Es ist wohl richtig, daß die Beklagte dem Versicherungsträger gegenüber, wenn auch nur beschränkt, nach § 903 RVO. haftet. Dieser Anspruch steht aber dem Sozialversicherungsträger kraft eigenen Rechtes zu; er ist nicht wie der Rückgriffsanspruch des § 1542 RVO. vom Verletzten im Wege der cessio legis auf ihn übergegangen. Es liegt in seiner Hand, ob und inwieweit er seinen Anspruch geltend machen will, dessen Geltendmachung übrigens im gegenständlichen Falle wohl daran scheitern dürfte, daß es an der qualifizierten Fahrlässigkeit, wie sie § 903 RVO. verlangt, mangelt (vgl. Entsch. v. 25. Juni 1952, EvBl. Nr. 374). Keinesfalls kann der Dritte diesen dem Versicherungsträger allein zustehenden Anspruch heranziehen, um die Haftungsbefreiung des § 898 RVO. zu beseitigen, und die von ihm behauptete Ausgleichungspflicht darauf grunden.

Die Rechtsrüge erweist sich somit als nicht gerechtfertigt.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte