OGH 2Ob526/53

OGH2Ob526/538.7.1953

SZ 26/184

Normen

EO §382
HGB §117
HGB §127
HGB §162
EO §382
HGB §117
HGB §127
HGB §162

 

Spruch:

Neben oder statt der vorläufigen Entziehung oder Beschränkung der Vertretungsmacht sind auch andere Anordnungen möglich.

Entscheidung vom 8. Juli 1953, 2 Ob 526/53.

I. Instanz: Handelsgericht Wien; II. Instanz: Oberlandesgericht Wien.

Text

Der Beklagte, Komplementär einer Kommanditgesellschaft, hat ohne Wissen und Zustimmung der Klägerinnen, der übrigen Gesellschafter, aus der Kassa einen Betrag von 7386.82 S für Privatzwecke entnommen und diese Entnahme in den Büchern nicht verbucht; er hat außerdem Waren dem Unternehmen entnommen, darüber ungeachtet ausdrücklicher Aufforderung der Mitgesellschafter keinen Aufschluß gegeben und auch keine Aufzeichnungen in den Büchern der Gesellschaft vorgenommen oder veranlaßt und sich schließlich, obgleich er in Erfüllung der gesellschaftsvertraglichen Verpflichtung gegenüber der Hausinnehabung den Übergang der Mietrechte erklärt hatte, dennoch in eine gegen ihn alsHauptmieter angestrengte Zins- und Räumungsklage eingelassen, und davon seinen Mitgesellschaftern keine Mitteilung gemacht. Die Klägerinnen beantragten in ihrer Klage, mit der sie den Ausschluß des Beklagten aus ihrer Gesellschaft anstrebten, die Erlassung einer einstweiligen Verfügung, auf Grund der ihm die Vertretungsmacht und die Befugnis zur Geschäftsführung entzogen und auf die Erstklägerin, die ebenfalls Komplementärin und mit dem Beklagten kollektiv vertretungsbefugt war, übertragen werden sollte.

Das Erstgericht wies den Antrag ab, weil seiner Ansicht nach wegen der bloß kollektiven Vertretungsbefugnis der beiden Komplementäre ein Entzug der Befugnis zur Geschäftsführung und der Vertretungsmacht nur bei gleichzeitiger Bestellung eines Sachwalters für den ausgeschlossenen (auszuschließenden) Komplementär in Betracht käme und ein solcher Antrag nicht gestellt wurde.

Das Rekursgericht gab dem Antrag der klagenden Parteien im wesentlichen Folge, entzog dem Beklagten die Vertretungsmacht und die Befugnis zur Geschäftsführung und ordnete unter Ablehnung des Antrages, die alleinige Vertretungsmacht und Geschäftsführungsbefugnis an die Erstklägerin zu übertragen, die Verwaltung der Gesellschaftsrechte des Beklagten einschließlich des Rechtes auf Geschäftsführung und Vertretung an. Demgemäß wurde dem Beklagten aufgetragen, die Geschäfts- und Kassaschlüssel dem zu bestellenden Verwalter zu übergeben; ferner wurde dem Beklagten verboten, sich in der Firma geschäftlich zu betätigen und die Räumlichkeiten der Firma zu betreten.

Der Oberste Gerichtshof änderte infolge des Revisionsrekurses der Klägerinnen den Beschluß des Rekursgerichtes insofern ab, daß der Erstklägerin die alleinige Vertretungsmacht und Geschäftsführungsbefugnis übertragen, dem Antragsgegner aufgetragen wurde, ihr die Geschäfts- und Kassaschlüssel sofort zu übergeben, und ihm gleichzeitig verboten wurde, sich in der Firma geschäftlich zu betätigen. Der Revisionsrekurs des Beklagten, der die Wiederherstellung des erstgerichtlichen Beschlusses anstrebte, blieb erfolglos.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Dem Revisionsrekurs des Beklagten ist entgegenzuhalten, daß ein Erfolg des von den Klägerinnen gestellten Antrags auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung keineswegs notwendig zur Stillegung der Gesellschaft führen muß. Nach Weipert im Reichsgerichtsräte-Kommentar zum Handelsgesetzbuch, Anm. 3 zu § 127, kann neben der vorläufigen Entziehung oder Beschränkung der Vertretungsmacht oder statt dieser Maßregel auch eine andere Anordnung getroffen werden; so könne auch einem Dritten oder einem bisher nicht oder nur gesamtvertretungsbefugtenGesellschafter vorläufig die Vertretung der Gesellschaft übertragen werden. Auch nach Schlegelberger, Kommentar zum Handelsgesetzbuch, Anm. 12 und 18 zu § 117 und Anm. 12 zu § 127 kann dann, wenn durch das Urteil der Gesellschaftsvertrag undurchführbar würde, das Gericht neben der Entziehung der Geschäftsführung entsprechend einem einverständlichen Verlangen der übrigen Gesellschafter die entstandene Lücke in der Geschäftsführung anderweitigregeln; bei Regelung der Geschäftsführung durch einstweilige Verfügung könne das Gericht alle ihm erforderlich scheinenden Anordnungen treffen namentlich auch einen Dritten zum Geschäftsführer der Gesellschaft bestellen.

Es besteht kein Anlaß, diese allerdings auf den Bestimmungen der Deutschen Zivilprozeßordnung basierenden Entscheidungen im Bereich des österreichischen Rechtes nicht zu berücksichtigen; § 382 EO. gibt nur eine beispielsweise Aufzählung der Sicherungsmittel und überläßt in seinem einleitenden Satz die Gestaltung des Sicherungsmittels je nach Beschaffenheit des im einzelnen Falle zu erreichenden Zweckes dem Richter.

Ist also einerseits der Revisionsrekurs des Beklagten völlig unbegrundet, so kann anderseits dem Revisionsrekurs der Klägerinnen Berechtigung nicht abgesprochen werden.

Abgesehen von den Kosten, die die Bestellung eines Verwalters aus dem Kreise der Wirtschaftstreuhänder zur Verwaltung der Gesellschaftsrechte des Beklagten einschließlich des Rechtes auf Geschäftsführung und Vertretung der Gesellschaft verursachen würde, könnte auch die Suche nach einem in jeder Hinsicht geeigneten Verwalter auf Schwierigkeiten stoßen. Nach der Sachlage, soweit sie bisher in den Akten zur Darstellung gebracht wurde, scheint eine solche Maßnahme über den wirtschaftlichen Rahmen des Unternehmens hinauszugehen. Anderseits wurden gegen die Geschäftsführung der Erstklägerin Bedenken nicht geltend gemacht; sie ist, wie der Revisionsrekurs der Klägerinnen ins Treffen führt, als geschäftsführende Gesellschafterin mit den geschäftlichen Agenden des Unternehmens vertraut. Die Gefahr eines Mißbrauches der Befugnisse bei Erweiterung der Geschäftsführungsbefugnis und der Vertretungsmacht dahin, daß der Erstklägerin für die Dauer des Rechtsstreites die alleinige Vertretungsmacht und Geschäftsführungsbefugnis übertragen wird, ist nicht bescheinigt. Es darf auch nicht übersehen werden, daß sich die Notwendigkeit einer einstweiligen Verfügung nicht aus bloßer Unfähigkeit des Beklagten zur ordnungsmäßigen Geschäftsführung und ordnungsmäßigen Vertretung der Gesellschaft ergeben hat, daß sie vielmehr durch grobe Pflichtverletzungen des beklagten Gesellschafters entstanden ist.

Der Oberste Gerichtshof ist daher der Meinung, daß der von den Klägerinnen beantragte Weg zur Ermöglichung der Fortführung der Geschäftstätigkeit der Gesellschaft der gegebenen Sachlage mehr Rechnung trägt als die Bestellung eines Verwalters für die Rechte des Beklagten.

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