OGH 3Ob468/53

OGH3Ob468/539.9.1953

SZ 26/222

Normen

Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch §91
Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch §1444
EheG §66
Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch §91
Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch §1444
EheG §66

 

Spruch:

In dem bloßen Verzicht auf Unterhalt für die Zukunft ist ein solcher auf die Anwendung der clausula rebus sic stantibus nicht zu erblicken.

Entscheidung vom 9. September 1953, 3 Ob 468/53.

I. Instanz: Bezirksgericht Judenburg; II. Instanz: Kreisgericht Leoben.

Text

Die Klägerin begehrt die Verurteilung des Beklagten zur Bezahlung eines im Zuge des Verfahrens auf 600 S monatlich eingeschränkten Unterhaltsbeitrages mit der Begründung, ihre mit dem Beklagten geschlossene Ehe sei mit Urteil des Landesgerichtes Leoben rechtskräftig aus dem Verschulden des Beklagten geschieden worden, der als Hauptverleger ein Monatseinkommen von 7000 S bis 8000 S beziehe; sie selbst habe kein Einkommen und könne auch wegen ihres Gesundheitszustandes keinem Verdienst nachgehen.

Der Beklagte wendete gegen den Grund des Anspruches ein, die Klägerin habe in einem Brief an den Beklagten für immer auf jede Unterhaltsleistung verzichtet, überdies lebe sie in einem eheähnlichen Verhältnis mit einem Franz M.

Das Prozeßgericht wies zunächst das Klagebegehren ab, erkannte aber nachAufhebung des Urteiles durch das Berufungsgericht nach dem Klagebegehren. Es stellte fest, daß ein Verzicht der Klägerin auf den Unterhalt nicht erwiesen sei, und nahm an, daß, selbst wenn eine Verzichtserklärung von der Klägerin abgegeben worden sein sollte, die clausula rebus sic stantibus zur Anwendung zu kommen habe, da sich die beiderseitigen Verhältnisse im Vergleich zur Zeit der Scheidung sehr maßgeblich geändert hätten. Der Beklagte sei seit 1950 Tabakhauptverleger und beziehe aus diesem Beruf ein Mindestreineinkommen von 3000 S, während er im Zeitpunkt der angeblichen Verzichtserklärung kein Einkommen bezog und in einem Konzentrationslager angehalten war. Demgegenüber sei die Klägerin infolge des im September 1951 erfolgten Ablebens ihrer Mutter vollkommen einkommenslos und beziehe Unterstützungen aus öffentlichen Fürsorgemitteln. Es könne ihr auch mit Rücksicht auf ihr Alter und ihrenfrüheren Beruf als Malerin eine Erwerbstätigkeit nicht mehr zugemutet werden. Es sei auch nicht bewiesen, daß die Klägerin in einem eheähnlichen Verhältnis mit einem anderen Manne lebe, weshalb ihr ein Anspruch auf Unterhalt gemäß § 65 EheG. zustehe.

Das Berufungsgericht wies nach teilweiser Wiederholung des Beweisverfahrens das Klagebegehren ab. Es stellte fest, daß die Klägerin in einem an den im Konzentrationslager angehaltenen Beklagten gerichteten Brief ihren Verzicht auf Unterhaltsleistung erklärt habe, und war der Ansicht, daß es sich bei diesem Verzicht um einen solchen unter Ausschluß der clausula rebus sic stantibus handle, weil die Klägerin bei Abgabe der Verzichtserklärung daran gar nicht gedacht habe, daß sie einmal vom Beklagten einen Unterhaltsbeitrag verlangen werde, und daß gemäß § 80 EheG. die Ehegatten über die Unterhaltspflicht für die Zeit der Scheidung auch vor Rechtskraft des Urteiles Vereinbarungen treffen können, ohne an die Form eines gerichtlichen Protokolles oder eines Notariatsaktes gebunden zu sein. Ein derartiger Unterhaltsverzicht sei auch für den Fall der Not wirksam. Bei dieser Rechtslage sei eine Erörterung der Frage, ob die Klägerin in einem eheähnlichen Verhältnis mit einem anderen Mann lebe, ohne Bedeutung, das Klagebegehren sei vielmehr bereits im Hinblick auf den festgestellten Verzicht abzuweisen.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Klägerin Folge und trug demBerufungsgericht die neuerliche Entscheidung auf.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Soweit die Revision geltend macht, daß das Verzichtschreiben der Klägerin an den Beklagten nur eine Offerte im Sinne des § 861 ABGB. darstelle, die vom Beklagten nicht rechtzeitig und formgerecht angenommen wurde, kommt ihr keine Berechtigung zu. Der Empfang einer Willenserklärung kann auch stillschweigend erfolgen (SZ. XVIII/184). Aus dem vom Berufungsgericht festgestellten Verhalten des Beklagten, der auf die Erklärung der Klägerin hin, auf den Unterhalt zu verzichten, sich gegen das Scheidungsbegehren der Klägerin nicht mehr zur Wehr setzte, ergibt sich eindeutig, daß er den von der Klägerin erklärten Verzicht zumindest stillschweigend angenommen hat.

Desgleichen ist auch die Ansicht der Revision verfehlt, daß es sich beimVerzicht um ein Schenkungsversprechen handle, das mangels Notariatsform ungültig sei, und daß darin, daß der Beklagte auf Einwendungen im Scheidungsprozeß verzichtete, eine Entgeltlichkeit des Verzichtes nicht erblickt werden könne, weil das Scheidungsverfahren ein amtswegiges sei und das Gericht selbst zu prüfen habe, ob ein Scheidungsgrund vorliege. Nach § 80 EheG. können die Parteien schon vor der Scheidung über die Unterhaltspflicht nach der Scheidung Vereinbarungen treffen, ohne daß für diese Vereinbarungen, die auch in einem Verzicht auf den Unterhalt bestehen können, irgendeine Form vorgeschrieben ist. Wenngleich im Eheverfahren der Untersuchungsgrundsatz herrscht und das Gericht auch von amtswegen in diesem Verfahren Beweise aufzunehmen hat, so kann das Gericht doch nur jene Umstände von amtswegen berücksichtigen, die ihm im Verfahren bekannt werden, hingegen nicht solche Tatsachen, die entweder zu einer Abweisung des Scheidungsbegehrens führen müßten oder eine andere Entscheidung in der Verschuldensfrage nach sich ziehen würden, aber vom Beklagten nicht geltend gemacht werden und daher dem Gericht nicht zur Kenntnis kommen können. Bei dem vom Berufungsgericht festgestellten Verzicht handelt es sich somit nicht um eine Schenkung oder ein Schenkungsversprechen.

Hingegen kann die Frage, ob ein Verzicht auf Unterhalt nach § 66 EheG. auch für den Fall der Not wirksam ist oder nicht, auf sich beruhen, weil der Rechtsmeinung des Berufungsgerichtes, daß es sich bei dem von ihm angenommenen Unterhaltsverzicht um einen solchen unter Ausschluß der clausula rebus sic stantibus handelt, nicht beigepflichtet werden kann.

Unterhaltsverträgen wohnt die clausula rebus sic stantibus regelmäßig stillschweigend inne. Nur dann, wenn die Parteien ausdrücklich und in einer jeden Zweifel ausschließenden Weise auf eine Änderung der Unterhaltsvereinbarung auch für den Fall einer wesentlichen Änderung in den beiderseitigen Verhältnissen verzichtet haben, kann auch im Falle des Eintrittes einer solchen wesentlichen Veränderung die Vereinbarung nicht geändert werden. Ein bloßer Verzicht auf Unterhalt für die Zukunft stellt ebensowenig einen ausdrücklichen Verzicht, eine Änderung der Vereinbarung im Falle einer wesentlichen Veränderung der Verhältnisse zu begehren, dar, wie der Umstand, daß der Unterhaltsberechtigte bei Abschluß der Vereinbarung nicht daran gedacht hat, es könne in Zukunft eine solche Veränderung eintreten. Die vom Berufungsgericht aus seinen tatsächlichen Feststellungen, daß die Klägerin auf den Unterhalt für die Zukunft verzichtet habe, gezogene Schlußfolgerung, daß auf diese Vereinbarung die clausula rebus sic stantibus keine Anwendung zu finden habe, beruht daher auf einem Rechtsirrtum.

Der Beklagte hat die Feststellung des Prozeßgerichtes, daß er im Zeitpunkt des Verzichtes weder ein Einkommen noch ein Vermögen besaß und in einem Konzentrationslager angehalten war, während er jetzt als Tabakhauptverleger ein Reineinkommen von monatlich 3000 S bezieht, in seiner Berufung nicht bekämpft. Auch die weitere Feststellung des Prozeßgerichtes, daß die Klägerin im Zeitpunkte der Verzichtserklärung in geordneten finanziellen Verhältnissen lebte, während sie nunmehr infolge des Todes ihrer Mutter über kein Einkommen mehr verfügt und in ihrer Erwerbsfähigkeit um 50% beeinträchtigt ist und sich überdies auch in einem vorgerückten Alter befindet, wurde in der Berufung des Beklagten nicht bestritten. Der Beklagte hat in der Berufung lediglich vorgebracht, daß die Klägerin in der Lage wäre, Zimmer unterzuvermieten und leichtere Arbeiten zu verrichten. Diese Behauptungen, die bereits durch die Tatsache widerlegt werden, daß die Klägerin eine Fürsorgeunterstützung aus öffentlichen Mitteln bezieht, richtet sich nicht gegen den Grund, sondern lediglich gegen die Höhe des Anspruches. Aus dem Gesagten ergibt sich somit, daß in den beiderseitigen Verhältnissen eine so wesentliche Veränderung seit der Abgabe der Verzichtserklärung eingetreten ist, daß die Klägerin trotz dieser Verzichtserklärung nunmehr berechtigt ist, den ihr nach dem Gesetze zustehenden Unterhalt vom Beklagten zu begehren.

Da das Berufungsgericht, von seiner Rechtsansicht ausgehend, sich mit den übrigen Ausführungen der Berufung des Beklagten, insbesondere hinsichtlich der behaupteten eheähnlichen Gemeinschaft der Klägerin mit einem anderen Mann, nicht auseinandergesetzt hat und dem Revisionsgericht daher eine Entscheidung in der Sache selbst nicht möglich ist, war der Revision Folge zu geben, das Urteil des Berufungsgerichtes aufzuheben und diesem die neuerliche Entscheidung über die Berufung des Beklagten aufzutragen, ohne daß es notwendig gewesen wäre, sich mit den übrigen Ausführungen der Revision auseinanderzusetzen.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte