OGH 1Ob37/51

OGH1Ob37/5128.2.1951

SZ 24/53

Normen

Mietengesetz §19 Abs2 Z5
Mietengesetz §19 Abs2 Z6
Mietengesetz §19 Abs2 Z12
Mietengesetz §19 Abs3
Mietengesetz §19 Abs6
Mietengesetz §19 Abs2 Z5
Mietengesetz §19 Abs2 Z6
Mietengesetz §19 Abs2 Z12
Mietengesetz §19 Abs3
Mietengesetz §19 Abs6

 

Spruch:

§ 19 Abs. 6 MietG. bezieht sich nur auf die Eigenbedarfsfälle des § 19 Abs. 2 Z. 5, nicht aber auf Z. 6 MietG.; hiebei ist Abs. 3 des § 19 MietG. zu beachten.

Entscheidung vom 28. Feber 1951, 1 Ob 37/51.

I. Instanz: Bezirksgericht Hernals; II. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien.

Text

Klägerin ist Alleineigentümerin des Hauses Wien XVI, Tstraße 67. Sie betreibt in diesem Hause einen Textilhandel. Im Jahre 1938 löste sie dem Inhaber des an ihr Geschäft anschließenden Geschäftslokales, einem Pferdefleischhauer, seine Mietrechte ab, um das ganze Nachbargeschäft zur Erweiterung ihres eigenen Geschäftes zu erwerben. Infolge der Kriegsverhältnisse kam es aber nicht dazu. Im Dezember 1946 vermietete sie einen Teil dieses Lokales, ein inzwischen abgemauertes einräumiges Gassenlokal, an die Beklagte, angeblich mit der Vereinbarung, daß diese das Lokal räumen müsse, wenn Klägerin es für die geplante Geschäftsvergrößerung benötige. Da dies nun der Fall sei, kundigte Klägerin das Lokal. Die Beklagte erhob Einwendungen.

Das Erstgericht hob die Kündigung auf.

Das Berufungsgericht bestätigte das erstgerichtliche Urteil und ging bei seiner Entscheidung in Übereinstimmung mit dem Erstgericht davon aus, daß nicht, wie die Klägerin behaupte, eine Untermiete vorliege, sondern ein Hauptmietverhältnis. Die Klägerin sei Alleineigentümerin des Hauses, sie habe ein Gassenlokal vermietet, dessen Abtrennung von dem früheren Fleischhauergeschäft im Jahre 1939, somit viele Jahre vor der Vermietung an die Beklagte, von ihr selbst veranlaßt wurde und das sie selbst nie in Benützung hatte. Es liegt somit kein Naheverhältnis vor, das nach der Rechtsprechung erforderlich sei, um ein Bestandverhältnis wie das einer Untermiete zur Auflösung bringen zu können. Dabei sei es ohne Belang, ob das Gassenlokal ursprünglich einen Teil einer anderen Mieteinheit dargestellt habe und ob die Abtrennung nur provisorisch erfolgt sei sowie ob hiefür eine verwaltungsbehördliche Genehmigung erteilt wurde und ob das gekundigte Geschäft eine eigene topographische Nummer habe, weil die Frage, ob ein Naheverhältnis anzunehmen sei, nur nach den tatsächlich räumlichen und wirtschaftlichen Gegebenheiten beurteilt werden könne.

Wenn aber ein Hauptmietverhältnis vorliege, so genüge es nach § 19 Abs. 6 Mietengesetz nicht, daß ein bestimmtes Ereignis als ein Fall des dringenden Eigenbedarfes vereinbart worden sei. Dieser Umstand reiche an sich nicht hin, um die Kündigung eines Hauptmietverhältnisses zu rechtfertigen, es müßten vielmehr überdies, da es sich um ein Geschäftslokal handle, die weiteren Voraussetzungen des § 19 Abs. 2 Z. 6 Mietengesetz gegeben sein, das heißt, Klägerin müßte der Beklagten ein anderes entsprechendes Geschäftslokal zur Verfügung stellen. Da sie das nicht getan habe, sei die Kündigung aufzuheben.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Es ist der Revision zuzugeben, daß das sogenannte Naheverhältnis nicht das einzig ausschlaggebende Moment für die Abgrenzung von Haupt- und Untermiete im Sinne des Mietengesetzes darstellt (Entscheidung vom 17. Februar 1937, RZ. 1937, S. 145). Ein Untermietverhältnis kann vielmehr auch dann vorliegen, wenn der Hauseigentümer oder Miteigentümer ein bestimmtes Lokal auf Grund eines anderen Rechtstitels als den eines Hauseigentümers innehat und das Lokal an einen Dritten vermietet; hieher gehören die Fälle, daß ein Hauseigentümer vom Fruchtnießer ein Lokal in Bestand genommen hat und es ganz oder teilweise weiter vermietet; oder ein Miteigentümer, der kraft Vereinbarung mit seinem Miteigentümer pro diviso Räume besitzt und sie ganz oder teilweise abgibt. All diese Fälle kommen aber vorliegend nicht in Betracht, weil die Klägerin durch keine Rechte Dritter in der Ausübung ihrer Befugnisse als Hauseigentümerin beschränkt ist.

Wenn das aber der Fall ist, dann kann ein Untermietverhältnis im mietrechtlichen Sinne nur dann angenommen werden, wenn der Hausherr ein Lokal in Eigenbenützung genommen hat und von diesem Lokal einen Teil unter Bedingungen abgibt, daß eine vollständige Trennung zwischen dem weitergegebenen Teil und dem vom Hausherrn zurückbehaltenen Teil nicht vorliegt. Dieses "Naheverhältnis" ist aber vom Berufungsgericht ausgeschlossen worden, weil das von der Beklagten gemietete Lokal nach den Feststellungen des Berufungsgerichtes räumlich von dem Lokale der Klägerin getrennt ist. Wenn die Revision demgegenüber vorbringt, daß bloß eine Verkleidung einer Tür vorliege, so weicht sie von den Feststellungen des Berufungsgerichtes ab; das gleiche gilt von der Behauptung, daß das Bestandobjekt wie ein Keil zwischen den von der Klägerin benützten Räumlichkeiten liege. Das Revisionsgericht kann bei Beurteilung der vorliegenden, auf Z. 4 gestützten Revision nur von den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichtes ausgehen, und nach diesen fehlt es an jedem Anhaltspunkt für die Annahme eines sogenannten "Naheverhältnisses".

Damit fällt aber die Qualifizierung des gegenständlichen Bestandverhältnisses als Untermiete im Sinne des Mietengesetzes.

Die Revision ist aber auch insofern nicht begrundet, als sie die Meinung vertritt, daß bei einer auf § 19 Abs. 6 Mietengesetz gestützten Kündigung entgegen § 19 Abs. 2 Z. 6 Mietengesetz die Beistellung von Ersatzräumen nicht erforderlich ist; dies aus folgenden Erwägungen:

Der Regierungsentwurf zum Mietengesetz 1922 enthielt im § 12 Abs. 6 eine Bestimmung, nach der Vereinbarungen unberührt bleiben, womit eine bestimmt bezeichnete Tatsache, die als bedeutsam für den Vermieter anzuerkennen ist, als Kündigungs- oder Auflösungsgrund festgelegt wird. Die endgültige Fassung des Mietengesetzes 1922 hat diesen Vorschlag der Regierung im § 19 Abs. 6 übernommen, aber auf Untermietverhältnisse eingeschränkt. Erst im Mietengesetz 1929 sind Vereinbarungen, die eine bestimmt bezeichnete Tatsache im vorhinein als Kündigungsgrund festlegen, auch bei Hauptmieten anerkannt worden, aber nicht wie bei Untermietverträgen jede für den Vermieter bedeutsame Tatsache, sondern eingeschränkt auf die Eigenbedarfskündigung.

Die 1928 eingebrachte Regierungsvorlage einer Mietengesetznovelle enthielt noch keine einschlägige Bestimmung, desgleichen nicht der ursprüngliche Referentenantrag des Abgeordneten Heinl, der diesen auf Grund der Vereinbarungen im Unterausschusse des Wohnungsausschusses erstattete. Sie taucht erstmals im Referentenantrag II (auf Grund der bisherigen Ergebnisse der Beratungen im Unterausschuß und den Parteien) auf. Nach Z. 44 des Artikels I des III. Abschnittes dieses Entwurfes sollte der 2. Satz des § 19 Abs. 6 lauten: "Hiedurch werden jedoch Vereinbarungen nicht berührt, womit ein bestimmter Fall dringenden Eigenbedarfes des Vermieters für sich oder für Verwandte in gerader Linie, ferner bei Untermietverhältnissen" usw. wie im Mietengesetz 1922. Hervorzuheben ist, daß im Referentenentwurf II der Gesetz gewordene Zusatz "oder für ein Unternehmen, für das der Vermieter allein oder in Gemeinschaft mit anderen Personen vertretungsbefugt ist" noch fehlt. Es kommt erstmals im Referentenantrag III vor (P. 44). Die weiteren Referentenanträge III a und III b haben den Referentenentwurf III unverändert übernommen, desgleichen der Bericht des Wohnungsausschusses, der allein eine Begründung enthält. Diese lautet wörtlich: "Der geltende § 19 Abs. 6 läßt Vereinbarungen über ein etwas erweitertes Kündigungsrecht des Vermieters nur bei Untermietverhältnissen zu. Nach Ansicht des Ausschusses kann aber keine Einwendung dagegen erhoben werden, wenn auch bei Hauptmieten ein bestimmt bezeichneter Fall dringenden Eigenbedarfes des Vermieters für sich oder für Verwandte in gerader Linie oder für ein Unternehmen, für das der Vermieter allein oder in Gemeinschaft mit anderen Personen vertretungsbefugt ist, von vorneherein als Kündigungs- oder Auflösungsgrund festgesetzt wird. Geschieht dies, so ist der betreffende Fall des Eigenbedarfes an sich ein Kündigungsgrund, ohne daß die sonst im § 19 Z. 2 Abs. 5 - soll heißen Abs. 2 Z. 5 - vorgeschriebene Interessenabwägung stattzufinden hätte."

Aus dem Ausschußbericht ergibt sich, daß die Verfasser der novellierten Fassung des § 19 Abs. 6 Mietengesetz mit der Neuregelung nur eine Ergänzung (Abänderung) des § 19 Abs. 2 Z. 5 beabsichtigten und die in dieser Gesetzesstelle vorgesehene Interessenabwägung ausschließen wollten. Dem steht auch der Einschub des Referentenentwurfes III nicht entgegen, daß nur für ein Unternehmen gekundigt werden könne, für das Vermieter allein oder in Gemeinschaft mit anderen vertretungsbefugt ist. Daraus kann keineswegs erschlossen werden, daß § 19 Abs. 6 Mietengesetz sich nicht auf Kündigungen nach Z. 5 beschränken könne, weil für ein Unternehmen nur Geschäftslokalitäten gekundigt werden können, die nicht unter Z. 5 fallen. Diese Auffassung übersieht, daß es für die Abgrenzung von Z. 5 und Z. 6 nicht darauf ankommt, wie das gekundigte Lokal in Hinkunft verwertet werden soll, sondern darauf, wie es bisher verwendet worden ist (SZ. VII/33). Ein Kündigungsgrund nach Z. 5 ist also auch dann nicht ausgeschlossen, wenn der Vermieter bisher als Wohnräume verwendete Lokale kundigt, weil er sie für ein Unternehmen benötigt, für das er allein oder mit anderen vertretungsbefugt ist. Darin liegt insofern eine Abweichung von § 19 Abs. 3 Mietengesetz, als der Vermieter nicht nur im Bestreitungsfall nachweisen muß, daß er wenigstens Eigentümer des Bestandsobjekts zur Hälfte ist, sondern überdies auch, daß er an dem Unternehmen, für das er die Räume benötigt, beteiligt und mitvertretungsbefugt ist. Im übrigen bleiben die Voraussetzungen nach § 19 Abs. 3 unberührt. Er kann daher auch "für ein Unternehmen" nur dann kundigen, wenn er Altbesitzer ist. Abs. 6 enthält in dieser Richtung, wie der Oberste Gerichtshof wiederholt ausgesprochen hat, keine Begünstigung der kundigenden Vermieter (z. B. 1 Ob 386/47).

Es kann daher auch der Auffassung der Revision nicht zugestimmt werden, daß § 19 Abs. 6 auch auf Kündigungsfälle nach § 19 Abs. 2 Z. 6 anwendbar ist. Die Anwendbarkeit des § 19 Abs. 6 Mietengesetz kommt schon deshalb nicht in Frage, weil die einzige Begünstigung, die durch § 19 Abs. 6 eingeräumt wird, nämlich Verzicht auf die Interessenabwägung, in den Fällen des § 19 Abs. 2 Z. 6. eine Besserstellung des Vermieters überhaupt nicht herbeiführen würde, da ja eine Interessenabwägung in den Fällen der Z. 6 überhaupt nicht statthat. Ein Anhaltspunkt aber für die vereinzelte in der Literatur vertretene Meinung, daß im Falle des § 19 Abs. 6 ein Ersatz nicht zu stellen ist, kann dem Gesetz überhaupt nicht entnommen werden, da sich das Gesetz darauf beschränkt, Vereinbarungen darüber, daß ein bestimmter Fall als dringender Eigenbedarfsfall gelten soll, Rechtswirksamkeit zuzuerkennen. Auch in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes ist kein Fall nachweisbar, in dem § 19 Abs. 6 auf § 19 Abs. 2 Z. 6 angewendet worden wäre.

Gegen die von der Revision vertretene Auslegung, die § 19 Abs. 6 zu einem Kündigungsgrund besonderer Art machen würde, spricht insbesondere die bereits erwähnte Tatsache, daß die Regierungsvorlage 1922 im § 12 Abs. 6 eine Bestimmung des Inhaltes enthalten hat, daß Vereinbarungen unberührt bleiben, womit eine bestimmt bezeichnete Tatsache, die als bedeutsam für den Vermieter anzuerkennen ist, als Kündigungs- oder Auflösungsgrund festgelegt wird. Diese Bestimmung ist aber - wie erwähnt - nicht Gesetz geworden, sondern auf Untermietverhältnisse eingeschränkt worden (vgl. SZ. XIX/221 und SZ. XXII/96). Hätte der Gesetzgeber 1929 beabsichtigt, im § 19 Abs. 6 einen neuen besonderen Kündigungsgrund einzuführen, so hätte er zur ursprünglichen Fassung des § 12 Abs. 6 Regierungsvorlage 1922 zurückkehren müssen und nicht die Begünstigung auf die Eigenbedarfskündigung einschränken dürfen, von der weder im Entwurf noch im Gesetze 1922 die Rede war. § 19 Abs. 6 kann daher auf andere als die im § 19 Abs. 2 Z. 5 geregelten Fälle hinaus nicht erstreckt werden.

Die von der Revision versuchte Auslegung widerspricht auch den Tendenzen des Mietengesetzes, da die Behandlung des § 19 Abs. 6 als besonderer Kündigungsgrund dazu führen würde, daß in fast allen Mietverträgen von den Verfassern der Mietverträge Klauseln aufgenommen würden, die es unter gewissen, den Einzelfall angepaßten Umständen dem Vermieter ermöglichen, jeden Mietvertrag zur Lösung zu bringen. Das hat der Gesetzgeber 1922 abgelehnt, und daran muß heute, in einer Zeit, da sich die Wohnungs- und Lokalitätenlage infolge des Krieges und der Besetzung noch verschärft hat, festgehalten werden.

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