Spruch:
Wenn der Kläger im Räumungsprozeß im Gegensatz zu seinen bisherigen Tatsachenbehauptungen erklärt, er anerkenne, daß der Beklagte sein Mieter sei, ist dies kein prozessuales Anerkenntnis im Sinne des § 395 ZPO., sondern ein Tatsachengeständnis nach § 266 ZPO., das jederzeit widerrufen werden kann und dessen Widerruf vom Gerichte nach freier Beweiswürdigung zu beurteilen ist.
Die Erklärung bei der folgenden Streitverhandlung, daß dieses "Anerkenntnis" irrtümlich abgegeben worden sei, ist als rechtzeitige Aufklärung im Sinne des § 871 ABGB. anzusehen.
Entscheidung vom 25. September 1952, 3 Ob 585/52.
I. Instanz: Bezirksgericht Gloggnitz; II. Instanz: Kreisgericht Wiener Neustadt.
Text
Der Kläger begehrt von den Beklagten die Räumung und Übergabe der von diesen im Hause des Klägers in P., Hauptstraße, benützten Wohnung, die sie ohne Rechtstitel bewohnen.
Das Prozeßgericht wies das Klagebegehren ab. Es stellte fest, daß zwar die Beklagten die Wohnung bis zur Einbringung der Kündigung C 220/50 des Bezirksgerichtes Gloggnitz nur prekaristisch benützten und dem Kläger wiederholt Mietzinse für die Wohnung anboten, der die Annahme verweigerte, um die Begründung eines Mietverhältnisses zu vermeiden, daß aber der Kläger im Prozeß C 220/50 die Erklärung abgab, ein Mietverhältnis der Beklagten anzuerkennen. Da die Beklagten durch den gerichtlichen Erlag des Zinses ihren Willen bekundeten, ein Mietverhältnis zu begrunden, habe der Kläger durch das erwähnte Anerkenntnis zum Ausdruck gebracht, daß er der Begründung eines Mietverhältnisses zustimme, sein Anerkenntnis müsse daher als konstitutives gewertet werden. Es liege somit ein Mietverhältnis vor.
Das Berufungsgericht gab dem Räumungsbegehren statt. Es vertrat die Ansicht, daß die erwähnte Erklärung des Klägers schon deshalb nicht die Begründung eines Mietverhältnisses darstelle, weil der Kläger dadurch, daß er die Kündigung einbrachte, zum Ausdruck brachte, daß er das bestehende Verhältnis lösen, keineswegs aber, daß er einen Mietvertrag abschließen wollte. Dem Anerkenntnis komme daher keine rechtliche Bedeutung zu.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Beklagten nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Eine Aktenwidrigkeit erblickt die Revision in der Annahme des Berufungsgerichtes, die Beklagten hätten den tatsächlichen Behauptungen des Klägers keine rechtlich irgendwie verwertbare Sachverhaltsdarstellung entgegengesetzt und nicht dargelegt, wann, wie und wodurch es zu einem Mietvertragsabschluß gekommen sein könnte. Nun haben aber die Beklagten dem Klagsvorbringen mit Bezug auf das Anerkenntnis lediglich entgegengesetzt, daß der Kläger im Kündigungsprozeß den Bestand eines Mietverhältnisses anerkannt habe und daß die Beklagten den von ihnen nach ihrem Ermessen festgesetzten Mietzins bei Gericht erlegt haben. Sie haben somit lediglich auf das Anerkenntnis des Klägers verwiesen, auf das dieser bereits in der Klage Bezug genommen hatte, und haben sonstige, insbesondere die vom Berufungsgerichte vermißten wesentlichen Einwendungen hinsichtlich des Anerkenntnisses nicht erhoben. Von einer Aktenwidrigkeit kann daher keine Rede sein. Die bezüglichen Ausführungen der Revision stellen vielmehr eine Bekämpfung der rechtlichen Beurteilung des Berufungsgerichtes dar und wenden sich zum Teil auch gegen dessen Beweiswürdigung, die im Revisionsverfahren nicht überprüft werden kann.
Was die rechtliche Beurteilung anlangt, so handelt es sich hinsichtlich der vom Kläger im Kündigungsprozeß abgegebenen Erklärung nicht um ein prozessuales Anerkenntnis im Sinne des § 395 ZPO., welches im übrigen für den vorliegenden Rechtsstreit, in dem ein Anerkenntnis nicht abgegeben wurde, keinerlei Bedeutung hätte. Es liegt vielmehr ein gerichtliches Tatsachengeständnis im Sinne des § 266 ZPO. vor, welches jederzeit widerrufen werden kann, wobei das Gericht diesen Widerruf nach § 266 Abs. 2 ZPO. nach freiem Ermessen zu beurteilen hat, und welches nur für den Prozeß, in dem es abgegeben wurde, nicht aber für den gegenständlichen Rechtsstreit Bedeutung hat (ZBl. 1930 Nr. 100). Aber selbst wenn in der Erklärung des Klägers im Kündigungsprozeß, er erkenne ein Mietverhältnis zwischen ihm und dem Erstbeklagten an, eine Einwilligung zum Abschluß eines Mietvertrages mit dem Erstbeklagten erblickt werden sollte, fehlt dieser Erklärung die Ernstlichkeit, Bestimmtheit und Verständlichkeit im Sinne des § 869 ABGB. Wie das Berufungsgericht zutreffend festgestellt hat, hat es der Kläger immer wieder strikt abgelehnt, das nach den Feststellungen beider Vorinstanzen bloß prekaristische Verhältnis in einen Mietvertrag umzuwandeln und einen Mietzins anzunehmen. Die Einbringung der Kündigung kann bei Überlegung aller Umstände keinen Zweifel daran übrig lassen, daß der Kläger hiedurch das bestehende Verhältnis zur Auflösung bringen und die Räumung der Wohnung durch die Beklagten bzw. den Erstbeklagten durchsetzen wollte. Es kann daher ernstlich nicht angenommen werden, daß der Kläger im Zuge des Kündigungsprozesses durch die erwähnte Erklärung seinen Willen, nunmehr mit den Beklagten einen Mietvertrag abzuschließen, zum Ausdruck bringen wollte, da er doch im Gegenteil anstrebte, die Beklagten aus der Wohnung zu bringen. Wenn daher der Prozeßrichter im Kündigungsprozeß auf Grund der Verfahrensergebnisse Bedenken hatte, ob es sich überhaupt um ein Mietverhältnis handle, und den Kläger darauf aufmerksam machte, daß durch eine Kündigung nur ein Mietvertrag, nicht aber ein prekaristisches Verhältnis zur Auflösung gebracht werden könne, obwohl der Erstbeklagte eine Einwendung, es liege kein Mietverhältnis vor, gar nicht erhoben hatte, so kann die auf diese Belehrung hin abgegebene Erklärung des Klägers, er anerkenne ein Mietverhältnis, doch lediglich dahin aufgefaßt werden, daß er im Kündigungsprozeß das Bestehen eines Mietverhältnisses anerkenne, um einen Verlust dieses Prozesses hintanzuhalten. Für die Annahme, daß der Kläger durch die mehrfach erwähnte Erklärung seine Zustimmung zum Abschluß eines Mietvertrages geben wollte, fehlt nach dem Vorgesagten jeder Anhaltspunkt. Eine solche Annahme würde vielmehr sogar den Denkgesetzen widersprechen, da sie mit dem Bestreben des Klägers im Kündigungsprozeß, das zwischen ihm und den Beklagten bestehende Verhältnis, das nach den Feststellungen beider Vorinstanzen ein bloß prekaristisches war, zur Auflösung zu bringen, in unlösbarem Widerspruch steht. Im übrigen hat der Kläger bei der folgenden Verhandlung im Kündigungsprozeß am 25. Jänner 1951, somit rechtzeitig, aufgeklärt, daß seine Erklärung bei der Streitverhandlung vom 15. Jänner 1951 im Kündigungsstreit auf einem offensichtlichen Irrtum beruhe, weshalb gemäß § 871 ABGB. aus seiner Erklärung für ihn keine Verbindlichkeit entstehen konnte.
Was aber die behauptete Zinszahlung durch Erbringung von Dienstleistungen anlangt, die die Beklagten für den Kläger geleistet haben sollen und die nach Behauptung der Revision durch den Vergleich vor dem Arbeitsgericht nur zu einem Bruchteil honoriert wurden, so genügt es, darauf zu verweisen, daß nach den zutreffenden Feststellungen der Vorinstanzen zwischen den Streitteilen bis zur Einbringung der Kündigung ein Mietvertrag nicht abgeschlossen wurde und daß es daher mangels Zustandekommens eines solchen Vertrages rechtlich ohne Bedeutung ist, ob die von den Beklagten erbrachten Dienstleistungen durch den Vergleich vor dem Arbeitsgericht voll honoriert wurden oder nicht.
Was schließlich die Frage anlangt, ob das Räumungsbegehren gegen die guten Sitten verstoße (§ 1295 Abs. 2 ABGB.), so ist darauf zu verweisen, daß es die Beklagten unterlassen haben, zu behaupten und zu beweisen, daß ihnen der Kläger durch die Einbringung der Räumungsklage absichtlich einen Schaden zufügen wolle, weil sein Vorgehen offenbar den Zweck habe, die Beklagten zu schädigen. Die Beklagten haben lediglich behauptet, sie seien über schriftliches Ersuchen des Klägers vom 24. Juni 1946 zu diesem gezogen und hätten ohne dieses Ersuchen ihren früheren Wohnsitz in Waidhofen a. d. Thaya nicht aufgegeben, weshalb ihnen durch die vom Kläger angestrebte Räumung ein großer Schade erwachsen würde. Damit haben sie aber lediglich das Vorliegen von Schadenersatzansprüchen im Falle eines Erfolges der Räumungsklage, keineswegs aber das Vorliegen der Voraussetzungen des § 1295 Abs. 2 ABGB. behauptet, weshalb auf die bezüglichen Ausführungen der Revision nicht näher einzugehen war.
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