Spruch:
Keine taxative Aufzählung der Gründe, aus denen eine einstweilige Verfügung aufgehoben werden kann.
Kein ipso iure Erlöschen der einstweiligen Verfügung nach Ablauf der Frist, für die sie bewilligt worden ist.
Entscheidung vom 16. Februar 1952, 1 Ob 45/52.
I. Instanz: Bezirksgericht Perg; II. Instanz: Landesgericht Linz - Nord.
Text
Mit Beschluß vom 23. Oktober 1950 erließ das Erstgericht eine einstweilige Verfügung, mit der dem Gegner verboten wurde, auf der Liegenschaft der gefährdeten Partei in J. Holz zu schlägern und abzutransportieren und sonstige nachteilige Handlungen vorzunehmen. Die Wirksamkeit der einstweiligen Verfügung wurde mit 30. September 1951 befristet. An Stelle des Schlägerungsverbotes erließ das Rekursgericht mit Beschluß vom 11. Mai 1951 die einstweilige Verfügung durch Verwaltung der Liegenschaft. Am 8. November 1951 stellte der Gegner der gefährdeten Partei mit der Begründung, daß die einstweilige Verfügung durch Zeitablauf von selbst außer Kraft getreten sei, den Antrag, den Verwalter zu entheben, ihm aufzutragen, Rechnung zu legen, der gefährdeten Partei den Ersatz der Verfahrenskosten aufzuerlegen, dem Gegner die Ertragsüberschüsse zu überlassen und ihm das Recht vorzubehalten, Schadenersatzansprüche geltend zu machen.
Das Erstgericht gab den Anträgen des Gegners der gefährdeten Partei im wesentlichen statt und stellte sich gleich ihm auf den Standpunkt, daß die einstweilige Verfügung am 30. September 1951 von selbst außer Wirksamkeit getreten sei.
Infolge Rekurses der gefährdeten Partei hob das Rekursgericht den erstgerichtlichen Beschluß auf. Der Ablauf der Zeit, für die eine einstweilige Verfügung bewilligt worden sei, sei kein Grund, die einstweilige Verfügung von Amts wegen aufzuheben. Dies wäre nach Ansicht des Rekursgerichtes nur über Antrag des Gegners der gefährdeten Partei möglich gewesen.
Der Rekurs des Gegners der gefährdeten Partei blieb ohne Erfolg.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Mit Recht bekämpft der Revisionsrekurswerber die Rechtsansicht des Rekursgerichtes, daß das Erstgericht die einstweilige Verfügung von Amts wegen aufgehoben habe. Denn das Erstgericht hat sich unzweideutig auf den Standpunkt gestellt, daß es einer ausdrücklichen Aufhebung einer durch Zeitablauf erlöschenden einstweiligen Verfügung nicht bedürfe. Das Erstgericht hat, seiner Rechtsansicht folgend, vielmehr nur veranlaßt, daß die der Sicherung dienenden einzelnen Maßnahmen auf Grund der einstweiligen Verfügung außer Kraft gesetzt werden. Dies tat das Erstgericht überdies nicht von Amts wegen, sondern auf Grund des Antrages des Gegners der gefährdeten Partei vom 8. November 1951. Nach richtiger Ansicht liegt somit ein Aufhebungsbeschluß des Erstgerichtes überhaupt nicht vor.
Die Exekutionsordnung sieht in den §§ 386, 391, 396 und 399 verschiedene Fälle einer Aufhebung der einstweiligen Verfügung vor. Die Aufhebung wegen Ablaufes der Frist, für die die einstweilige Verfügung bewilligt worden ist (§ 391 Abs. 1 EO.), ist nicht darunter. Aus diesem Stillschweigen des Gesetzes kann aber nicht, wie der Revisionsrekurswerber annimmt, der Schluß gezogen werden, die Verfügung erlösche mit Fristablauf von selbst, ohne daß es einer Aufhebung bedürfte. Die Aufzählung des § 399 Abs. 1 EO. ist nach dem Wortlaut dieser Gesetzesstelle keine taxative, sodaß weitere Aufhebungsfälle nicht ausgeschlossen werden können. Dem Gesetz ist aber auch zu entnehmen, daß die Beurteilung, ob und mit welchem Zeitpunkte die Wirksamkeit der einstweiligen Verfügung aufhören soll, nicht den Parteien überlassen werden darf, sondern dem Gerichte obliegt. Deutlich ergibt sich dies aus § 400 EO., der die Ausfolgung einer von der gefährdeten Partei erlegten Sicherheit erst zuläßt, wenn vierzehn Tage seit Eintritt der Rechtskraft des Beschlusses abgelaufen sind, durch den die einstweilige Verfügung aufgehoben wird. Wenn es eine Möglichkeit gäbe, daß eine einstweilige Verfügung von selbst unwirksam werde, hätte für diesen Fall im § 400 EO. Vorsorge getroffen werden müssen. Es darf auch nicht übersehen werden, daß nach § 1 Z. 1 EO. einstweilige Verfügungen Exekutionstitel sind und dem Exekutionsgericht die Prüfung der Weitergeltung des Exekutionstitels nicht obliegt (vgl. § 39 Z. 1 EO.). Daß der Gesetzgeber die ausdrückliche Aufhebung einer abgelaufenen einstweiligen Verfügung vorsah, kann schließlich dem analogen, für die Sicherungsexekution geltenden § 377 Abs. 2 EO. entnommen werden. Danach sind die vollzogenen Sicherungsexekutionshandlungen nach Ablauf des Zeitraumes, für dessen Dauer die Sicherung gewährt wurde, auf Antrag des Verpflichteten aufzuheben.
Die Rechtsprechung hat sich mit der Frage bisher nur wenig beschäftigt und zu ihr nicht deutlich Stellung genommen (ZBl. 1937 Nr. 46, SZ. XII/139, SZ. VI/246). Pollak, S. 1050, meint, daß das Vollzugsende der einstweiligen Verfügung mit Fristablauf von selbst eintrete. Er begrundet seine Ansicht indessen nicht. Alle übrigen Schriftsteller, die sich mit der Frage befassen (Walker - Jaitner, S. 389, Neumann - Lichtblau, 3. Aufl.; S. 1246, Rintelen, Die einstweilige Verfügung, S. 175, insbesondere aber Ohmeyer, ist die einstweilige Verfügung nach Ablauf der Zeit für die sie bewilligt wurde, aufzuheben? GZ. 1926, S. 178 ff.), halten hingegen die ausdrückliche Aufhebung für notwendig, wobei sie sich der hier herangezogenen Argumente teilweise bedienen.
Im vorliegenden Fall ist die einstweilige Verfügung nicht aufgehoben worden. Trotz des Ablaufes der ihr bestimmten Wirksamkeitsfrist bestand sie weiter und es fehlte für das Erstgericht die Voraussetzung für die Behebung der Sicherungsmaßnahmen. Das Rekursgericht hat den erstgerichtlichen Beschluß im Endergebnis mit Recht aufgehoben.
Dem Revisionsrekurs mußte der Erfolg versagt werden.
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