OGH 4Ob25/52

OGH4Ob25/5210.6.1952

SZ 25/158

Normen

ZPO §530 (1) Z7
ZPO §530 (2)
ZPO §530 (1) Z7
ZPO §530 (2)

 

Spruch:

Der Wiederaufnahmsgrund nach § 530 Abs. 1 Z. 7 ZPO. kann auch eine von der Partei vergessene Tatsache sein, sofern sie ohne ihr Verschulden außerstande war, sie rechtzeitig geltend zu machen. Dies trifft zu, wenn die Partei im Prozeß durch einen Abwesenheitskurator vertreten und erst später, als sie das Urteil erhielt, an die vergessene Tatsache erinnert worden ist.

Entscheidung vom 10. Juni 1952, 4 Ob 25/52.

I. Instanz: Arbeitsgericht Wien; II. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien.

Text

Mit Urteil des Gewerbegerichtes Wien vom 10. Dezember 1945, 13 a Cr 59/45, wurde der durch einen Abwesenheitskurator vertretene Wiederaufnahmskläger zur Zahlung von 7846.26 S s. A. an den Wiederaufnahmsbeklagten verurteilt.

Das Erstgericht wies die auf § 530 Z. 7 ZPO. gestützte Wiederaufnahmsklage gemäß § 543 ZPO. als verspätet zurück. Infolge Rekurses des Klägers hob das Rekursgericht den Beschluß des Erstgerichtes auf und trug diesem eine sachliche Entscheidung auf.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Revisionsrekurs des Beklagten nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Der Revisionsrekurs ist zulässig, da sich der Beschluß des Rekursgerichtes als eine Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung darstellt, sodaß die Vorschrift des § 527 Abs. 2 ZPO. dem weiteren Rechtszug nicht entgegen steht. Er ist jedoch nicht begrundet.

Nach den Feststellungen des Erstgerichtes hat der Kläger um die Jahreswende 1950/1951 oder im Jänner 1951 das gegen ihn ergangene Urteil im Rechtsstreit 13 a Cr 59/45 erhalten. Bei dieser Gelegenheit hat sich seine Gattin erinnert, daß der Kläger am 28. März 1945 dem Beklagten einen Scheck auf 2000 RM gegeben habe. Da der Kläger bei der Creditanstalt-Bankverein ein Konto hatte, konnte dieser Scheck nur auf die Creditanstalt-Bankverein gelautet haben. Aus diesem Gründe hat sich der Kläger mit Schreiben vom 24. Jänner 1951 an die Creditanstalt-Bankverein gewendet, die ihm mit Schreiben vom 5. Feber 1951 einen Kontoauszug de dato 30. Jänner 1951 übermittelt hat, woraus hervorgeht, daß der Scheck am 29. März 1945 eingelöst wurde. Als Wiederaufnahmsgrund führt der Kläger an, daß durch den übermittelten Kontoauszug die Behauptung des Beklagten im Vorprozeß, nach 1944 kein Geld mehr erhalten zu haben, widerlegt sei.

Im Revisionsrekurs wird die Auffassung vertreten, daß die Frage der rechtzeitigen Erhebung der Wiederaufnahmsklage nicht auf das Zustandekommen und die Zustellung der Beilagen B und C, sondern vielmehr auf die Kenntnis von der Tatsache der Scheckübergabe am 28. März 1945 abzustellen sei. Der Kläger habe in seiner Parteienvernehmung selbst angegeben, daß er den fraglichen Scheck dem Beklagten im März 1945 persönlich übergeben habe. Diese Tatsache sei im Vorprozeß vom Abwesenheitskurator nur deshalb nicht vorgebracht worden, weil dieser mangels Information von der Scheckausstellung keine Kenntnis hatte. Für die Zulässigkeit der Wiederaufnahmsklage nach § 530 Abs. 1 Z. 7 ZPO. sei aber nicht das Wissen oder Wissenmüssen des Parteienvertreters - und als solcher sei der Kurator anzusehen -, sondern nur das der Partei selbst maßgebend.

Der Oberste Gerichtshof vermag diesen Ausführungen des Revisionsrekurses nicht zu folgen. Eine "neue" Tatsache im Sinne des § 530 Abs. 1 Z. 7 ZPO. ist eine solche, die nicht vor Schluß der mündlichen Verhandlung, auf die das Urteil der I. Instanz erging, geltend gemacht wurde. Für die Auslegung dieser Gesetzesstelle ist die Frage, ob eine vergessene Tatsache, an die man später erinnert wird, dadurch "für den Betreffenden" eine neue Tatsache sei, nicht erheblich. Eine nicht vor Schluß der Verhandlung vor dem ersten Richter vorgebrachte Tatsache, die die Partei entweder selbst wahrgenommen hat oder über die ihr von einem anderen berichtet war, deren Wahrnehmung oder Mitteilung sie aber vergessen hatte, kann nach dem Schlußsatz des § 530 ZPO. nur dann ein zulässiger Wiederaufnahmsgrund sein, wenn die Partei ohne ihr Verschulden außerstande war, sie rechtzeitig geltend zu machen. Dies muß aber für den vorliegenden Fall bejaht werden.

Wenn der Kläger infolge der Kriegs- und Nachkriegswirren im Jahre 1945 so wie viele tausend andere Personen Wien fluchtartig verlassen hat, ohne für eine Vertretung vorzusorgen, kann ihm dies nicht als Verschulden angerechnet werden. Von der am 18. September 1945 gegen ihn eingebrachten Klage 13 a Cr 59/45 sowie von der Tatsache der Bestellung eines Abwesenheitskurators hat der Kläger infolge seiner Abwesenheit von Wien keine Kenntnis gehabt. Er konnte hievon auch nur schwerlich Kenntnis erlangen, da zur damaligen Zeit die Verbindung mit dem westlichen Teile Österreichs noch nicht hergestellt war und die Zustellung der Klage nur durch Anschlag an die Gerichtstafel, nicht aber auch durch Einschaltung des Ediktes in der "Wiener Zeitung" bekanntgemacht werden konnte. Ohne sein Verschulden war daher der Kläger auch außerstande, der im Vorprozeß aufgestellten Behauptung des Beklagten, er habe nach dem Dezember 1944 kein Geld mehr erhalten, die nur ihm, nicht aber dem Kurator bekannte Tatsache entgegenzusetzen, daß der Beklagte von ihm im März 1945 einen Scheck auf 2000 RM erhalten habe. Entgegen der Meinung des Revisionsrekurses ist die Stellung des Prozeßkurators nicht die gleiche wie die eines Parteienvertreters. Jener hat nur die Rechte der abwesenden Partei so lange wahrzunehmen, bis sie selbst auftritt oder einen Bevollmächtigten namhaft macht, dieser hingegen stellt die von ihm vertretene Partei selbst dar, weshalb die Partei es grundsätzlich zu vertreten hat, wenn der Prozeßbevollmächtigte, sei es mangels, sei es trotz gehöriger Information, es unterläßt, relevante Tatsachen und Beweise dem Gericht rechtzeitig bekanntzugeben.

Vorliegendenfalls hat der Kläger erst um die Jahreswende 1950/1951 oder im Jänner 1951 das Urteil des Vorprozesses erhalten und ist erst damals von seiner Gattin daran erinnert worden, daß er dem Kläger am 28. März 1945 einen Scheck, lautend auf 2000 RM, gegeben habe. Nun wäre aber die Hingabe des Schecks allein noch nicht hinreichend, um die Behauptung des Beklagten im Vorprozeß, er habe nach Dezember 1944 kein Geld mehr erhalten, zu widerlegen und allenfalls eine für den Kläger günstigere Entscheidung in der Hauptsache herbeizuführen. Entscheidend ist es vielmehr, ob der am 28. März 1945 hingegebene Scheck auch tatsächlich eingelöst wurde. Von dieser Tatsache hat aber der Kläger erst durch den ihm mit Schreiben der Creditanstalt-Bankverein vom 5. Feber 1951 übersandten Kontoauszug Kenntnis erlangt. Daß er sie auch schon früher, wenn er in dieser Richtung tätig geworden wäre, hätte in Erfahrung bringen können, ist belanglos, da es gemäß § 534 Abs. 2 Z. 4 ZPO. bei der Berechnung der Frist zur Einbringung der Wiederaufnahmsklage nur darauf ankommt, wann die Partei imstande war, die ihr bekannt gewordene Tatsache dem Gericht vorzubringen. Die Tatsache der Scheckeinlösung ist aber dem Kläger erst durch das Schreiben der Creditanstalt-Bankverein vom 5. Feber 1951 bekanntgeworden. Die Notfrist zur Einbringung der Wiederaufnahmsklage begann daher erst an diesem Tage, weshalb die am 21. Feber 1951 eingebrachte Wiederaufnahmsklage rechtzeitig erhoben wurde.

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