Spruch:
Rechtzeitig aufgeklärt im Sinne des § 871 ABGB. ist der Irrtum nur dann, wenn der Gegner noch nicht im Vertrauen auf die Erklärung des Irrenden gehandelt hat.
Entscheidung vom 31. Oktober 1951, 1 Ob 650/51.
I. Instanz: Bezirksgericht Kufstein; II. Instanz: Landesgericht Innsbruck.
Text
Das Erstgericht hat mit Urteil vom 5. April 1951 das Klagebegehren auf Bezahlung des Kaufpreises von 3386 S für den Kaffeeverkaufsbehälter mit der Begründung abgewiesen, die Tochter des Beklagten habe sich bei der Bestellung, wenn auch eine bewußte Irreführung des Klägers nicht vorliege, in einem Irrtum über die Art und den Preis der bestellten Ware befunden. Der Prospekt des Klägers enthalte nichts davon, daß der Kaffeeverkaufsbehälter vierteilig und für 220 Volt sei, daß er die Nr. 99 trage und 3386 S koste; der Irrtum der Tochter des Beklagten sei in Anbetracht der großen Differenz zwischen dem vermeintlichen und dem wirklichen Preis sowie der völligen Verschiedenheit des vermeintlich bestellten und des gelieferten Gegenstandes als wesentlich anzusehen und durch das Schreiben des Beklagten vom 12. Jänner 1951 als rechtzeitig aufgeklärt zu betrachten, weil dem Kläger kein über die üblichen Geschäftsspesen hinausgehender Schaden erwachse; schließlich sei durch das Bestellschreiben vom 12. Dezember 1950 erwiesen, daß der Beklagte den klagsgegenständlichen Kaffeeverkaufsbehälter nie bestellt habe; bei einer so mangelhaften Bestellung wäre es Sache des Klägers gewesen, beim Beklagten rückzufragen, welche Type von Behältern erwünscht sei, zumal die klägerische Firma nach dem Bildprospekt, dessen Übersendung an den Beklagten nicht erwiesen sei, verschiedene Typen herstelle.
Das Berufungsgericht hat das erstgerichtliche Urteil mit dem angefochtenen Beschluß unter Rechtskraftvorbehalt mit der Begründung aufgehoben, die Offerte des Klägers enthalten weder eine Beschreibung der Gegenstände noch die Preise der angebotenen Sachen, der dort bezogene Prospekt enthalte ebenfalls keine Preisangaben, so daß auch bei Übersendung des Prospektes an den Beklagten diesen keine Angaben über Stromspannung und Preis gemacht worden seien; die Postkarte des Klägers biete moderne Kaffeebehälter an, so daß sie sehr wohl der Tochter des Beklagten schon als Grundlage für die Bestellung hätte dienen können. Der Beklagte habe erst aus Rechnung und Schreiben des Klägers vom 8. Jänner 1951 den Preis erfahren, so daß das Schreiben des Beklagten vom 12. Jänner 1951, worin er den Irrtum aufgeklärt habe, mit Recht als unmittelbare Antwort auf das klägerische Schreiben vom 8. Jänner angesehen werden könne. Es komme daher nur darauf an, ob die Aufklärung des Irrtums durch das Schreiben vom 12. Jänner im Sinne des § 871 ABGB. rechtzeitig gewesen sei, da auch der Erstrichter nicht angenommen habe, daß der Irrtum durch den Kläger veranlaßt sei oder ihm aus den Umständen habe auffallen müssen; der Irrtum sei allerdings auch rechtzeitig aufgeklärt, wenn der Irrende die inzwischen vom Verkäufer gemachten Aufwendungen ersetze, jedenfalls sei noch festzustellen, ob und welche Aufwendungen der Kläger bis zum Empfang des Schreibens des Beklagten vom 12. Jänner 1951 gemacht habe und ob Beklagte diese ersetzen wolle.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs der beklagten Partei Folge, hob den angefochtenen Beschluß auf und trug dem Berufungsgericht die neuerliche Entscheidung auf.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Die Ansicht des Berufungsgerichtes, daß der Irrtum auch dann als rechtzeitig aufgeklärt anzusehen sei, wenn der Beklagte die inzwischen vom Kläger gemachten Aufwendungen zu ersetzen bereit sei, kann allerdings nicht geteilt werden. Denn aus den Ausführungen im Bericht der Kommission des Herrenhauses für Justizgegenstände, 3. Teilnovelle mit Materialien S. 257, geht klar hervor, daß der Irrtum im Sinne des § 871 ABGB nur dann als rechtzeitig aufgeklärt angesehen werden kann, wenn der Gegner noch nicht im Vertrauen auf die Erklärung des Irrenden gehandelt hat, also solange er z. B. noch keine Aufwendungen zur Vertragserfüllung gemacht hat. Allerdings müßte auch auf Grund dieser Rechtsansicht geprüft werden, ob der Kläger überhaupt schon im Vertrauen auf den Abschluß des Kaufvertrages Aufwendungen gemacht hat. Es ist jedoch bedeutungslos, ob der Beklagte zum Ersatz solcher bereit wäre. Vor Erörterung der Frage nach dem Vorliegen der Voraussetzungen des § 871 ABGB. muß jedoch in erster Linie geprüft werden, ob überhaupt der vom Kläger behauptete Kaufvertrag zustande gekommen ist, da ja nur die Anfechtung eines abgeschlossenen Geschäftes in Frage kommen kann. Der Beklagte hat ja keineswegs im erstinstanzlichen Verfahren das Zustandekommen des vom Kläger behaupteten Kaufvertrages zugegeben, sondern dies vielmehr durch Bestreitung des gesamten Klagsvorbringens ebenfalls bestritten. Das Berufungsgericht mußte daher in erster Linie die Frage nach dem Zustandekommen des Kaufvertrages vor Erörterung der Irrtumsfrage untersuchen. Wenn das Berufungsgericht bemerkt, die Postkarte des Klägers, die moderne Kaffeeverkaufsbehälter anbiete, hätte als Grundlage für die Bestellung der Tochter des Beklagten dienen können, so ist damit noch nicht festgestellt, daß die "Bestellung" eine rechtswirksame Annahme eines wirksamen klägerischen Antrages gewesen sei, die den Abschluß eines Kaufvertrages bewirkt hat. Ein Schreiben, das ganz allgemein moderne Kaffeeverkaufsbehälter ohne weitere Beschreibung und ohne Angabe der Preise anbietet, ist kein bindender Antrag auf Abschluß eines Kaufvertrages. Würde nun selbst unter besonderen Umständen in einem solchen Schreiben ein bindender Antrag auf Abschluß eines Kaufvertrages und in dem bloßen Ersuchen um Übersendung eines Behälters eine wirksame Annahme des Antrages zu erblicken sein, so wäre dies auf jeden Fall nur dann möglich, wenn nur eine einzige Type in Frage kommt, nicht aber, wenn der Anbietende mehrere Typen zum Verkaufe erzeugt, wie dies nach den Ausführungen des Erstrichters beim Kläger der Fall ist. Das Rekursgericht hat zur Frage des Zustandekommens des Kaufvertrages und daher auch zur erstrichterlichen Feststellung, daß der Kläger mehrere Behältertypen erzeuge, nicht Stellung genommen und irrig nur die Frage der Anfechtbarkeit wegen Irrtums erörtert. Da die Frage des Kaufvertragsabschlusses primär und erst nach ihrer Bejahung auf die Anfechtbarkeit wegen Irrtums einzugehen ist, das Erstgericht aber auch die erstere Frage behandelt hat, war die vom Berufungsgericht verfügte Aufhebung des erstgerichtlichen Urteils ohne Stellungnahme zu der ersten Frage nicht möglich.
Es mußte daher dem Rekurse Folge gegeben, der angefochtene Beschluß aufgehoben und dem Berufungsgerichte die neuerliche Entscheidung aufgetragen werden.
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