Spruch:
Streichung einer Testamentsklausel begrundet keine Erbunwürdigkeit, wenn sie nicht in der Absicht erfolgte, den Willen des Erblassers zu frustrieren.
Entscheidung vom 14. Feber 1951, 1 Ob 722/50.
I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien; II. Instanz:
Oberlandesgericht Wien.
Text
Der Kläger begehrt vom Beklagten die Ausstellung einer einverleibungsfähigen Urkunde, auf Grund welcher bei einem ein Achtel-Anteil des Beklagten am Haus EZ. 1029 Grundbuch die Beschränkung seines Eigentumsrechtes durch die in der letztwilligen Erklärung der Mutter der Streitteile Hilde H. vom 6. März 1938 angeordnete fideikommissarische Substitution zugunsten des Klägers und seiner Kinder eingetragen werden könne. Die Klage wird darauf gestützt, daß in dieser letztwilligen Erklärung die angeführte fideikommissarische Substitution für den Fall angeordnet sei, daß der Beklagte Frau Mary I. heiraten oder mit ihr in wilder Ehe leben sollte. Im Hinblick auf das vom Beklagten gegebene Ehrenwort, dies nicht zu tun, sei diese Bestimmung der letztwilligen Erklärung der Hilde H. nach deren Tod von ihrem Gatten Ludwig H. gestrichen worden. Der Beklagte habe jedoch sein Wort gebrochen, sodaß nach dem wahren Willen der Erblasserin die Voraussetzungen für die grundbücherliche Eintragung der fideikommissarischen Substitution gegeben seien.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es stellte fest, daß der Vater der Streitteile nach dem Tod der Erblasserin im Hinblick auf das Versprechen des Beklagten, Mary I. nicht zu heiraten, die entsprechende Stelle der letztwilligen Erklärung der Hilde H. gestrichen habe, um dem Beklagten eine Kränkung zu ersparen. Der Kläger sei dabei anwesend gewesen, nicht aber der Beklagte. Der Kläger sei jedenfalls berechtigt, die Wiederherstellung des wahren Willens der Erblasserin zu verlangen.
Das Berufungsgericht wies ab.
Der Oberste Gerichtshof stellte das erstrichterliche Urteil wieder her.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Gründen:
Was endlich die Auslegung des § 542 ABGB. in der Richtung der Erbunwürdigkeit des Klägers betrifft, so ist die Unterdrückung eines letzten Willens die Voraussetzung. Unterdrückt wird ein letzter Wille unter anderem dann, wenn dessen Verfälschung ein Handeln gegen die Intentionen des Erblassers ist. "Die Testierfreiheit und der wahre Wille des Erblassers sollen energisch geschützt werden" (Anders, Erbrecht, 2. Aufl., S. 8). Wer den wahren Willen des Erblassers zu verwirklichen bestrebt ist, wird nicht erbunwürdig, mag er sich auch ungehöriger Mittel bedient haben (Weiß - Klang, 2. Aufl., zu § 542, S. 104 f., 109). Der Zweck der Bestimmung des § 542 ABGB. liegt darin, dem Willen des Erblassers zum Durchbruch zu verhelfen und diesem Willen widerstreitende Anmaßungen letztwilliger Ansprüche zu verhindern. Der Kläger hat im vorliegenden Fall durch die Genehmigung der Streichung dem Willen der Erblasserin nicht zuwider gehandelt, er wolle denselben Erfolg erzielen wie sie, nämlich verhindern, daß der vermachte Liegenschaftsanteil nach dem Tode des Beklagten der Frau Mary I. zukomme. Er und der Vater wollten dies zur Schonung des Beklagten auf dem Wege erreichen, daß dessen früher gegebenes Versprechen, diese Frau nicht zu heiraten, genügen sollte, ohne daß es zunächst zur Eintragung der fideikommissarischen Substitution kommen mußte. Wenn der Kläger jetzt, nachdem der Beklagte Frau Mary I. geheiratet hat, die volle Anwendung der von der Erblasserin für diesen Fall festgelegten Sanktion fordert, kann ihm der Beklagte nicht mit Erfolg einwenden, daß er erbunwürdig sei, da eben vom Kläger der letzte Wille der Erblasserin niemals materiell unterdrückt worden ist.
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