OGH 1Ob623/51

OGH1Ob623/5112.9.1951

SZ 24/220

Normen

ABGB §1438
EO §35
ZPO §577
ABGB §1438
EO §35
ZPO §577

 

Spruch:

Zur Auslegung des Begriffes der "Tatsachen, von denen der Verpflichtete im vorangegangenen gerichtlichen Verfahren nicht wirksam Gebrauch machen konnte".

Entscheidung vom 12. September 1951, 1 Ob 623/51.

I. Instanz: Bezirksgericht für Zivilrechtssachen Graz; II. Instanz:

Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz.

Text

Der Exekutionstitel ist ein vollstreckbarer privater Schiedsspruch, der der verpflichteten Partei die Herausgabe einer gemieteten "Großbaggeranlage" aufträgt. Der Schiedsspruch stützt sich darauf, daß die beklagte Partei mit mehreren Mietzinsen im Rückstand sei, welches Verhalten einen Auflösungsgrund des Mietverhältnisses darstelle. Im Exekutionstitelverfahren wendete die beklagte Partei ein, daß der behauptete Mietzinsrückstand zwar bestanden habe, aber durch verschiedene Gegenforderungen, die sie konkretisierte und ziffernmäßig der Mietzinsforderung gegenüberstellte, kompensiert sei. Auf die Gegenforderungen einzugehen fühlte sich das Schiedsgericht nicht berufen.

Gegen die Exekution auf Herausgabe der Baggeranlage (Maschinen usw.) erhob die verpflichtete Partei die Klage nach § 35 EO. und beantragte die Aufschiebung der Exekution, die vom Erstgericht unter Auferlegung einer Sicherheitsleistung von 5000 S bewilligt wurde.

Das Rekursgericht wies zufolge Rekurses der betreibenden Partei den Aufschiebungsantrag ab. Das Rekursgericht begrundete seine Entscheidung damit, es fehle für eine Klageführung nach § 35 EO. die Voraussetzung, weil die den Anspruch aufhebende oder hemmende Tatsache nicht erst nach Entstehen des Exekutionstitels entstanden sei. Die Erklärung der verpflichteten Partei, mit ihren Forderungen gegenüber den Forderungen der betreibenden aufrechnen zu wollen, sei bereits vor Fällung des Schiedsspruches erfolgt. An der Abweisung des Aufschiebungsantrages wegen Aussichtslosigkeit der Oppositionsklage ändere auch der Umtand nichts, daß im schiedsgerichtlichen Verfahren aus rechtlichen Gründen kein Bedacht auf die Einwendung der Gegenforderungen genommen wurde. Ob dies zu Recht erfolgt sei, sei belanglos. Das Eingehen auf das Vorbringen im Oppositionsprozesse wäre eine Überprüfung der Einwendungen im Schiedsverfahren und somit eine unzulässige Überprüfung des Schiedsspruches.

Der Oberste Gerichtshof erachtete den Revisionsrekurs der verpflichteten Partei für begrundet.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Nach herrschender Lehre können gemäß § 35 Abs. 1 EO. dem gerichtlichen Exekutionstitel im Wege der Oppositionsklage den Anspruch aufhebende oder hemmende Tatsachen entgegengesetzt werden, von denen der Verpflichtete im vorangegangenen gerichtlichen Verfahren nicht "wirksam Gebrauch machen konnte", sei es, daß sie erst in einem Zeitpunkte entstanden sind, der dem Schlusse der mündlichen Verhandlung in erster Instanz nachfolgte, sei es, daß sie zwar früher entstanden sind, der Verpflichtete aber erwiesenermaßen erst nach Schluß der Verhandlung vor dem Erstrichter davon Kenntnis erhielt, und ihm die Unterlassung der Einwendung vor dem Erstrichter nicht zum Verschulden gereichte (SZ. XII/49). Die Praxis hat die Aufrechnung von Gegenforderungen auch dann zugelassen, wenn sie nicht nur aus subjektiven Gründen im Titelprozesse unmöglich war (SZ. XV/129), sondern auch, wenn dies aus objektiven Gründen nicht möglich war (1 Ob 235/36, RZ. 1936, S. 173, 174).

Damit sind aber nach Ansicht des Obersten Gerichtshofes die Fälle, in denen die Oppositionsklage erhoben werden kann, trotzdem die aufhebende oder hemmende Tatsache bereits vor Entstehen des Exekutionstitels entstanden ist, nicht erschöpft. Gerade der vorliegende Fall zeigt deutlich, daß die verpflichtete Partei von ihren Einwendungen nicht wirksam Gebrauch machen konnte, weil es im inappellablen schiedsgerichtlichen Verfahren das Schiedsgericht ablehnte, auf die Einwendung der Gegenforderungen, d. h. auf die Frage der Kompensation einzugehen. Diesem Gedanken trägt die Entscheidung 1 Ob 914/29 = AnwZ. 1930, S. 77, Rechnung, indem sie allgemein ausspricht: "Die Kompensation kann stets dann mit Oppositionsklage geltend gemacht werden, wenn deren Geltendmachung im vorangegangenen Verfahren nicht möglich war." Diese Entscheidung führt aus: "Richtig ist zwar, daß der Wortlaut des § 35 EO. nicht für die Zulässigkeit der Gegenaufrechnung einer schon vor Entstehen des Exekutionstitels entstandenen Forderung spricht. Allein die Ausschließung der Gegenaufrechnung im Wege einer Oppositionsklage würde gerade dem Grundgedanken des bürgerlichen Rechtes widersprechen, aus dem die Zulassung der Gegenaufrechnung erfolgte, nämlich, daß derjenige nicht begehren soll, der selbst schuldig ist (dolo facit, qui petit, quod redditurum ist). Sie wird allerdings, weil dies dem Wesen der Zwangsvollstreckung widerspräche, dort nicht zur Anwendung kommen dürfen, wo sie bereits in jenem Rechtsstreite hätte geltend gemacht werden können, auf den sich der Exekutionstitel grundet (SZ. XI/145). Allein dort, wo eine Geltendmachung im vorausgegangenen Rechtsstreite gar nicht möglich war, wird sie zuzulassen sein. Dies entspricht auch dem Gedanken des § 35, 2. Satz EO. Denn von der Verwendung als Einwendung ist dasjenige ausgeschlossen, von dem im vorausgegangenen gerichtlichen Verfahren Gebrauch gemacht werden konnte, woraus umgekehrt folgt, daß das Gesetz solche Tatsachen von der Verwertung als Einwendungen nicht ausschließen wollte, von denen Gebrauch zu machen im vorausgegangenen gerichtlichen Verfahren ganz unmöglich war." Die gegenteilige Anschauung würde dazu führen, daß der Verpflichtete eine tatsächlich nicht mehr bestehende Schuld bezahle oder die Exekution über sich ergehen lassen und erst nachher eine Schadenersatzklage anbringen müßte. Hiebei darf man nicht übersehen, daß, wie die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes 1 Ob 8/29 = ZBl. 1929, Nr. 118, erklärt, der Wortlaut des § 35 EO. nur den Regelfall im Auge hat. Hiezu bemerkt Petschek, daß eine Nötigung zur Aufrechnung bestehe, woran nur die Präklusion des Aufrechnungsrechtes geknüpft sei. Auch die Berufung Walker - Jaitner's (4. Aufl. 1932, S. 119) auf die Entscheidung vom 17. Juni 1930, Rsp. 1930, Nr. 476, wonach es dem Grundsatze von Treu und Glauben im Verkehr widersprechen würde, wenn im Vorprozesse eine Aufrechnungsforderung trotz der bestehenden Möglichkeit der Aufrechnung nicht geltend gemacht würde und dies erst gegen den rechtskräftigen Exekutionstitel im Wege der Klage nach § 35 EO. geschähe, ist nicht überzeugend, weil im vorliegenden Fall aus den oben angeführten gegenteiligen Gründen die Verhinderung der Geltendmachung der Aufrechnung gleichfalls Treu und Glauben widersprechen würde. Am nächsten kommt dem vorliegenden Falle Pollak, System, III. Teil, 1932, zu § 35 Abs. 1 S. 892: "Wenn der Titel in einer "gerichtlichen Entscheidung" besteht, ist sogar der (frühere) Zeitpunkt maßgebend, in welchem der Verpflichtete im Verfahren vom Tatbestande Gebrauch machen konnte." Hiezu Anm. 25, "gilt also nicht für gerichtliche Vergleiche und vollstreckbare Notariatsakte, auch nicht für private Schiedssprüche".

Es war daher die Rechtsansicht des Rekursgerichtes nicht zu billigen und dem Rekurs gegen den angefochtenen Beschluß Folge zu geben, die Entscheidung des Rekursgerichtes aufzuheben und diesem aufzutragen, neuerlich in der Exekutionssache über den Aufschiebungsantrag - unter Umgangnahme vom gebrauchten Abweisungsgrund - zu entscheiden. Dieser Aufgabe muß sich das Rekursgericht deshalb unterziehen, weil die betreibende Partei nicht nur die Abweisung des Aufschiebungsantrages als unbegrundet, sondern auch (in eventu) die Aufschiebung der Exekution gegen Auferlegung einer weitaus höheren Sicherheitsleistung (40.000 S) verlangt, als sie das Erstgericht aufgetragen hat.

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