OGH 2Ob100/54

OGH2Ob100/5418.2.1954

SZ 27/43

Normen

ABGB §364
ABGB §1295
ABGB §1304
ABGB §1318
ABGB §364
ABGB §1295
ABGB §1304
ABGB §1318

 

Spruch:

Haftung des Mieters für Schäden in den benachbarten Wohnungen, die durch einen fahrlässig verursachten Rohrbruch in der eigenen Wohnung herbeigeführt wurden.

Entscheidung vom 18. Feber 1954, 2 Ob 100/54.

I. Instanz: Bezirksgericht Döbling; II. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien.

Text

Im Badezimmer des Beklagten ist am 11. Jänner 1946 infolge Frosteinwirkung das unter dem Waschtisch befindliche Wasserzuleitungsrohr geplatzt, das Wasser ist ausgeflossen und in das darunter befindliche Atelier des Klägers gedrungen, wo es dort liegende Geräte und Behelfe durchnäßte und unbrauchbar machte. Der Kläger begehrt mit der am 3. August 1951 eingebrachten Klage aus dem Titel des Schadenersatzes vorläufig die Bezahlung eines Betrages von 3800 S. Das Erstgericht hat mit Zwischenurteil ausgesprochen, daß der Anspruch dem Gründe nach zu Recht bestehe.

Über Berufung des Beklagten änderte die zweite Instanz das angefochtene Urteil dahin ab, daß der Anspruch des Klägers nur zur Hälfte zu Recht bestehe. Beide Untergerichte nahmen an, daß auf den gegenwärtigen Fall die Bestimmung des § 1318 ABGB. anzuwenden sei und außerdem eine Haftung des Beklagten aus dessen Verschulden besteht. Das Berufungsgericht lastete entgegen dem Prozeßgerichte auch dem Kläger ein Verschulden an und kam zu dem Ergebnis, daß die Streitteile den Schaden je zur Hälfte zu tragen hätten.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision beider Parteien nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Das Berufungsgericht hat ausgesprochen, daß der Beklagte schon mehrere Tage vor dem Eintritt des Schadens von dem Einfrieren der Leitungsstränge Kenntnis hatte und trotz dieser Kenntnis nichts zur Abwendung oder Minderung der Gefahr ausströmender Wassermassen unternommen hat; er sei von Beruf Baumeister und habe als solcher diese Gefahr umso leichter erkennen können; offenkundig im Vertrauen darauf, daß ein Schaden nicht eintreten werde, habe er nichts unternommen, insbesondere nicht für eine rechtzeitige Absperrung der Leitung gesorgt; ein solches Verhalten stelle eine Fahrlässigkeit dar, die für den eingetretenen Schaden verantwortlich mache. Diese Erwägungen sind rechtlich nicht zu beanständen. Der Revision ist zuzugeben, daß an die Sorgfaltspflicht des Mieters keine übertriebenen Anforderungen gestellt werden dürfen. Daß der Beklagte aus der Unterlassung der Absperrung eine unmittelbare Gefahr nicht als gegeben erachtete, befreit ihn, wie die Untergerichte zutreffend erkannt haben, nicht, sondern er hätte bei richtiger Überlegung darauf aufmerksam machen müssen, daß bei Eintritt anderer Witterungsverhältnisse mit einem Platzen der Rohre gerechnet werden müsse und daß durch die ausströmenden Wassermassen nicht nur das umliegende Mauerwerk, sondern auch die Wohnungen und andere Teile des Hauses stark gefährdet seien. Selbst wenn es richtig wäre, daß die Hausbesorgerin vom Kläger, wie er bei seinen Angaben als Partei bekundet hat, verständigt worden wäre, vermöchte diese Tatsache den Beklagten von der Verantwortlichkeit nicht befreien, dies umso weniger, als er, wie die Untergerichte angenommen haben, nicht bloß Mieter war, sondern von der Hauseigentümerin auch mit der Beaufsichtigung der Hausbesorgerin betraut war. Jedenfalls geht das Berufungsgericht ohne Rechtsirrtum davon aus, daß der Beklagte durch mehrere Tage hindurch nichts unternommen hat, um der Gefahr vorzubeugen. Er hat sich deswegen nicht an die Hausbesorgerin oder an die verantwortlichen Organe der Hauseigentümerin gewendet noch hat er die Hilfe eines Handwerkers in Anspruch genommen oder die in seiner Wohnung befindliche Rohrleitung beaufsichtigt oder beaufsichtigen lassen. Auch wenn man anerkennt, daß es nicht leicht war, der Gefahr zu begegnen, rechtfertigt doch das Fehlen jeglicher Abhilfeversuche die Ansicht des Berufungsgerichtes, daß der Beklagte die erforderliche Sorgfalt außer acht gelassen hat. Da der Beklagte durch ein auf Fahrlässigkeit beruhendes Unterlassen fremdes Eigentum beschädigt hat, war es nicht rechtsirrig, wenn die Untergerichte den Beklagten für schadenersatzpflichtig erklärten. Da somit schon die Haftung des Beklagten aus einem Verschulden gegeben ist, kann die Frage, ob der Beklagte als Wohnungsinhaber auch aus dem Gründe des § 1318 ABGB. für den eingetretenen Schaden haftbar ist, unerörtert bleiben.

Soweit die Revision unter Anrufung des gleichen Revisionsgrundes Verwirkung des Anspruches durch den Kläger für sich in Anspruch nehmen will, weil der Kläger seine Klage erst ungefähr sechs Jahre nach dem Eintritt des Schadens eingebracht habe, ist ihr entgegenzuhalten, daß die Unterlassung der Geltendmachung eines Rechtes durch längere Zeit für sich allein die rechtliche Ausübung noch nicht unzulässig macht, sondern daß die Unzulässigkeit der Rechtsausübung nur dann eintritt, wenn im Hinblick auf besondere Umstände, die aber gewiß hier nicht vorliegen, die verspätete Geltendmachung als ein Verstoß gegen Treu und Glauben erschiene. Übrigens wären die Voraussetzungen im vorliegenden Falle auch deshalb nicht gegeben, weil das Erstgericht auf Grund der Angaben des Klägers zutreffend festgestellt hat, daß er vom Beklagten noch im Jahre 1950 den Ersatz seines Schadens gefordert hat und daher von einer verspäteten Geltendmachung keinesfalls gesprochen werden kann. Die Revision des Beklagten ist daher unbegrundet.

Die Revision des Klägers wendet sich gegen die Annahme seines mitwirkenden Verschuldens und meint, daß weder ein ursächlicher Zusammenhang zwischen seinem Verhalten und dem eingetretenen Schaden anzunehmen sei noch auch der Eintritt des Schadens nach den ihm bekannten Umständen vom Kläger hätte vorausgesehen werden können. Die Revision ist nicht begrundet. Die für die Revisionsentscheidung maßgeblichen Tatsachenfeststellungen der Untergerichte gehen dahin, daß der Kläger bereits einige Zeit vor dem Schadenseintritt gewußt hat, daß die Wasserleitung eingefroren ist und daß er keine geeigneten Maßnahmen zur Verhütung des Schadens unternommen hat. Wird von diesen Feststellungen ausgegangen, besteht weder gegen die Annahme eines Kausalzusammenhanges Bedenken, noch kann das fahrlässige Verhalten des Klägers in Zweifel gezogen werden. Der Kläger war ebenso wie der Beklagte Bestandnehmer und als solcher verpflichtet, Maßnahmen zur Verhütung eines Schadens ohne Verzug einzuleiten, dies umso mehr, als auch das in den Rohren seiner Wohnung befindliche Wasser eingefroren war. Wenn man aber bei einer im Winter eingefrorenen Wasserleitung jegliche Maßnahme unterläßt, ist ein solches Verhalten typisch ("nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge" § 1293 ABGB.) geeignet, einen Rohrbruch mit seinen Folgen herbeizuführen. Daß volle Gewißheit darüber besteht, daß bei Wegfall des als Bedingung zu wertenden Ereignisses der Schadenserfolg ausgeblieben wäre, ist durchaus nicht erforderlich; es genügt ein höherer Grad von Wahrscheinlichkeit. Nach der Sachlage sind jedoch alle Voraussetzungen für einen derart hohen Grad von Wahrscheinlichkeit vorhanden, daß dieser für die Annahme des Verursachungszusammenhanges hinreicht. Der Kläger konnte aber auch den Eintritt des Schadens, nämlich den Rohrbruch und das damit verbundene Ausströmen der Wassermassen voraussehen und war daher verpflichtet, alles zu unternehmen, um den Schaden abzuwenden oder zu mindern. Der Kläger hätte, wie auch das Berufungsgericht nicht verkannte, bei der zur Wartung des Hauses bestellten Hausbesorgerin oder auch bei den verantwortlichen Organen der Hauseigentümerin vorstellig werden können, um auf die Abwendung des Schadens hinzuwirken. Eine bloße Mitteilung an die Hausbesorgerin reicht nicht aus, insbesondere dann nicht, wenn zur Behebung der Gefahr von ihr nichts unternommen wird. Wenn der Revisionswerber meint, er sei nicht verpflichtet gewesen, in dieser Weise tätig zu werden, weil dies nicht seine Sache gewesen sei, so verkennt er, daß das Unterlassungsverschulden nicht immer die Verletzung einer besonderen Rechtspflicht voraussetzt. Das Herbeiführen eines Sachschadens durch Unterlassung ist schuldhaft immer dann, wenn jemand wahrnimmt oder wahrnehmen sollte, daß sein von Anfang an indifferentes Verhalten auf die Schädigung eines anderen hinarbeitet; hat er diese Folgewirkungen rechtzeitig abzuwenden unterlassen, so fällt ihm Verschulden zur Last. Für gewisse Fälle bestehen ausdrückliche Normen in dieser Beziehung, welche ein Handeln vorschreiben; aber das hindert nicht, daß auch in anderen Situationen in der Unterlassung der die schwebende Folgewirkung aufhaltenden Handlung ein subjektives Verschulden erblickt wird. Vom Kläger als Mitmieter des Hauses, der den drohenden Schaden täglich vor Augen hatte, kann verlangt werden, daß auch er selbst etwas zur Abwendung der ihn selbst treffenden Gefahr tut, obwohl dies in erster Linie Sache anderer Personen war. Insbesondere hätte er etwas unternehmen sollen, als er erkannte, daß der Beklagte, in dessen Wohnung - nach den Ausführungen der Revision selbst - allein ein Rohrgebrechen in Frage kommen konnte, keine Anstalten traf, um die Gefahr abzuwenden und damit auch im Hinblick auf das gespannte Verhältnis zu dem Beklagten nicht rechnen konnte. Bei dem festgestellten annähernd gleichen Verschulden beider Teile bestehen auch keine Bedenken Segen die vom Berufungsgericht ausgesprochene Schadensteilung im Verhältnis von 1 : 1, jedenfalls ist ihm hiebei ein Rechtsirrtum nicht unterlaufen.

Der unbegrundeten Revision des Klägers mußte daher der Erfolg versagt werden.

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