OGH 3Ob444/53

OGH3Ob444/532.9.1953

SZ 26/216

Normen

Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch §431
Allgemeines Grundbuchsanlegungsgesetz §3
Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch §431
Allgemeines Grundbuchsanlegungsgesetz §3

 

Spruch:

Entscheidend für den Umfang des Eigentumserwerbes an einer Liegenschaft ist nicht die Grundbuchsmappe, sondern der Umstand, in welchem Umfang das verkaufte Grundstück nach dem Parteiwillen tatsächlich übergeben wurde.

Entscheidung vom 2. September 1953, 3 Ob 444/53.

I. Instanz: Bezirksgericht Zell am Ziller; II. Instanz:

Landesgericht Innsbruck.

Text

Die Klägerin begehrt, den Beklagten schuldig zu erkennen, den nördlichen Zaun der Liegenschaft EZ. 92/II Katastralgemeinde S. auf die im Lageplan des Dipl.-Ing. Dr. Richard E. in GZ. 274/51 mit M-B bezeichnete Linie zurückzuversetzen und alle in dem Zwischenraum zur heutigen Lage dieses Zaunes befindlichen Anlagen zu entfernen.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt und stellte folgendes fest: Im Grundbuch der Katastralgemeinde S. ist das Eigentumsrecht der klagenden Gemeinde an der Liegenschaft EZ. 48/II, zu deren Gutsbestand auch das Grundstück 180/2 gehört, und für den Beklagten das Eigentumsrecht an der Liegenschaft EZ. 92/II, bestehend aus den Grundstücken 3/5, 3/6 sowie der Bauparzelle 157 eingetragen. Die den Beklagten betreffende Eintragung erfolgte im Zuge der Grundbuchsanlegung im Jahre 1928 auf Grund des nichtverfachten Kaufvertrages vom 2. April 1923. Dieser Kaufvertrag kam, wie das Erstgericht feststellte, im wesentlichen der Darstellung des Beklagten folgend, wie folgt zustande: Im Jahre 1923 trat der Beklagte an den damaligen Bürgermeister wegen des Erwerbes eines Grundstückes von der Gemeinde in der sogenannten B. heran, um dort ein Haus zu erbauen. Dieser riet ihm zu einem schriftlichen Ansuchen an die Gemeinde, was er auch tat. Der Bürgermeister teilte ihm nach einiger Zeit die aufrechte Erledigung seines Ansuchens mit. Am 2. April 1923 fand an Ort und Stelle eine Baukommissionsverhandlung statt, bei welcher auch der Bürgermeister anwesend war. Im Zuge dieser Verhandlung wurden die Grundstücke begangen und in der Weise vermarkt, daß bei den Punkten B, D, E und Z des Lageplanes je ein Zaunstock eingesetzt wurde. Die Grenzen in der Natur bildeten zwischen Z-B und E-D Stauden, während zwischen B-D ein defekter Zaun war. Die Baugenehmigung wurde vom Bürgermeister erteilt. Noch im Jahre 1923 hat der Beklagte ein Haus auf dem Grundstück gebaut, zwischen Z-B zog er einen Zaun. Die Annahme des Kaufpreises wurde damals von der Gemeinde wegen der Geldentwertung abgelehnt. Auf Antrag der Klägerin vom 16. Juni 1923 wurde im Jahre 1925 die Vermessung der vermarkten und eingezäunten Grundstücke in Gegenwart des damaligen Bürgermeisters vorgenommen, wobei von den seinerzeit gesteckten Zaunsäulen ausgegangen wurde. Das Ergebnis der Vermessung wurde in einem Handriß festgehalten. Es wurde der Anmeldungsbogen 24/25 verfaßt, der das Amtssiegel der Gemeinde und die Unterschrift des Bürgermeisters trägt. Der Handriß stimmte mit der Mappe insofern nicht überein, als ein Stück des vermessenen Grundstückes in die Grundparzelle 180/2 hineinragte. Der Geometer verkleinerte nun in der Mappe das Grundstück so, daß die Nordgrenze mit der Mappengrenze zusammenfiel. Der Beklagte bezahlte den Kaufpreis nach der Vermessung in der Höhe von 6000 K pro m2 für 342 m2 gekauften Gründes. Ein schriftlicher Kaufvertrag wurde nicht errichtet. Eine ausdrückliche Genehmigung des Kaufes ist im Gemeindesitzungsprotokoll nicht zu ersehen. Wohl hat aber die Gemeinde am 7. Dezember 1929 beschlossen, nachträglich für die in den letzten Jahren verkauften Grundstücke die Genehmigung der Landesregierung einzuholen, darunter auch für den Verkauf von Trennstücken der Parzelle 3/1 im Ausmaße von 342 m2 zu einem Kaufpreis von 6000 K pro m2 laut Protokoll vom 2. September 1924. Die Genehmigung der Landesregierung wurde am 7. Februar 1930 erteilt. Da ein schriftlicher Kaufvertrag nicht vorgelegt werden konnte, hat die Landesregierung angeordnet, die durchgeführten Grundverkäufe jedenfalls bei der Grundbuchsanlegung anzumelden, was ohnehin geschehen war. Das bezügliche Anlegungsprotokoll ist sowohl vom Beklagten als auch vom Vertrauensmann der Gemeinde unterzeichnet.

Auf Grund dieses festgestellten Sachverhaltes nahm das Erstgericht an, daß ein Kaufvertrag im Jahre 1925 zustande gekommen sei, weil damals die Einigung der Parteien über Ware und Preis erfolgt sei. Die erforderliche Genehmigung durch die Landesregierung sei ebenfalls nachträglich erteilt worden, so daß ein rechtsgültiger Kaufvertrag, wenn auch nur mündlich, abgeschlossen worden sei. Da aber auf Grund des Sachverständigengutachtens feststehe, daß das Dreieck M-Z-B zum Grundstück 180/2 gehöre, ergebe sich, daß der Zaun auf dem Grundstück der Klägerin stehe, da der Beklagte gar nicht behauptet habe, ein Trennstück des Grundstückes 180/2 erworben zu haben. Auch aus der Genehmigung der Landesregierung ergebe sich, daß nur ein Trennstück des Grundstückes 3/1 verkauft wurde, nicht aber ein Teil des Grundstückes 180/2. Nur in diesem Umfange sei auch die Genehmigung erteilt worden.

Das Berufungsgericht wies das Klagebegehren ab. Es übernahm die erstgerichtlichen Feststellungen zur Gänze. Die Absicht der Parteien sei auf den Erwerb bzw. Verkauf eines bestimmten Stückes der Erdoberfläche gerichtet gewesen. Wie dieses Stück im Grundbuch bezeichnet werde, sei gleichgültig. Das Grundstück sei dem Beklagten im vermarkten Umfang übergeben worden. Er hat in diesem Umfange auch Besitz erlangt. Nun gehört wohl das Trennstück M-Z-B zur Grundparzelle 180/2. Die grundbücherliche Einverleibung des Eigentumsrechtes erstrecke sich daher nicht auf dieses Trennstück. Er habe aber auf Grund des Kaufvertrages einen Anspruch auf Übertragung dieses Trennstückes. Dem Verkäufer gegenüber habe er bereits eine Stellung, als ob er Eigentümer wäre.

Daß das Flächenausmaß von 355 m2 etwas größer sei, als die Genehmigung der Landesregierung bezeichnet, sei unerheblich. Eine Berufung auf § 21 GVG. sei verfehlt, weil gemäß § 25 Abs. 3 GVG. das Rücktrittsrecht für Verträge, die vor Kundmachung des Gesetzes geschlossen worden sind, nicht anwendbar sei. Daß ein formgültiger Vertrag nicht zustande gekommen sei, sei ebenfalls belanglos, da für den Abschluß des Kaufvertrages Formvorschriften nicht bestehen. Dem Anspruch auf Rückverlegung des Zaunes stehe der Anspruch des Beklagten auf Übergabe des Trennstückes entgegen.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Klägerin nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Entscheidend ist, ob zwischen den Streitteilen ein wirksamer Kaufvertragabgeschlossen wurde. Es ist richtig, wie die Revision ausführt, daß sowohl nach der im Jahre 1923 und 1925 geltenden Gemeindeordnung als auch nach der derzeit geltenden Gemeindeordnung der Verkauf von Gemeindegrund der Beschlußfassung des Gemeinderates bedarf und auch der Genehmigung durch die Landesregierung. Es ist auch richtig, daß nach den erstgerichtlichen Feststellungen ein solcher Gemeinderatsbeschluß weder für das Jahr 1923 noch für das Jahr 1925 nachweisbar ist und daß eine Abmachung zwischen dem Bürgermeister und dem Beklagten für die Gemeinde nicht rechtsverbindlich wäre. Allein es steht fest, daß der Gemeinderat in seiner Sitzung vom 7. Dezember 1929 beschlossen hat, die Genehmigung der Landesregierung für den Grundverkauf an den Beklagten einzuholen. Damit hat aber der Gemeinderat den Grundstückverkauf, so wie er seinerzeit abgeschlossen wurde, genehmigt. Ebenso liegt auch die erforderliche Genehmigung der Landesregierung vor. Damit steht fest, daß zwischen den Streitteilen ein wirksamer Kaufvertrag über die Grundstücke 3/5, 3/6 und 157 zustande gekommen ist. Auf den Umstand, daß eine Urkunde einer besonderen Förmlichkeit bedarf, ist nicht weiter einzugehen, da auch ein Kaufvertrag, den eine Gemeinde schließt, bereits durch die mündliche Vereinbarung zustandekommt und rechtswirksam wird, wenn er vom Gemeinderat beschlossen und von der Landesregierung genehmigt wird. Die Formvorschrift wäre lediglich für die Grundbuchsurkunde einzuhalten.

Verfehlt ist die Meinung der Revision, daß der Klägerin ein Rücktrittsrecht nach § 21 GVG. zustunde. Durch Art. 1 der Einführungsverordnung zur Grundstückverkehrsbekanntmachung wurde das österreichische Bundesgesetz Nr. 251/1937 (GVG.) mit Wirkung vom 1. August 1938 ausdrücklich aufgehoben. Mangels einer Übergangsvorschrift muß angenommen werden, daß das Rücktrittsrecht nach § 21 GVG. bei bereits geschlossenen Verträgen mit diesem Tage erloschen ist. Die Novelle vom 18. Juni 1946, BGBl. 123, welche das Grundverkehrsgesetz in der Fassung BGBl. 251/1937 wieder in Kraft setzte, enthält keine Bestimmung darüber, ob ein Rücktrittsrecht, welches vor Einführung der Grundstückverkehrsbekanntmachung durch Vertragsabschluß begrundet worden ist, nunmehr wieder auflebt oder nicht. Der Oberste Gerichtshof hat bereits zu 3 Ob 60/48 ausgesprochen, daß das Rücktrittsrecht jenen Verkäufern, die während der Zeit der Geltung der Grundstückverkehrsbekanntmachung einen nicht einverleibungsfähigen Vertrag über landwirtschaftliche Grundstücke abgeschlossen haben, nicht zusteht, weil das wiedereingeführte österreichische Gesetz nicht auf Verträge Anwendung finden könne, die unter der Herrschaft eines anderen Gesetzes geschlossen wurden. Aus dem Umstand nun, daß § 5 des Gesetzes vom 18. Juni 1946, BGBl. 123, die während der Zeit der Grundstückverkehrsbekanntmachung verfügten Auflagen anerkennt und deren Nichterfüllung oder Verletzung der Strafsanktion des § 23 GVG. unterwirft, ist zu schließen, daß ungeachtet der Wiedereinführung des Grundverkehrsgesetzes Bestimmungen der Grundstückverkehrsbekanntmachung als rechtswirksam erachtet werden, woraus a contrario folgt, daß auch der Nichtbestand eines Rücktrittsrechtes anerkannt werden sollte, ohne daß es jedoch für nötig erachtet wurde, darüber etwas zu sagen, was mit den früher begrundeten Rechten zu geschehen habe. Es ist mit Sicherheit anzunehmen, daß der Gesetzgeber dies deshalb nicht für nötig erachtete, weil er nicht annehmen konnte, daß Verkäufer ein Rücktrittsrecht, welches ja nur den Zweck hatte, sie vor übereilten Verträgen und etwa daraus entspringenden Schäden zu bewahren, nach vielen Jahren wieder auszuüben versuchen werden. Der Oberste Gerichtshof hat aus diesen Gründen bereits in seiner Entscheidung 2 Ob 217/48 das Wiederaufleben des Rücktrittsrechtes durch Wiedereinführen des Grundverkehrsgesetzes verneint. Er sieht sich durch die Ausführungen der Revision nicht veranlaßt, von dieser Rechtsmeinung abzugehen. Die Klägerin vermag daher von einem Rücktrittsrecht nach § 21 GVG. keinesfalls wirksam Gebrauch zu machen, so daß es einer Prüfung, ob § 21 GVG. seiner Voraussetzungen nach hier anwendbar wäre, nicht bedarf.

Verfehlt ist schließlich die Meinung, daß der Beklagte die gekauften Grundstücke nur in den Grenzen der Grundbuchsmappe erworben hätte. Der Mappendarstellung kommt die Bedeutung einer bücherlichen Eintragung nicht zu. Wer ein Grundstück erwirbt, erwirbt wohl die Parzelle, die im Gutsbestandsblatt angeführt ist, nicht aber notwendig auch mit den aus der Mappe ersichtlichen Grenzen und in der aus dieser hervorgehenden Ausdehnung. § 14 des für Tirol und Vorarlberg seinerzeit gültigen Anlegungsgesetzes sagt ausdrücklich "zu jedem Hauptbuch ist eine Mappe zu führen, die lediglich zur Veranschaulichung der Lage der Liegenschaft bestimmt ist". Dies stimmt wörtlich mit § 3 Allg.GAG. überein. Die Mappe ist nach Zeit und Zweck ihrer Entstehung nicht dazu bestimmt, für das Eigentum Beweis zu machen und hiezu auch keineswegs geeignet. Sie ist ein einfaches Beweismittel. Der Richter hat das Maß der ihm zukommenden Beweiskraft nach freiem Ermessen zu beurteilen. Entscheidend für den Umfang des Eigentumserwerbes ist daher nicht die rundbuchsmappe, sondern der Wille der Parteien, entscheidend ist daher, in welchem Umfang die verkauften Grundstücke tatsächlich übergeben wurden. Es steht nun fest, daß das vom Beklagten gekaufte Grundstück auf Antrag der Klägerin im Jahre 1925 vermessen wurde und damals die Grenzen begangen und vermarkt wurden und dem Beklagten in diesem Umfange das Grundstück übergeben wurde. Die damals festgelegte Grenze ist in der Natur noch heute die gleiche wie im Jahre 1925. Dem Erstgerichte ist bei der rechtlichen Beurteilung in diesem Punkte mehrfach ein Irrtum unterlaufen. Richtig ist, das Punkt B unbestritten ist. Unrichtig widergegeben im erstgerichtlichen Urteil ist aber, daß Punkt B 10.1 m von der nordwestlichen Ecke des damals schon errichteten Hauses entfernt war. Aus dem Lageplan ergibt sich, daß Punkt B nicht von der nordwestlichen Hausecke ermessen wurde, sondern nur der Punkt A (M). Dies entspricht auch der Angabe des Zeugen H. Sollte aber der Punkt A 10.1 m von der nordwestlichen Hausecke entfernt sein, dann ergibt sich, daß dieser Eckpunkt dem Punkte Z im Lageplan des Sachverständigen entspricht. Der Sachverständige ist auch keineswegs, wie das Erstgericht annimmt, von seiner im schriftlichen Gutachten vorgetragenen Ansicht abgegangen, daß die Grundstücke des Beklagten im Jahre 1925 dieselben Grenzen aufwiesen wie zur Zeit der Neuvermessungim Jahre 1951, sondern er hat nur ausgeführt, daß laut Grundbuchsmappe das Dreieck M-Z-B zum Grundstück 180/2 gehört, was aber mit den Grenzen in der Natur nicht das geringste zu tun hat. Daraus folgt, daß die Grenze des Grundstückes 3/6 mit der Linie Z-B seinerzeit festgelegt wurde. Die Mappe wäre im Jahre 1925 anläßlich der Vermessung entsprechend zu berichtigen, nicht aber in der Mappe das Grundstück 3/6 entsprechend den Mappengrenzen zu verkleinern gewesen.

Aus der Tatsache, daß die Grenzen in der Natur mit den Mappengrenzen nicht übereinstimmen, folgt nicht, daß der Beklagte Eigentümer nur entsprechend der in der Mappe ersichtlichen Grundstücksgrenze geworden wäre. Dem Beklagten wurden vielmehr die Grundstücke im Rahmen der heute noch aufrecht bestehenden Grenzen übergeben, einschließlich des Dreieckes M-Z-B, das als zum Grundstück 3/6 gehörig behandelt wurde. Dies offensichtlich deshalb, weil auf der Linie Z-B die in der Natur ersichtliche Kulturgrenze verlaufen ist. In diesem Umfange kam wirksam ein Kaufvertrag zustande. In diesem Umfange hat der Beklagte durch Übergabe und bücherliche Eintragung Eigentum erworben. Er ist daher nicht verpflichtet, den Zaun auf die von der Klägerin bezeichnete Linie zurückzuversetzen, so daß das Klagebegehren mit Recht abgewiesen wurde.

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