Spruch:
Geldvermächtnisse sind in der Regel Gattungsvermächtnisse. Hat der Erblasser einen bestimmten Geldbetrag aus einem näher bestimmten Teil seines Vermögens vermacht und wird der solcherart bezeichnete Betrag im Nachlaß nicht vorgefunden, so ist das Vermächtnis wirkungslos und kann nicht aus einem anderen Vermögensteil verlangt werden; § 658 ABGB. ist unanwendbar.
Bei der Auslegung eines Testamentes sind sowohl mündliche Äußerungen als auch im Testament nicht bezogene Schriftstücke zu beachten. Die Auslegung muß im Testament irgendeinen, wenn auch noch so geringen Anhaltspunkt finden und darf nicht völlig dem unzweideutig ausgedrückten Willen gerade zuwiderlaufen.
Entscheidung vom 18. Juli 1952, 2 Ob 162/52.
I. Instanz: Landesgericht Klagenfurt; II. Instanz: Oberlandesgericht Graz.
Text
Der Nachlaß des am 3. August 1944 in Teplitz-Schönau verstorbenen Ing. Alfred M. wurde mit Einantwortungsurkunde des Amtsgerichtes Teplitz-Schönau vom 10. März 1945 auf Grund des Testamentes der Ehegattin des Erblassers Bertha M. zu einer Hälfte und den erbl. Töchtern Helga A. und Edith M. je zu einem Viertel eingeantwortet. Die Erben hatten die Erbserklärung mit Vorbehalt der rechtlichen Wohltat des Inventars abgegeben. In dem Punkte 4/e der Einantwortungsurkunde wird der Ehegattin Bertha M. die Verpflichtung auferlegt, an ihre Tochter Edith am Tage der Verehelichung als Mitgift oder im Falle der Nichtverehelichung bei Vollendung des 30. Lebensjahres einen Betrag von 200.000 RM bar auszubezahlen. Diese Verpflichtung der Witwe hatte ihre Grundlage in dem eigenhändig erklärten letzten Willen vom 9. August 1941 und in dem als Nachtrag bezeichneten notariellen Testament vom 28. Juni 1944. Im Punkt 6 des letzten Willens vom 9. August 1941 erklärte der Erblasser, seinen Besitz an Wertpapieren, Bank- und Spareinlagen und Bargeld, über das er ein Verzeichnis nach dem letzten Stande beischließe, seiner Frau Bertha M. mit der Bedingung zu vermachen, an seine Tochter Edith drei Monate nach ihrer Verheiratung 200.000 RM als Mitgift zu überweisen. In dem notariellen Testament vom 28. Juni 1944 verfügte der Erblasser, daß seine letztwillige Verfügung vom 9. August 1941 in Rechtswirksamkeit verbleibe, daß er aber, da er über sein gesamtes Vermögen durch Einzelvermächtnisse verfügt habe, als seine Erben nach den angeführten Werten der einzelnen Vermögensbestandteile seine Ehegattin Bertha M. zu einer Hälfte und seine Töchter Edith und Helga zu je einem Viertel einsetze. Seine Ehegattin solle verpflichtet sein, eine Hälfte des Vermögens an Industrieaktien und sonstigen Wertpapieren, Bankguthaben und Barwerten seinen Töchtern Helga und Edith als seinen Nacherbinnen zu hinterlassen, wobei das Vermächtnis von 200.000 RM an seine Tochter Edith nicht in Abzug zu bringen sei. Für den Fall der Nichtverehelichung sei der seiner Tochter Edith als Mitgift ausgesetzte Betrag von 200.000 RM als Vermächtnis ohne nähere Zweckbestimmung bei Vollendung ihres 30. Lebensjahres bar auszubezahlen.
Bertha M. starb am 31. Jänner 1946 in Teplitz-Schönau. Infolge Konfiskation ihres in der Tschechoslowakei befindlichen Vermögens ging das Verfügungsrecht über ihren Nachlaß auf den Fonds für nationalen Wiederaufbau über. Das Verlassenschaftsverfahren wurde mit Beschluß des Bezirksgerichtes Teplitz vom 19. Mai 1948 armutshalber abgetan. Hinsichtlich des in Österreich befindlichen Vermögens der Bertha M. wird die Abhandlung vom Bezirksgericht Klagenfurt geführt. Edith M., die sich am 7. Feber 1946 verehelicht hatte, begehrte die Verurteilung der Verlassenschaft nach Bertha M. zur Zahlung eines Betrages von 200.000 S. Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt.
Das Berufungsgericht wies es ab.
Der Oberste Gerichtshof hob das Urteil des Berufungsgerichtes auf und verwies die Sache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an dieses zurück.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Der Inhalt letztwilliger Verfügungen ist nach dem Rechte zu beurteilen, das über die Erbfolge überhaupt entscheidet, also abgesehen von den Fällen, wo es auf das Sachstatut ankommt, nach dem letzten Personalstatut des Erblassers. Dieses Recht kommt auch für Vermächtnisse in Betracht. Entscheidend ist nach österreichischem Rechte die letzte Staatsangehörigkeit des Erblassers. Ing. Alfred M. war bis zur Besetzung des Sudetengebietes durch das Deutsche Reich tschechoslowakischer Staatsbürger und von da an bis zu seinem Tode deutscher Reichsangehöriger. Eine Normenkollision tritt nicht ein, da das in Betracht kommende, im Sudetengebiet in Geltung gestandene Erbrecht dem Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuch entnommen ist.
Geldvermächtnisse sind in der Regel Gattungsvermächtnisse (§ 658 ABGB.). Es steht aber dem Erblasser frei, den vermachten Betrag ausdrücklich aus dem Nachlasse zu vermachen. Noch näher liegt es, den Vermächtnisnehmer auf ein bestimmtes Stück des Nachlasses zu verweisen (Weiß in Klangs Kommentar, 2. Auflage, zu § 658, S. 540). Hat der Erblasser einen bestimmten Geldbetrag aus einem näher bestimmten Teil seines Vermögens vermacht und wird der Betrag derart im Nachlaß nicht vorgefunden so ist das Vermächtnis wirkungslos und kann nicht aus einem anderen Vermögensteil verlangt werden; § 658 ABGB. über Gattungsvermächtnisse ist unanwendbar (so auch Entscheidung des Obersten Gerichtshofes in Brünn vom 29. Dezember 1924, Slg. O G 4502). Die Einantwortungsurkunde des Amtsgerichtes Teplitz-Schönau vom 10. März 1945 wurde unter Hinweis und unter Bedachtnahme auf die letztwilligen Anordnungen des Erblassers erlassen. Es ergibt sich aus ihr kein Anhaltspunkt, daß die Witwe Verpflichtungen, die über die letztwilligen Anordnungen des Erblassers hinausgegangen wären, übernommen hätte. Aus ihr kann eine Verpflichtung der Bertha M. zur Bezahlung des Vermächtnisses aus ihrem Eigenvermögen nicht abgeleitet werden. Da die Klage gegen die inländische Verlassenschaft gerichtet ist, kann diese nicht zur Bezahlung eines Betrages aus Vermögenswerten, die zu diesem Nachlaß nicht gehören, verhalten werden. Streitentscheidend ist somit, ob die Absicht des Erblassers dahin ging daß das Vermächtnis aus bestimmten Stücken des Nachlasses entrichtet werden sollte.
Das Berufungsgericht vermeint, daß die Absicht des Erblassers lediglich aus den letztwilligen Verfügungen erschlossen werden könne. Dieser Auffassung kann jedoch nicht beigetreten werden. Bei der Auslegung eines Testamentes sind sowohl mündliche Äußerungen als auch im Testament nicht bezogene Schriftstücke zu beachten. Richtig ist wohl, daß die Auslegung im Testament irgendeinen, wenn auch noch so geringen Anhaltspunkt finden muß und nicht völlig dem unzweideutig ausgedrückten Willen gerade zuwiderlaufen darf. Die in Frage stehenden letztwilligen Verfügungen bringen keineswegs eindeutig zum Ausdruck, daß das Vermächtnis aus bestimmten Stücken des Nachlasses zu entrichten ist, insbesondere dann nicht, wenn die Bestimmungen des Punktes 6 der Erklärung vom 9. August 1941 und die Bestimmungen des Testamentes vom 28. Juni 1944 lediglich wörtlich ausgelegt werden.
Bei der Auslegung letztwilliger Erklärungen handelt es sich darum, den Bewußtseinsinhalt des Erblassers zu der Zeit, als er seine Verfügungen getroffen hat, und insbesondere seine Willensbestrebungen festzustellen. Erfolgt eine solche Feststellung nicht lediglich aus dem Inhalt der letztwilligen Urkunde, sondern auf Grund anderer Beweismittel, so ist sie tatsächlicher Art. Was der Erblasser gewollt hat, ist eine der Vergangenheit angehörige Tatsache und keine Rechtsfrage. Das Erstgericht hat die Feststellungen über die Absicht des Erblassers nicht nur auf die letztwilligen Erklärungen, sondern auch auf die Ergebnisse des Beweisverfahrens gestützt. Von diesen Feststellungen durfte das Berufungsgericht ohne eine Wiederholung des Beweisverfahrens nicht abgehen.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)