OGH 1Ob156/53

OGH1Ob156/5311.3.1953

SZ 26/65

Normen

Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch §1304
Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch §1307
Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch §1309
Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch §1310
Straßenpolizeigesetz §7
Straßenpolizeiordnung §7
Straßenpolizeiordnung §56 Abs1
Straßenpolizeiordnung §67
Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch §1304
Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch §1307
Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch §1309
Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch §1310
Straßenpolizeigesetz §7
Straßenpolizeiordnung §7
Straßenpolizeiordnung §56 Abs1
Straßenpolizeiordnung §67

 

Spruch:

Haftung der Eltern für die Folgen eines durch ihr noch nicht 12 Jahre altes, ohne Aufsicht radfahrendes Kind verursachten Unfalles.

Entscheidung vom 11. März 1953, 1 Ob 156/53.

I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien; II. Instanz:

Oberlandesgericht Wien.

Text

Die Klägerin begehrt 8099.20 S, jetzt eingeschränkt auf 5399.47 S, Schadenersatz wegen einer Knieverletzung, die ihr die noch nicht 12jährige Tochter der Beklagten Eleonore G. dadurch zugefügt habe, daß sie die Klägerin mit dem Rad niedergestoßen habe. Die Beklagten wenden Selbstverschulden der Klägerin ein, weil sie sich von einem durch sie geführten Schäferhund in die Fahrbahn der Minderjährigen habe zurückreißen lassen, der Erstbeklagte überdies, er habe der Zweitbeklagten aufgetragen, immer dabei zu sein, wenn die Tochter radfahre.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab, indem es feststellte, daß der von der Klägerin geführte Schäferhund diese in die Fahrbahn des Kindes zurückgezerrt habe. Der Erstbeklagte habe der Zweitbeklagten erlaubt, daß sie der Minderjährigen radfahren lernen lasse; er habe aber zur Bedingung gemacht, daß die Zweitbeklagte sich darum kümmere, daß nichts passiere.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin teilweise Folge und erkannte mit Zwischenurteil, daß der Anspruch der Klägerin auf Ersatz des ihr von der Tochter der beklagten Partei der minderjährigen Eleonore G. am 14. Oktober 1950 durch Niederstoßen mit dem Fahrrad zugefügten Schadens dem Gründe nach mit zwei Dritteln zu Recht und mit einem Drittel nicht zu Recht bestehe. Nach Beweiswiederholung kam das Berufungsgericht zu dem Ergebnis, daß der Minderjährigen Eleonore G. und der damals mit ihr radfahrenden, ebenfalls noch nicht 12jährigen Minderjährigen Erika K. kein Glaube zu schenken sei. Das Berufungsgericht stellte fest, daß der Hund die Klägerin nicht auf die Straße zurückgerissen und sich der Vorfall vielmehr so zugetragen habe, daß die Klägerin, nachdem sie den Randstein des Gehsteiges bereits mit dem rechten Fuß betreten hatte, vom Fahrrad der knapp am Gehsteig entlang daherkommenden Eleonore G. niedergestoßen worden und mit dem ganzen Oberkörper auf den Gehsteig gefallen sei. Der Erstbeklagte habe nach seiner eigenen Aussage seiner Ehefrau gestattet, das Kind radfahren lernen zu lassen, er wolle aber zur Bedingung gemacht haben, daß seine Frau sich darum kümmere und nichts passiere. Durch die Unterlassung einer Vorkehrung zur Begleitung der Minderjährigen durch einen Erwachsenen haben die Beklagten gegen die Vorschrift des § 56 Abs. 1 StPolG. und § 67 Abs. 2 StPolO. verstoßen. Schon diese Zuwiderhandlung mache sie haftbar. Zugleich haben sie die ihnen über ihre minderjährige Tochter anvertraute Obsorge vernachlässigt und es müsse ihnen daher gemäß § 1309 ABGB. der Schaden, den diese der Klägerin zugefügt habe, beigemessen werden. Die Klägerin treffe aber ein Mitverschulden. Sie habe nach Erreichung der Straßenmitte nach der rechten Straßenseite nicht mehr Ausschau gehalten (§§ 7 StPolG. und StPolO.). Die Klägerin habe daher nach § 1304 ABGB. mit dem Beschädiger den Schaden verhältnismäßig zu tragen. Dieses Verhältnis sei nach den Umständen des Falles dahin zu bestimmen, daß die beklagten Parteien für den Schaden zu zwei Dritteln aufzukommen haben, während die Klägerin ein Drittel des Schadens selbst zu tragen habe.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der beklagten Parteien nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Die Ausführung der Revision zu der von ihr behaupteten unrichtigen rechtlichen Beurteilung, das Berufungsgericht habe wie das Erstgericht als erwiesen angenommen, daß der Erstbeklagte der Zweitbeklagten den Auftrag erteilt habe, sich um das Radfahren seiner Tochter zu kümmern "und daß sie bei dieser Tätigkeit immer anwesend zu sein habe", ist aktenwidrig. Das Berufungsgericht hat in dieser Beziehung bloß ausgeführt, der Erstbeklagte habe nach seiner eigenen Aussage seiner Ehefrau gestattet, das Kind radfahren lernen zu lassen, er wolle aber zur Bedingung gemacht haben, daß seine Frau sich darum kümmere und nichts passiere. Eine Feststellung, daß der Erstbeklagte den Auftrag gegeben habe, die Minderjährige dürfe nur in Begleitung der Zweitbeklagten radfahren, ist nicht getroffen worden. Nur sie allein könnte aber bei der Bestimmung des § 56 Abs. 1 StPolG. und § 67 Abs. 2 StPolO. streiterheblich sein. Eine Äußerung des Erstbeklagten, die Zweitbeklagte müsse sich um das Radfahren des Kindes kümmern und es dürfe nichts passieren, ist zu unbestimmt, als daß darin ein deutlicher und sachgemäßer Auftrag des Erstbeklagten an die Zweitbeklagte im Sinne der angeführten Gesetzesbestimmungen erblickt werden könnte. Daß der Erstbeklagte einen solchen Auftrag gegeben hätte, ist auch unwahrscheinlich, weil er nach seinem eigenen Vorbringen diese Bestimmungen nicht gekannt hat. Auf die Unkenntnis der Vorschriften kann sich aber der Erstbeklagte nicht berufen (§ 2 ABGB.), wozu noch kommt, daß ohne weiteres für jedermann einzusehen ist, daß das Radfahren eines noch nicht 12jährigen Kindes ohne Aufsicht für die anderen Straßenbenützer gefährlich ist. Der Hinweis der Revision auf die Entscheidung SZ. XII/120 geht in diesem Zusammenhang fehl, weil jener Fall anders gelagert war und vor allem nicht gegen eine ausdrückliche Verbotsnorm verstoßen wurde.

Nach dem Vorgesagten braucht auf die Ausführungen der Revision, die Zweitbeklagte sei bei Beaufsichtigung der Minderjährigen eine taugliche Besorgungsgehilfin gewesen, schon deswegen nicht eingegangen werden, weil der Erstbeklagte entsprechende Aufträge nicht erteilt hat. Das Verschulden des Erstbeklagten liegt eben darin, daß er der Minderjährigen das Radfahren zu lernen gestattet hat, ohne Vorsorge zu treffen, daß sie sich in der Begleitung Erwachsener befinde.

Auch das Vorbringen der Revision, das Berufungsgericht habe festgestellt, daß die klagende Partei beim Überschreiten der zweiten Straßenhälfte grob fahrlässig gehandelt habe, ist aktenwidrig. Das Berufungsgericht führt in dieser Beziehung bloß aus, daß ein Mitverschulden der Klägerin bestehe, ohne es als grobe Fahrlässigkeit zu qualifizieren. Daß in dem festgestellten Verhalten der Klägerin ein weitaus überwiegendes Verschulden der Beschädigten gegenüber der Unterlassung einer Vorkehrung zur Begleitung des Kindes durch einen Erwachsenen seitens des Erstbeklagten läge, kann keinesfalls gesagt werden. Das Berufungsgericht hat vielmehr im Hinblick auf das beiderseits festgestellte Verhalten den Schaden richtig dahin geteilt, daß die Klägerin ein Drittel selbst zu tragen, während der Erstbeklagte zwei Drittel zu ersetzen hat.

Wenn die Revision hinsichtlich der Zweitbeklagten in gleicher Richtung vorbringt, auch hier überwiege das Verschulden der Klägerin weitaus, weil die Zweitbeklagte nur leicht fahrlässig gehandelt habe, so trifft auch dies nicht zu. Die Zweitbeklagte hat als ihr Verschulden zu verantworten, daß sie als Mutter ihrem noch nicht zwölfjährigen Kind das Radfahren ohne Begleitung gestattet hat. Auch hier ist die Schadensteilung, die das Berufungsgericht vorgenommen hat, zu billigen, wobei insbesondere auch noch darauf hinzuweisen ist, daß nach den Feststellungen des Berufungsgerichtes die Minderjährige Anfängerin im Radfahren war.

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