OGH 3Ob776/52

OGH3Ob776/5211.2.1953

SZ 26/35

Normen

Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch §1036
Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch §1042
Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch §1338
Verwaltungsvollstreckungsgesetz §4
Wiener Bauordnung §123
Wiener Bauordnung §129
Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch §1036
Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch §1042
Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch §1338
Verwaltungsvollstreckungsgesetz §4
Wiener Bauordnung §123
Wiener Bauordnung §129

 

Spruch:

Zur Frage der Zulässigkeit des Rechtsweges für Ansprüche der Gemeinde Wien aus der Ersatzvornahme nach § 129 Abs. 4 der Wiener BauO.

Entscheidung vom 11. Feber 1953, 3 Ob 776/52.

I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien; II. Instanz:

Oberlandesgericht Wien.

Text

Die beklagten Parteien sind Eigentümer des Hauses Wien, II., Sch-Straße 45, das durch Kriegseinwirkung schwer beschädigt wurde.

Zur Beseitigung des gefährlichen Bauzustandes erteilte der Magistrat denHauseigentümern am 6. August 1945 den Auftrag, binnen zwei Wochen diestehengebliebenen Bauteile durch Abtragen, Umlegen oder Sprengen zu beseitigen. Da die Eigentümer diesem Auftrage nicht nachkamen, wurde die Sprengung der Bauruine durch die Baupolizei am 24. Juli 1946 durchgeführt.

Die durch die Sprengung aufgelaufenen Kosten wurden den beklagten Parteien mit Bescheid der Baubehörde erster Instanz am 4. August 1950 zum Ersatz vorgeschrieben. Infolge Berufung der beklagten Parteien hat die Bauoberbehörde den Bescheid der Baubehörde aufgehoben. Maßgebend für diese Entscheidung war ein in einem ähnlichen Fall ergangenes Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 19. Juni 1950, Zl. 385/49, worin die Rechtsansicht geäußert wurde, daß ein Fall der Notpolizei gemäß § 129 Abs. 6 der Bauordnung für Wien nicht vorläge. Der Verwaltungsgerichtshof hatte beigefügt, daß die Frage einer allfälligen Verpflichtung zum Ersatz der von der Gemeinde Wien aufgewendeten Kosten der Sprengung durch den Hauseigentümer nur unter dem Gesichtspunkt der §§ 1042 ff. ABGB. beurteilt werden könne.

Die Gemeinde klagte darauf auf Zahlung der für die Sprengung aufgewendeten Kosten in der Höhe von 7148.96 S, und stützte sich hiebei auf § 1042 ABGB., vorsichtsweise auch auf §§ 1036, 1037 und 1358 ABGB.

Das Erstgericht erkannte im Sinne des Klagsbegehrens. Auf die Berufung der Beklagten hob das Berufungsgericht das Ersturteil auf und verwies die Rechtssache an das Erstgericht gemäß § 496 Z. 3 ZPO. zurück, weil die Frage der Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit der Sprengung nicht geklärt worden sei und das Erstgericht gemäß § 182 ZPO. auf erschöpfende Parteibehauptungen und Beweisanerbietungen der beklagten Parteien hätte dringen sollen.

Der Oberste Gerichtshof hob aus Anlaß des Rekurses der Beklagten das bisherige Verfahren, den angefochtenen Beschluß und das erstinstanzliche Urteil als nichtig auf und wies die Klage wegen Unzulässigkeit des Rechtsweges zurück.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Nach den Feststellungen der Vorinstanzen wurde den Beklagten mit dem Bescheid vom 6. August 1945, M.Abt. IV/25-1820/45, aufgetragen, die in ihrem Eigentum stehende Hausruine binnen zwei Wochen zu beseitigen. Die Beklagten haben diesen Bescheid in Rechtskraft erwachsen lassen, ihm aber trotzdem nicht entsprochen. In der Baupolizeiangelegenheit hat nun weiter am 8. Juli 1946 eine Verhandlung wegen Genehmigung von Auflockerungssprengungen auf der den Beklagten gehörigen Liegenschaft stattgefunden. Mit Bescheid vom selben Tag, Abt. 35/390 b/1946, wurde die Sprengung der Ruine gemäß § 123 Abs. 7 der Wiener Bauordnung für zulässig erklärt. Der Vertreter der Hauseigentümer hat auf ein Rechtsmittel ausdrücklich verzichtet und hat nur erklärt, wegen einer eventuellen Abtragung noch mit einer Baufirma bis 14. Juli 1946 Fühlung nehmen zu wollen. Eine darüber hinausgehende Frist wurde den Hauseigentümern nicht gewährt, sondern am 24. Juli 1946 gesprengt.

Aus diesem Tatbestande ergibt sich, daß der geltend gemachte Ersatzanspruch nicht im Rechtswege erhoben werden kann.

Nach § 129 Abs. 2 der Wiener Bauordnung hat die Behörde nötigenfalls dieHauseigentümer zur Behebung der Gebrechen unter Gewährung einer angemessenen Nachfrist zu verhalten. Sie verfügt die aus öffentlichen Rücksichten notwendige Beseitigung von Baugebrechen und ordnet erforderlichenfalls die Sicherungsmaßnahmen, die Räumung oder den Abbruch von Gebäuden oder Gebäudeteilen an. Nach dem Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 26. Juni 1950, Slg. 1569 (A.) NF. ist von der Baubehörde im Falle des § 129 Abs. 4 der im AVG. vorgeschriebene Weg einzuhalten und zunächst nach Anhörung des zur Behebung des Gebrechens verpflichteten Hauseigentümers ein Bescheid zu erlassen, der dem Hauseigentümer die Beseitigung des gesetzwidrigen Zustandes auferlegt. Kommt der Hauseigentümer dem Auftrage nicht nach, ist der Bescheid nach dem VVG. zu vollstrecken. Die Ersatzvornahme durch die Behörde setzt voraus daß sie vorerst durch einen nach dem VVG. erlassenen Bescheid angedroht und daß sohin die Ersatzvornahme angeordnet wird.

Im vorliegenden Falle hat wohl die Behörde den im § 129 Abs. 4 der Wiener Bauordnung vorgeschriebenen Auftrag erlassen; sie hat überdies im Sinne des § 123 Abs. 7 die Anwendung von Sprengmitteln bei der Abtragung von Baulichkeiten gestattet und schließlich die Ersatzvornahme durchgeführt; doch hat sie es unterlassen, gemäß § 4 VVG. die Ersatzvornahme bescheidmäßig anzudrohen. Diese Unterlassung hat die Bauoberbehörde veranlaßt, die von der Baubehörde erster Instanz verfügte Kostenersatzvorschreibung aufzuheben, weil Gefahr im Verzuge nicht vorgelegen sei und daher Abs. 6 des § 129 WBO., der gestattet, daß die Baubehörde auch ohne Anhörung der Partei die erforderlichen Verfügungen auf Gefahr und Kosten des Eigentümers trifft und vollstreckt, nicht anwendbar sei. Der Auftrag vom 5. August 1945 wäre nach vorheriger Androhung gemäß § 4 VVG. vollstreckbar gewesen.

Nach der Entscheidung der Bauoberbehörde durften demnach die Kosten der Ersatzvornahme nicht gemäß § 129 Abs. 6 der Bauordnung für Wien zum Ersatze vorgeschrieben werden.

Die Verneinung eines solchen Kostenersatzanspruches berechtigt aber die Behörde nicht, nunmehr den Anspruch aus dem Titel des § 1042 ABGB. vor Gericht geltend zu machen.

Ob ein zivilrechtlicher oder ein verwaltungsrechtlicher Anspruch vorliegt, ist nach dem vorgebrachten Sachverhalt zu beurteilen und nicht nach der juristischen Konstruktion der Klage, wie der Oberste Gerichtshof (1 Ob 832/51) und der Verfassungsgerichtshof (K I-2/52) übereinstimmend entschieden haben.

Die vom Verwaltungsgerichtshofe in Slg. 1548 (A.) NF. aufgeworfene, aber nicht entschiedene Frage, ob nicht etwa bei Nichteinhaltung der Vorschriften des § 129 Abs. 4 der Wiener Bauordnung die aufgelaufenen Kosten einer Sprengung vom Hauseigentümer aus dem Titel des § 1042 ABGB. verlangt werden können, ist infolgedessen zu verneinen, denn die der Gemeinde entstandenen Kosten sind und bleiben Barauslagen, die anläßlich eines Vollstreckungsverfahrens aufgelaufen sind, u. zw. auch dann, wenn die Gemeinde wegen Fehlerhaftigkeit des Verfahrens den Ersatz im Vollstreckungswege nicht eintreiben kann.

Der Magistrat hat die Sprengung auf Grund einer behördlichen Verfügung vorgenommen, daher kann er sich nicht auf den Standpunkt stellen, er habe als Privatperson gehandelt und es stehe der Gemeinde ein privatrechtlicher Anspruch zu.

Wenn der Gesetzgeber bestimmte Geldansprüche in das Verwaltungsverfahrenverweist, kann der Gläubiger, der zufolge eines ihm unterlaufenen Fehlers bei der Durchführung des Verwaltungsverfahrens den Anspruch in dem vom Gesetze vorgesehenen Verfahren nicht durchsetzen konnte, nunmehr nicht im Klagewege Zahlung verlangen. Die Rechtsnatur des Anspruches ist ein für allemal festgelegt und hängt nicht davon ab, ob er ohne Rücksicht auf besondere Umstände im Verwaltungsverfahren mit Erfolg geltend gemacht werden kann. Auch im Zivilprozeß ist es der Partei nicht gestattet, einen Kostenanspruch, der in einem früheren Verfahren aus welchem Gründe immer präkludiert wurde, abgesondert einzuklagen.

Die Klägerin kann sich auch nicht mit Erfolg auf die Entscheidung vom 2. Oktober 1902, GlUNF. 2048, berufen; es ist richtig, daß damals der Oberste Gerichtshof ausgesprochen hat, der Anspruch einer schlesischen Gemeinde auf Ersatz der Kosten von Sicherungsmaßnahmen anläßlich der Verschüttung eines Arbeiters bei einer behördlich nicht konzessionierten Bauführung könne aus dem Titel des Schadenersatzes vor Gericht geltend gemacht werden. Damals galt aber weder das Amtshaftungsgesetz noch enthielt die schlesische Bauordnung eine dem § 129 Abs. 6 der Bauordnung für Wien entsprechende Bestimmung. Auch handelte es sich damals um einen Schadenersatzanspruch, der nur bei Gericht geltend gemacht werden kann (§ 1338 ABGB.). Die damalige Entscheidung des Obersten Gerichtshofes bildet daher kein Präjudiz, das den Obersten Gerichtshof auch diesmal veranlassen könnte, die gerichtliche Zuständigkeit anzuerkennen.

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