Spruch:
Ein provisorisches Dienstverhältnis auf vorläufig ein Jahr ist kein Dienstverhältnis auf Probe, sondern ein zeitlich begrenztes Dienstverhältnis zur Probe mit dem unverbindlichen Vorbehalt des Dienstgebers, das Dienstverhältnis nach Ablauf der Zeit zu erneuern. Ein Probedienstverhältnis nach § 19 AngG. liegt nur vor, wenn die fristlose Lösbarkeit während der Probezeit vereinbart worden ist.
Entscheidung vom 10. Juli 1952, 4 Ob 94/52.
I. Instanz: Arbeitsgericht Klagenfurt; II. Instanz: Landesgericht Klagenfurt.
Text
Der Kläger behauptet, er sei für ein Probejahr von der Beklagten als Schlachthofwärter aufgenommen worden, er habe am 29. Oktober 1951 den Dienst angetreten, und sei mit Wirkung vom 28. November 1951 grundlos entlassen worden. Er erhebt nun Ansprüche auf Entlohnung für die volle Dauer des noch nicht abgelaufenen Probejahres.
Das Erstgericht hat seine Klage abgewiesen. Es ging davon aus, es stehe überhaupt nicht fest, daß ein Dienstvertrag abgeschlossen wurde, gegebenenfalls aber hätte er während des ersten Probemonats jederzeit gelöst werden können. Es habe der Beklagten schließlich als auflösende Bedingung vorgeschwebt, daß die Gattin des Klägers nicht als Gasthauspächterin auftritt und daß der Kläger mit seiner Familie die Dienstwohnung im Schlachthaus bezieht. Die Gattin des Klägers habe aber ab 1. Jänner 1952 ein Gasthaus in Völkermarkt gepachtet.
Das Berufungsgericht hat durch Zwischenurteil ausgesprochen, daß die Ansprüche des Klägers für drei Monate dem Grund nach zu Recht bestehen. Das Berufungsgericht hat nach Wiederholung des Beweisverfahrens festgestellt, daß dem Kläger am 22. Oktober 1951 die Stelle eines Schlachthofwärters übertragen wurde, es wurde ihm zugestanden, Schweine im Schlachthof zu halten. Das Dienstverhältnis wurde vorläufig für ein Jahr provisorisch abgeschlossen und es wurde dem Kläger mitgeteilt, daß für den Fall, als er sich während des Probejahres nichts zuschulden kommen lasse, sein Dienstverhältnis in ein solches auf Dauer nach dem Vertragsbedienstetengesetz überführt werden wird. Es wurde ihm aber nicht gesagt, daß das Dienstverhältnis während des ersten Monates oder gar während des ganzen Jahres jederzeit gelöst werden könne. Es wurde ihm nur gesagt, daß er entlassen werde, wenn er sich im Probejahr etwas zuschulden kommen lasse. Es wurde auch vereinbart, daß der Kläger als Dienstwohnung die im Schlachthof liegende beziehen müsse, die allerdings noch von der Gattin seines Vorgängers besetzt war. Die Organe der Beklagten waren sich nicht klar über die Bedeutung eines Probedienstverhältnisses, ob dieses während des ersten Monates oder während des ganzen Jahres gelöst werden könne. Erst bei der Auflösung des Dienstverhältnisses gelangten sie zur Klarheit, daß die Auflösung nur während eines Monates möglich sei. Der Kläger sei wohl gefragt worden, ob seine Gattin ein Gasthaus zu pachten beabsichtige, er habe dies damals verneint, in der Meinung, eine Pachtung werde unterbleiben. Es sei aber nicht erklärt worden, daß die Pachtung eines Gasthauses durch seine Frau eine auflösende Bedingung darstelle. Aus diesen Feststellungen zieht das Berufungsgericht die Konsequenz, daß das Dienstverhältnis des Klägers auf ein Jahr abgeschlossen wurde und früher auch im ersten Monat ohne wichtigen Grund nicht gelöst werden könnte.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Beklagten nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
... Aber auch die rechtliche Würdigung ist einwandfrei. Daß ein Dienstvertrag tatsächlich abgeschlossen wurde, hat das Berufungsgericht festgestellt. Daran ist das Revisionsgericht gebunden. Richtig ist, daß Urkundenauslegung grundsätzlich rechtliche Beurteilung ist, daß also der Oberste Gerichtshof berechtigt wäre, die Auslegung des Sitzungsprotokolls vom 22. Oktober 1951 durch das Berufungsgericht zu überprüfen. Doch gilt dieser Grundsatz dann nicht, wenn die Bedeutung einer Urkundenniederschrift auf Grund von Zeugenaussagen festgestellt worden ist. Die Feststellung der Bedeutung eines Urkundeninhaltes auf Grund von Zeugenaussagen ist nicht rechtliche Beurteilung, sondern tatsächliche Feststellung, an die der Oberste Gerichtshof gebunden ist.
Es liegt aber auch keine unrichtige Anwendung des § 19 AngG. vor. Ein provisorisches Dienstverhältnis auf vorläufig ein Jahr ist überhaupt kein Dienstverhältnis auf Probe, sondern ein zeitlich begrenztes Dienstverhältnis zur Probe, das Dienstverhältnis ist auf Zeit abgeschlossen, doch behält sich der Dienstgeber - unverbindlich - vor, das Dienstverhältnis nach Ablauf der Zeit zu erneuern. Ein Probedienstverhältnis im Sinne des § 19 AngG. würde nur dann vorliegen, wenn die fristlose Lösbarkeit während der Probezeit vereinbart worden wäre (Entsch. des Obersten Gerichtshofes vom 5. April 1949, ArbSlg. 5061). Das ist aber nach den berufungsgerichtlichen Feststellungen nicht der Fall. Es wurde dem Kläger nicht gesagt, daß das Dienstverhältnis während der ersten Monate oder gar während des ganzen Jahres jederzeit gelöst werden könne. Vielmehr wurde ihm nur mitgeteilt, daß er entlassen werde, wenn er sich im Probejahr etwas zuschuldenkommen lasse. Das macht aber das Dienstverhältnis nicht zu einem Dienstverhältnis auf Probe, sondern ist nur ein Hinweis auf die gesetzlichen Folgen einer schweren Dienstverletzung.
Da das Berufungsgericht feststellt, daß die Verleihung der Dienststelle nicht unter der Bedingung erfolgte, daß die Gattin des Klägers kein Gasthaus pachten dürfe und daß auch nicht vereinbart wurde, daß dieser Umstand vertragsmäßig einen Entlassungsgrund zu bilden hatte - soweit die Revision das Gegenteil behauptet, geht sie nicht von den Feststellungen des Berufungsgerichtes aus -, kann der Umstand, daß die Gattin des Klägers ein Gasthaus gepachtet hat, die Beklagte zur vorzeitigen Lösung des befristeten Dienstverhältnisses nicht berechtigen.
Auch die Behauptung der Revision, daß Kläger vertragswidrigerweise in das gepachtete Gasthaus umgesiedelt sei, ist aktenwidrig. Das Berufungsgericht stellt nur fest, daß Kläger vertragsmäßig verpflichtet war, die im Schlachthof gelegene Dienstwohnung zu beziehen. Daß der Kläger vor der Entlassung gegen diese Verpflichtung gehandelt hätte, ist dem Berufungsurteil nicht zu entnehmen.
Die Entscheidung des Berufungsgerichtes ist daher im Ergebnis rechtlich einwandfrei, wenngleich der Oberste Gerichtshof der Begründung des Berufungsgerichtes nicht in allen Punkten beizutreten vermag.
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