OGH 1Ob505/52

OGH1Ob505/5225.6.1952

SZ 25/176

Normen

Reichsversicherungsordnung §903 (1)
Reichsversicherungsordnung §903 (1)

 

Spruch:

Fahrlässigkeit im Sinne des § 903 Abs. 1 RVO.

Entscheidung vom 25. Juni 1952, 1 Ob 505/52.

I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien; II. Instanz:

Oberlandesgericht Wien.

Text

Auf Grund des übereinstimmenden Vorbringens beider Parteien steht folgender Sachverhalt außer Streit: Der Beklagte, der in L., L.gasse 27, ein Altwarengeschäft betreibt, beschäftigte als Gelegenheitsarbeiter auch Franz H. in seinem Betriebe. Auch am 8. Jänner 1949 arbeitete Franz H. im Geschäfte des Beklagten. Zum Zwecke der Einnahme der Mahlzeit brachte der Beklagte mit seinem Motorrad samt Beiwagen an diesem Tag Franz H. zu Mittag nach Hause, nämlich nach M., H.straße 25. Als vom Beklagten am Nachmittag des nämlichen Tages Franz H. abgeholt wurde, um ihn in den Betrieb nach L. zu bringen, erlitt der Beklagte mit seinem Kraftrad einen Unfall, wobei der auf dem Soziussitz befindliche Franz H. tödlich verunglückte.

Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 6. März 1950, 7 VR 1733/49, wurde der Beklagte schuldig erkannt, am 8. Jänner 1949 in Wien als Lenker eines Beiwagenkraftrades durch rasches Fahren und zu spätes Bremsen, Handlungen und Unterlassungen begangen zu haben, von denen er schon nach ihren natürlichen, für jedermann leicht erkennbaren Folgen einzusehen vermochte, daß sie eine Gefahr für das Leben von Menschen herbeizuführen und zu vergrößern geeignet sind, woraus auch der Tod des Franz H. erfolgt ist. Er wurde wegen Vergehens gegen die Sicherheit des Lebens nach § 335 StG. unter Anwendung der §§ 266 und 260b StG. zu vier Monaten strengen Arrest bedingt für eine Probezeit von drei Jahren verurteilt.

Die klagende Partei hat den gegenständlichen Unfall mit rechtskräftigem Bescheid als Arbeitsunfall (Wegunfall) angenommen, da der Verunglückte im Betriebe des Beklagten am Unfallstag mit der Reparatur einer Knopflochmaschine beschäftigt war und vom Beklagten zur Fortsetzung der unterbrochenen Arbeit wieder zur Betriebsstätte gebracht werden sollte. Weiters wurde von der klagenden Partei dieser Arbeitsunfall entschädigt und die verausgabten Beträge schriftlich von der beklagten Partei eingemahnt. Die beklagte Partei hat daraufhin binnen Monatsfrist die Genossenschaftsversammlung nicht angerufen und die Bezahlung des Ersatzbetrages abgelehnt. Gemäß § 906 RVO. sei die klagende Partei zur Geltendmachung ihres Anspruches legitimiert.

Die klagende Partei stützte ihren Anspruch auf Ersatz der ausbezahlten Beträge an Sterbegeld, Witwenrente samt Ernährungszulage im Gesamtbetrage von 12.432.60 S auf die Bestimmung des § 903 RVO., da der Beklagte fahrlässigerweise den Unfall verursacht habe.

Die beklagte Partei hat das Klagebegehren bestritten und ausgeführt, daß ein Ersatzanspruch im Sinne des § 903 RVO. nur bei nachgewiesener qualifizierter Fahrlässigkeit des Unternehmers, die aber aus dem Strafurteil nicht zu entnehmen sei, geltend gemacht werden könne.

Die beiden Unterinstanzen gaben der Klage statt.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der beklagten Partei Folge und wies das Klagebegehren ab.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Nach einheitlicher Lehre und Rechtsprechung erfordert die Geltendmachung der Bestimmung des § 903 Abs. 1 RVO. die strafrechtliche Feststellung, daß der Unternehmer den Unfall vorsätzlich oder fahrlässig mit Außerachtlassung derjenigen Aufmerksamkeit herbeigeführt hat, zu welcher er vermöge seines Amtes, Berufes oder Gewerbes besonders verpflichtet ist.

Es ist also nach dem Inhalt der obgenannten Bestimmung nicht eine allgemeine Fahrlässigkeit, sondern eine qualifizierte Fahrlässigkeit erforderlich. Bei dem Anspruch nach dieser Gesetzesstelle handelt es sich nicht um einen Schadenersatzanspruch des Verletzten, sondern um einen Ersatzanspruch besonderer Art, der dem Aufbau der Unfallversicherung in der Reichsversicherungsordnung und dem Verhältnis der Berufungsgenossenschaft zu dem ihr angehörenden beitragspflichtigen Unternehmer angepaßt ist. Daraus erklären sich die einschränkenden, das Vorliegen besonderer Voraussetzungen fordernden Vorschriften.

Die Vorschrift des § 903 RVO. hat somit zur Voraussetzung nicht nur die Verletzung derjenigen Sorgfalt, die im Verkehr nach bürgerlichen Grundsätzen erforderlich ist, sondern grundsätzlich in Abs. 1 die strafgerichtliche Feststellung, daß der Unfall - abgesehen von der Vorsätzlichkeit - fahrlässig mit Außerachtlassung derjenigen Aufmerksamkeit herbeigeführt wurde, zu der der Unternehmer vermöge seines Amtes, Berufes, oder Gewerbes besonders verpflichtet ist. Das Gesetz will den Ersatzanspruch nicht auf alle Verurteilungen wegen einer fahrlässigen Handlung oder Unterlassung ausdehnen, sondern hat die Ersatzpflicht von einschränkenden Voraussetzungen, nämlich der im Gesetz bestimmten qualifizierten Fahrlässigkeit abhängig gemacht.

Diese qualifizierte Fahrlässigkeit ist beim Entstehen der Reichsversicherungsordnung der Bestimmung des Abs. 2 des § 230 dStGB. entnommen worden, das bei dieser qualifizierten Fahrlässigkeit eine höhere Strafe eintreten läßt.

Es ist daher die Ansicht der Untergerichte, daß die qualifizierte Fahrlässigkeit die allgemeine Fahrlässigkeit in sich schlösse, unrichtig.

Wird von diesem Grundsatz ausgegangen, so hat die Bestimmung des Abs. 1 des § 903 RVO. für die Geltendmachung des Rückgriffsanspruches - abgesehen von der Vorsätzlichkeit, die hier unerörtert bleiben kann - die fahrlässige Verursachung des Todes durch den Beklagten in strafrechtlicher Hinsicht zur Voraussetzung. Ferner ist aber nach dieser Gesetzesstelle notwendig, daß der Beklagte diesen Erfolg nicht nur in fahrlässiger Weise nicht vorausgesehen hat, sondern auch, daß er dabei diejenige Aufmerksamkeit außer acht gelassen hat, zu der er vermöge seines Amtes, Berufes oder Gewerbes besonders verpflichtet war.

Daß der Beklagte aber zu dieser Aufmerksamkeit vermöge seines Amtes, Berufes oder Gewerbes verpflichtet gewesen ist, darüber enthält das obzitierte Strafurteil keine Feststellung; ja das Urteil konnte auf diese qualifizierte Fahrlässigkeit gar nicht eingehen, da der Beklagte Altwarenhändler ist, und daher nicht gesagt werden kann, daß er auf Grund seines Amtes, seines Berufes oder Gewerbes zu einer besonderen Aufmerksamkeit bei Führung des Kraftrades verpflichtet war.

Der Zweck der Bestimmung hinsichtlich der qualifizierten Fahrlässigkeit ist der, nur demjenigen eine Ersatzpflicht aufzuerlegen, der durch die im Gewerbebetrieb oder in der Berufstätigkeit gewonnene bessere Einsicht oder Sachkunde auf die Beobachtung besonderer Aufmerksamkeit hinweisen kann.

Wenn demgegenüber noch angeführt wurde, daß durch die Verordnung vom 2. April 1940, RGBl. I S. 606, die Bestimmung des Abs. 2 des § 230 des dStGB. hinsichtlich der qualifizierten Fahrlässigkeit aufgehoben wurde, so kann dies in der Fassung des § 903 RVO. nichts ändern, zumal im österreichischen Strafrecht diese qualifizierte Fahrlässigkeit in § 335 bzw. § 431 StG. noch immer aufrechterhalten ist.

Das im Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 6. März 1950, 7 Vr 1733/49, eine besondere qualifizierte Fahrlässigkeit dem Beklagten nicht zum Vorwurf gemacht wurde, lagen die Voraussetzungen für die Geltendmachung des Ersatzanspruches nach § 903 RVO. nicht vor, weshalb in Stattgebung der Revision die beiden vorinstanzlichen Urteile dahin abzuändern waren, daß das Klagebegehren abgewiesen wurde (Juristische Wochenschrift 1934, S. 1343; RG. 69, 340; 102, 324; Deutsches Recht vereinigt mit der Juristischen Wochenschrift 1940, S. 401).

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