OGH 1Ob119/52

OGH1Ob119/5219.3.1952

SZ 25/68

Normen

ABGB §1315
ABGB §1315

 

Spruch:

Der Geschäftsherr haftet für die Untüchtigkeit eines Besorgungsgehilfen nur, wenn es sich um einen habituellen Zustand handelt.

Entscheidung vom 19. März 1952, 1 Ob 119/52.

I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien; II. Instanz:

Oberlandesgericht Wien.

Text

Klägerin begehrt von der Beklagten Schadenersatz in der Höhe von 17.523.37 S s. A. Das Erstgericht, das die Verhandlung auf den Grund des Anspruchs eingeschränkt hatte, erkannte mit Zwischenurteil, daß die Schadenersatzansprüche der Klägerin auf Grund ihrer Beschädigung durch eine umstürzende Anschlagtafel der Beklagten grundsätzlich zu Recht bestunden. Diese Tafel sei im Jahre 1947 in B. errichtet worden. Infolge Vermorschung der Holzsäulen sei sie am 14. Feber 1950 umgebrochen. Am Vormittag sei der Plakatierer D., der von der Beklagten mit der Überwachung der Anschlagtafeln beauftragt gewesen sei, von dritten Personen verständigt worden, daß die Tafel an eine Hauswand angelehnt stehe. Um 14 Uhr desselben Tages sei die Tafel bei sturm umgefallen und habe die Klägerin zu Boden geworfen und beschädigt. Die Beklagte hafte gemäß § 1319 ABGB. für den Schaden der Klägerin. Wenngleich die Säulen der Tafel nach dem Gutachten des Sachverständigen F. eine Lebensdauer von sechs bis sieben Jahren gehabt hätten, wäre es nach Ansicht des Erstgerichtes Pflicht der Beklagten gewesen, sich vom Zustand der in der Erde steckenden Teile der Holzsäulen zu überzeugen und sich nicht mit dem Rütteln der Tafel zu begnügen. Sie habe auch jede Anweisung an den Plakatierer D. unterlassen, was dieser im Einzelfalle bei Schäden zu machen haben sollte. Außerdem hafte die Beklagte auch nach § 1315 ABGB., weil sie sich einer untüchtigen Person, nämlich des D., bedient habe, der sich einer groben Fahrlässigkeit schuldig gemacht habe.

Infolge Berufung der Beklagten bestätigte das Berufungsgericht das Zwischenurteil des Erstgerichtes. Es übernahm dessen Feststellungen und kam gleich diesem zur Überzeugung, daß die Beklagte nach §§ 1319 und 1315 ABGB. für den Schaden der Klägerin haftbar zu machen sei. Daß es sich um eine Naturkatastrophe gehandelt hätte, auf die der Unfall allein zurückzuführen sei, sei nicht hervorgekommen. Die Ursache sei vielmehr der starke Sturm im Verein mit dem schadhaften Zustand der Säulen gewesen. Ein Plakatierer sei keine Person, der die nötigen Kenntnisse über den jeweiligen Zustand einer Anschlagtafel zugetraut werden könnten. Im übrigen habe sich D. als untüchtige Person im Sinne des § 1315 ABGB. herausgestellt.

Der Oberste Gerichtshof wies das Klagebegehren ab.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Gemäß § 1319 ABGB. haftet der Besitzer eines Werkes für die Folgen des Einsturzes, wenn die Ereignung die Folge der mangelhaften Beschaffenheit des Werkes ist und er nicht beweist, daß er alle zur Abwendung der Gefahr erforderliche Sorgfalt angewendet habe. Bei der Prüfung dieser Sorgfalt können nur solche Vorkehrungen verlangt werden, die vernünftigerweise nach der Auffassung des Verkehrs erwartet werden können (Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 30. März 1951, 3 Ob 179/51; vom 4. Feber 1930, SZ. XII/94). Dem Besitzer des Werkes ist eine den normalen Erfahrungen entsprechende Voraussicht drohender Gefahren zuzumuten, er haftet aber nicht für jede nur erdenkliche außergewöhnliche Möglichkeit, die er in sein Sorgfaltsprogramm nicht aufgenommen hat und vernünftigerweise nicht aufnehmen konnte, wie ja überhaupt die Haftung nach § 1319 ABGB. nicht ins Uferlose ausgedehnt werden kann.

Die Beklagte hat die in Frage stehende Anschlagtafel im April 1947 durch das Stadtbauamt B. aufstellen lassen und konnte nach den auf das Gutachten des Sachverständigen F. zurückgehenden Feststellungen des Erstgerichtes mit einer Haltbarkeit von sechs bis sieben Jahren und damit rechnen, daß erst vom vierten oder fünften Jahr an Überprüfungen des Fäulniszustandes notwendig seien. Mit Rücksicht darauf konnte der Beklagten nicht zugemutet werden, auch schon während des dritten Bestandjahres der Tafel, innerhalb dessen sich der Unfall zugetragen hat, die in der Erde steckenden Teile der beiden Holzsäulen zu kontrollieren. Wenn sich die Beklagte in dieser Zeit nach den Feststellungen der Untergerichte mit dem Rütteln der Tafel begnügte und auch D. anläßlich des Plakatierens keinen Anlaß fand, darüber hinaus Standfestigkeitsproben zu machen, kann weder ihm noch der Beklagten deshalb ein Vorwurf gemacht werden. Es kann daher der Rechtsansicht der Untergerichte nicht zugestimmt werden.

Es kann auch nicht als verkehrsüblich angesehen werden, daß die Beklagte, die den Plakatierer D. mit der Überwachung der Tafel, d.

h. mit der Kontrolle ihrer Haltbarkeit und der Schadensmeldung an das Stadtbauamt B. beauftragt hat, darüber hinaus verpflichtet gewesen wäre, ins Einzelne gehende Verhaltungsmaßregeln dem D. vorzuschreiben. Denn die in jedem konkreten Einzelfall erforderlichen Überwachungs- und Sicherungsmaßnahmen konnten mit Rücksicht auf die mögliche Fülle verschiedener Ereignungen von vornherein nicht vorausgesehen und daher auch nicht in ein bestimmtes Verhaltungsschema gezwängt werden. Die Beklagte konnte vielmehr mit Rücksicht auf die an sich nicht von besonderem Fachwissen abhängige Art der Materialüberwachung annehmen, daß ein Plakatierer von Beruf das dem Einzelfall jeweils Entsprechende unternehmen würde, ohne daß es besonderer Einzelvorschriften bedurfte. Ein Plakatierer ist entgegen der Rechtsansicht des Berufungsgerichtes mit Rücksicht auf die ständige Tätigkeit bei den Anschlagtafeln und die Erfahrung im Beruf ohne Zweifel zur Überwachungstätigkeit besonders geeignet. Es kann also eine Unterlassung der Sorgfaltspflicht der Beklagten auch nicht darin gesehen werden, daß die Beklagte sich bei der Überwachung nicht eines Holzbaufachmannes bedient und keine detaillierte Verhaltungsvorschriften erlassen hat.

Der Unfall der Klägerin ist letzten Endes auch nicht bloß auf das Abfaulen der Holzständer zurückzuführen. Nach dem Umbrechen lehnte die Anschlagtafel an einer Mauer und es hätte der Unfall vermieden werden können, wenn die Tafel zeitgerecht umgelegt oder entfernt worden wäre. Der von der Beklagten mit derartigen Vorkehrungen betraute Plakatierer D. wäre nach den Feststellungen der Untergerichte dazu auch ohneweiters in der Lage gewesen. Er hat um etwa 11 Uhr vormittags, also drei Stunden vor dem Unfall, vom Umbrechen Kenntnis bekommen und wäre sicherlich in der Lage gewesen, wenn schon nicht durch das Stadtbauamt, das geschlossen gewesen sein soll, so doch durch Maßnahmen der Ortspolizei oder Feuerwehr die Tafel aus der gefährlichen Lage zu bringen. Er hat dies nicht unternommen, obwohl er ohne besondere Fachkenntnisse bei dem damaligen schon seit dem Vortag herrschenden Sturm das Umfallen der dem Windanprall teilweise ausgesetzten Tafel auf den begangenen Bürgersteig voraussehen mußte. Dabei spielt die behauptete außergewöhnliche Stärke des Sturmes deshalb keine Rolle, weil D. nach den Wahrnehmungen des Vortages das Ausmaß des Sturms und seine Gefährlichkeit noch vor dem Unfall ohneweiters erkennen konnte. Das passive Verhalten des D., der keine Rechtfertigung seiner Unterlassung für sich in Anspruch nehmen kann, war grob fahrlässig.

Die Entscheidung in der vorliegenden Rechtssache hängt daher, da ein primäres Verschulden der Beklagten selbst nicht vorliegt, davon ab, ob das festgestellte grobfahrlässige Verhalten des D. hinreicht, um eine Haftung der Beklagten nach § 1315 ABGB. begrunden zu können. Das Revisionsgericht muß dies aus nachstehenden Erwägungen verneinen.

Die derzeitige Fassung des § 1315 ABGB. geht auf die dritte Teilnovelle zurück. Die Begründung zur Kaiserlichen Verordnung über die dritte Teilnovelle (Staatsdruckerei - Ausgabe der dritten Teilnovelle mit Materialien (1916) S. 46), lehnt die von den Unterinstanzen angenommene Identifizierung von "grober Fahrlässigkeit" und "Untüchtigkeit" ausdrücklich ab. Sie sagt geradezu, daß § 1315 bei Vorliegen der vom Gesetz geforderten Voraussetzungen auch dann anwendbar sei, wenn die Hilfsperson bei der schädigenden Handlung gar kein Verschulden treffe. Haftungsgrund sei die "Untüchtigkeit" der Hilfsperson, worunter die Begründung einen Mangel an Eignung, also eine habituelle Eigenschaft versteht. Dabei müsse der eingetretene Schaden "in dieser Eigenschaft" seinen Grund haben, er müsse also bei und nicht nur "gelegentlich der Verrichtung für den Geschäftsherrn" zugefügt worden sein. Die Begründung betont noch ausdrücklich, daß diese Beziehung zwischen der Eigenschaft der Untüchtigkeit und dem Schaden die Haftung des § 1315 ABGB. von der vollen Erfolgshaftung unterscheide.

An diesen Grundsätzen hat die Judikatur bis zur deutschen Okkupation festgehalten. Die älteste bisher gehörige, noch in der Monarchie ergangene Entscheidung vom 12. Feber 1918, ZBl. 1918 Nr. 261, betont, daß eine Haftung nach § 1315 ABGB. nur dann statthabe, "wenn der Schaden in der Untüchtigkeit der Mittelsperson seinen Grund habe, somit durch diesen Mangel in der Eignung entstanden sei". Damit, daß eine nicht besonders ins Gewicht fallende Unachtsamkeit in einem einzelnen Fall festgestellt sei, könne noch nicht auf eine Untüchtigkeit im Sinne des § 1315 ABGB. geschlossen werden, denn mit der Untüchtigkeit könne nur eine dauernde Eigenschaft, nicht aber ein "vorübergehendes Versagen" gemeint sein.

Ähnlich die Entscheidung vom 16. April 1918, ZBl. 1918 Nr. 316, daß Unachtsamkeit im einzelnen Fall noch nicht Untüchtigkeit der zu einem Geschäft oder zu einer Arbeitsverrichtung bestellten Person beweise. In diesem Zusammenhang muß betont werden, daß diese älteren Entscheidungen keineswegs behaupten, daß eine Untüchtigkeit eine mehrmalige schuldbare Handlung voraussetzt; eine solche Auslegung dieser Judikatur wäre schon deshalb verfehlt, weil sie offenbar im Anschluß an die "Begründung zur dritten Teilnovelle" zwischen Verschulden und Untüchtigkeit genau unterscheiden. Sie stellen vielmehr darauf ab, ob aus dem Verhalten der Mittelsperson sich eine Untüchtigkeit erschließen lasse und verneinen dies in den entschiedenen Fällen, weil das festgestellte einmalige Versagen noch nicht eine Untüchtigkeit beweise. Daß in anderen Fällen sich nicht bereits aus dem Verhalten im Einzelfalle eine Untüchtigkeit erschließen lasse, ist damit keineswegs in Abrede gestellt. Nach dieser Judikatur ist das alles eine quaestio facti.

Auch die späteren in der Ersten Republik ergangenen Entscheidungen sind von diesen Grundsätzen nicht abgewichen: So lehnt die Entscheidung vom 17. März 1927, SZ. IX/122, die Haftung des Dienstgebers für den durch eine von ihm verwendete untüchtige Person verursachten Schaden ab, wenn sie diesen Schaden nicht in dieser Eigenschaft infolge ihrer Untüchtigkeit zugefügt hat, sondern dadurch, daß sie ohne Zusammenhang mit ihrem körperlichen oder geistigen Gebrechen sich eine schuldbare Handlung zuschulden kommen ließ, im entschiedenen Fall dadurch, daß sie vor Ende der Dienststunden sich vorzeitig entfernt hat.

Ähnlich ferner Entscheidung vom 3. Jänner 1928, SZ. X/3. die gleichfalls wiederholt, daß Unachtsamkeit im einzelnen Fall noch nicht Untüchtigkeit sei - die älteren Entscheidungen sagen deutlicher "erweise" -, weil Untüchtigkeit einen die Eignung zu dem anvertrauten Geschäft benehmenden Mangel der erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten verlange. Doch betont diese Entscheidung, um jedes Mißverständnis auszuschließen, noch überdies, daß eine Untüchtigkeit auch durch eine dauernde Unvorsichtigkeit bei Ausführung von Geschäften dieser Art zur Darstellung gebracht werden könne. Das Gemeinsame ist in allen diesen Fällen ein habitueller Zustand.

Die Entscheidung vom 24. März 1931, SZ. XIII/89, bringt nichts Neues. Sie wiederholt nur, daß durch eine einmalige leichte Pflichtverletzung noch nicht eine Untüchtigkeit bewiesen werde; ähnlich die Entscheidung vom 28. April 1936, SZ. XVIII/76, die die unterinstanzliche Entscheidung zur Feststellung aufhob, ob sich die Mittelsperson in ihrer langjährigen Tätigkeit die Kenntnis der notwendigen Sicherungsmaßnahmen erworben habe. Wäre dies der Fall, so könnte sie nicht schon deshalb, weil sie die nötige Vorsicht im einzelnen Fall unterließ, als untüchtig angesehen werden.

Daß der Praxis in der Ersten Republik der in der Literatur vertretene Gedanke, daß aus einer einmaligen Verfehlung eine Untüchtigkeit nicht gefolgert werden könne, durchaus fremd ist, beweist die Entscheidung vom 3. Feber 1937, ZBl. 1937 Nr. 215, die Untüchtigkeit auf Grund eines einzelnen Verstoßes Mittelsperson wegen sachlicher Unwissenheit dem Körperschluß (Kurzschluß) nicht die notwendige Beachtung geschenkt und die notwendige Tragweite dieser Erscheinung nicht erkannt habe. Aus diesem - wie bemerkt einmaligem - Verhalten gehe im genügenden Maß eine große Sorglosigkeit der Verrichtung der ihm übertragenen gefährlichen Arbeit und nur seine Untüchtigkeit hervor. Auch hier der Rückschluß aus einem einmaligen Verhalten auf einen habituellen Zustand, die große Sorglosigkeit bei Verrichtung übertragener gefährlicher Arbeiten.

Die letzte vom Obersten Gerichtshof bereits in der Okkupationszeit gefaßte Entscheidung vom 5. April 1938, SZ. XX/99, faßt diese Judikatur zusammen. Untüchtig sei eine Person dann, wenn sie die für eine bestimmte Arbeit erforderlichen Kenntnisse überhaupt nicht habe. Es sei aber auch möglich, daß eine Person, welche die für einen bestimmten Beruf erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten hat, infolge persönlicher Eigenschaften, z. B. Trunksucht, Hang zur Nachlässigkeit oder zur Nichtbeachtung von Vorschriften für die Ausübung des Berufes untüchtig sei. Wenn eine an sich tüchtige Person einen Fehler begehe, so dürfe daraus noch nicht gefolgert werden, daß der Angestellte untüchtig sei und daher der Dienstgeber hafte, das würde dem § 1315 ABGB. widersprechen. Es könnte daraus geschlossen werden, daß der Angestellte jetzt untüchtig geworden sei. Diese Schlußfolgerung fällt freilich bereits aus dem Rahmen der bisherigen Judikatur heraus, denn wenn ein Angestellter untüchtig geworden ist, dann ist er eben jetzt untüchtig. Folgerichtig wärt daher die Haftung nach § 1315 ABGB. zu bejahen, was der Oberste Gerichtshof ablehnt. Richtigerweise wäre aus der Untüchtigkeit als habituellem Zustand im Sinne der bisherigen Praxis zu folgern gewesen, daß ein vorübergehendes Versagen, wenn sonst Tüchtigkeit feststehe, noch nicht ohneweiters den Schluß auf Untüchtigkeit zulasse.

Der österreichische Senat des deutschen Reichsgerichts hat dagegen die bisherige Praxis übernommen und in der Entscheidung vom 7. März 1940, EvBl. 1940 Nr. 201, ganz im Sinne der hier dargestellten Judikatur ausgeführt, daß ein einmaliges Versehen noch nicht die Annahme einer offenbar dauernden Unfähigkeit des Zweitbeklagten zur Besorgung der ihm obliegenden Reinigungsarbeiten zu rechtfertigen vermöge.

Man kann daher von einer einheitlichen - wenn man von der Begründung von SZ. XX/99 absieht - ununterbrochenen Praxis der oberstgerichtlichen Judikatur sprechen.

Mit dieser einheitlichen Rechtsprechung, der auch das Schrifttum folgt, vgl. insbesondere Wilburg, Haftung für Gehilfen in ZBl. 1930, S. 721 ff., steht freilich die tschechosl. Judikatur im Widerspruch. Beginnend mit der Entscheidung vom 11. Feber 1928, Slg. O. G. 7780 (siehe die Zusammenstellung in der Entscheidung vom 27. März 1936, Brünner Jur.Z. 1936, Nr. 2423), stellte das Brünner Oberste Gericht jede unentschuldbare grobe Fahrlässigkeit der Untüchtigkeit im Sinne des § 1315 ABGB. gleich, obwohl doch bereits die "Begründung" zur dritten Teilnovelle in klarer Weise den Gegensatz zwischen Verschulden und Untüchtigkeit herausgearbeitet hat. Diese Praxis, die niemals auch nur zu begrunden versucht wurde, wurde auch vom führenden tschech. Kommentar zum Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch (Sedlacek - Roucek 3 zu § 1315, Bd. V S. 860) unter Hinweis auf die Praxis, die grobe Fahrlässigkeit der Untüchtigkeit gleichstellt, gleichfalls ohne den Versuch einer Begründung übernommen. Der sudetendeutsche Senat des Reichsgerichts hat an seiner heimatlichen tschech. Praxis festgehalten. Die Entscheidung des Reichsgerichts vom 11. Oktober 1944, EvBl. 1945 Nr. 29, erklärt jedermann für untüchtig, der auch nur einmal sich eine grobfahrlässige Pflichtverletzung hat zuschulden kommen lassen, ganz gleichgültig, wie er sich sonst verhalten hat und worauf seine Untüchtigkeit zurückzuführen ist.

Während die Praxis des Tschechoslowakischen Obersten Gerichts in Österreich völlig unbeachtet geblieben ist, hat die vorzitierte Entscheidung des sudetendeutschen Senats des Reichsgerichts, obwohl sie ebensowenig begrundet ist, wie die analogen Entscheidungen des Brünner Obersten Gerichts, im wiedererstandenen Österreich Schule gemacht. In einer Reihe von Entscheidungen hat sich der Oberste Gerichtshof nach der Befreiung der Auffassung des sudetenländischen Senats des Reichsgerichts angeschlossen, z. B. in der Entscheidung vom 16. August 1949, SZ. XXII/110; vom 13. September 1950, EvBl. Nr. 503; vom 10. Jänner 1951, EvBl. Nr. 69, und vom 18. Jänner 1951, 2 Ob 804/50.

Andere Entscheidungen haben an der altösterreichischen Judikatur festgehalten, so die Entscheidung vom 28. März 1950, 2 Ob 181/50, JBl. 1950, S. 482. Nach herrschender Lehre und Rechtsprechung genüge ein einmaliges fahrlässiges Handeln noch nicht, um jemanden als untüchtig im Sinne des § 1315 ABGB. erscheinen zu lassen und die Haftung seines Geschäftsherrn im Sinne dieser Gesetzesstelle zu begrunden; dies auch dann nicht, wenn der Gehilfe in dem einen Fall grobe Fahrlässigkeit zu verantworten habe (vgl. Wolff in Klang's Kommentar, 2. Aufl., zu § 1315 ABGB., S. 95). Diese erstmalig zur älteren Tradition zurückkehrende Entscheidung steht mit der älteren Praxis nur insofern in einem gewissen Gegensatz, als sie annimmt, daß kein offenbares einmaliges Versehen als Untüchtigkeit gewertet werden kann, was mit der oben dargestellten Praxis des Obersten Gerichtshofes nicht ganz übereinstimmt. Ähnlich sagt die Entscheidung vom 29. September 1950, 1 Ob 518/50, daß eine einmalige Unachtsamkeit noch keine Untüchtigkeit im Sinne des § 1315 ABGB. darstelle. Freilich handelt es sich in beiden Fällen um eine bloß einmalige Nachlässigkeit, aus der nur ausnahmsweise eine Untüchtigkeit zu erschließen ist, anders im Falle einer offenkundigen Unkenntnis der einschlägigen Kunstregeln und Vorschriften. Eine klare Rückkehr zu den Grundsätzen der Ersten Republik bedeutet die Entscheidung vom 21. Juni 1951, EvBl. Nr. 381. Auch eine einzelne Unachtsamkeit könne unter Umständen die Untüchtigkeit des Besorgungsgehilfen begrunden. Im gegebenen Fall könne es aber dahingestellt bleiben, ob das dem Erstbeklagten bei der Sprengung unterlaufene Versehen ein solches sei, daß hieraus bedenkenlos auf dessen Untüchtigkeit im Sinne des § 1315 ABGB. geschlossen werden könne. Dem hat sich die jüngste einschlägige Entscheidung vom 16. Mai 1951, 3 Ob 237/51, in einer jeden Zweifel ausschließenden Weise angeschlossen. "Es wurde nicht bewiesen, daß der Unfall auf die mangelnden Kenntnisse des Vorarbeiters zurückzuführen war, sondern es wurde vielmehr dargetan, daß der Unfall nur auf dessen einmalige grobe Fahrlässigkeit zurückzuführen ist. Es kann deshalb noch nicht gesagt werden, daß Franz W. untüchtig gewesen ist, denn auch dem tüchtigsten Gehilfen kann einmal ein grobes Versehen unterlaufen."

Das Revisionsgericht hält auch diesmal an der traditionellen Auslegung des § 1315 ABGB. fest, u. zw. aus folgenden Erwägungen. Wie sich aus der Entstehungsgeschichte der neuen Fassung des § 1315 ABGB. ergibt, lag den Verfassen der dritten Teilnovelle der Gedanke vollkommen fern, Untüchtigkeit mit grober Fahrlässigkeit zu identifizieren. Dazu kommt noch, daß diese Auslegung des § 1315 ABGB. auch sonst zu unbrauchbaren Ergebnissen führt; läßt man nach § 1315 ABGB. den Geschäftsherrn bereits bei jedem groben Verschulden des Besorgungsgehilfen haften, so wird in der Praxis der Gegensatz zwischen der Haftung für Erfüllungs- und Besorgungsgehilfen darauf beschränkt, daß beim Erfüllungsgehilfen für culpa levis, beim Besorgungsgehilfen für culpa lata gehaftet wird; eine Ausdehnung der Haftung nach § 1315 ABGB., die sicherlich nicht dem Zwecke des § 1315 ABGB. entspricht. Der Begriff der "Untüchtigkeit" wird damit um jeden Inhalt gebracht, weil es, wie die Entscheidung 3 Ob 237/51 zutreffend hervorgehoben hat, auch tüchtige Gehilfen gibt, denen einmal ein grobes Versehen unterläuft. Wollte man aber neben der Haftung für grobes Versehen auch noch die traditionelle Auslegung aufrechterhalten, daß Untüchtigkeit nicht notwendigerweise ein Verschulden voraussetzt, so käme man zu dem Ergebnis, daß der Geschäftsherr nicht nur bei grobem Versehen des Gehilfen, sondern auch dann haften würde, wenn sich eine krasse Unwissenheit desselben herausstellt, auch wenn dem Gehilfen kein Verschulden zur Last fällt. Die tschech. Auslegung des Untüchtigkeitsbegriffes führt anderseits zu dem Ergebnis, daß der Geschäftsherr für den Besorgungsgehilfen, der dolos gehandelt hat, weniger weit haftet als für den grobfahrlässigen Besorgungsgehilfen, da gewiß nicht behauptet werden kann, daß eine einmalige Bosheitshandlung als Untüchtigkeit qualifiziert werden kann. Der Dienstgeber des Besorgungsgehilfen, der bei einer Reparatur in der Wohnung eines Kunden eine kostbare Vase grob fahrlässig zerbricht, hätte nach dieser Auffassung Schadenersatz zu leisten, wenn sie aber vom Angestellten gestohlen oder in einem Streit mit dem Kunden zerschlagen wird, so haftet nach der vom Obersten Gerichtshof abgelehnten Meinung der Dienstgeber nicht.

Auch ist die Identifizierung von Untüchtigkeit mit jeder groben Fahrlässigkeit mit dem Judikat 50 nicht vereinbar, das die Haftung des Hausherrn für die Unterlassung der Streupflicht durch den Hausbesorger nach § 1315 ABGB. verneint hat, da Nichtstreuen oder nicht ordentlich Streuen bei Glatteis meist als grobes Verschulden zu qualifizieren ist.

Gegen die Identifizierung von grobem Verschulden und Untüchtigkeit im Sinne des § 1315 ABGB. sprechen auch gewichtige wirtschaftliche Erwägungen. Der Oberste Gerichtshof wendet § 1315 ABGB. nicht nur auf das Verhältnis von Dienstgeber und Angestellten an, sondern erstreckt die Haftung für Besorgungsgehilfen auch auf das Verhältnis zwischen Geschäftsherrn und beauftragten selbständigen Unternehmer (z. B. 2 Ob 127/50 u. a. m.), u. zw. auch dann, wenn der Geschäftsherr selbst kein Unternehmer ist, sondern einen Dritten mit einer Geschäftsbesorgung beauftragt; ein Privater läßt einen Ofen in seiner Wohnung aufstellen oder sonst eine Professionistenarbeit verrichten. Die Bestimmung unserer Gesetze, daß jeder Geschäftsherr für jeden Beauftragten bei Untüchtigkeit desselben für den von ihm verursachten Schaden haftet, ist bereits ungemein weitreichend; sie ist aber immerhin erträglich, weil den Geschäftsherrn dann keine Haftung trifft, wenn er genügend sorgfältig in der Auswahl des Besorgungsgehilfen gewesen ist und einen anerkannt tüchtigen Gewerbsmann mit der Geschäftsbesorgung betraut hat. Diese Haftung wäre aber unerträglich, wenn der Geschäftsherr für jedes grobe Versehen eines an sich tüchtigen Beauftragten haften müßte, weil auch die sorgfältigste Auswahl niemals dagegen schützt, daß ein sonst tüchtiger Beauftragter einmal grob fahrlässig handelt. Jeder Auftraggeber würde daher eine unabsehbare Haftung auf sich nehmen.

Der Oberste Gerichtshof kommt somit zum Ergebnis, daß der Geschäftsherr für die Untüchtigkeit seines Besorgungsgehilfen nur dann haftet, wenn es sich um einen habituellen Zustand handelt, wie dies zusammenfassend in SZ. XX/99 dargelegt worden ist.

Wird nun von diesen Rechtsgrundsätzen ausgegangen, so kann die Haftung des Beklagten für das grobe Versehen D. nicht bejaht werden, weil der Umstand, daß D. trotz Kenntnis des Umstandes, daß der Sturm die Anschlagtafel schwer beschädigt hat, nichts vorgekehrt hat, um eine Verletzung von Passanten im Fall des Umfallens der beschädigten Anschlagtafel zu verhindern, wohl einen sträflichen Leichtsinn verrät, aber deshalb allein noch nicht angenommen werden kann, daß er die für einen Plakatierer erforderlichen Kenntnisse nicht besitzt oder daß ihm die moralischen Eigenschaften zur Ausübung seines Berufes fehlen. Es liegt nicht mehr vor, als ein "vorübergehendes Versagen", wie die Entscheidung vom 12. Feber 1918, ZBl. 1918 Nr. 261, sagt. Zu der schweren Verletzung der Klägerin ist es nur durch das Zusammentreffen einer Reihe unglückseliger Zufälle gekommen. Solche Vorfälle sind nicht alltäglich. Die Handlungsweise des D., der sich darauf verlassen hat, es werde schon nichts geschehen, war daher wohl grob fahrlässig, sie beweist aber noch nicht einen habituellen Hang zur Mißachtung seiner Obliegenheiten. § 1315 ABGB. ist infolgedessen nicht anwendbar.

Es kann aber auch der Beklagte nicht auf Grund der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze über die Haftung bei gefährlichen Betrieben belangt werden. Es mag zunächst dahingestellt bleiben, ob die Schadensfälle im Betriebe eines Subunternehmers überhaupt unter den Begriff der Betriebsgefahr fallen, weil hier der Schaden nicht im Betrieb des Auftraggebers, sondern des Dritten entsteht.

Aber auch wenn davon abgesehen wird, daß der Begriff der Betriebsgefahr nicht so sehr erweitert werden kann, daß er auch die Schadenshaftung im Betrieb eines dritten selbständigen Gewerbsunternehmers umfaßt, muß die Haftung im konkreten Fall schon deshalb verneint werden, weil das österreichische Recht eine allgemeine Erfolgshaftung für die durch den Betrieb verursachten Schäden nicht kennt (SZ. XX/99 und 3 Ob 237/51). Nur der Unternehmer eines gefährlichen Betriebes haftet für die mit dem Betrieb notwendig verbundenen Gefahren nach den Grundsätzen der Erfolgshaftung (SZ. XXI/46, SZ. XXII/110). Da nun ein Plakatierungsgewerbe zweifellos nicht als gefährlicher Betrieb qualifiziert werden kann, weil die im Durchschnitt mit diesem Gewerbe verbundenen Gefahren nicht größer sind als die mit jedem anderen Unternehmen verbundenen Betriebsgefahren, so kann der Beklagte auch nicht gemäß den von der Praxis des Obersten Gerichtshofes entwickelten Grundsätzen der Erfolgshaftung für durch Betriebsgefahren gefährlicher Betriebe herbeigeführte Schäden zur Haftung herangezogen werden.

Das Klagebegehren war daher in Abänderung der unterinstanzlichen Entscheidungen abzuweisen.

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