OGH 1Ob798/52

OGH1Ob798/5210.12.1952

SZ 25/324

Normen

ABGB §870
HGB §335
ABGB §870
HGB §335

 

Spruch:

Bei der stillen Gesellschaft kann die ursprüngliche Unwirksamkeit des Gesellschaftsvertrages im Sinne des § 870 ABGB. ausgesprochen werden.

Entscheidung vom 10. Dezember 1952, 1 Ob 798/52.

I. Instanz: Landesgericht Innsbruck; II. Instanz: Oberlandesgericht Innsbruck.

Text

Das Erstgericht gab der auf Zahlung von 100.000 S gerichteten Klage statt. Am 12. April 1950 hätten der Kläger und seine Mutter Leopoldine Sch. mit dem Beklagten einen Gesellschaftsvertrag geschlossen, wonach neben jener der Kläger mit einer Einlage von 100.000 S als stiller Gesellschafter der Einzelfirma des Beklagten "F", Lebensmittelindustrie in I., beigetreten sei. Wenn auch der Kläger und seine Mutter auf Grund der mit richtigen Bewertungen versehenen Zwischenbilanz vom 31. Jänner 1950 ihren Entschluß, sich zu beteiligen, gefaßt und die Möglichkeit gehabt hätten, die Richtigkeit der Bilanz zu überprüfen, und wenn auch von laesio enormis keine Rede sein könne, sei der Gesellschaftsvertrag doch wegen des arglistigen Vorgehens des Beklagten nach § 870 ABGB. anfechtbar. Denn dieser habe dem Kläger und dessen Mutter verschwiegen, daß er der Elisabeth B. einen Darlehenbetrag von 100.000 S schulde. Dieser Darlehensbetrag sei in die Geschäftsbücher des Beklagten nicht aufgenommen gewesen, so daß der Kläger und seine Mutter auf den Bestand der Forderung nur durch Zufall nachträglich gekommen seien. Die Behauptung des Beklagten, es handle sich um eine private und nicht geschäftliche Verpflichtung, sei belanglos, da bei einem Einzelkaufmann zwischen dem privaten und dem geschäftlichen Vermögen nicht unterschieden werden könne. Der Beklagte habe den Kläger in dieser Richtung und damit über den wahren Stand seines Geschäftsunternehmens gröblich getäuscht, so daß der Gesellschaftsvertrag nach § 870 ABGB. für den Kläger nicht verbindlich sei und er die Einlage von 100.000 S zurückverlangen könne. Außerdem liege eine Irreführung des Klägers darin, daß der Beklagte ihm die Einleitung eines außergerichtlichen Ausgleichs verschwiegen habe.

Infolge Berufung des Beklagten bestätigte das Berufungsgericht das erstgerichtliche Urteil. Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes und dessen rechtliche Beurteilung des Falles.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der beklagten Partei nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

In erster Linie ist die von den Untergerichten und den Parteien unberücksichtigt gebliebene Rechtsfrage zu prüfen, ob es ohneweiters möglich ist, die Gültigkeit eines Gesellschaftsvertrages mit Wirkung ex tunc anzufechten, oder ob der anfechtende Gesellschafter auf die Kündigung oder die vorzeitige Lösung des bereits faktisch durchgeführten Gesellschaftsverhältnisses zu verweisen ist. Der Gesellschaftsvertrag begrundet ebenso wie etwa ein Miet- oder Arbeitsvertrag ein Dauerschuldverhältnis, das mit der einzelnen Leistung und Gegenleistung nicht beendet ist, sondern eine ganze Gruppe von Lebensbeziehungen durch längere Zeit umfaßt. Die faktische Tätigkeit der Gesellschaft, die auf Grund eines anfechtbaren Gesellschaftsvertrages entstanden ist, bringt mannigfache rechtliche Beziehungen nicht nur unter den Gesellschaftern, sondern gegebenenfalls auch dritten Personen gegenüber hervor. Gerade die Wirkung der anfechtbar entstandenen Gesellschaft nach außen und das zu schützende Vertrauen Dritter in Rechtsbeziehungen zur Gesellschaft stehenden Personen auf den Rechtsschein brachten es mit sich, daß Lehre und Rechtsprechung schon seit längerer Zeit die Meinung vertreten, daß Mängel des Gesellschaftsvertrages nur auf dem Weg der Kündigung oder der vorzeitigen Auflösung der Gesellschaft mit Wirkung ex nunc geltend gemacht werden können (Gschnitzer, Die Kündigung nach deutschem und österreichischem Recht, Iherings Jahrbücher 76, 404; Beitzke, Nichtigkeit, Auflösung und Umgestaltung von Dauerrechtsverhältnissen, S. 61; Nikisch, Arbeitsrecht, S. 83; DRG.

- E. v. 27. Oktober 1944, II 91/44; v. 13. Oktober 1944, II 88/44;

v. 2. August 1943, DR. (A.), S. 1221; v. 13. November 1940, RGZ. 165, 193; v. 30. Oktober 1940, DR. (A.) 1941, S. 633). Freilich befassen sich die Entscheidungen in erster Linie mit der offenen Handelsgesellschaft, bei der der Gesellschaftsvertrag sogleich mit dem Inslebentreten der Gesellschaft Wirkungen nach außen hervorruft

...

Hier handelt es sich indessen um eine stille Gesellschaft, also um die nach außen nicht hervortretende Vermögensbeteiligung am Handelsgewerbe eines anderen (§ 335 HGB.). Der einer solchen Gesellschaft zugrunde liegende Gesellschaftsvertrag bewirkt rechtliche Beziehungen bloß unter den Gesellschaftern, ohne daß solche auch nach außen entstehen könnten, und die Wiederherstellung des zur Zeit des Vertragsabschlusses bestehenden früheren Zustandes wird im Falle der Zurückbeziehung der Anfechtbarkeit des Vertrages auf diesen Zeitpunkt unter den Parteien im Innenverhältnis nicht auf unüberbrückbare Schwierigkeiten wie etwa im Verhältnis nach außen stoßen. Der Oberste Gerichtshof vertritt daher in Übereinstimmung mit Weipert im RGRKomm. zum HGB. II[2], S. 715, und Schlegelberger, Komm. zum HGB. I[2], Anm. 56 zu § 335, die Meinung, daß bei stillen Gesellschaften kein Hindernis bestehe, die ursprüngliche Unwirksamkeit des Gesellschaftsvertrages im Sinne des § 870 ABGB. auszusprechen.

In der Sache selbst billigt das Revisionsgericht die Meinung der Untergerichte, daß das Vorgehen des Beklagten vor dem Abschluß des Gesellschaftsvertrages vom 12. April 1950 arglistig war, weil er den Bestand der Darlehensschuld B. dem Kläger und dessen Mutter verschwiegen, von den außergerichtlichen Ausgleichsbemühungen nichts erwähnt und den geschäftlichen Stand des Unternehmens daher verschleiert hat.

Das Berufungsgericht hat auf Grund der Feststellung, daß erst das Vorhandensein der Darlehensschuld B. die totale Immobilisierung des Beklagten bewirkt habe, mit Recht angenommen, daß der Kläger sein Geld in ein derartiges Unternehmen nicht eingebracht hätte, wenn er den wahren Stand der Passiven gekannt hätte.

Wenn der Revisionswerber schließlich noch vorbringt, es habe keine gesetzliche Vorschrift bestanden, nach der er sein Privatvermögen offenzulegen gehabt hätte, so ist einerseits auf den bereits oben erwähnten Charakter des Darlehens B. als einer Geschäftsschuld und anderseits darauf zu verweisen, daß der Beklagte nach der Lage der Dinge auch ohne ausdrücklichen gesetzlichen Befehl vom Darlehen hätte Erwähnung tun müssen, um sich keiner arglistigen Täuschung des Klägers schuldig zu machen.

Ebenso hätte er die Ausgleichsbemühungen bekanntgeben müssen. Wie die Untergerichte richtig erkannt haben, ist der Gesellschaftsvertrag vom 12. April 1950 gemäß § 870 ABGB. anfechtbar und unwirksam. Es bedurfte entgegen der Meinung des Revisionswerbers keiner ausdrücklich auf Unwirksamerklärung des Vertrages gerichteten Klage, sondern es genügte, das Rückgängigmachen der Vertragsfolgen durch Zurückzahlung der stillen Einlage von 100.000 S zu verlangen. Denn so wie die Anfechtbarkeit eines Rechtsgeschäftes mittels Einrede, also als Vorfrage im Prozeß, geltend gemacht werden kann, ist es möglich, daß dies auch in einem auf Wiederherstellung des früheren Zustandes gerichteten Rechtsstreit als Begründung des Anspruches vorgebracht wird.

Da keiner der geltend gemachten Revisionsgrunde vorliegt, mußte der Revision der Erfolg versagt werden.

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