OGH 2Ob702/50

OGH2Ob702/5026.4.1951

SZ 24/113

Normen

ABGB §1035
ABGB §1037
ABGB §1040
ABGB §1325
Einführungsgesetz zur Zivilprozeßordnung ArtXLII
ZPO §406
ABGB §1035
ABGB §1037
ABGB §1040
ABGB §1325
Einführungsgesetz zur Zivilprozeßordnung ArtXLII
ZPO §406

 

Spruch:

Ein Kausalzusammenhang zwischen Unfall und Begehrungsneurose ist dann anzunehmen, wenn der Verletzte sich der seinen Wunschtendenzen zugrunde liegenden Krankheitserscheinungen nicht bewußt oder infolge besonderer Veranlagung außerstande ist, diesen Wunschtendenzen zu begegnen.

Für die Unfähigkeit zur Vollziehung des Beischlafs und zur Zeugung von Kindern kann Schmerzengeld begehrt werden.

Entscheidung vom 26. April 1951, 2 Ob 702/50.

I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz; II. Instanz:

Oberlandesgericht Graz.

Text

Die Erstklägerin, die sich vor ihrer Verheiratung als Köchin ihren Unterhalt verdient hatte, erlitt bei einem auf unrichtige Weichenstellung zurückzuführenden Straßenbahnzusammenstoß eine Prellung des Brustkorbs an der linken Seite. Wegen dieser Verletzung wurde sie ins Unfallkrankenhaus in Graz eingeliefert und einige Tage später "gänzlich entlassen". Der Aufnahmebefund lautete: "Diffuse Schwellung, Druckempfindlichkeit an der linken Brustkorbhälfte, keine Knochenstufe, Verstärkung der Beschwerden beim Husten und tiefem Atmen".

Die Erstklägerin begehrte als Entschädigung für Unfallsfolgen einen Betrag von 26.712 S, den sie im Laufe des Verfahrens auf 55.693 S erhöhte, und eine monatliche Rente von 160 S ab 1. Feber 1948. Im einzelnen bezifferte sie den gegen die beklagte Partei gerichteten Kapitalsanspruch folgendermaßen:

Für die Unfähigkeit, die eheliche Pflicht zu leisten ....... 20.000

S Für die Unfähigkeit, Kinder zu gebären .....................

20.000 S Behandlungskosten

.......................................... 1.312 S Kosten einer

psychoanalytischen Behandlung ................. 3.000 S Abtransport

durch Rettungswagen ............................ 21 S Honorar

für Hilfskräfte .................................... 5.960 S

Verdienstentgang für die Zeit vom Tag des Ablebens ihrer

Schwiegermutter, von dem an die Erstklägerin einen Posten als Köchin

hätte annehmen können - bis zum Klagstag 5.460 S.

Der Zweitkläger, der Gatte der Erstklägerin, stellte das Begehren auf Verurteilung der beklagten Partei zur Zahlung eines Betrages von

23.920 S, wovon er einen Betrag von 3920 S mit der Motivierung begehrte, daß, wenn er eine Arbeit angenommen hätte, für die Erstklägerin eine Hausgehilfin hätte aufgenommen werden müssen und diese hätte monatlich 140 S gekostet. 20.000 S begehrte er für psychische und seelische Schmerzen infolge Beischlafunfähigkeit seiner Frau.

Das Erstgericht hat die beklagte Partei zur Zahlung eines Betrages von 8853 S sowie bis zur rechtskräftigen Beendigung des Prozesses einer monatlichen Rente von 160 S an die Erstklägerin, ferner zur Bezahlung eines Betrages von 7490 S an den Zweitkläger verurteilt und hat die darüber hinausgehenden Ansprüche beider Kläger abgewiesen. Im einzelnen sprach das Erstgericht der Erstklägerin folgende Beträge zu:

Für die Unfähigkeit, den Beischlaf zu vollziehen und Kinder zur Welt zu bringen, sowie die Angst vor Zerrüttung der Ehe 4000 S, an Behandlungskosten 1312 S, an Transportkosten 21 S, an Verdienstentgang 3520 S, dazu die Rente von 160 S monatlich bis zum Prozeßausgang.

Dem Zweitkläger wurde vom Erstgericht zugesprochen:

Als Schadenersatz dafür, daß seine Frau nicht alle häuslichen Arbeiten verrichten könne und einer Beaufsichtigung bedürfe, einen Betrag von 7490 S. Das Erstgericht ist bei seinem Urteil auf Grund von ärztlichen Sachverständigengutachten davon ausgegangen, daß durch den Unfall bei der Erstklägerin eine Begehrungsneurose ausgelöst wurde, die nach Art einer seelischen Depression im Sinne des § 1325 ABGB. als Verletzung zu werten sei. Der Unfall sei aber nicht der alleinige Komponent dieser Neurose, zum größeren Teil sei sie auf die körperliche Konstitution der Erstklägerin zurückzuführen. Das Erstgericht hat weiter angenommen, die Neurose werde mit Beendigung des Prozesses verschwinden, und hat daher die Rente für Verdienstentgang nur bis zum rechtskräftigen Ausgang des Prozesses zugesprochen.

Das Oberlandesgericht Graz als Berufungsgericht hat den Berufungen der Erstklägerin und der beklagten Partei teilweise Folge gegeben und das Ersturteil, soweit es die Ansprüche der Erstklägerin betrifft, in dem Sinne abgeändert, daß es ihr auch die Kosten der psychoanalytischen Behandlung zuerkannt hat. Dagegen hat das Berufungsgericht das Klagebegehren des Zweitklägers zur Gänze abgewiesen.

Der Oberste Gerichtshof hat der Revision der klagenden Parteien nicht Folge gegeben, dagegen der Revision der beklagten Partei teilweise stattgegeben und der Erstklägerin in Abänderung der Urteile der Untergerichte nur einen Kapitalsbetrag von 5093 S und eine monatliche Rente von 80 S bis zur rechtskräftigen Beendigung des Rechtsstreites zugesprochen.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Der vorliegende Rechtsstreit zwingt zu einer Stellungnahme zu dem überaus schwierigen Problem des Kausalzusammenhanges im Falle einer sogenannten Begehrungsneurose oder Rentenhysterie. Die Urteile der Vorinstanzen, die einen solchen Kausalzusammenhang bejahen, stützen sich vorwiegend auf das Gutachten des Sachverständigen, der einen mittelbaren Zusammenhang zwischen den begehrungsneurotisch bedingten, bei der Erstklägerin gelegentlich auftretenden Krankheitserscheinungen und dem Unfall trotz der bei der Erstklägerin vorhandenen Prädisposition angenommen hat. Ob dieses Gutachten gegenüber dem Gutachten des Vorstandes der psychiatrischneurologischen Universitätsklinik den Vorzug verdient, ist eine Frage der Beweiswürdigung und daher der Überprüfung durch das Revisionsgericht entzogen. Dagegen steht dem Revisionsgericht die Prüfung der Frage der rechtlichen Kausalität zu. Die österreichische Rechtsprechung hat bisher (vgl. die Entscheidungen JBl. 1919, S. 28/29, SZ. XVI/12, AnwZ. 1936, S. 197) einen Zusammenhang zwischen einem Unfall und der in seiner Folge auftretenden Begehrungsneurose ohne weitere Begründung als gegeben erachtet. Ursachenzusammenhänge dürfen nicht ins Uferlose verfolgt werden. Die praktische Rechtsprechung setzt der Beurteilung eines Sachverhaltes nach der Seite der juristischen Kausalität Grenzen, die in Lehre und Rechtsprechung durch den Begriff der Adäquanz bestimmt sind. Bei Begehrungsneurose glaubt der Oberste Gerichtshof, einer vielfach in der ausländischen Literatur und im ausländischen Schrifttum vertretenen Auffassung folgend, die Grenze so ziehen zu sollen, daß ein ursächlicher Zusammenhang dort abzulehnen ist, wo sich der von dem Unfall Betroffene der seinen Krankheitserscheinungen zugrunde liegenden Wunschtendenzen bewußt ist. Ist sich der Betroffene ihrer nicht bewußt, sind also die Gründe für seine Vorstellung, krank zu sein, seinem Bewußtsein entzogen oder ist er infolge besonderer Veranlagung außerstande, diesen Wunschtendenzen zu begegnen, dann ist die Kausalkette zwischen dem Unfall und den Krankheitserscheinungen als geschlossen anzusehen. Das von den Vorinstanzen herangezogene Gutachten des Sachverständigen bietet für die Annahme einer bewußten Produzierung von Begehrungsvorstellungen keinen Anhaltspunkt. Denn der begutachtende Sachverständige schließt eine Simulation und ein zweckbewußtes Innervieren der Anfälle geradezu aus.

Von diesen grundsätzlichen Erwägungen ausgehend, muß nun zu den einzelnen der Prüfung durch das Revisionsgericht unterliegenden Ansprüchen Stellung genommen werden.

Der beklagten Partei kann darin nicht gefolgt werden, daß für Beeinträchtigungen auf geschlechtlichem Gebiet grundsätzlich Schmerzengeld nicht gebühren könne. Ebenso wie die Rechtsprechung anerkannt hat, daß für die Beeinträchtigung des Naturgenusses, des Jagdvergnügens und für andere, die Lebensfreude berührende Ausfälle Entschädigung in der Form eines Schmerzengeldes verlangt werden kann, können auch die Geschlechtssphähre betreffende Unlustgefühle in dieser Weise Entschädigung finden. Auch in Fällen einer Rentenneurose kann grundsätzlich ein Schmerzengeldanspruch bestehen, das ist in der Entscheidung SZ. XVI/12 ausgesprochen worden. Der Oberste Gerichtshof hält an dieser Rechtsansicht fest, aber auch an der anderen, in dieser Entscheidung niedergelegten Auffassung, daß eine Entschädigung für Schmerzen bei Rentenneurosen unzweckmäßig und unbillig sei. Diese Erwägung muß bei der Bemessung des Schmerzengeldes sehr erheblich ins Gewicht fallen, zumal wenn eine Entschädigung für Unlustgefühle begehrt wird, die nicht unmittelbar durch den Unfall, sondern durch eine sich einschiebende hysterische Vorstellung bedingt sind. Hiezu kommt, daß es sich bei der von der Erstklägerin behaupteten Angst um das Schicksal ihrer Ehe um ein ganz unkontrollierbares Gefühl handelt, das nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes (GlUNF. 5224) nicht die Grundlage eines Schmerzengeldanspruches bilden kann. Schließlich haben beide Unterinstanzen festgestellt, daß die Ansprüche der Erstklägerin (die erheblich übertriebenen Ansprüche des Zweitklägers können hiebei allerdings nicht in Betracht gezogen werden) maßlos übersteigert sind. Die Richtigkeit dieser Feststellung ergibt sich schon daraus, daß die Erstklägerin nach der Einvernahme des Sachverständigen ihren Schmerzengeldanspruch wegen der Unmöglichkeit, Kinder zu bekommen, um 20.000 S erhöht hat, obwohl der Sachverständige es offengelassen hat, ob nicht durch eine Schwangerschaft das Befinden der Erstklägerin gebessert werden könnte. Es ist daher der Erstklägerin ein mitwirkendes Verschulden an ihrem Zustand anzulasten, ein Einwand, den die beklagte Partei in der Form erhoben hat, daß die Klägerin bewußt ihre Ansprüche übersteigere. Die Rentenhysterie ist in ihrer Intensität mit durch die Größe des beabsichtigten Erfolges bedingt. Wenn auch bei einer solchen Hysterie eine gewisse Schwächung der Willenskraft gegen Begehrungsvorstellungen zum Krankheitsbild gehören mag, so müssen doch maßlose Überhöhungen des Rentenbegehrens, weil sie nicht nur dem Willens-, sondern vorwiegend dem Verstandesbereich zugehören, als mitwirkendes Verschulden der Erstklägerin bei der rechtlichen Beurteilung des Umfanges der zu gewährenden Entschädigung in Betracht gezogen werden. Das Revisionsgericht hält daher aus allen diesen Erwägungen ein Schmerzengeld im Betrage von 2000 S für alle im Gefolge des Unfalls aufgetretenen Unlustgefühle für angemessen.

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