OGH 2Ob111/51

OGH2Ob111/5114.2.1951

SZ 24/41

Normen

ABGB §1293
ABGB §1295
ABGB §1325
ABGB §1326
ABGB §1293
ABGB §1295
ABGB §1325
ABGB §1326

 

Spruch:

Verunstaltung ist jede nachteilige Veränderung in der äußeren Erscheinung ohne Rücksicht darauf, ob sie am bekleideten Menschen sichtbar ist oder durch Prothesen und dergleichen verdeckt werden kann. Daß die Verunstaltung ein Abscheu erregendes Aussehen hervorruft oder Mitleid erweckt, ist nicht nötig. Die Verunstaltung muß auch keine dauernde sein.

Entscheidung vom 14. Feber 1951, 2 Ob 111/51.

I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien; II. Instanz:

Oberlandesgericht Wien.

Text

Der Kläger, der ohne eigenes Verschulden von einem Lastkraftwagen niedergestoßen und verletzt worden war, machte gegen den Halter und Lenker des Wagens Schadenersatzansprüche in der Gesamthöhe von 41.677 S geltend. Er hatte bei dem Unfall eine Zertrümmerung des linken Unterschenkels, einen Bruch des linken Oberarmes und eine Reihe weiterer Verletzungen erlitten. Von der Klagessumme entfiel ein Teilbetrag von 14.175 S auf Schmerzengeld; weitere 4000 S wurden mit der Begründung beansprucht, daß der Kläger infolge bleibender Verunstaltung und dauernd verminderter Gehfähigkeit im linken Fuß sowie dauernd verminderter Gebrauchsfähigkeit des linken Armes für immer geschädigt sei.

Das Prozeßgericht erkannte im Sinne des Klagebegehrens.

Das Berufungsgericht bestätigte das erstgerichtliche Urteil.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Beklagten, die nur mehr die Höhe des Schmerzengeldes und den Zuspruch einer Entschädigung für Verunstaltung bekämpften, nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Insoweit es sich um die Feststellung der Unfallsfolgen und ihrer mutmaßlichen Dauer handelt, fällt auch hier die Entscheidung in den Bereich der mit Revision nicht anfechtbaren Tatsachenfeststellung. Die Frage, ob diese Verletzungen als Verunstaltung im Sinne des § 1326 ABGB. anzusehen sind, eine Frage, die nicht nach medizinischen Grundsätzen, sondern nach den allgemeinen Anschauungen des bürgerlichen Verkehrslebens zu beurteilen ist (SZ. I/50, Klang, 2. Aufl., § 1326, S. 145), und ob sie das bessere Fortkommen des Verletzten behindern könne, ist dagegen zugleich auch eine solche der rechtlichen Beurteilung und darum der Kognition des Revisionsgerichtes zugänglich.

Die Revision gibt zu, daß der Kläger infolge des Unfalles eine Verminderung der Erwerbsfähigkeit erlitten hat und in der Zeit nach dem Unfall in seinem Fortkommen behindert war, glaubt aber, daß diese Schäden schon durch das Schmerzengeld und die Entschädigung für Verdienstentgang abgegolten seien. Auch sei die Verunstaltung keine dauernde, da nach dem Sachverständigengutachten die Bewegungsbehinderung mit der Zeit durch andere Bewegungen ersetzt würde, so daß eine vollkommene Gleichstellung der Verhältnisse eintreten werde. Diese Auffassung ist rechtsirrig, ebenso allerdings jene der Revisionsbeantwortung, daß es bei einem auf § 1326 ABGB. gestützten Anspruch nicht darauf ankomme, ob durch die Verunstaltung ein weiteres besseres Fortkommen behindert werden könne.

Der Anspruch nach § 1326 ABGB. setzt voraus (vgl. SZ. XV/173 und SZ. I/50) a) Mißhandlung, also eine Körperverletzung, b) eine dadurch herbeigeführte Verunstaltung und c) daß dadurch das bessere Fortkommen des Verletzten verhindert werden kann.

Sowohl die Körperverletzung wie die dadurch bewirkten Folgen (Einschränkung der Beweglichkeit des linken Armes und Verminderung der Gehfähigkeit durch die Fußverletzung) sind unanfechtbar festgestellt und bedeuten eine Verunstaltung. Denn darunter ist jede wesentlich nachteilige Veränderung der äußeren Erscheinung der Verletzten zu verstehen, ohne daß es darauf ankommt, ob diese am bekleideten Menschen sichtbar ist oder durch Prothesen und dergleichen verdeckt werden kann. Es ist auch nicht nötig, daß die Verunstaltung ein Abscheu erregendes Aussehen hervorruft oder Mitleid erweckt.

Es ist erforderlich und genügend, daß diese Verunstaltung, auch wenn sie nicht dauernd ist, das bessere Fortkommen des Verletzten möglicherweise behindert. Abstrakte Möglichkeit genügt, wie sich am Beispiel der Verminderung der Heiratsfähigkeit einer Frau infolge einer Verunstaltung zeigt. Es wird hier nicht erfordert, daß etwa eine Verlobung infolge der Verunstaltung aufgelöst worden sei; es genügt vielmehr, daß die Heiratsaussichten der Verletzten infolgedessen sich ganz allgemein verringert haben. Im Gegensatz zu der nach § 1325 ABGB. gebührenden Entschädigung gebührt der Ersatz für das verhinderte bessere Fortkommen eben schon dann, wenn dieses verhindert werden kann (ZBl. 1934, Nr. 113, SZ. XV/173, Klang, ebendort, S. 145, GlUNF. 2802, 4050). Die bloße Möglichkeit des Schadens ist ausreichend, den Ersatzanspruch zu begrunden. Diese Möglichkeit ist aber hier gegeben, weil der Kläger den gegenwärtigen Posten, den ihm seine Dienstgeber aus menschlichen Gründen gegeben haben, jederzeit verlieren kann und erfahrungsgemäß als Verunstalteter, in seiner der Berufsausbildung und seinen Fähigkeiten entsprechenden Erwerbsfähigkeit körperlich Behinderter, viel schwerer einen Posten finden wird als ein Gesunder, weil nicht nur seine äußere Erscheinung, sondern auch seine Beweglichkeit beeinträchtigt ist.

Lehre und Rechtsprechung sind auch darüber einig, daß die Verunstaltung keineswegs eine dauernde sein muß. Auch wenn sie mit der Zeit verschwindet oder doch geringer wird, wie nach dem Sachverständigengutachten angenommen werden kann, ist es doch möglich, daß sie während ihrer Dauer das bessere Fortkommen des Verletzten hindert, weil er gerade während dieser Zeit eine sich bietende günstige Gelegenheit ungenützt lassen muß (SZ. XV/173). Es ist darum trotz der vorhandenen Möglichkeit einer Besserung des perzentuellen Grades der Erwerbsfähigkeit durch Gewöhnung an Ersatzbewegungen der Anspruch begrundet.

Irrig ist auch die Ansicht der Revision, der Anspruch sei schon durch die Zuerkennung von Schmerzensgeld und Verdienstentgang abgegolten.

Der Anspruch nach § 1326 ABGB. geht weiter als der auf Ersatz des Verdienstentganges nach § 1325 ABGB., weil er nicht nur diesen umfaßt, sondern auch das Recht, Ersatz all dessen zu fordern, was der Verletzte infolge der Verunstaltung nicht erwarb, ohne daß es sich gerade um Arbeitsentgelt handeln müßte, sofern es sich um die Mittel zur Begründung dauernder Besserstellung handelt. Ersatz des entgangenen besseren Fortkommens kann darum neben dem Ersatz für Verdienstentgang verlangt werden.

Die Verunstaltung kann bei der Ermittlung des Schmerzengeldes unter dem Gesichtspunkt der dadurch bewirkten seelischen Schmerzen oder der Verminderung der Lebensfreude gewiß in Betracht kommen. Allein der Kläger hat seelische Schmerzen gar nicht geltend gemacht, sondern sich mit dem Ersatz für körperliche Schmerzen begnügt, so daß die Entstellung bei der Bemessung des Schmerzengeldes aktenmäßig gar nicht berücksichtigt worden ist (vgl. Klang, 2. Aufl., § 1326, S. 146).

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