Normen
Betriebsrätegesetz §25
Betriebsrätegesetz §30
Betriebsrätegeschäftsordnung §1
Betriebsrätegeschäftsordnung §16 (2)
Betriebsrätegeschäftsordnung §29
Betriebsrätegesetz §25
Betriebsrätegesetz §30
Betriebsrätegeschäftsordnung §1
Betriebsrätegeschäftsordnung §16 (2)
Betriebsrätegeschäftsordnung §29
Spruch:
Ein einfaches Betriebsratsmitglied kann den Betriebsrat grundsätzlich nicht nach außen vertreten.
Entscheidung vom 27. Oktober 1951, 4 Ob 117/51.
I. Instanz: Arbeitsgericht Wien; II. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien.
Text
Das Erstgericht hatte festgestellt, daß der Dienstgeber wenigstens drei bis vier Tage vor der am 10. November 1950 ausgesprochenen Kündigung des Dienstvertrages des Klägers dem Betriebsratsmitglied Engelbert K. seine Absicht mitteilte, dem Kläger zu kundigen, weil er mit dessen Dienst nicht zufrieden sei. Den genauen Zeitpunkt dieser Unterredung vermochte das Erstgericht wohl nicht mehr festzustellen, nahm aber als erwiesen an, daß zwischen ihr und der einwandfrei am 10. November 1950 erfolgten Kündigung etwa drei bis vier, mindestens aber drei Tage lagen. Ebenso stellte es fest, daß Engelbert K. von dem Inhalt dieses Gespräches erst am 10. November 1950 dem Betriebsratsobmann Leopold S. Mitteilung machte und eine unmittelbare Verständigung des Letztgenannten von der Kündigung seitens des Dienstgebers überhaupt nicht erfolgte.
Das Erstgericht gab dem auf Unwirksamerklärung der Aufkündigung gerichteten Klagebegehren aus der Erwägung Folge, daß die Vorschrift des § 25 Abs. 1 bis 3 Betriebsrätegesetz verletzt worden sei, weil die Kündigung vor Ablauf der Frist des § 25 Abs. 2 BRG. ausgesprochen wurde.
Zur Vertretung des Betriebsrates nach außen hin und gegenüber dem Betriebsinhaber sei nach § 16 Abs. 2 BRG. nur der Obmann und bei dessen Verhinderung dessen Stellvertreter berufen, sofern nicht im Einzelfall vom Betriebsrat etwas anderes beschlossen wird. Die Verständigung des Betriebsrates im Sinne des § 25 BRG. hätte darum zu Handen des legitimierten Vertreters dieser Körperschaft, also des Obmannes, erfolgen sollen, die Verständigung des Engelbert K., eines einfachen Betriebsratsmitgliedes, sei nicht genügend. Wohl könnte diese Unterlassung dadurch saniert werden, daß das verständigte Betriebsratsmitglied die empfangene Benachrichtigung dem Betriebsratsobmann so rechtzeitig weitergibt, daß die Frist des § 25 Abs. 2 BRG. gewahrt bleibt. Dies sei aber festgestelltermaßen im vorliegenden Fall nicht geschehen. Es sei aber auch nicht einmal behauptet worden, daß der Obmann verhindert gewesen sei oder daß der Betriebsrat im einzelnen Fall eine andere Verfügung über die Vertretung gegenüber dem Betriebsinhaber getroffen hat. Die vom Erstgericht als erwiesen angenommene Tatsache, daß faktisch in Angestelltenfragen immer nur mit Engelbert K. verhandelt wurde, berechtige diesen noch nicht zur rechtswirksamen Entgegennahme von an den Betriebsrat gerichteten Erklärungen.
Der Berufung des Dienstgebers gab das Berufungsgericht Folge und änderte die erstrichterliche Entscheidung dahin ab, daß das Klagebegehren kostenpflichtig abgewiesen wurde. Es pflichtete der rechtlichen Beurteilung des Falles durch das Erstgericht nicht bei. Der Betriebsführer habe im Hinblick auf den auch vom Berufungsgericht für wahr angenommenen äußeren Tatbestand, wonach Angestelltenfragen stets nur mit dem Betriebsratsmitglied Engelbert K. verhandelt wurden, keine Veranlassung gehabt, daran zu zweifeln, daß er von seiner Kündigungsabsicht rechtswirksam den Betriebsrat auf dem Wege über Engelbert K. verständigen könne. Dieser hätte als einziges dem Angestelltenstand entstammendes Mitglied des Betriebsrates gemäß § 16 Abs. 3 BRGO. zum Obmannstellvertreter gewählt werden müssen, da als Obmann des Betriebsrates ein Arbeiter fungierte. Auch dieser Umstand habe Veranlassung geboten, nicht daran zu zweifeln, daß Engelbert K. die Erklärung betreffend die Kündigungsabsicht wirksam entgegennehmen konnte. Die Meinung des Erstgerichtes, die Erklärung hätte nur gegenüber dem Betriebsratsobmann, und im Falle seiner Verhinderung gegenüber dessen Stellvertreter, wirksam abgegeben werden können, erachtete das Berufungsgericht als übertrieben formalistisch und dem Wesen der Arbeitergesetzgebung zuwiderlaufend. Das Berufungsgericht verkannte nicht, daß Engelbert K. weder Obmann noch Obmannstellvertreter war und daß ein Beschluß im Sinn des § 16 Abs. 2 BRGO., mit dem im Einzelfall vom Betriebsrat ein anderes Betriebsratsmitglied mit der Vertretung des Betriebsrates betraut wird, im gegenständlichen Fall fehlt. Es war aber der Ansicht, daß ein solcher Beschluß als durch konkludente Handlungen zustande gekommen anzusehen sei, wenn wie hier durch verhältnismäßig lange Zeit (etwa seit 1949) ein Betriebsratsmitglied, noch dazu eines, das gemäß § 16 Abs. 3 BRGO., eigentlich als Obmannstellvertreter berufen wäre, mit Duldung des Betriebsrates mit der Behandlung der Angestelltenangelegenheiten betraut wird. Von dieser Rechtsansicht ausgehend, genüge aber die Benachrichtigung des Engelbert K. von der Kündigungsabsicht zur Erfüllung der Vorschrift des § 25 BRG., weshalb die Frist des § 25 Abs. 2 z. G. als gewahrt und die Kündigung als rechtswirksam anzusehen sei.
Der Oberste Gerichtshof hat der Revision des Dienstnehmers Folge gegeben und in Abänderung des Berufungsurteils das erstgerichtliche Urteil wiederhergestellt.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
§ 16 BRGO. regelt die Vertretung des Betriebsrates als Organ der Betriebsvertretung gegenüber dem Betriebsinhaber oder Dritten eindeutig dahin, daß diese Vertretung nur dem Betriebsratsobmann und im Falle seiner Verhinderung dem gewählten (§ 16 Abs. 1 BRGO.) Stellvertreter desselben zusteht. Es ist unbestritten, daß Engelbert K. weder Betriebsratsobmann noch Obmannstellvertreter gewesen ist. Die Unterinstanzen haben der im Verhandlungsprotokoll des Einigungsamtes Wien vorkommenden Bezeichnung des für den antragstellenden Betriebsrat einschreitenden Engelbert K. als "Obmannstellvertreter" keine Beweiskraft zuerkannt und nicht festgestellt, daß Engelbert K. zur Zeit der Kündigung tatsächlich diese Funktion ausgeübt habe und im Sinn des § 16 Abs. 1 BRGO. ordnungsgemäß zum Obmannstellvertreter gewählt gewesen sei. Eine derartige Behauptung ist übrigens im Verfahren der Vorinstanzen gar nicht aufgestellt worden, und Engelbert K. selbst hat als Zeuge angegeben, daß er Betriebsratsmitglied für die Angestellten, demnach nicht Obmannstellvertreter gewesen sei. Dem Umstande, daß er gemäß § 16 Abs. 3 BRGO. Anspruch gehabt hätte, zum Obmannstellvertreter gewählt zu werden, kommt keine Bedeutung zu, da diese Vorschrift eben nicht eingehalten worden ist. Im übrigen erscheint nach § 16 Abs. 2 BRGO. selbst der gewählte Obmannstellvertreter zur Vertretung des Betriebsrates gegenüber dem Betriebsinhaber nur bei Verhinderung des Obmannes legitimiert. Die Beklagte hat aber selbst nicht behaupten können, daß dieser Verhinderungsfall vorgelegen habe.
Engelbert K. war darum nur als einfaches Betriebsratsmitglied anzusehen. Ein solches ist aber grundsätzlich zur Vertretung des Betriebsrates nach außen nicht befugt, sofern nicht der Betriebsrat im Einzelfall ihn ausnahmsweise mit seiner Vertretung, sei es allgemein, sei es für gewisse in den Rahmen seiner Befugnisse fallende Agenden, betraut.
Es steht fest, daß ein solcher Beschluß niemals gefaßt worden ist. Die Konstruktion des angefochtenen Urteiles, in der ständigen Betrauung des Engelbert K. mit den Agenden der Angestelltenschaft mit Duldung des Betriebsrates liege ein konkludentes Verhalten, das in seinen Wirkungen einem solchen Beschluß gleichkomme, scheitert schon daran, daß die auf Grund des § 30 BRG. erlassene BRGO. vom 8. August 1947, BGBl. Nr. 221, ausdrücklich einen für den Einzelfall gefaßten Beschluß des Betriebsrates fordert. Es können daher die privatrechtlichen Grundsätze des § 863 ABGB. keine sinngemäße Anwendung finden. Es sind darum auch die Ausführungen der Revisionsbeantwortung, die versuchen, den Standpunkt der angefochtenen Entscheidung durch den Hinweis auf §§ 1, 25 BRGO. zu stützen, hinfällig und unrichtig. Weder § 1, der von der Betriebsvertretung handelt und als deren Organe den Betriebsrat und die Betriebsversammlung erklärt, noch der von den Rechten und Pflichten der Betriebsratsmitglieder im allgemeinen handelnde § 25 BRGO. ergeben für die Lösung der hier entscheidenden Rechtsfrage irgendwelche Anhaltspunkte. Aber auch § 29 BRGO., den die Revisionsbeantwortung heranzieht, besagt nur, daß der Betriebsrat die Durchführung einzelner seiner Aufgaben einem oder mehreren seiner Mitglieder übertragen kann, und gibt Beispiele für solche Spezialaufgaben. Damit ist aber nur gemeint, daß der Betriebsrat Referenten aus seiner Mitte bestellen kann, die ihm für einzelne zum Agendenkreis des Betriebsrates gehörige Obliegenheiten, wie sie § 28 BRGO. umschreibt, verantwortlich sind und besondere Aufgaben zugewiesen erhalten. Diese Bestellungen gelten aber für den Innenbereich, für die Beziehungen der Funktionäre zum Betriebsrat, keineswegs für das Außenverhältnis. Dieses findet vielmehr in § 16 Abs. 2 BRGO. seine eindeutige, bereits umrissene Regelung. Dem Betriebsinhaber gegenüber gilt nur der Obmann, im Behinderungsfall dessen gewählter Stellvertreter als legitimiertes Organ, andere Betriebsratsmitglieder nur dann, wenn sie im Einzelfall durch Beschluß des Betriebsrates mit einer solchen Außenvertretung, sei es für den ganzen Umfang des Wirkungskreises des Betriebsrates, sei es für Spezialagenden, betraut worden sind. Der Beschluß, den § 16 Abs. 2 BRGO. fordert, kann nicht durch konkludente Handlungen ersetzt werden, und die privatrechtliche Lehre vom Vertrauen auf den äußeren Tatbestand kann hier keine Anwendung finden. Es ist darum belanglos, welche subjektive Ansicht der Betriebsinhaber vor der Vertretungsbefugnis des Engelbert K. hatte und inwieweit diese Ansicht durch den anderen Tatbestand gerechtfertigt wird. Der Dienstgeber mußte sich, ehe er dem Engelbert K. seine Kündigungsabsicht äußerte, vergewissern, ob dieser wirklich eine der im § 16 Abs. 2 BRGO. genannten vertretungsbefugten Personen sei. Der Umstand, daß er mit dem Referat "Angestelltenangelegenheiten" intern vom Betriebsrat betraut worden war, vermochte diese Legitimation nicht zu ersetzen. Es trifft auch nicht zu, daß dieser Standpunkt ein unnötiger Formalismus sei, denn wenn die BRGO. in § 16 Abs. 2 die angeführten Vorschriften erläßt, so müssen sie vom Betriebsinhaber beachtet werden, und ihn trifft der Nachteil, wenn er, statt dies zu tun, sich mit einem Usus oder Abusus begnügt, der nicht der gesetzlichen Regelung entspricht. Wenn dann einmal ein Angestellter die Nichteinhaltung der in anderen Fällen konsequenzlos übertretenen Formvorschrift rügt und daraus rechtliche Folgerungen ableitet, muß der Dienstgeber diese Konsequenzen eben auf sich nehmen.
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