OGH 2Ob300/51

OGH2Ob300/514.5.1951

SZ 24/122

Normen

ABGB §1295
ABGB §1338
AHG §1
AHG §4
Kraftfahrverordnung 1947 §§50 ff
ABGB §1295
ABGB §1338
AHG §1
AHG §4
Kraftfahrverordnung 1947 §§50 ff

 

Spruch:

Verursacht eine zur Überprüfung von Kraftfahrzeugen autorisierte Person auf einer Probefahrt mit einem zu prüfenden Kraftwagen einen Unfall, so sind die Bestimmungen des Amtshaftungsgesetzes anzuwenden.

Entscheidung vom 4. Mai 1951, 2 Ob 300/51.

I. Instanz: Bezirksgericht Innere Stadt Wien; II. Instanz:

Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien.

Text

Der Kläger fuhr am 25. Oktober 1949 in einem von ihm gesteuerten Personenkraftwagen (Type Topolino) auf der Ringstraße hinter einem im Eigentum der zweitbeklagten Partei stehenden Autobus, den der Drittbeklagte unter Kontrolle des Erstbeklagten lenkte. In der Nähe des Parlamentes bremste der Drittbeklagte auf Geheiß des Erstbeklagten den Wagen plötzlich ab; der Kläger brachte seinen Wagen nicht rechtzeitig zum Stehen, stieß mit dem Autobus zusammen und wurde hiebei verletzt. Er begehrte die Verurteilung der Beklagten zum Ersatz der Kosten seines Spitalaufenthaltes und seiner ärztlichen Behandlung sowie zur Zahlung eines Schmerzengeldes.

Das Prozeßgericht schränkte das Begehren auf den Grund des Anspruches ein und sprach aus, daß dieser dem Gründe nach gegen sämtliche Beklagte zur Hälfte zu Recht bestehe und daß sie dem Kläger gegenüber zur ungeteilten Hand haften.

Das Berufungsgericht versagte jedoch dem Klagsanspruch in Ansehung des Erst- und Drittbeklagten die Berechtigung, hob das erstgerichtliche Urteil in Ansehung der zweitbeklagten Partei auf und trug dem Erstgericht die Fortsetzung des Verfahrens gegen diese nach Rechtskraft des Aufhebungsbeschlusses auf.

Der Oberste Gerichtshof hob das Urteil des Berufungsgerichtes und auch das des Prozeßgerichtes, soweit über den Klagsanspruch in Ansehung des Erst- und Drittbeklagten erkannt worden ist, auf, verwies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Prozeßgericht und bestätigte die Aufhebung des erstgerichtlichen Urteiles in Ansehung des Zweitbeklagten.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Das Berufungsgericht erachtete die Passivlegitimation des Erstbeklagten nicht für gegeben, da dieser "nach dem unwidersprochenen Vorbringen der Parteien als amtlicher Prüfer der Landesregierung" an der Fahrt, die eine Probefahrt gewesen sei, teilgenommen, bei der Erteilung des Auftrages an den Drittbeklagten, eine Sofortbremsung durchzuführen, als Organ seiner Behörde in Vollziehung der Gesetze gehandelt habe und daher nach § 4, richtig § 1, Abs. 1 AmtshG. dem Kläger nicht hafte. Daraus folgerte das Berufungsgericht, daß auch der Drittbeklagte, der nur einen obrigkeitlichen Auftrag befolgt habe, von der Haftung befreit sei. Der Revisionswerber bestreitet die Anwendung des Amtshaftungsgesetzes mit der Behauptung, daß der Erstbeklagte zu der Landesregierung in keiner Beziehung stehe und bloß zur Überprüfung von Kraftwagen autorisiert sei.

Wenn auch der Kläger eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens nicht geltend gemacht und auch nur die Abänderung des berufungsgerichtlichen Urteiles beantragt hat, so erfordert doch die Frage, ob der Erstbeklagte auf Grund des Amtshaftungsgesetzes nicht in Anspruch genommen werden könne, eine klare Feststellung, in welchem Rechtsverhältnis der Erstbeklagte zur Landesregierung steht, ob die Überprüfung des Wagens von dieser angeordnet worden ist und ob der Erstbeklagte die Überprüfung vorzunehmen hatte. Es könnte zwar seinen Angaben im Strafakt entnommen werden, daß er dienstlich verpflichtet gewesen sei, die Bremsen des Wagens zu überprüfen, es sei auch darauf hingewiesen, daß er bei der Unterfertigung des polizeilichen Protokolls seinem Namen den Berufstitel "Landesbaurat" beigesetzt hat, doch sind die Einwendungen des Erstbeklagten, er sei zwecks amtlicher Überprüfung der Bremsfähigkeit als von der Landesregierung autorisierter Überprüfer von Kraftwagen im Autobus gefahren, von dem Kläger, der bloß behauptet hat, daß sich der Erstbeklagte als Überprüfer der Fahrfähigkeit im Wagen befunden habe, nicht außer Streit gestellt worden; auch ist es auffallend, daß der Erstbeklagte weder im Verfahren erster Instanz noch in seiner Berufungsschrift den behaupteten Ausschluß von der Haftung auf das Amtshaftungsgesetz gestützt hat. Da immerhin die Möglichkeit nicht völlig von der Hand zu weisen ist, daß der Erstbeklagte unabhängig von seiner beruflichen Stellung und ohne Einschaltung der Landesregierung, somit als privat beigezogener Sachverständiger, an der Fahrt teilgenommen hat, hält das Revisionsgericht die Feststellungen des Berufungsgerichtes nicht für ausreichend, um aus ihnen die Rechtsfolge ableiten zu können, daß er als Organ der Landesregierung gehandelt habe. Wegen dieses Feststellungsmangels mußten sowohl das Urteil des Berufungsgerichtes als auch das des Prozeßgerichtes in seinem den Erst- und Drittbeklagten betreffenden Ausspruch aufgehoben und die Sache an die erste Instanz zurückverwiesen werden. Sollte sich im fortgesetzten Verfahren ergeben, daß die Fahrt nur eine Probefahrt gewesen ist und der Überprüfung des Kraftfahrzeuges im Sinn der §§ 50 ff. der Kraftfahrverordnung 1947 gedient hat, dann ist allerdings der rechtlichen Beurteilung des Berufungsgerichtes beizupflichten und der Klagsanspruch nicht nur gegen den Erstbeklagten nicht gerechtfertigt, sondern auch gegen den Drittbeklagten nicht begrundet, da dieser den ihm erteilten Auftrag befolgen mußte und daher nur die verlängerte Hand des Erstbeklagten darstellte.

Da der Aufhebungsbeschluß des Berufungsgerichtes von der zweitbeklagten Partei nicht bekämpft worden ist, ist lediglich dazu Stellung zu nehmen, ob der Sachverhalt in erster Instanz so weit geklärt worden ist, daß ein Mitverschulden des Erstbeklagten an dem Unfall des Klägers angenommen werden kann. Das Berufungsgericht hat jedoch mit Recht eine Ergänzung des Verfahrens und insbesondere die Aufnahme eines Sachverständigenbeweises gefordert, da sich das Prozeßgericht mit der zeugenschaftlichen Vernehmung eines Wachebeamten und der Vernehmung der Parteien, die beim Unfall zugegen waren, begnügt und das Mitverschulden des Erst- und Drittbeklagten daraus abgeleitet hat, daß sie sich nicht genügend vergewissert haben, ob nicht ein Fahrzeug im sogenannten "toten Winkel" hinter dem Autobus gefahren ist. Die Frage, wie weit der "tote Winkel" reicht, wie groß er ist und wie lange die Schenkel sind, die ihn einschließen, kann jedoch verläßlich nur von einem Sachverständigen beantwortet werden, der die erforderliche Berechnung aus den Größenverhältnissen der beiden Kraftfahrzeuge unabhängig von den Angaben der Parteien anstellen wird; dem Sachverständigen wird aber auch die Beantwortung der weiteren Frage obliegen, ob die Vorsichtsmaßnahmen, die der Erstbeklagte vor dem Bremsauftrag getroffen hat, ausreichend gewesen sind und ob etwa noch eine dritte Person - sei es wegen der Beschaffenheit des Kraftwagens, sei es zur Ergänzung der amtlichen "Kommission" - an der Probefahrt hätte teilnehmen müssen. Schließlich teilt das Revisionsgericht auch die Ansicht des Berufungsgerichtes, daß das Urteil des Prozeßgerichtes insofern mangelhaft ist, als in ihm Feststellungen über die von den beiden Kraftfahrzeugen eingehaltenen Geschwindigkeiten fehlen, daß diese Feststellungen für die Lösung der Verschuldensfrage entscheidend und daher nachzuholen sind.

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