OGH 2Ob3/52

OGH2Ob3/5225.4.1952

SZ 25/104

Normen

ABGB §1325
ZPO §465
ABGB §1325
ZPO §465

 

Spruch:

Voraussetzungen für Ansprüche nach § 1325 ABGB.

Berufungsschrift vorbereitender Schriftsatz im Falle einer mündlichen Berufungsverhandlung.

Entscheidung vom 25. April 1952, 2 Ob 3/52.

I. Instanz: Landesgericht Linz; II. Instanz: Oberlandesgericht Linz.

Text

Der Kraftwagen, in dem die Klägerin am 27. November 1945 gefahren ist, ist bei einer Bahnübersetzung von einer Lokomotive erfaßt worden. Die Klägerin, eine zuletzt allerdings nicht beschäftigt gewesene, aber tüchtige und voll brauchbare Hilfsarbeiterin, hat wegen der hiebei erlittenen schweren Verletzungen von der Republik Österreich (Österreichische Bundesbahnen) eine Rente begehrt.

Das Prozeßgericht hat dem Klagebegehren stattgegeben.

Das Berufungsgericht hat das erstgerichtliche Urteil bestätigt.

Der Oberste Gerichtshof hat der Revision der beklagten Partei nicht Folge gegeben.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Es trifft zwar grundsätzlich zu, daß Voraussetzung für jeden Ersatzanspruch infolge Aufhebung oder Minderung der Erwerbsfähigkeit ist, daß der Berechtigte diese seine Erwerbsfähigkeit im Erwerbsleben zum Erwerb auch eingesetzt hatte. Dann und nur dann kann überhaupt von einem Vermögensnachteil die Rede sein, den die Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit im Gefolge hat (Hans Friese, Reichshaftpflichtgesetz, München und Berlin, 1950, S. 190; Karl Wolff in Klang, Komm. 2. Aufl. zu § 1325, S. 131). Ein solcher Vermögensnachteil kann aber auch in Zukunft eintreten, obwohl der Verletzte zur Zeit der Verletzung nichts verdiente und vielleicht auch noch gar nicht beabsichtigte, etwas zu verdienen. Dies trifft dann zu, wenn sich die Verhältnisse so gestalten, daß angenommen werden muß, der Verletzte hätte sich entschlossen, seine Erwerbsfähigkeit zu betätigen. Ein solcher Fall läge etwa vor, wenn der Verletzte, der zur Zeit der Verletzung nichts verdiente und von seinem Vermögen lebt, später dieses Vermögen verliert. Ein entsprechender Fall ist hier gegeben. Nach den Feststellungen der Untergerichte wäre die Klägerin wegen der Krankheit ihres Mannes genötigt gewesen, sich zur Sicherung ihres Unterhaltes um einen Erwerb umzusehen; sie wäre auch von ihrem früheren Chef K. wieder aufgenommen worden und hätte die Möglichkeit gehabt, Mann und Kind durch ihre Eltern oder Schwiegereltern betreuen zu lassen. Bei diesem Sachverhalt haben die Untergerichte zutreffend in rechtlicher Beziehung gefolgert, daß infolge der durch die Verletzung hervorgerufenen Erwerbsunfähigkeit der Klägerin ein Schaden in der Höhe des Verdienstes, den sie hätte erwerben können, entstanden ist.

Auch soweit sich die Revision gegen die Unterlassung einer zeitlichen Beschränkung der Rentenbemessung beschwert, kann ihr nicht gefolgt werden. Wenn sie darauf verweist, daß der Sachverständige eine neuerliche Überprüfung des Leidenszustandes der Klägerin nach zwei Jahren empfiehlt, so übergeht sie die im Gutachten unmittelbar vorangestellte Äußerung, daß es ungewiß sei, ob sich der Zustand der Klägerin bessern werde. Die Untergerichte sind bei dieser Beweislage mit Recht davon ausgegangen, daß nicht feststehe, ob und wann die Erwerbsfähigkeit wieder eintrete. In einem solchen Fall ist aber die Rente ohne zeitliche Begrenzung zuzusprechen (OGH. 16. Oktober 1934, ZBl. 1935, Nr. 14; 1. Dezember 1937, ZBl. 1938, Nr. 173; Wolff in Klang, Komm., 2. Aufl., zu § 1325, S. 133).

Eine Behauptung, daß die Klägerin ihren Verdienst nicht bis an ihr Lebensende hätte erzielen können, hat die beklagte Partei im Verfahren erster Instanz nicht aufgestellt und noch weniger Umstände dargetan, aus denen sich dies schließen ließe. Das diesbezügliche Vorbringen in der Berufung und dann auch in der Revision ist daher neu. Auch wenn darauf unter dem Gesichtspunkt, daß es sich um die Anwendung von Erfahrungssätzen und damit um eine der rechtlichen Beurteilung gleichstehende Frage handelt, sachlich eingegangen wird, kann es aber der Revision nicht zum Erfolg verhelfen. Die Revision macht selbst geltend, daß der Zustand der Klägerin ein solcher sei, daß Besserung erwartet werden könne, ja vielleicht schon eingetreten sei. Diese Annahme ist insbesondere bei dem Alter der Klägerin von 28 Jahren nicht von der Hand zu weisen. Es wäre daher abwegig, nach allgemeinen Erfahrungssätzen und nach dem derzeitigen Zustand der Klägerin (unter Ausschaltung der Unfallsfolgen) schon jetzt einen Endtermin der Rente - etwa, wie die beklagte Partei vorschlägt, mit dem 50. Lebensjahr der Klägerin - zu bestimmen. Gerade weil sich die weitere Gestaltung der Unfallsfolgen in der Zeit derzeit noch nicht überblicken läßt, kann auch noch nichts hinsichtlich des allgemeinen Wegfalls der Rente wegen der im normalen Lebensverlauf der Klägerin eintretenden Erwerbsunfähigkeit bestimmt werden. Die Verhältnisse sind in dieser Beziehung einheitlich und es muß, worauf schon das Berufungsgericht verwiesen hat, der beklagten Partei überlassen bleiben, wenn die Rente oder eine Teilrente zur Zeit des Eintritts der Erwerbsunfähigkeit bei normalem Lebensverlauf der Klägerin (unter Ausschaltung der Unfallsfolgen) noch bezogen werden sollte, das Erlöschen des Anspruches gem. § 35 EO. seinerzeit geltend zu machen.

Was schließlich das Vorbringen der beklagten Partei (Punkt 5 der Berufung) betrifft, daß Rentenzahlungen nur höchstens für neun Monate eines Jahres zugesprochen hätten werden dürfen, weil es sich nach der Aussage des Zeugen K. um eine saisonbedingte Arbeitsleistung gehandelt habe, so muß die Auffassung des Berufungsgerichtes geteilt werden, daß auf dieses Vorbringen als in der mündlichen Berufungsverhandlung nicht vorgetragen nicht Bedacht zu nehmen war. Nach Ausweis des Protokolls über die Berufungsverhandlung hat die beklagte Partei den Inhalt der Berufungsschrift "ohne Punkt 5 derselben" in der mündlichen Berufungsverhandlung vorgebracht. Die Berufung ist aber jedenfalls bei Stattfinden einer mündlichen Berufungsverhandlung ein vorbereitender Schriftsatz (§ 465 ZPO.). Ihr Inhalt wird daher erst zum Verhandlungsstoff und für das Berufungsverfahren beachtlich, wenn er in der mündlichen Berufungsverhandlung vorgebracht wird (GlU. 6826; Rudolf Pollak, System des österreichischen Zivilprozeßrechtes, 2. Aufl., S. 459). Dies ist aber hier nicht geschehen. Davon, daß das Berufungsgericht den Vertreter der beklagten Partei auf diesen Umstand hätte aufmerksam machen müssen und daß in dieser Unterlassung ein wesentlicher Mangel des Berufungsverfahrens liegt, kann keine Rede sein. Der Vertreter der beklagten Partei mußte auf die Unterlassung des Vortrages spätestens bei der Protokollierung aufmerksam werden und überdies steht es im Belieben einer Partei, Berufungsgrunde bei der Berufungsverhandlung fallen zu lassen. Ein Hinweis durch den Vorsitzenden gemäß §§ 182/2, 486/4 ZPO. war daher überflüssig.

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